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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 22.06.2004
Aktenzeichen: 5 S 1263/04
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, LBO


Vorschriften:

BauGB § 31 Abs. 1
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
LBO § 3 Abs. 1 Satz 1
Gegen eine Baugenehmigung zur Nutzung eines Gebäudes als türkisches Konsulat kann ein Nachbar weder planungsrechtlich im Rahmen der erteilten Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB und des Rücksichtnahmegebots nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO noch bauordnungsrechtlich über § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO erfolgreich einwenden, dass die Gefahr terroristischer Anschläge bestehe.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 1263/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen erteilter Baugenehmigung

hier: Antrag gemäß §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schnebelt und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik und Albers

am 22. Juni 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. April 2004 - 3 K 953/04 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilte, kraft Gesetzes sofort vollziehbare Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 27.01.2004 zur "Nutzungsänderung eines Betriebsgebäudes in ein türkisches Konsulat mit drei Betriebswohnungen" auf dem Grundstück Flst.Nr. 12028/1 der Gemarkung des Antragsgegnerin anzuordnen. Mit Blick auf die dargelegten und somit nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgeblichen Gründe vermag auch der Senat bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht festzustellen, dass die angefochtene Baugenehmigung - worauf es allein ankommt - zu Lasten der Antragstellerin, die Eigentümerin einer Wohnung in einer Wohnanlage auf dem westlich angrenzenden Grundstück Flst.Nr. 12028/21 ist, gegen eine nachbarschützende Vorschrift bauplanungs- oder bauordnungsrechtlicher Art verstößt. In der Sache befürchtet die Antragstellerin auf Grund der genehmigten Nutzung als türkisches Konsulat terroristische Anschläge, wie sie seit dem 11. September 2001 verstärkt drohten und sich gerade in letzter Zeit gehäuft hätten.

In planungsrechtlicher Hinsicht macht die Antragstellerin gegenüber der nach dem maßgeblichen Bebauungsplan "Nutzungsartfestsetzung" der Antragsgegnerin aus dem Jahr 1984 im Wege der Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB zugelassenen Nutzung geltend, dass die Gefahr von Terroranschlägen sowohl bei den nachbarlichen Interessen im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt worden sei als auch einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO begründe. Dem hat das Verwaltungsgericht entgegengehalten, dass unter beiden rechtlichen Aspekten nur solche Störungen/Beeinträchtigungen beachtlich seien, die typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung des genehmigten Vorhaben aufträten und von bodenrechtlicher Relevanz bzw. nach planungsrechtlichen Grundsätzen abwägungserheblich seien, was bei den befürchteten Terroranschlägen nicht der Fall sei. Dem folgt der Senat bei summarischer Prüfung (vgl. auch VG Berlin, Urt. v. 20.05.1999 - 13 A 245/98 - LKV 1999, 412). Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Fehl geht zunächst deren Hinweis auf § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB, wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne u. a. die "Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung" zu berücksichtigen ist. Zwar sollen damit solche Sachverhalte planerisch ausgeschlossen werden, die latent zu Unfällen neigen, d. h. plötzlich in eine drohende Gefahrenlage umschlagen oder den Schaden sofort eintreten lassen können. Es sollen also Gefahrenlagen vermieden werden, die aus zwei auf engem Raum kollidierenden Nutzungsarten folgen (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, RdNr. 119 zu § 1). Es muss sich um ein Sicherheitsrisiko handeln, das - wenn auch latent und trotz Einhaltung der gebotenen Sicherheitsstandards - in der bestimmungsgemäßen Nutzung des Vorhabens angelegt ist, wie dies etwa bei einem explosionsanfälligen Betrieb der Fall ist, der deshalb durch einen hinreichenden Abstand von einer Wohn- oder sonstigen schützenswerten Nutzung fernzuhalten ist. Dies in den Blick nehmend hat der beschließende Gerichtshof in der von der Antragstellerin zitierten Entscheidung vom 27.02.1974 - II 1346/72 - (BRS 28 Nr. 7) einen Bebauungsplan für ein reines Wohngebiet mit zehn- bzw. elfgeschossiger Bebauung für nichtig erklärt, weil der Gemeinderat ein ca. 900 m entfernt gelegenes Munitionslager bei der Abwägung nicht bedacht hatte. Mit einem solchermaßen nutzungsimmanenten - und damit bodenrechtlich relevanten - Gefährdungspotential ist die Gefahr terroristischer Anschläge (durch Dritte) auf ein türkisches Konsulat nicht vergleichbar. Auch die in § 136 Abs. 3 Nr.1 BauGB aufgelisteten Tatbestände zeigen, dass Einwirkungen der befürchteten Art (durch Dritte) nicht zu den städtebaulichen Merkmalen gehören, die der Gesetzgeber als für die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung relevant ansieht.

Die in der Baugenehmigung vom 27.01.2004 vorgesehenen "Sicherungsmaßnahmen", insbesondere die Errichtung eines 2,50 m hohen Zaunes, rechtfertigen im vorliegenden Zusammenhang aber gleichwohl nicht die Annahme, dass auch die Gefahr terroristischer Anschläge ein dem genehmigten Vorhaben zurechenbares "Störpotential" darstelle, dem städtebaulich zu begegnen wäre bzw. begegnet werden könnte. Allerdings hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (vgl. Beschl. v. 26.06.1997 - 2 ZS 97.905 - NVwZ-RR 1998, 619) die Auffassung vertreten, dass eine konsularische Nutzung mit der Gefahr von Demonstrationen und Anschlägen auch ein gewisses Störpotential berge, das Maßnahmen zur Sicherung des Gebäudes notwendig machen könne, dass derartige Störungen jedoch typischerweise nicht ein Ausmaß erreichten, das zu einer unzumutbaren Belästigung für die Nachbarschaft führen würde. Soweit damit die bodenrechtliche Qualität der Gefahr terroristischer Anschläge dem Grunde nach bejaht worden sein sollte, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Gefahr von Terroranschlägen ist kein Nutzungskonflikt, der mit dem genehmigten türkischen Konsulat im Verhältnis zur angrenzenden Wohnanlage mit der Wohnung der Antragstellerin ausgelöst und deshalb vom Ermessensprogramm bei der Ausnahmeerteilung nach § 31 Abs. 1 BauGB erfasst würde. Die von der Antragstellerin hervorgehobene "geringe Entfernung" zu ihrer Wohnung, bei der sich die befürchteten Gefahren viel eher realisierten und die einen wirksamen Schutz vor Terroranschlägen durch polizei- bzw. ordnungsrechtliche Maßnahmen unmöglich mache - erforderlich wäre eine Vergrößerung des Abstands -, rechtfertigt es ebenfalls nicht, zur "Kompensation" der vermeintlichen Unzulänglichkeit polizei- bzw. ordnungsrechtlicher Mittel die bodenrechtliche Relevanz der befürchteten Terrorgefahr zu bejahen. Abgesehen davon dürfte es auch keine Maßstäbe für eine "Trennung" der umstrittenen konsularischen Nutzung von der Wohnnutzung der Antragstellerin geben, um dieser aus städtebaulicher Sicht hinreichenden Schutz zu gewähren.

Für eine bodenrechtliche Einordnung des befürchteten Gefährdungspotentials kann sich die Antragstellerin auch nicht auf die (polizeirechtliche) Figur des sogenannten Zweckveranlassers berufen. Weder bezweckt noch billigt die Beigeladene mit der (Um-)Nutzung des betreffenden Gebäudes als türkisches Konsulat ein - in Form terroristischer Anschläge - polizeiwidriges Verhalten Dritter noch tritt ein solches als Folge der (Um-)Nutzung zwangsläufig ein (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.05.1995 - 1 S 442/95 - NVwZ-RR 1995, 663). Auch der zugrunde liegende Gedanke" führt - entgegen der Meinung der Antragstellerin - nicht zur Ermessensrelevanz der befürchteten Gefahr, weder grundsätzlich noch im Hinblick darauf, dass seit dem 11. September 2001 von einer gesteigerten Bedrohung diplomatischer Vertretungen und von einer "anderen Qualität" der Bedrohung, nämlich einer Gefahr für Leib und Leben, auszugehen sei. Diese die "Größenordnung" der Gefahr terroristischer Anschläge betreffenden Umstände ändern nichts an der fehlenden bodenrechtlichen Relevanz des befürchteten Gefährdungspotentials.

Aus dem gleichen Grund spielen die Befürchtungen der Antragstellerin auch bei der im Rahmen des Rücksichtnahmegebots nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO vorzunehmenden Interessenabwägung keine Rolle, so dass auch über diese Regelung kein Nachbarschutz zu Gunsten der Antragstellerin begründet werden kann.

In bauordnungsrechtlicher Hinsicht kann sich die Antragstellerin nicht auf § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO berufen. Danach sind bauliche Anlagen - sowie Grundstücke, andere Anlagen und Einrichtungen i. S. von § 1 Abs. 1 Satz 2 LBO - so anzuordnen und zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit oder die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht bedroht werden und dass sie ihrem Zweck entsprechend ohne Missstände benutzbar sind. Als Grundnorm des Bauordnungsrechts stellt § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO die allgemeinen und grundsätzlichen Anforderungen auf, die bauliche Anlagen erfüllen müssen. Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass die Vorschrift dem Schutz vor von der baulichen Anlage selbst ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung - dazu zählen insbesondere auch Leben und Gesundheit - dient, wobei sowohl auf den Baukörper als solchen wie auch auf die Bausubstanz in der ihr zugedachten Funktion abzustellen ist. Dass bei bestimmungsgemäßer Nutzung des Gebäudes als türkisches Konsulat keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung droht, räumt die Antragstellerin selbst ein. Sie will aber auch in diesem Zusammenhang über die (polizeirechtliche) Figur des sogenannten Zweckveranlassers eine Zurechnung der befürchteten Gefahr vor Terroranschlägen zum genehmigten Vorhaben erreichen. Dieser Versuch muss aber im Bereich des § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO (mindestens) genauso scheitern wie auf planungsrechtlicher Ebene im Rahmen der Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB und im Rahmen des Rücksichtnahmegebots nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Im Übrigen setzt eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung i. S. von § 3 Abs. 1 Satz 1 LBO eine konkrete Gefahr für diese Schutzgüter voraus (vgl. Sauter, Landesbauordnung für Baden-Württemberg , 3. Aufl., RdNr. 13 zu § 3). Insoweit hat die Antragstellerin im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 22.04.2004 aber selbst nur von einer "abstrakten Gefährdungslage" gesprochen, die durch die Ansiedlung des türkischen Konsulats in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihrer Wohnung entstehe.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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