Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 12.10.2006
Aktenzeichen: 4 S 2548/05
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 3
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 1
Der Leistungsausschluss für Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion (hier: Caverject) durch die Satzung der Postbeamtenkrankenkasse verletzt weder das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit noch das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit noch das grundrechtliche Gebot, die Ehe zu schützen, noch das Sozialstaatsprinzip. Die Mitglieder der Postbeamtenkrankenkasse können auch aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht keine Leistungsansprüche auf Erstattung der Aufwendungen für solche Arzneimittel herleiten.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

4 S 2548/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Kassenleistungen

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 12. Oktober 2006

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. November 2005 - 15 K 1648/05 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 624,21 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von ihm genannten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und ihrer grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rechtfertigen aus den mit dem Antrag angeführten Gründen die Zulassung der Berufung nicht.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sind nach der Rechtsprechung des Senats dann gegeben, wenn neben den für die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung sprechenden Umständen gewichtige, dagegen sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatsachenfragen bewirken, bzw. wenn der Erfolg des Rechtsmittels, dessen Eröffnung angestrebt wird, mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg (vgl. Beschluss des Senats vom 25.02.1997 - 4 S 496/97 -, VBlBW 1997, 263). Dies ist bereits dann ausreichend dargelegt, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.06.2000, VBlBW 2000, 392, und Beschluss vom 03.03.2004, BVerfGE 110, 77, 83). Ausgehend hiervon werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung mit dem Antragsvorbringen nicht hervorgerufen.

Die Rüge des Klägers, der auf § 33 Abs. 3 Buchst. a der Satzung der Beklagten gestützte Ausschluss der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion verstoße insoweit gegen höherrangiges Recht, als er nicht in gebührender Weise auf die Umstände des Einzelfalles und die Bedeutung des Arzneimittels für den Betroffenen abstelle, bleibt ohne Erfolg. Denn dieser Ausschluss verletzt weder, wie der Kläger meint, das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit noch das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herzuleitende Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit noch das grundrechtliche Gebot des Art. 6 Abs. 1 GG, die Ehe zu schützen. Auch ist ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) nicht ersichtlich. Ferner ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt und bedarf deshalb keiner weiteren Erörterung, dass die Beklagte, weil ihre Leistungen allein eine freiwillige Krankenversicherung darstellen, mangels einer entsprechenden rechtlichen Grundlage gegenüber ihren Mitgliedern keine Fürsorgepflicht i.S.d. Art. 33 Abs. 5 GG trifft (vgl. Urteil des Senats vom 19.03.1996 - 4 S 2188/95 -, IÖD 1996, 199). Der Kläger kann daher schon deshalb aus der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht des Dienstherrn keine Leistungsansprüche gegen die Beklagte herleiten.

Zwar erscheint es möglich, dass die Beklagte, auch wenn sie funktional eine einer privaten Krankenversicherung vergleichbare, die beamtenrechtliche Beihilfe des Dienstherrn ergänzende Selbstvorsorge anbietet, wegen ihrer Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 der Satzung der Beklagten) gemäß Art. 1 Abs. 3 GG der Bindung an die Grundrechte unterliegt. Denn die durch Art. 1 Abs. 3 GG angeordnete Bindung erfasst alle staatliche Gewalt im weitesten Sinne (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., 2004, Art. 1 RdNr. 25 m. w. N.). Auch das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) wendet sich mit verpflichtender Wirkung an die gesamte öffentliche Gewalt und könnte deshalb die Beklagte erfassen. Sollte danach eine Grundrechtsbindung der Beklagten zu bejahen sein, so würde der streitige Leistungsausschluss freilich weder gegen die geltend gemachten Grundrechte des Klägers noch gegen das Sozialstaatsprinzip verstoßen. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist nämlich anerkannt, dass aus dem durch Art. 2 Abs. 1 GG im Rahmen der allgemeinen Handlungsfreiheit gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht des Versicherten - dasselbe gilt für das auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gestützte Recht auf körperliche Unversehrtheit - jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch des Patienten gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen folgen kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2005, BSGE 94, 302). Dies gilt auch im vorliegenden Zusammenhang, soweit es um die Gewährung ergänzender Kassenleistungen der Beklagten geht, denn es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte stärkeren Grundrechtsbindungen unterläge als eine Krankenkasse im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beklagte verletzt ihren Gestaltungsspielraum auch nicht im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip , wenn sie angesichts ihrer - durch niedrige Beiträge bedingten - beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit Leistungen aus ihrem Leistungskatalog herausnimmt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2005, a.a.O.).

Soweit der Kläger ferner vorträgt, die Erstattungsfähigkeit des ihm ärztlich verordneten Arzneimittels Caverject müsse in seinem Fall jedenfalls deshalb anerkannt werden, weil die Erhaltung der erektilen Funktion bei ihm durch Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutz seiner Ehe geboten sei, begründet auch dieses Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Zwar hat der Staat die Pflicht, die Ehe vor Beeinträchtigungen zu bewahren und durch geeignete Maßnahmen zu fördern (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.07.2002, BVerfGE 105, 313, 346 = NJW 2002, 2543). Er kann aber im Rahmen seiner gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit selbst bestimmen, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen besonderen Schutz verwirklichen will. Deshalb erwachsen aus Art. 6 Abs. 1 GG regelmäßig keine konkreten Ansprüche auf staatliche Leistungen (vgl. BVerfG, Urteil vom 12.02.2003, NJW 2003, 1381). Das gilt ebenfalls im vorliegenden Zusammenhang. Es liegt folglich auch mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG innerhalb der Gestaltungsfreiheit der Beklagten, über die Erstattungsfähigkeit des streitigen Arzneimittels zu befinden. Das Vorbringen des Klägers, er müsse damit rechnen, dass seine Ehe keinen Bestand haben werde, wenn er die erektile Dysfunktion nicht weiter medikamentös behandele, veranlasst deshalb nicht die Annahme, die Beklagte müsse für die damit verbundenen Aufwendungen unmittelbar auf der Grundlage des Art. 6 Abs. 1 GG Kassenleistungen gewähren. Abgesehen davon, dass dem Kläger die medikamentöse Behandlung dieses Leidens auf seine Kosten nicht verwehrt wird, hat er jedenfalls keinen unmittelbaren Leistungsanspruch auf finanzielle Erstattung der damit verbundenen Aufwendungen durch die Beklagte. Das folgt insbesondere aus der Erwägung, dass es sich im vorliegenden Zusammenhang um einen Bereich handelt, bei welchem die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Betroffenen abhängen und eine schwerwiegende Krankheit nicht vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 10.05.2005, a.a.O.). Inwieweit die Beklagte die durch die Nichtübernahme der Kosten verursachte mögliche Belastung der Ehe des Klägers in Kauf nimmt, ist deshalb von ihr im Rahmen ihrer die Versicherungsleistungen betreffenden Gestaltungsfreiheit zu entscheiden. Der Vortrag des Klägers, aus Art. 6 Abs. 1 GG könne ausnahmsweise ein Leistungsanspruch auf Übernahme der Kosten für das streitige Arzneimittel hergeleitet werden, entbehrt bei dieser Sachlage daher einer plausiblen Grundlage.

2. Die Annahme besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeiten zukommen. Ob eine Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierig ist, kann sich schon aus dem Begründungsaufwand des erstinstanzlichen Urteils ergeben. Der Antragsteller genügt seiner Darlegungslast dann regelmäßig mit erläuternden Hinweisen auf die einschlägigen Passagen des Urteils. Soweit er die Schwierigkeit des Falles darin erblickt, dass das Gericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen ist oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hat, hat er diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darzustellen und ihren Schwierigkeitsgrad plausibel zu machen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23.06.2000, a.a.O. und vom 08.03.2001, NVwZ 2001, 552). Da dieser Zulassungsgrund ebenso wie der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall gewährleisten soll (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004, DVBl 2004, 838, vom 15.12.2003, NVwZ 2004, 744, vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 -, Juris, vom 11.11.2002, DVBl 2003, 401, und vom 14.06.2002, DVBl 2002, 1556), muss zugleich deutlich gemacht werden, dass wegen der in Anspruch genommenen besonderen Schwierigkeiten der Ausgang des Berufungsverfahrens jedenfalls ergebnisoffen ist (Bayerischer VGH, Beschluss vom 04.11.2003, BayVBl 2004, 248).

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers, der sich lediglich auf seine vorstehend zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aufgeführten Gründe bezieht, nicht.

3. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn das erstrebte weitere Gerichtsverfahren zur Beantwortung von entscheidungserheblichen konkreten Rechtsfragen oder im Bereich der Tatsachenfragen nicht geklärten Fragen mit über den Einzelfall hinausreichender Tragweite beitragen könnte, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts höhergerichtlicher Klärung bedürfen. Die Darlegung dieser Voraussetzungen verlangt vom Kläger, dass er unter Durchdringung des Streitstoffes eine konkrete Rechtsfrage aufwirft, die für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund gibt, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll (vgl. Beschluss des Senats vom 05.06.1997, VBlBW 1997, 420, m.w.N.). Diesen Anforderungen entspricht der Antrag nicht. Es fehlt bereits an der Formulierung einer hinreichend konkreten Rechtsfrage. Abgesehen bedürfen die Fragen, die sich aus den Ausführungen unter 1. ergeben, sollte der Kläger sie als grundsätzlich bedeutsam im Auge gehabt haben, nicht der Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie lassen sich auf der Grundlage des Wortlauts der einschlägigen Rechtsgrundlagen mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der unter 1. angeführten Rechtsprechung sowie der Kommentarliteratur ohne weiteres im obigen Sinne beantworten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1, 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück