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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 28.02.2002
Aktenzeichen: 5 S 1121/00
Rechtsgebiete: GG, StrG, StVO, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 14 Abs. 1
StrG § 15
StVO § 12 Abs. 1 Nr. 1
StVO § 12 Abs. 3 Nr. 3
StVO § 45 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 42 Abs. 2
1. Zur Klagebefugnis von Straßenanliegern, die zum Schutz einer von parkenden oder haltenden Fahrzeugen unbehinderten Zufahrt zu ihrem Anwesen durch die Straße mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen und zum Schutz einer unbehinderten Benutzung ihrer Grundstücksein- und ausfahrt die Anordnung eines Haltverbots in der Straße begehren.

2. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO gewährt dem Einzelnen ein - auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung begrenztes - subjektiv-öffentliches Recht auf ein verkehrsregelndes Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde, wenn öffentlich-rechtlich geschützte Individualinteressen durch Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen, verletzt werden.

3. Dieses Recht besteht nicht, wenn eine in den örtlichen Verhältnissen begründete konkrete Beeinträchtigung des geschützten Individualinteresses, die das im Straßenverkehr allgemein bestehende Gefahren- und Belästigungsrisiko erheblich übersteigt, nicht vorliegt.

4. Zur Frage, inwieweit das Interesse eines Straßenanliegers an einer unbehinderten Zufahrt zu seinem Grundstück öffentlich-rechtlich geschützt ist.


5 S 1121/00

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

verkehrsrechtlicher Anordnungen

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Lutz und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik und Harms auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Februar 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14. Februar 2000 - 6 K 1852/98 - geändert.

Die Klagen werden insgesamt abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen als Gesamtschuldner.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wirtschaftsgebäude bebauten Grundstücks Flst.Nr. 71/1 auf Gemarkung Trailfingen und Inhaber eines dort ausgeübten landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebes. Das Grundstück grenzt an die im Ortskern von Trailfingen, einem dörflich geprägten Ortsteil der Stadt Münsingen, gelegene Thinggasse. Die Thinggasse zweigt mit ihrem südlichen Ast von der Ortsdurchfahrt einer Kreisstraße ab, verschwenkt beim landwirtschaftlichen Anwesen der Kläger in einer Rechtskurve Richtung Osten und mündet mit ihrem östlichen Ast wieder in die Ortsdurchfahrt der Kreisstraße ein. Die Zufahrt zum Grundstück der Kläger liegt an der Außenseite der genannten Rechtskurve der Thinggasse. In sie kann über den südlichen Ast der Thinggasse geradeaus und über den östlichen Ast der Thinggasse im rechten Winkel eingefahren werden. Die Kläger fahren mit ihren landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen eigenen Angaben zufolge überwiegend durch den schmaleren östlichen Ast der Thinggasse. Dieser wird im Norden von einer Friedhofsmauer und im Süden von bebauten Wohngrundstücken begrenzt, auf denen unmittelbar neben der öffentlichen Verkehrsfläche private Stellplätze angelegt sind. Die dort abgestellten Fahrzeuge nehmen häufig einen Teil der öffentlichen Verkehrsfläche in Anspruch.

Erstmals Ende Oktober 1986 machten die Kläger gegenüber der Straßenverkehrsbehörde des Landratsamts Reutlingen geltend, dass in der Thinggasse zunehmend Fahrzeuge so geparkt würden, dass die verbleibende Fahrbahnfläche für landwirtschaftliche Fahrzeuge zu schmal sei. Außerdem werde die Ausfahrt aus ihrem landwirtschaftlichen Anwesen durch parkende Fahrzeuge beeinträchtigt. Das Polizeirevier Münsingen stellte bei einer Überprüfung keine Verkehrsbehinderungen fest. In den folgenden Jahren wandten sich die Kläger mit ihrem Anliegen erneut mehrfach an das Landratsamt und das Regierungspräsidium Tübingen. Die Behörden sahen jedoch nach wie vor keine Veranlassung zu einem Einschreiten, wobei sie unter anderem darauf hinwiesen, dass im östlichen Ast der Thinggasse wegen der geringen Fahrbahnbreite ohnehin das Verbot nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO bestehe, an engen und unübersichtlichen Straßenstellen zu halten. Mit Schreiben an das Regierungspräsidium Tübingen vom 30.04.1996 beantragten die Kläger eine rechtsmittelfähige Entscheidung über die Anordnung eines durchgängigen Haltverbots in der Thinggasse. Das Regierungspräsidium leitete den Antrag an das Landratsamt weiter, das über diesen zunächst nicht entschied.

Im August 1996 erhoben die Kläger beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Untätigkeitsklage (Az.: 6 K 63/97). Das Verwaltungsgericht stellte bei einem Augenschein fest, dass die Thinggasse im östlichen Ast 4 bis 4,5 m und im südlichen Ast 5,55 m breit ist, dass die Durchfahrtsbreite der Einfahrt auf dem Grundstück der Kläger an der schmalsten Stelle 3,1 m beträgt und dass die auf dem Anwesen der Kläger vorhandenen landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge einschließlich überhängender Ladung (Strohballen) 2 bis 3 m breit sind. Mit rechtskräftigem Urteil vom 12.11.1997 verpflichtete es den Beklagten, den Antrag der Kläger auf Anordnung von Verkehrszeichen 286 - eingeschränktes Haltverbot - in der Thinggasse unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Zur Begründung führte es aus: Die behördliche Auffassung, schon wegen des gesetzlichen Verbots nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO sei ein Verkehrszeichen 286 nicht notwendig, sei unrichtig. Es sei naheliegend, dass sich im östlichen Ast der Thinggasse die Situation ergeben könne, dass neben einem parkenden Fahrzeug zwar noch ein Pkw vorbeifahren könne, nicht aber ein breiteres landwirtschaftliches Fahrzeug. Es erscheine daher erwägenswert, das gesetzliche Verbot durch ein Verkehrszeichen zu verdeutlichen. Bei der Ermessensentscheidung sei unter anderem zu berücksichtigen, dass im breiteren südlichen Ast der Thinggasse auch ohne Beschilderung eine nachhaltige Behinderung durch parkende Fahrzeuge kaum vorkommen dürfte und dass es angesichts dieser Möglichkeit jedenfalls nicht zwingend geboten sei, im anderen Teil der Straße ein Verkehrszeichen 286 aufzustellen. Insoweit müsse aber noch geprüft werden, ob und inwieweit die Kläger durch eine Ausfahrt in Richtung Süden und den damit verbundenen Umweg beeinträchtigt würden.

Nach Zustellung des Urteils lehnte das Landratsamt die Anträge der Kläger mit Bescheid vom 26.05.1998 mit der Begründung ab, dass es angesichts der Zufahrtsmöglichkeit über den südlichen Ast der Thinggasse und des damit für die Kläger verbundenen Umwegs von nur 150 m nicht geboten sei, im östlichen Ast der Thinggasse das Verkehrszeichen 286 StVO anzuordnen.

Mit ihrem Widerspruch brachten die Kläger vor: Die Ablehnung widerspreche der Aufstellung von Haltverbotsschildern in der Quellstraße in Trailfingen und verstoße damit gegen den Gleichheitssatz. Der südliche Ast der Thinggasse sei nicht auf der gesamten Länge ca. 5,5 m breit. Die Verkehrssituation habe sich gravierend verschlechtert. Es sei auch im südlichen Ast der Thinggasse nicht möglich, mit Schleppern und Anbaugeräten oder großen Anhängern durchzufahren.

Mit Bescheid vom 29.07.1998 wies das Regierungspräsidium Tübingen die Widersprüche zurück.

Am 11.08.1998 haben die Kläger beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erneut Klage erhoben, zu deren Begründung sie ihr Vorbringen wiederholt und vertieft und noch vorgetragen haben: Falls ein Ast der Thinggasse versperrt sei, müssten sie ihre Fahrzeuge wenden. Das sei in der engen Thinggasse aber nicht möglich. Abgesehen davon sei auch die Ausfahrt auf den südlichen Ast häufig blockiert. Es sei zudem mit einer Verschlechterung der Situation zu rechnen, da im südlichen Ast der Thinggasse ein Fünf-Familienhaus mit einem Laden im Erdgeschoss und eine dadurch bedingte starke Verengung der Fahrbahn geplant seien. Im Übrigen sei es ihnen nicht zuzumuten, auf die Benutzung des östlichen Astes der Thinggasse zu verzichten. Es müsse bedacht werden, dass sie gezwungen seien, rückwärts in ihre Hofeinfahrt einzufahren. Dazu sei ein gewisser Wendebereich notwendig. Die Kläger haben dem Verwaltungsgericht zum Beweis für Verkehrsbehinderungen durch verkehrsordnungswidrig parkende Fahrzeuge in der Thinggasse im Zeitraum von März 1996 bis Februar 1999 zahlreiche Lichtbilder vorgelegt und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung der Behördenentscheidungen zu verpflichten, in der Thinggasse ein Haltverbot anzuordnen. Der Beklagte hat unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide Klageabweisung beantragt.

Mit Urteil vom 14.02.2000 hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, im östlichen Ast der Thinggasse folgende Verkehrszeichen anzuordnen: ein Zeichen 286 auf der Nordseite entlang der Friedhofsmauer; eine Parkflächenmarkierung gemäß § 41 Nr. 7 StVO nach Zeichen 298 StVO, mit der ein Parkstreifen mit Parkbuchten auf der Südseite markiert wird, dergestalt, dass eine Durchfahrtsbreite von mindestens 3,5 m übrig bleibt, sowie entlang des Parkstreifens ein durch Zeichen 286 markiertes eingeschränktes Haltverbot; soweit die angefochtenen Behördenbescheide dieser Verpflichtung entgegenstehen, hat das Verwaltungsgericht sie aufgehoben. Im Übrigen hat es die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das Begehren der Kläger gehe dahin, dass in der Thinggasse beiderseits Verkehrszeichen angebracht würden, die ein durchfahrtsbehinderndes Halten verhinderten. Dieser Antrag habe nur zum Teil Erfolg. Die Klagen seien zulässig, insbesondere seien die Kläger klagebefugt. Als Anlieger der Thinggasse hätte sie einen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung gerichteten und begrenzten Anspruch auf verkehrsregelndes Einschreiten, weil die Verletzung ihrer geschützten Individualinteressen in Betracht komme. Die Klagen seien teilweise begründet. Die völlige Ablehnung einer Beschilderung sei ermessensfehlerhaft. Verkehrszeichen bzw. Verkehrseinrichtungen im östlichen Ast der Thinggasse seien in dem sich aus dem Tenor des Urteils ergebenden Umfang geboten. Die Auffassung der Behörden, wegen des Verbots in § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO sei ein eingeschränktes Haltverbot nicht notwendig, sei unrichtig. Insoweit werde auf das Urteil vom 12.11.1997 - 6 K 63/97 -verwiesen. Anders als in diesem Urteil sehe das Gericht nun jedoch keinen Ermessensspielraum mehr, was die Beschilderung im östlichen Ast der Thinggasse angehe. Die Kläger hätten vorgebracht und der Beklagte habe dem nicht substantiiert widersprochen, dass Schwierigkeiten auftreten könnten, wenn von Osten her in die Thinggasse eingefahren und erst dann eine Behinderung festgestellt werde. Die Kläger müssten sich nicht auf Rückfahrmanöver verweisen lassen. Solange beide Äste der Thinggasse grundsätzlich frei seien, könne daher eine Beschilderung des östlichen Astes nicht mit der Begründung versagt werden, dass den Klägern immer die Zufahrt über den südlichen Ast offen stehe. Geboten sei die Aufstellung des Zeichens 286 entlang der Friedhofsmauer, weil ein dort parkendes Fahrzeug hinderlich sein könne. Angesichts dessen, dass für den landwirtschaftlichen Betrieb der Kläger eine Durchfahrtsbreite von 3,5 m erforderlich sei, was nicht für jeden Durchfahrenden ohne weiteres auf der Hand liege, sei eine Selbstregulierung der Durchfahrt ohne Beschilderung nicht anzunehmen. Dasselbe gelte für die gegenüber liegende Straßenseite. Es sei erforderlich, dass durch die festgelegte Markierung eine 3,5 m breite Durchfahrt offen bleibe. Dazu sei zusätzlich die Aufstellung des Zeichens 286 auf der südlichen Seite notwendig, um das Parken über das Verbot des § 12 Abs. 3 Nr. 2 StVO hinaus zu verhindern. Die genannte Markierung und das Zeichen 286 stellten sicher, dass die Fahrbahn auf einer Breite von 3,5 m frei bleibe und dass dort nicht geparkt oder gehalten werden könne, dass aber auf der darüber hinausgehenden öffentlichen Verkehrsfläche nicht nur gehalten, sondern auch geparkt werden könne. Was die Situation vor dem Gebäude Thinggasse 8 betreffe, so sei der Rechtsstreit darüber noch nicht entschieden. Dass derzeit auf der Fahrbahn vor dem Gebäude Thinggasse 8 nicht gehalten werden dürfe, ergebe sich bereits deutlich aus § 12 Abs. 1 Nr. 2 StVO. Dieses Verbot bedürfe keiner Verdeutlichung. Hinsichtlich einer Beschilderung des südlichen Astes der Thinggasse fehlten derzeit noch die Voraussetzungen einer endgültigen Festlegung der öffentlichen Verkehrsflächen.

Mit Beschluss vom 12.05.2000 - 5 S 266/00 - hat der Senat auf Antrag des Beklagten die Berufung zugelassen, soweit das Urteil den Klagen stattgibt, und die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung abgelehnt. Die Kläger haben im Zulassungsverfahren zum Beweis für Verkehrsbehinderungen in der Thinggasse im Zeitraum von April 1999 bis März 2000 weitere Lichtbilder vorgelegt.

Zur Begründung der Berufung wiederholt und vertieft der Beklagte seine im erstinstanzlichen Verfahren und im Zulassungsverfahren dargelegte Rechtsauffassung und bringt ergänzend vor: Die Klagen seien unzulässig. Die Kläger seien schon nicht klagebefugt, da sie wegen der Möglichkeit einer Zufahrt über den südlichen Ast der Thinggasse nicht in geschützten Individualinteressen berührt seien. Zudem fehle das Rechtsschutzinteresse. Denn weil bereits ein gesetzliches Haltverbot nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO bestehe, könnten die Kläger mit dem begehrten Verkehrszeichen ihre Rechtsstellung nicht verbessern. Außerdem seien die Klagen rechtsmissbräuchlich, da sie dazu dienten, über die Verkehrsbehörde einen privaten Streit der Kläger mit den anderen Anliegern der Thinggasse auszutragen. Jedenfalls seien die Klagen unbegründet. Die im angefochtenen Urteil enthaltene Verpflichtung, auf beiden Straßenseiten ein eingeschränktes Haltverbot anzuordnen, widerspreche § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO und sei schon deshalb rechtsfehlerhaft. Denn ein solches Verkehrszeichen verleite den Autofahrer dazu, das Haltverbot nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO nicht zu beachten, sondern im Vertrauen auf die Gültigkeit des Zeichens 286 temporär zu halten. Abgesehen davon sei das behördliche Ermessen nicht auf Null reduziert. Ein Rechtsanspruch auf jederzeitiges Durchkommen in öffentlichen Straßen bestehe nicht. Dies könne sich allenfalls aus dem durch Art. 14 GG geschützten Anliegergebrauch ergeben, wenn die Nutzbarkeit oder die Erschließung bzw. Zufahrt eines Grundstücks nicht mehr gewährleistet sei. Insoweit werde aber nur die Verbindung mit dem öffentlichen Straßennetz überhaupt gewährleistet, nicht dagegen die jederzeitige Erreichbarkeit mit dem eigenen Fahrzeug. Anlieger hätten selbst in Fällen verfügter Einziehung eines Straßenteils einen Umweg hinzunehmen, um zu ihrem Grundstück zu gelangen. Das Grundstück der Kläger sei durch zwei Straßenabschnitte erschlossen. Selbst wenn im Einzelfall einmal im östlichen Ast tatsächlich die erforderliche Restfahrbahnbreite nicht mehr gegeben sein solle, stehe ihnen immer noch die breitere Zufahrt über den 5,5 m breiten südlichen Ast der Thinggasse offen. Als Nebenerwerbslandwirte müssten die Kläger ohnehin nur in seltenen Fällen mit überbreiten landwirtschaftlichen Fahrzeugen ein- und ausfahren. Ermessensfehler seien nicht ersichtlich. Im Übrigen sei die Freihaltung der Mindestfahrbahnbreite keine Frage einer verkehrsrechtlichen Anordnung, sondern eine Aufgabe der Verkehrsüberwachung. Der Beklagte hat zwei Lagepläne über den derzeitigen Ausbauzustand der Thinggasse vorgelegt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 14. Februar 2000 - 6 K 1852/98 - zu ändern und die Klagen insgesamt abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und erwidern: Es sei für ihren Betrieb existenziell notwendig, dass sie beide Zweige der Thinggasse mit ihren landwirtschaftlichen Fahrzeugen durchfahren könnten und dass die unmittelbare Umgebung ihres Anwesens von parkenden Fahrzeugen freigehalten werde. Der südliche Ast der Thinggasse sei nicht so breit, dass stets ein problemloses Durchfahren und Einbiegen in die Hauptstraße möglich sei. Der gesamte Kurvenbereich der Thinggasse müsse freigehalten werden, damit sie mit einem Doppelgespann, bestehend aus Zugmaschine und zwei Anhängern, oder mit einem Tandemladewagen gefahrlos in ihre Hofstelle einbiegen könnten. Am Freitagnachmittag und an Wochenenden, also in Zeiten, zu denen Nebenerwerbslandwirte am stärksten mit der Feldarbeit befasst seien, sei es oft unmöglich, mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen durch die Thinggasse hindurch zu gelangen. Für bis zu 3 m breite landwirtschaftliche Fahrzeuge sei eine Durchfahrtsbreite von 4 m erforderlich. Außerdem müssten sie gelegentlich rückwärts in die Hofstelle einbiegen. Es sei schlechterdings unmöglich, dass ein Gespann durch den südlichen Ast anfahre und dann drehe, um rückwärts in die Hofstelle einzufahren. Die völlige Ablehnung einer Beschilderung sei ermessensfehlerhaft. Jedenfalls in dem Umfang, in dem dies das Verwaltungsgericht festgestellt habe, sei die Anordnung von Verkehrszeichen bzw. Verkehrseinrichtungen geboten. Hierauf hätten sie wegen ihres Rechts auf Anliegergebrauch und des Schutzes ihres eingerichteten und ausgeübten landwirtschaftlichen Betriebs nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG einen Anspruch.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Landratsamts Alb-Donau-Kreis, des Regierungspräsidiums Tübingen und der Stadt Münsingen sowie die Gerichtsakten vor. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt dieser Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind nur die Begehren, den Beklagten zur Anordnung eines Haltverbots im östlichen Ast der Thinggasse zu verpflichten.

Nach den in erster Instanz gestellten Anträgen (vgl. den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 10.08.1998, S. 3 der Akten des Verwaltungsgerichts) begehren die Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Anordnung eines Haltverbots in der Thinggasse, mithin eines Vorschriftzeichens i. S. des § 41 Abs. 2 Satz 6 Nr. 8 StVO. Das entspricht ihren im vorangegangenen Verwaltungsverfahren gestellten Anträgen vom 30.04.1996. Darin haben sie ausdrücklich ein Haltverbot auf beiden Seiten der gesamten Thinggasse - südlicher und östlicher Ast - gefordert. Sie haben damit die ihrer Ansicht nach zum Schutz ihrer Individualinteressen erforderliche verkehrsrechtliche Maßnahme nicht in das Ermessen der Verkehrsbehörde gestellt, sondern selbst konkretisiert. Diese Begehren haben sie mit ihren im August 1996 erhobenen Untätigkeitsklagen weiterverfolgt. Auch das daraufhin ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 12.11.1997 - 6 K 63/97 -beschränkt sich auf die Verpflichtung des Beklagten, die Kläger bezüglich ihrer Anträge auf Anordnung eines Haltverbots in der Thinggasse unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Die mit den vorliegenden Klagen angegriffenen Behördenentscheidungen knüpfen daran an. Die Anordnung anderer Verkehrszeichen oder Verkehrseinrichtungen, insbesondere die im Tenor des angefochtenen Urteils erwähnte Parkflächenmarkierung i. S. des § 41 Abs. 3 Nr. 7 StVO, ist daher nicht Gegenstand der Klagen. Abgesehen davon widerspräche die Anordnung einer Parkflächenmarkierung i. S. des § 41 Abs. 3 Nr. 7 StVO dem erkennbaren Ziel der Kläger, jedwedes Halten oder Parken auf der öffentlichen Verkehrsfläche der Thinggasse zu unterbinden. Eine dahingehende Auslegung ihrer Klagebegehren verstößt gegen § 88 VwGO. Da das angefochtene Urteil den Klagen nur insoweit stattgibt, als sie auf die Anordnung eines Haltverbots im östlichen Ast der Thinggasse zielen, sind die Klagen auch nur in diesem beschränkten Umfang Gegenstand des Berufungsantrags des Beklagten (vgl. §§ 128 Satz 1, 129 VwGO). Soweit das Verwaltungsgericht die Klagen im Übrigen abgewiesen hat, ist das Urteil nach Ablehnung der Zulassungsanträge der Kläger rechtskräftig geworden.

Die Berufung ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klagen insgesamt abweisen müssen. Die Klagen sind - soweit sie Gegen-stand des Berufungsverfahrens sind - zwar zulässig (I.), aber nicht begründet (II.).

I. Die nach Durchführung des erforderlichen Vorverfahrens (§ 68 f. VwGO) fristgerecht (§ 74 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 VwGO) erhobenen Verpflichtungsklagen sind zulässig. Die Kläger sind entgegen den Bedenken des Beklagten insbesondere i. S. des § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Danach ist eine Verpflichtungsklage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch die Ablehnung des begehrten Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Dafür genügt es, dass eine Rechtsverletzung möglich ist. Dies ist bereits anzunehmen, wenn eine Verletzung eigener subjektiver Rechte des Klägers nach seinem Tatsachenvortrag nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.03.1964 - VII C 10.61 - BVerwGE 18, 154). So liegt der Fall hier. Die Kläger verlangen die Anordnung eines Haltverbots im östlichen Ast der Thinggasse zum Schutz der Zufahrt mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen zu ihrem an der Thinggasse gelegenen Grundstück mit der Behauptung, dass andere Verkehrsteilnehmer diese Zufahrt durch verkehrsordnungswidriges Halten oder Parken unmöglich machten oder unzumutbar erschwerten. Nach diesem Vorbringen ist es möglich, dass die Ablehnung des begehrten Haltverbots ein durch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO geschütztes subjektives Recht der Kläger verletzt. Diese Vorschrift ermächtigt die Straßenverkehrsbehörden, die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs zu beschränken oder zu verbieten oder den Verkehr umzuleiten. Diese Ermächtigung ist zwar grundsätzlich auf den Schutz der Allgemeinheit gerichtet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.12.1980 - 7 CB 119.80 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 10). Sie hat aber drittschützende Wirkung, wenn öffentlich-rechtlich geschützte Individualinteressen, insbesondere Gesundheit und Eigentum, als Schutzgüter der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs durch Einwirkungen des Straßenverkehrs, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen, verletzt werden. In diesem Falle gewährt § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO dem Einzelnen ausnahmsweise ein - auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung begrenztes - subjektiv-öffentliches Recht auf ein verkehrsregelndes Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde (BVerwG, Urt. v. 22.01.1971 - VII C 48.69 - BVerwGE 37, 112/114 f.; Urt. v. 04.06.1986 - 7 C 76.84 - BVerwGE 74, 234; Beschl. v. 03.07.1986 - 7 B 141.85 - NVwZ 1987, 411; Beschl. v. 02.04.1993 - 11 B 11.93 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 25; Urt. v. 15.04.1999 - 3 C 25.98 -BVerwGE 109, 29; Senatsurt. v. 16.05.1997 - 5 S 1842/95 - VBlBW 1998, 29). Dieses Recht machen die Kläger geltend. Nach ihrem Tatsachenvortrag ist jedenfalls nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen, dass es ihnen zusteht, weil öffentlich-rechtlich geschützte Individualinteressen der Kläger verletzt werden.

Den Klägern kann auch das erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden. Bei Leistungsklagen einschließlich der Verpflichtungsklagen ist grundsätzlich von dem Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses auszugehen. Denn die Rechtsordnung erkennt dann, wenn sie ein materielles Recht gewährt, in der Regel auch das Interesse desjenigen, der sich als Inhaber dieses Rechts sieht, an der gerichtlichen Durchsetzung des Rechts an. Das Rechtsschutzinteresse an einer vom vermeintlichen Inhaber des behaupteten materiellen Anspruchs erhobenen Leistungsklage fehlt deshalb nur, wenn besondere Umstände vorliegen, die diesen Zusammenhang durchbrechen und das Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (BVerwG, Urt. v. 17.01.1989 - 9 C 44.87 - BVerwGE 81, 164; Urt. v. 15.01.1999 - 2 C 5.98 - NVwZ-RR 1999, 472). Derartige besondere Umstände liegen nicht vor. Sie ergeben sich entgegen der Ansicht des Beklagten insbesondere nicht daraus, dass im östlichen Ast der Thinggasse bereits ein gesetzliches Haltverbot nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO besteht. Denn dieses Verbot erfüllt nicht die mit den Klagen geltend gemachten Ansprüche auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO über die Anordnung eines diese Rechtslage verdeutlichenden Verkehrszeichens zum Schutz der Anliegerinteressen der Kläger. Aus diesen Gründen sind die Klagen auch nicht rechtmissbräuchlich, selbst wenn der Sachverhalt, der das mit den Klagen verfolgte subjektiv-öffentliche Recht begründet, aus privaten Streitigkeiten herrührt.

II. Die Klagen sind jedoch unbegründet. Der Bescheid des Landratsamts Reutlingen vom 26.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 06.08.1998 ist auch insoweit rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), als darin die Anordnung eines Haltverbots im östlichen Ast der Thinggasse abgelehnt wird. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine entsprechende Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO und folglich auch keinen aus einer Reduzierung des behördlichen Ermessens resultierenden Anspruch auf die Anordnung eines Haltverbots. Es kann daher dahinstehen, ob die Ermessenserwägungen in den angefochtenen Bescheiden rechtsfehlerfrei sind und ob und inwieweit einer erneuten gerichtlichen Sachentscheidung die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 12.11.1997 - 6 K 63/97 - entgegensteht (vgl. § 121 VwGO).

Das Recht eines Einzelnen auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über ein verkehrsregelndes Einschreiten der Straßenverkehrsbehörde nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt - wie dargelegt - eine Verletzung öffentlich-rechtlich geschützter Individualinteressen durch Einwirkungen des Straßenverkehrs voraus, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigen. Erforderlich ist eine in den örtlichen Verhältnissen begründete konkrete Beeinträchtigung, die das im Straßenverkehr allgemein bestehende Gefahren-und Belästigungsrisiko erheblich übersteigt (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage, § 45 StVO Rn. 27 f.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.

Die Kläger berufen sich auf eine Beeinträchtigung ihres Interesses, als Anlieger der Thinggasse unbehindert durch verkehrsordnungswidrig parkende oder haltende Fahrzeuge in der Thinggasse mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen bis zur Ein- und Ausfahrt ihres Grundstücks fahren und diese Ein- und Ausfahrt nutzen zu können. Dieses Interesse ist nur in beschränktem Umfang öffentlich-rechtlich geschützt.

Das Straßenverkehrsrecht anerkennt in § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO ausdrücklich nur das individuelle Interesse des Straßenanliegers an einer unbehinderten Nutzung seiner Grundstücksein- und ausfahrt, dessen Berechtigung sich auch aus den Grundregeln des Straßenrechts über den Zu- und Abgang der Grundstücke zu öffentlichen Straßen ergibt (vgl. §§ 15, 18 StrG), als verkehrsrechtlich schutzwürdig. Es wird verletzt, wenn der Anlieger durch parkende Fahrzeuge auf der gegenüberliegenden Straßenseite seiner Grundstücksein- und ausfahrt daran gehindert oder in erheblichem Maße behindert wird, diese Ein- und ausfahrt zu benutzen (BVerwG, Urt. v. 22.01.1971, a. a. O.; Beschl. v. 21.07.1997 - 3 B 129.97 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 36). Soweit die Kläger darüber hinausgehend Behinderungen bei der Durchfahrt der Thinggasse durch haltende oder parkende Fahrzeuge geltend machen, geht es ihnen nicht um den Schutz des § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO, sondern des § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO, der das Halten an engen Straßenstellen verbietet. Diese Vorschrift schützt jedoch nicht - auch - das Interesse des Straßenanliegers an einer unbehinderten Zufahrt zu seinem Grundstück. Sie dient vielmehr allein im Interesse der Allgemeinheit der Sicherung des fließenden Verkehrs (vgl. Hentschel, a. a. O., § 12 StVO Rn. 22 m. w. Nachw.). Die Kläger meinen, ihr Interesse an einer unbehinderten Fahrt durch die Thinggasse werde insoweit als straßenrechtliches Anliegerrecht nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das setzt indes eine vom Gesetzgeber als "Eigentum" i. S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ausgestaltete entsprechende Rechtsposition voraus. Denn auch soweit es um das Nachbarschaftsverhältnis zwischen Straße und angrenzenden Grundstücken geht, hat allein der Gesetzgeber in Erfüllung des ihm in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrages Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen. Hierbei hat er einerseits dem Gewährleistungsgehalt des in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG grundgesetzlich anerkannten Privateigentums und andererseits dem Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen (vgl. zu § 8a FStrG: BVerwG, Beschl. v. 11.05.1999 - 4 VR 7.99 - NVwZ 1999, 1341; Schnebelt/Sigel, Straßenrecht, 1. Auflage, Rn. 233 f.). Das im vorliegenden Fall einschlägige Straßengesetz für Baden-Württemberg enthält keine Vorschrift, die dem Anlieger einer öffentlichen Straße ausdrücklich ein subjektives Recht auf eine Verbindung seines Grundstücks mit dem öffentlichen Wegenetz gewährt. Allerdings gehen die Ersatz- und Entschädigungsregelungen in § 15 Abs. 2 bis 4 StrG stillschweigend von einer entsprechenden Rechtsposition des Straßenanliegers aus. Mangels weiterer Regelungen im Straßengesetz ist davon auszugehen, dass diese Rechtsposition auf die Befugnisse beschränkt ist, die der Gesetzgeber dem Eigentümer eines Anliegergrundstücks zur Vermeidung einer mit Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG unverhältnismäßigen Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums mindestens zu gewährleisten hat. Insoweit sind die Bedürfnisse der Anlieger indes nur in ihrem Kern (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 11.09.1990 - 1 BvR 988/90 - NVwZ 1991, 358) und die Zufahrt zu einem Anliegergrundstück mit einem Fahrzeug nur geschützt, soweit es die angemessene Nutzung des Grundeigentums unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten in dem Sinne erfordert, dass der Anlieger auf die Zufahrt angewiesen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.11.1974 - IV C 12.72 - Buchholz 407.51 Art. 8 BayStr WG Nr. 1; Beschl. v. 26.06.1979 - 7 B 172.78 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 192; Urt. v. 20.05.1987 - 7 C 60.85 - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 7; Beschl. v. 11.05.1999, a. a. O.). Dabei ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, den Anlieger vor Zufahrtserschwernissen zu bewahren, die sich aus der besonderen örtlichen Lage und einer etwaigen situationsbedingten Vorbelastung ergeben, in die sein Grundstück hineingestellt ist (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 11.09.1990, a. a. O.). Nur in diesem beschränkten Umfang ist folglich das Interesse der Kläger an einer unbehinderten Zufahrt zu ihrem landwirtschaftlichen Anwesen außerhalb des Anwendungsbereichs von § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO als Anliegerrecht öffentlich-rechtlich geschützt.

Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde nicht erfüllt, weil eine Verletzung der nach § 12 Abs. 3 Nr. 3 StVO oder auf Grund des straßenrechtlichen Anliegerrechts öffentlich-rechtlich geschützten Individualinteressen der Kläger, die das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß übersteigt, nicht vorliegt. Dabei kann offen bleiben, ob eine Zufahrt zum Anwesen der Kläger mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen über den östlichen Ast der Thinggasse wegen häufiger Verstöße anderer Verkehrsteilnehmer gegen § 12 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 Nr. 3 StVO in einem das allgemeine Gefahren- und Belästigungsrisiko erheblich übersteigenden Maße beeinträchtigt wird. Darauf kommt es schon deshalb nicht an, weil eine hinreichende Zufahrt zum Anwesen der Kläger auch über den südlichen Ast der Thinggasse gewährleistet und nicht erwiesen ist, dass die öffentlich-rechtlich geschützten Anliegerinteressen der Kläger an einer unbehinderten Benutzung dieser Zufahrt durch Verstöße anderer Verkehrsteilnehmer gegen § 12 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 Nr. 3 StVO in einem das allgemeine Gefahren- und Belästigungsrisiko erheblich übersteigenden Maße beeinträchtigt wird. Die Thinggasse war und ist in ihrem südlichen Teil durchgehend mindestens 5 m breit (vgl. die Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Klageverfahren 6 K 63/97 sowie die vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Pläne über den derzeitigen Ausbauzustand). Dies gewährleistet selbst bei teilweise auf der öffentlichen Verkehrsfläche parkenden Pkw's in der Regel eine hinreichende Durchfahrtsbreite für die landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge der Kläger und eine - bei der Benutzung dieses Astes der Thinggasse geradeaus mögliche -unbehinderte Ein- oder Ausfahrt auf oder aus ihrem Grundstück. Auch das Verwaltungsgericht hat bereits in seinem Bescheidungsurteil vom 12.11.1997 - 6 K 63/97 - festgestellt, dass die Kläger die Möglichkeit hätten, im Wesentlichen unbehindert durch den südlichen Ast der Thinggasse zu fahren. Die erstmals nach Erlass dieses Urteils von den Klägern aufgestellte Behauptung, sie würden auch bei Benutzung des südlichen Astes der Thinggasse häufig durch parkende oder haltende Fahrzeuge derart behindert, dass sie ihr Anliegergrundstück oder ihre im Außenbereich gelegenen Felder gar nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen erreichen könnten, ist unsubstantiiert und schon deshalb unglaubhaft, weil die Kläger immer dargelegt haben, in der Regel den östlichen Ast der Thinggasse zu benutzen. Abgesehen davon gibt es keine konkreten Anhaltspunkte für die behaupteten zahlreichen Behinderungen bei der Benutzung des südlichen Astes der Thinggasse. Die Kläger haben zwar auch Lichtbilder vorgelegt, auf denen Fahrzeuge erkennbar sind, die ganz oder teilweise auf der öffentlichen Verkehrsfläche des südlichen Astes der Thinggasse parken oder halten. Soweit es sich dabei um Fahrzeuge handelt, die - wie Versorgungs- oder Baustellenfahrzeuge - kurzfristig aus besonderem Anlass die Durchfahrt oder die Benutzung der Ein- und Ausfahrt des Grundstücks der Kläger behindern, wird das nach allgemeiner Anschauung zumutbare Maß nicht überschritten. Derartige kurzfristige Behinderungen müssen die Kläger nicht zuletzt auch wegen der beengten räumlichen Verhältnisse hinnehmen, in die ihr Anwesen im Ortskern seit jeher hineingestellt ist. Im Übrigen dokumentiert kein einziges der zahlreichen vorgelegten Lichtbilder eine konkrete Behinderung eines der landwirtschaftlichen Fahrzeuge der Kläger bei der Durchfahrt des südlichen Astes der Thinggasse oder bei der Benutzung der Grundstücksein- und ausfahrt über diesen Ast. Auch das spricht gegen die Richtigkeit ihres Vortrages, zumal es ihnen bei der Vielzahl der Lichtbilder ohne weiteres hätte möglich sein müssen, konkrete Behinderungen ihrer Fahrzeuge beim Durchfahren des südlichen Astes der Thinggasse festzuhalten. Soweit die Kläger behaupten, dass sie wegen beengter Verhältnisse auf ihrem Anliegergrundstück aus betrieblichen Gründen häufig darauf angewiesen seien, mit landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen rückwärts in ihr Grundstück einzufahren, und dass dies nur bei einer Zufahrt durch den östlichen Ast der Thinggasse möglich sei, kann dahinstehen, ob das zutrifft. Denn auch dabei handelt es sich um Zufahrtserschwernisse, die sich aus der besonderen örtlichen Lage ergeben, in die das Grundstück der Kläger hineingestellt ist. Derartige Umstände sind für die Reichweite der straßen- oder straßenverkehrsrechtlich geschützten Anliegerrechte der Kläger unerheblich (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 11.09.1990, a. a. O.), zumal danach nur die Verbindung des Anliegergrundstücks mit dem öffentlichen Wegenetz als solche geschützt ist, nicht aber die Art und Weise des Zugangs und Abgangs, insbesondere deren Bequemlichkeit oder Leichtigkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.08.1982 - 4 C 58.80 - Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 27; Beschl. v. 13.05.1985 - 7 C 229.84 - und v. 02.08.1989 - 7 C 62.89 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 15 und Nr. 19). Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die mit der Benutzung des südlichen Astes der Thinggasse für die Kläger verbundene zusätzliche Wegstrecke von 150 m mit unzumutbaren Erschwernissen verbunden ist.

Die zur Klarstellung für beide Rechtszüge insgesamt neu zu fassende Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 14 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 4.000,- EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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