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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 10.03.2005
Aktenzeichen: 4 S 2222/03
Rechtsgebiete: BVO


Vorschriften:

BVO § 5 Abs. 1 Satz 1
BVO § 6 Abs. 1 Nr. 2
Der Haarausfall bei einem Mann (hier: androgenetische Alopezie) ist keine Krankheit im Sinne des Beihilferechts, solange er nicht ursächlich zu krankhaften Folgeerscheinungen anderer Art, insbesondere psychischen Beeinträchtigungen führt.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

4 S 2222/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Beihilfe

hat der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Brockmann und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Breunig und Feldmann ohne mündliche Verhandlung am 10. März 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. August 2003 - 17 K 1792/03 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist Richter im Dienst des Beklagten. Er leidet an progredienter androgenetischer Alopezie (erblich bedingtem Haarausfall). Er begehrt Beihilfe für das ihm ärztlich verordnete Mittel "Propecia", das dem Haarausfall entgegenwirken soll. Mit Bescheid vom 26.09.2002 lehnte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg den Antrag ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Landesamt für Besoldung und Versorgung mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2003 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, "Propecia" sei kein Arzneimittel im Sinne des Beihilferechts und gehöre zu den kosmetischen Mitteln. Der Kläger hat daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten des verwaltungsbehördlichen und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens macht der Senat sich die Feststellungen des Verwaltungsgerichts in vollem Umfang zu eigen und nimmt auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug (§ 130b Satz 1 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 22.08.2003 stattgegeben und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, dem Kläger Beihilfe in Höhe von 299,25 EUR entsprechend den ärztlichen Verordnungen zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe Anspruch auf die begehrte Beihilfe, da die nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BVO erforderlichen Voraussetzungen für die Annahme beihilfefähiger Aufwendungen erfüllt seien. Nach dem vorliegenden ärztlichen Attest leide der Kläger an einer progredienten androgenetischen Alopezie. Dabei handele es sich um eine Krankheit im Sinne von § 6 Abs. 1 BVO, weil dem beihilferechtlichen Krankheitsbegriff entsprechend ein Körperzustand gegeben sei, der von der Norm, nämlich einem ungehinderten Haarwachstum, abweiche. Ein damit sich anbahnender weitgehender Verlust der Kopfhaare könne als ein das Wohlbefinden einschränkender Zustand angesehen werden, wie sich auch aus der teilweisen Erstattungsfähigkeit von Perücken oder Toupets nach Nr. 2.1. der Anlage zur Beihilfeverordnung ergebe. Das ärztlich verordnete Mittel "Propecia" sei auch kein kosmetisches Mittel, sondern ein Arzneimittel im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 2 BVO, da es nach der Fachinformation und den vom Kläger vorgelegten Beipackzetteln dazu bestimmt sei, seine Wirkung im Rahmen der Krankenbehandlung durch Anwendung im menschlichen Körper zu erzielen; die wegen der Hemmung des Haarausfalls ebenfalls bewirkte Verbesserung des Aussehens stehe der Eigenschaft als Arzneimittel nicht entgegen. Das Mittel "Propecia" sei schließlich nicht geeignet, Güter des täglichen Bedarf zu ersetzen, so dass § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BVO der Beihilfefähigkeit der dadurch hervorgerufenen Aufwendungen nicht entgegenstehe.

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung beantragt der Beklagte,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. August 2003 - 17 K 1792/03 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor: Androgenetische Alopezie sei keine Krankheit im Sinne des Beihilferechts, da sie keinen Körperzustand darstelle, der außerhalb der Bandbreite des "Normalen" als regelwidrig bezeichnet werden könne. Dies folge sowohl daraus, dass etwa die Hälfte aller Männer davon betroffen sei, als auch daraus, dass durch Alopezie weder die körperliche Leistungsfähigkeit noch die psychische Gesundheit beeinträchtigt würden. Die Behandlung der Alopezie habe daher rein ästhetische Bedeutung und erfülle, wovon auch die Fachleute ausgingen, nicht die Kriterien einer medizinisch indizierten Heilbehandlung. Bei den entstandenen Aufwendungen handele es sich vielmehr um Kosten der Lebenshaltung. Das Mittel "Propecia" sei deshalb geeignet, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen. Unabhängig von der Frage, ob eine Krankheit vorliege, handele es sich auch nicht um notwendige Aufwendungen im Sinne des Beihilferechts, da der Kläger allein sein äußeres Erscheinungsbild subjektiv als nachteilig empfinde.

Der Kläger ist der Berufung entgegengetreten. Er hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend.

Dem Senat liegen die Akten des Verwaltungsgerichts und des Beklagten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird hierauf sowie auf die gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Akten des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat der zulässigen Verpflichtungsklage des Klägers zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Beihilfe (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die darauf gerichtete Klage ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unbegründet.

Nach den im Zeitpunkt der ärztlichen Behandlung maßgeblichen Vorschriften der §§ 5 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung des Finanzministeriums über die Gewährung von Beihilfe in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen vom 28.07.1995 (GBl. S. 561) in der Fassung vom 29.10.2001 (GBl. S. 622) - Beihilfeverordnung - BVO a.F. - sind aus Anlass einer Krankheit beihilfefähig die Aufwendungen für von Ärzten schriftlich verordnete Arzneimittel. Nicht beihilfefähig sind Aufwendungen für Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 BVO a.F.).

Danach sind die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für das Mittel "Propecia" nicht beihilfefähig. Dies folgt bereits daraus, dass die progrediente androgenetische Alopezie, zu deren Behandlung dem Kläger dieses Mittel ärztlich verordnet worden ist, keine Krankheit im Sinne des Beihilferechts ist.

Da die Beihilfevorschriften den Begriff der "Krankheit" nicht ausdrücklich regeln, ist es sachgerecht, insoweit sinngemäß den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff heranzuziehen, wie er in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.1982, BVerwGE 65, 87 ff. = ZBR 1982, 157; Urteil des Senats vom 19.10.1979 - IV 85/77 -, DÖD 1980, 229; Beschluss des Senats vom 15.07.2002 - 4 S 1031/02 -). Danach ist unter Krankheit auch im beihilferechtlichen Sinne ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes zu verstehen, der der ärztlichen Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als regelwidrig ist ein Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der von der durch das Leitbild eines gesunden Menschen geprägten Norm abweicht, d.h. außerhalb der Bandbreite des Normalen liegt, oder bei welchem die Körperfunktionen außerhalb der Bandbreite des Normalen regelwidrig sind. Dabei ist der Begriff der Gesundheit mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzelnen die Ausübung körperlicher und geistiger Funktionen ermöglicht (BVerwG, Urteil vom 24.02.1982, a.a.O.; Urteil des Senats vom 19.10.1979, a.a.O.; Beschluss des Senats vom 15.07.2002 - 4 S 1031/02 -; BSG, Urteil vom 20.10.1972, BSGE 35, 10, 12).

Danach lag bei dem Kläger im maßgeblichen Zeitraum der Behandlung mit dem Mittel "Propecia" kein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand vor, der ärztlicher Behandlung bedurfte oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. Denn die androgenetische Alopezie hatte bei ihm einen Körperzustand zur Folge, der von der durch das Leitbild einer gesunden männlichen Person geprägten Norm nicht wesentlich abwich. Dem Kläger war nämlich trotz des fortschreitenden Verlustes seiner Kopfhaare die Ausübung der sonstigen körperlichen und geistigen Funktionen weiterhin möglich. Auch wenn der erblich bedingte allmähliche Verlust des Haupthaares die Ausübung der körperlichen Funktion der Neubildung und des Wachstums der Haare des Klägers beeinträchtigte (vgl. dazu BSG, Urteil vom 23.07.2002, SozR 3 - 2500 § 33 Nr. 45), kann dieser Umstand allein die Annahme einer Krankheit des Klägers nicht rechtfertigen. Denn die androgenetische Alopezie liegt, da sie unstreitig bei einem Großteil aller Männer auftritt und deshalb weit verbreitet ist, bei der wertenden Betrachtung, wie sie der maßgebliche funktionelle Krankheitsbegriff erfordert, noch innerhalb der Bandbreite des Normalen, d.h. die insoweit zu bejahende Regelwidrigkeit einer körperlichen Funktion hält sich innerhalb dieser Bandbreite. Solange der in diesem Sinne "normale" und deshalb als solcher nicht krankhafte Haarausfall bei einem Mann nicht ursächlich zu weiteren krankhaften Folgestörungen führt, wird seiner Eigenart nach Überzeugung des erkennenden Senats dadurch angemessen Rechnung getragen, dass man ihn als genetisch bedingte, auf besonderen Erbanlagen beruhende geschlechtstypische Erscheinung ansieht (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 21.09.1994, DÖD 1995, 118).

Hinzu kommt, dass der Haarausfall des Klägers im maßgeblichen Zeitraum bei der gebotenen wertenden Betrachtung keiner ärztlichen Behandlung bedurfte und keine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte. Nach dem insoweit übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten, wie es bereits im verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren deutlich wurde, gibt es dafür keine Anhaltspunkte. Der Umstand, dass der Kläger von seinem behandelnden Arzt Dr. S. wiederholt das Mittel "Propecia" verordnet bekam, rechtfertigt für sich genommen die Annahme einer Behandlungsbedürftigkeit nicht. Denn die dadurch bezweckte Hemmung des Haarausfalls sollte nach Lage der Akten allein dem Ziel dienen, das äußere Erscheinungsbild des Klägers und damit das dadurch hervorgerufene ästhetische Empfinden eines Betrachters zu verbessern. Sinn und Zweck der Beihilfegewährung ist aber nicht die Beseitigung ästhetischer Einbußen, sondern die Heilung oder Linderung einer Krankheit. Arbeitsunfähigkeit als Folge des Haarausfalls hat der Kläger ohnehin nicht geltend gemacht.

Der Senat verkennt nicht, dass androgenetische Alopezie, auch wenn sie selbst nicht als Krankheit im Sinne des Beihilferechts anzusehen ist, bei einer entsprechenden individuellen Befindlichkeit zu einer Gefahr für die psychische Gesundheit des Betroffenen und damit zu einer krankhaften Folgeerscheinung anderer, nämlich psychischer Art führen könnte (vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 21.09.1994, a.a.O.). Insoweit könnte bereits das Mittel "Propecia", weil es möglicherweise dem Haarausfall als der Ursache eines derartigen psychischen Leidens entgegenwirken würde, die Funktion eines Arzneimittels haben. Voraussetzung einer Beihilfegewährung wäre dann freilich, dass die therapeutische Maßnahme im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, um von dem Beamten oder seinen berücksichtigungsfähigen Angehörigen die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung des psychischen Gesundheitszustandes abzuwenden oder einer schon eingetretenen Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit zu begegnen (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.1975, BSGE 39, 167). Nach Lage der Akten, insbesondere auch dem Vorbringen des Klägers im behördlichen und gerichtlichen Verfahren, gibt es für eine derartige psychische Folgeerkrankung oder eine dahingehende Gefahr im maßgeblichem Zeitabschnitt keine Anhaltspunkte, denen der Senat nachzugehen hätte. Ein psychischer Leidensdruck, der so erheblich wäre, dass ihm Krankheitswert einschließlich der Behandlungsbedürftigkeit zuerkannt werden müsste, ist aus dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers oder aus sonstigen Umständen nämlich nicht ersichtlich. Eine bloße Beeinträchtigung des Wohlbefindens als Folge des Haarausfalls, die bereits daraus deutlich wird, dass der Kläger sich einer Behandlung mit dem Präparat "Propecia" unterzogen hat, reicht für die Annahme einer psychischen Folgeerkrankung nicht aus. Denn eine derartige Beeinträchtigung müsste so erheblich gewesen sein, dass sie über die Herabsetzung des Wohlbefindens hinaus einen psychischen Leidensdruck verursacht hätte, der behandlungsbedürftig gewesen wäre. Dies hätte entsprechende Anhaltspunkte erfordert, dass eine Beeinträchtigung über die bloße Störung des Wohlbefindens hinaus einen psychischen Leidungsdruck in der Art einer gesundheitlichen Belastung ausgelöst hätte (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.1975, a.a.O.). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen. Seine Ausführungen geben keine Veranlassung anzunehmen, im maßgeblichen Zeitraum sei er wegen des Haarausfalls psychisch so belastet gewesen, dass sein Zustand das Ausmaß einer Krankheit erreicht habe.

Sollte im Beihilferecht das Erfordernis ärztlicher Maßnahmen und damit die Behandlungsbedürftigkeit eines über die Bandbreite des Normalen hinausgehenden regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustands nicht als zum Begriff der "Krankheit" gehörend angenommen werden, weil insoweit im Zusammenhang mit der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen in § 5 Abs. 1 Satz 1 BVO a.F. eine eigenständige verordnungsrechtliche Regelung, nach der die Aufwendungen "notwendig" und "angemessen" sein müssen, getroffen worden ist (vgl. das Urteil des Senats vom 19.10.1979 - IV 85/77 -, a.a.O.), würde sich im Ergebnis nichts ändern. Denn bei dieser Annahme wären die durch das Mittel "Propecia" verursachten Aufwendungen im Sinne dieser Vorschrift nicht notwendig gewesen, weil der Kläger, wie vorstehend ausgeführt, auch ohne sie zur Ausübung der wesentlichen psycho-physischen Funktionen in der Lage war.

Der Einordnung der androgenetischen Alopezie als einer lediglich geschlechtstypischen Erscheinung steht schließlich nicht entgegen, dass das Bundessozialgericht den dauerhaften totalen Verlust des Haupthaares bei einer Frau als eine krankheitsbedingte "Behinderung" im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 2 Abs. 1 SGB IX angesehen hat, weil eine Frau in einem derartigen Zustand in ihrer "körperlichen Funktion" beeinträchtigt sei. Das Bundessozialgericht hat diese Einschätzung allerdings nicht nur darauf gestützt, dass bei der damaligen Klägerin eine Einbuße der körperlichen Funktion "Neubildung und Wachstum der Haare" eingetreten sei, sondern auch darauf, dass die darin liegende Krankheit bei Frauen eine entstellende Wirkung habe, die zwar nicht zum Verlust oder zur Störung einer motorischen oder geistigen Funktion führe, es einer Frau aber erschwere oder gar unmöglich machte, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen, weil eine kahlköpfige Frau naturgemäß ständig alle Blicke auf sich ziehe und zum Objekt der Neugier werde (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.2002, a.a.O.). Diese Sach- und Rechtslage ist mit derjenigen einer androgenetischen Alopezie bei einer männlichen Person nicht vergleichbar. Denn bereits die genetischen Ursachen des Haarausfalles bei einem Mann unterscheiden sich wesentlich von den Ursachen des totalen Haarverlusts bei einer Frau, weil bei einem Mann mit androgenetisch bedingtem Haarausfall die Kopfhaut verkleinerte Haarfollikel und erhöhte Mengen an Dihydrotestosteron (DHT) enthält (vgl. die Sachinformation Propecia-Finasterid Nr. 5.1, AS 31 der VG-Akten). Deshalb kommt ein genetisch bedingter, auf besonderen Erbanlagen beruhender totaler Verlust des Haupthaares bei Männern deutlich häufiger vor als bei Frauen, die davon nur selten betroffen sind. Die körperlich bedingte Kahlköpfigkeit ist bei einer Frau deshalb keine geschlechtstypische Erscheinung, sondern liegt, anders als bei einem Mann, als regelwidriger körperlicher Zustand außerhalb der Bandbreite des Normalen, so dass die Annahme einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinn nach den vorstehenden Maßstäben berechtigt erscheint. Hinzu kommt, dass das Bundessozialgericht der bloßen Kahlköpfigkeit bei Frauen auch eine entstellende Wirkung mit nachteiligen gesellschaftlichen Folgen beimisst, wovon bei Männern nach Auffassung des Senats generell nicht die Rede sein kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss vom 10. März 2005

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß § 13 Abs. 2 GKG a.F. auf 299,25 EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 25 Abs. 3 Satz 2 GKG a.F.).

Ende der Entscheidung

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