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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.05.2006
Aktenzeichen: 3 S 787/06
Rechtsgebiete: GKG


Vorschriften:

GKG § 52 Abs. 1
GKG § 53 Abs. 3 Nr. 2
Wendet sich ein Nachbar mit seinem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen Beeinträchtigungen, die von der Nutzung des genehmigten Bauvorhabens ausgehen, rechtfertigt dies eine Halbierung des im Hauptsacheverfahren festzusetzenden Streitwerts.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

3 S 787/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Baugenehmigung;

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 3. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 03. Mai 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 09. März 2006 - 6 K 104/06 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird unter Änderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts auf 3.750,-- EUR je Rechtszug festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers ist statthaft (§ 146 Abs. 4 VwGO) und zulässig. Insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis nicht dadurch entfallen, dass die Beigeladenen von der ihnen erteilten Baugenehmigung inzwischen Gebrauch und die mit der Nutzungsänderung verbundenen Umbaumaßnahmen abgeschlossen haben. Das Rechtsschutzinteresse ist zu verneinen, wenn der Rechtsuchende mit seinem Begehren eine Verbesserung seiner Rechtslage nicht erreichen kann, d.h. wenn eine Inanspruchnahme des Gerichts sich als für seine subjektive Rechtsstellung nutzlos darstellt. So können etwa die von einem Baukörper hervorgerufenen negativen Auswirkungen nach dessen Fertigstellung durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die hierfür erteilte Baugenehmigung regelmäßig nicht mehr verhindert werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 12.01.2005 - 8 S 2720/04 -, BauR 2005, 1762 und vom 06.03.2006 - 3 S 148/06 -). Vorliegend macht der Antragsteller indessen eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch die mit der Baugenehmigung ermöglichte neue Nutzung geltend (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18.02.2002 - 3 M 107/01 -, NordÖR 2002, 364). In diesem Fall entfällt das Rechtsschutzbedürfnis nicht mit Fertigstellung etwaiger Umbaumaßnahmen und Aufnahme der geänderten Nutzung.

Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Beschwerdegerichts zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO), hat das Verwaltungsgericht zu Recht den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die den Beigeladenen am 28.10.2005 vom Landratsamt Rastatt erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Stehimbisses in eine Gaststätte mit Umbau auf dem Grundstück Flst.-Nr. 62 (XXXXXXXXX XX) in Lichtenau abgelehnt. Auch nach Auffassung des erkennenden Senats überwiegen vorliegend das öffentliche Interesse und das private Interesse der Beigeladenen an der Ausnutzung der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Baugenehmigung (vgl. § 212 a BauGB) die gegenläufigen privaten Interessen des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung verschont zu bleiben. Denn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage kann nicht davon ausgegangen werden, dass unter Berücksichtigung der im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe die angefochtene Baugenehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind.

Die genehmigte Nutzungsänderung dürfte den Antragsteller insbesondere in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht in seinen Rechten verletzen. Dabei kann dahinstehen, ob die nähere Umgebung des Bauvorhabens - wie vom Antragsteller behauptet - faktisch einem Mischgebiet entspricht und sich die planungsrechtliche Zulässigkeit damit nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO richtet. Denn Schank- und Speisewirtschaften sind in einem Mischgebiet allgemein zulässig (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann nicht davon ausgegangen werden, dass das genehmigte Bauvorhaben in einem Mischgebiet mit dessen Zweckbestimmung nicht zu vereinbaren wäre und dem Antragsteller daher zum Zwecke des Erhalts des Gebietscharakters ein über das Gebot der Rücksichtnahme hinausgehender Schutz- und Abwehranspruch auf Bewahrung der Gebietsart zusteht. Was in einem Mischgebiet zulässig ist, richtet sich nicht nur nach § 6 BauNVO, sondern auch nach der Zweckbestimmung dieses Gebiets. Dabei ist auch zu berücksichtigen, welche Funktionen den einzelnen Baugebieten im Verhältnis zu anderen Baugebieten der Baunutzungsverordnung zukommen (vgl. BVerwG, Urteil vom 06.12.2000 - 4 B 4.00 -, NVwZ-RR 2001, 217). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist bei typisierender Betrachtungsweise davon auszugehen, dass eine Schank- und Speisewirtschaft mit dem Charakter eines Mischgebiets regelmäßig zu vereinbaren ist. Mischgebiete dienen nach § 6 Abs. 1 BauNVO (gleichberechtigt) dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Mit diesem Gebietscharakter ist eine Gaststätte - in der vorliegend genehmigten Größe - grundsätzlich zu vereinbaren. Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren rechtfertigt insoweit keine andere Beurteilung.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers verstößt das Bauvorhaben hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung auch nicht im konkreten Einzelfall gegen das § 15 BauNVO zu entnehmende Gebot der Rücksichtnahme. Dieses Gebot hat sowohl eine objektiv- als auch eine subjektiv-rechtliche Seite. Die an das Gebot (objektiv-rechtlich) zu stellenden Anforderungen hängen wesentlich von den konkreten Umständen des einzelnen Falles ab. Dabei kann grundsätzlich umso mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit seinem Vorhaben verfolgten Interessen sind. Die hierbei vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran auszurichten, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dabei muss allerdings demjenigen, der sein eigenes Grundstück in einer sonst zulässigen Weise baulich nutzen will, insofern ein Vorrang zugestanden werden, als er berechtigte Interessen nicht deshalb zurückzustellen braucht, um gleichwertige fremde Interessen zu schonen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122). Diesem (objektiv-rechtlichen) Rücksichtnahmegebot kommt ausnahmsweise eine drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1977, a.a.O.). Da das Rücksichtnahmegebot keine allgemeine Härteklausel ist, die über den speziellen Vorschriften des Städtebaurechts oder gar des gesamten öffentlichen Baurechts steht, sondern Bestandteil einzelner gesetzlicher Vorschriften des Baurechts ist, kann es nur verletzt sein, wenn ein Vorhaben objektiv gegen die einschlägigen Vorschriften verstößt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.01.1999 - 4 B 128.98 -, NVwZ 1999, 879).

In diesem Sinne dürfte vorliegend hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung - ungeachtet der generellen Zulässigkeit von Schank- und Speisewirtschaften in einem Mischgebiet - auch im konkreten Einzelfall kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegen. Bei der hierbei vorzunehmenden Interessenabwägung dürfte zu Lasten des Antragstellers u.a. die Vorbelastung durch den bisher betriebenen Stehimbiss zu berücksichtigen sein. Soweit der Antragsteller befürchtet, dass durch die genehmigte Nutzungsänderung die Lärmbeeinträchtigungen weiter zunehmen werden, wurde hiergegen in der Baugenehmigung Vorsorge getroffen. Danach ist durch bauliche und maschinentechnische Maßnahmen sicherzustellen, dass in Wohnungen, die mit dem Betrieb baulich verbunden sind - hierzu dürften auch angrenzende Wohnräume des Antragstellers zählen, soweit beide Gebäude wie vom Antragsteller vorgetragen tatsächlich nur über eine gemeinsame Hauswand verfügen -, die Lärmimmissionen tagsüber 35 dB(A) und nachts 25 dB(A) nicht überschreiten; ferner dürfen die für Mischgebiete festgelegten Immissionsrichtwerte der TA-Lärm in der Nachbarschaft - also auch auf dem Grundstück des Antragstellers - gemessen 0,5 m vor dem geöffneten, vom Lärm am stärksten betroffenen Fenster des nächstgelegenen Wohnhauses durch die Summe der auf den Immissionsort einwirkenden Lärmanteile nicht überschritten werden (vgl. Auflage 132 A). Durch diese Forderungen wird - ungeachtet des vorangestellten Zusatzes "Hinweis" - auf Grund der imperativen Formulierung und der Stellung unter "Auflagen 132 A - Gewerberechtliche Nebenbestimmungen" - die zugelassene Nutzung entsprechend eingeschränkt. Damit werden die durch die geänderte Nutzung zugelassenen Lärmimmissionen für den Antragsteller auf ein zumutbares Maß reduziert.

Soweit der Antragsteller rügt, die Beigeladenen hätten im Zuge der Baumaßnahmen keine Lärmschutzmaßnahmen ergriffen und es sei in tatsächlicher Hinsicht mit weitergehenden Lärmimmissionen zu rechnen, kommt es hierauf im vorliegenden Verfahren nicht an, da Gegenstand allein die den Beigeladenen von der Baurechtsbehörde erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Stehimbisses in eine Gaststätte ist. Dass diese Baugenehmigung in planungsrechtlicher Hinsicht drittschützende Rechte des Antragstellers verletzt, ist nach den obigen Ausführungen nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Der Streitwert war nach §§ 63 Abs. 3, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG für beide Instanzen auf 3.750,-- EUR festzusetzen. Dabei geht der Senat unter Zugrundelegung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, der bei Nachbarklagen im Baurecht einen Streitwert von mindestens 7.500,-- EUR vorsieht (vgl. Ziff. 9.7.1), im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren, in dem die vom Antragsteller geltend gemachten Beeinträchtigungen die Nutzung der genehmigten Anlage betreffen, von einer Halbierung des im Streitwertkatalog für das Hauptsacheverfahren vorgesehenen Mindestbetrages aus.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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