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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 4 S 491/06
Rechtsgebiete: GG, VwGO, BBG


Vorschriften:

GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 33 Abs. 5
GG Art. 143b Abs. 3 Satz 2
VwGO § 123 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 123 Abs. 1 Satz 2
BBG § 79
Zur Frage, ob die Fürsorgepflicht gebieten kann, dass die Deutsche Telekom AG bei der Umsetzung von Beamten auch den Einsatz in anderen Organisationseinheiten erwägt.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

4 S 491/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Umsetzung

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 4. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 27. April 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. Februar 2006 - 2 K 309/06 - geändert. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die mit Entscheidung vom 14.12.2005 verfügte Umsetzung der Antragstellerin zum Dienstort Reutlingen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen und, soweit sie bereits vollzogen ist, aufzuheben.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig, da sie innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 VwGO beim Verwaltungsgericht eingelegt und innerhalb der - nicht verlängerbaren - Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO begründet worden ist und sich unter Darlegung der Beschwerdegründe entsprechend den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO hinreichend mit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzt.

Die Beschwerde ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts hat die Antragstellerin für die begehrte Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO bei der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren angezeigten summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage einen Anordnungsanspruch (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO) dahingehend glaubhaft gemacht, dass ihr der Antragsgegnerin gegenüber ein Anspruch auf Sicherung einer ermessensfehlerfreien Entscheidung darüber zusteht, welcher amtsangemessene Aufgabenbereich ihr übertragen werden soll. Denn dieser Anspruch dürfte bisher wegen einer unzulänglichen Beachtung ihrer familiären Belange nicht ordnungsgemäß erfüllt worden sein. Die angegriffene Maßnahme, mit welcher die Antragstellerin entgegen ihrem Willen seit Anfang 2006 auf unbestimmte Zeit innerhalb der "Kundenniederlassung Spezial (KNL Spezial)" im Bereich "Outbound Contact Center (OCC 3)" zum Dienstort Reutlingen umgesetzt worden ist, leidet daher zu Lasten der Antragstellerin an einem rechtlichen Mangel. Da bereits während der Dauer des Hauptsacheverfahrens die Gefahr einer Vereitelung des geltend gemachten Rechts oder - bei bereits vollzogener Maßnahme - wesentlicher Nachteile der Antragstellerin besteht (§ 123 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwGO), ist auch ein Anordnungsgrund gegeben (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO). Soweit darin zunächst eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt, ist dies nach dem Sinn und Zweck des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO im vorliegenden Fall hinzunehmen, denn diese Vorwegnahme ist bei dem geltend gemachten Unterlassungsbegehren entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin die einzige Möglichkeit, den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen wirksamen Rechtsschutz zu gewähren. Im Übrigen spricht nach dem derzeitigen tatsächlichen und rechtlichen Erkenntnisstand ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Antragstellerin auch im Hauptsacheverfahren, so dass auch von daher eine einstweilige Vorwegnahme der Hauptsache hinnehmbar erscheint.

Ausgangspunkt der rechtlichen Betrachtung sind die für die gerichtliche Überprüfung einer beamtenrechtlichen Umsetzung, wie sie das Verwaltungsgericht hier in Abgrenzung zur Versetzung (§ 26 BBG) und Abordnung (§ 27 BBG) zutreffend angenommen haben dürfte und wovon auch die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren ausgeht, in der Rechtsprechung entwickelten und von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Maßstäbe. Danach hat ein Beamter keinen Rechtsanspruch auf unveränderte und ungeschmälerte Ausübung des ihm übertragenen konkret-funktionellen Amtes (Dienstpostens). Er muss vielmehr eine Änderung seines dienstlichen Aufgabenbereichs durch Umsetzung oder andere organisatorische Maßnahmen nach Maßgabe seines Amtes im statusrechtlichen Sinne hinnehmen. Der Dienstherr kann deshalb aus jedem sachlichen Grund den Aufgabenbereich des Beamten nach Ermessen verändern, solange diesem ein amtsangemessener Aufgabenbereich verbleibt (st. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 22.05.1980, BVerwGE 60, 144, 151; Urteil vom 28.11.1991, BVerwGE 89, 101). Dass der Antragstellerin bei Durchführung der von ihr angegriffenen Umsetzung ein solcher Tätigkeitsbereich entzogen wird, ist nicht geltend gemacht und nicht ersichtlich. Die Rechtmäßigkeit der Umsetzung kann im Übrigen gerichtlich nur auf Ermessensfehler überprüft werden, wobei alle zu erwägenden Gesichtspunkte, auch die Frage, ob ein dienstliches Bedürfnis für die Umsetzung besteht, in den Bereich der Ermessensausübung verlagert sind. Bei der Handhabung seines Ermessens sind dem Dienstherrn demnach grundsätzlich sehr weite Grenzen gesetzt, solange dem Beamten eine amtsangemessene Verwendung verbleibt. Die Grenzen des Ermessens ergeben sich daraus, dass die Maßnahme nicht durch einen Ermessensmissbrauch, etwa durch lediglich vorgeschobene Erwägungen, geprägt sein darf und dass die besonders gelagerten Verhältnisse des Einzelfalls das Ermessen einschränken können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.05.1980, a.a.O.).

Dabei ist freilich zu beachten, dass der Dienstherr seine Pflicht zur Fürsorge für das Wohl des Beamten und seiner Familie (§ 79 BBG, Art. 33 Abs. 5 GG) bei der Ermessensausübung auch im Rahmen einer Umsetzung stets zu berücksichtigen hat (vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Aufl., RdNr. 359, m.w.N.). Die Fürsorgepflicht gebietet dem Dienstherrn, bei seiner Entscheidung die wohlverstandenen Interessen des Beamten in gebührender Weise zu beachten und substantiierte Anhaltspunkte insbesondere für eine etwaige Gesundheitsgefährdung (so BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.05.2005, NVwZ 2005, 926), aber auch für andere Härten angemessen zu erwägen. Dabei dürften in Fällen der vorliegenden Art, in denen eine Umsetzung mit einem Ortswechsel verbunden ist, die daraus für den Beamten entstehenden persönlichen Konsequenzen für die Ermessenserwägungen besonders bedeutsam sein. Denn wegen der daraus vielfach herrührenden erheblichen Auswirkungen auf die persönlichen und familiären Belange des Beamten kann der Ermessensspielraum des Dienstherrn in derartigen Fällen - ähnlich wie bei einer Versetzung oder Abordnung - stärker eingeschränkt sein, als dies bei einer Umsetzung ohne Ortsveränderung der Fall ist (vgl. Bayer. VGH, Beschluss vom 05.05.1994, BayVBl. 1994, 500, m.w.N.).

Die Deutsche Telekom AG hat daher in Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht, die ihr wegen der ihr übertragenen Ausübung der Dienstherrenbefugnisse gegenüber den bei ihr beschäftigten Bundesbeamten obliegt (vgl. Art. 143b Abs. 3 Satz 2 GG), die persönlichen Belange der Antragstellerin, welche sie bei ihrer Anhörung, im Widerspruchsverfahren und im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgetragen hat, nämlich ihre Verpflichtungen gegenüber ihrer Familie und die sich aus dem Wechsel zu der Dienststelle in Reutlingen für sie ergebenden wesentlich längeren An- und Abfahrtswege, welche die Erfüllung der familiären Verpflichtungen erschweren, bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen und sie mit den entgegenstehenden dienstlichen Belangen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen (vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.05.2005, a.a.O. zur Abordnung). Dabei kann die Deutsche Telekom AG ihre dienstlichen, das heißt wegen ihrer Eigenschaft als Wirtschaftsunternehmen betrieblichen Belange in sachgerechter Weise zur Grundlage ihrer Erwägungen machen und überdies zu ihren eigenen Gunsten berücksichtigen, dass der Beamte die Pflicht hat, sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen (§ 54 Satz 1 BBG). Er hat daher konsequenterweise auch seine Wohnung so zu nehmen, dass er in der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (§ 74 Abs. 1 BBG), denn diese Pflicht dient der notwendigen Sicherung seiner Dienstleistung (BVerwG, Beschluss vom 07.03.1991, Buchholz 237.0 § 92 BaWüLBG Nr. 2). Die Deutsche Telekom AG muss aber wegen der gebotenen Beachtung der Fürsorgepflicht auch dem darin enthaltenen Schutz von Ehe und Familie, wie er überdies in Art. 6 GG zum Ausdruck kommt, Rechnung tragen. Dies kann bei verheirateten Beamten, die auf die Berufstätigkeit ihres Ehegatten Rücksicht nehmen müssen, dazu führen, dass sie versuchen muss, die Beamten an einem Dienstort einzusetzen, der noch in einer solchen Nähe zu ihrem Familienwohnsitz gelegen ist, dass sie im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren ihren familiären Verpflichtungen nachkommen können. Die erhebliche Entfernung zwischen der Wohnung der Antragstellerin und der neuen Dienststelle bedeutet für sich genommen freilich noch keine unzumutbare Beeinträchtigung ihrer privaten Belange. Vielmehr kommt es auf die individuellen familiären Verhältnisse an (Beschluss des Senats vom 03.01.2005 - 4 S 2757/04 -).

Die Deutsche Telekom AG kann zwar, wie sie in der Beschwerdeerwiderung ausgeführt hat, bei der Organisation ihres Unternehmens im Rahmen der ihr zustehenden organisatorischen Gestaltungsfreiheit das Ziel verfolgen, die Beamten zunächst innerhalb einer Organisationseinheit effektiv einzusetzen und freie Dienstposten in anderen Organisationseinheiten grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, weil die Personalplanung wegen der Größe des Unternehmens und aus betriebswirtschaftlichen Gründen innerhalb jeder Organisationseinheit selbständig durchgeführt werden soll. Sie muss dabei aber unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes prüfen, ob der vorgesehene Einsatz eines Beamten im konkreten Fall mit Blick auf die Wahrung seiner familiären Belange jeweils zumutbar ist oder ob er zur Vermeidung einer unzumutbaren Belastung unterbleiben kann. Insoweit kann es geboten sein, dass die Deutsche Telekom AG in Abweichung von ihrem Grundsatz, die bei ihr beschäftigten Beamten nur innerhalb einer, ggf. auf mehrere Dienstorte verteilten, Organisationseinheit einzusetzen, einen Einsatz in einer anderen Organisationseinheit in den Blick nimmt. Es ist für den beschließenden Senat nicht ersichtlich, dass es der Deutsche Telekom AG aus organisatorischen Gründen schlechthin unmöglich oder jedenfalls unzumutbar wäre, einen derartigen Einsatz in einer anderen Organisationseinheit, in der ein amtsangemessener Dienstposten frei ist, anzuordnen. Vielmehr erscheint dies möglich und jedenfalls dann ausnahmsweise geboten, wenn anders den schutzwürdigen Interessen eines Beamten nicht in zumutbarer Weise Rechnung getragen werden kann.

Nach diesen Maßstäben hat die für die Antragsgegnerin gemäß Art. 143b Abs. 3 Satz 2 GG handelnde Deutsche Telekom AG bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand die familiären Belange der Antragstellerin bisher nicht ausreichend gewürdigt. Sie hat deshalb ermessensfehlerhaft nicht in Erwägung gezogen, dass wegen der familiären Verpflichtung der Antragstellerin, die diese gegenüber ihren schulpflichtigen Kindern hat, aus Gründen der Fürsorge ein ihrem Wohnort näher gelegener und für sie schneller erreichbarer Einsatzort angemessen ist. Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren glaubhaft dargelegt, dass ihre erst sieben Jahre alte Tochter sowohl am Morgen vor Beginn des Schulwegs als auch nach der Rückkehr von der Schule am Mittag ihrer Betreuung bedarf, weil ihr Ehemann wegen seiner ganztägigen Berufstätigkeit zumindest mittags nicht in der Lage ist, diese Betreuung an ihrer Stelle zu leisten. Weiter hat die Antragstellerin glaubhaft dargelegt, dass sie selbst wegen der zeitlich aufwändigen Anreise zu dem Einsatzort Reutlingen und der ebenso zeitaufwändigen Rückfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln bereits am frühen Morgen die Wohnung verlassen muss und nach Erbringung ihrer vierstündigen Dienstleistung erst am Nachmittag nach Hause zurückkehren kann, so dass sie ihre Tochter vor dem morgendlichen Schulweg nicht mehr betreuen und auch bei deren Rückkehr aus der Schule noch nicht anwesend sein kann. Zwar würde diese besondere Härte nur jeweils an drei Tagen in der Woche auftreten, da die Antragstellerin teilzeitbeschäftigt ist und eine wöchentliche Arbeitszeit von lediglich zwölf Stunden zu erbringen hat. Die Antragstellerin hat aber glaubhaft vorgetragen, dass sie während dieser drei Tage keine andere Person zur Betreuung ihrer Tochter heranziehen kann. Angesichts dieser Umstände erscheint es dem Senat geboten, dass die Deutsche Telekom AG trotz der von ihr geltend gemachten organisatorischen Schwierigkeiten eine Verwendung der Antragstellerin an einem ihrem Wohnort näher gelegenen und von ihr schneller erreichbaren Einsatzort in Erwägung zieht und sie zur Vermeidung der glaubhaft gemachten besonderen familiären Härten gegebenenfalls auch in einer anderen Organisationseinheit einsetzt. Eine derartige Maßnahme dürfte bei Würdigung sowohl der dienstlichen Belange der Telekom AG als auch der persönlichen Schwierigkeiten der Antragstellerin angemessen und für die Telekom AG zumutbar sein. Dabei lässt sich der Senat von der Erwägung leiten, dass es bei den gegebenen Umständen für die Antragstellerin und ihre Familie nicht zumutbar wäre, den Familienwohnsitz an den Dienstort Reutlingen zu verlegen. Vielmehr dürfte es der Telekom AG, die das Vorhandensein amtsangemessener, für die Antragstellerin in Betracht kommender Dienstposten in anderen Organisationseinheiten in Stuttgart nicht in Abrede gestellt hat, möglich und zumutbar sein, die Antragstellerin in einer derartigen anderen Organisationseinheit einzusetzen. Insoweit ist zu beachten, dass die Telekom AG nach Art. 143b Abs. 3 Satz 2 GG als einheitliches Unternehmen die Dienstherrenbefugnisse ausübt und ihr deshalb auch in ihrer unternehmerischen Gesamtheit die Pflicht zur gebotenen Fürsorge gegenüber den bei ihr beschäftigten Beamten (vgl. Art. 143b Abs. 3 Satz 1 GG) obliegt. Das kann es in Einzelfällen erfordern, zur Wahrung der Fürsorge den Einsatz der Beamten auch in anderen Organisationseinheiten zu ermöglichen und nicht auf die Umsetzung innerhalb einer Organisationseinheit zu beschränken. So liegt es im vorliegenden Streitfall.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 und 52 Abs. 1 und 2 GKG (Hälfte des in einem Hauptsacheverfahren anzusetzenden Auffangstreitwerts von 5.000,-- EUR).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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