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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: 5 S 1280/02
Rechtsgebiete: LBO, LBOVVO


Vorschriften:

LBO § 55 Abs. 2 Satz 2
LBOVVO § 4 Abs. 6 Nr. 4
Zur Frage, ob Mängel der Bauvorlagen auch dann einem Einwendungsausschluss gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO entgegenstehen, wenn die unterbliebenen Angaben allein für die Frage der rechtlichen, nicht aber der tatsächlichen Betroffenheit eines Angrenzers wesentlich sind.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 1280/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen erteilter Baugenehmigung (Mobilfunkanlage)

hier: Antrag nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik und Albers und den Richter am Verwaltungsgericht Milz

am 4. September 2002

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02. Mai 2002 - 2 K 607/02 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Denn aus dem Beschwerdevorbringen - der Verwaltungsgerichtshof prüft nur die dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO n.F.) - ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Unrecht abgelehnt hätte, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 30. Januar 2002 anzuordnen. Zwar ist fraglich, ob der Antragsteller mit seinen Einwendungen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO ausgeschlossen ist. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich aber nicht, dass er durch die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in eigenen Rechten verletzt ist. Sonstige Gründe, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gemäß § 80a Abs. 3 und § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, sind nicht ersichtlich.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Antragsteller seine Einwendungen gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen, die Errichtung einer Mobilfunkanlage, bestehend aus drei Antennenträgern am Aufzugsaufbau und einem Technikraum im Innern des 22 m hohen Wohngebäudes xxxxxxxxstraße xx in xxxxxxxxx (Flurst-Nr. 17117/10), nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Angrenzerbenachrichtigung bei der Antragsgegnerin schriftlich oder zur Niederschrift vorgebracht hat. Die Antragsgegnerin hat den Antragsteller per Einschreiben vom 15. November 2001 (bei der Deutschen Post eingeliefert am selben Tag) vom Bauantrag benachrichtigt. Seine Angrenzererklärung, mit der er Gesundheitsgefahren durch Elektrosmog und eine Wertminderung seines Grundstücks sowie nicht näher bezeichnete Folgeschäden geltend gemacht hat, ist erst am 6. Dezember 2001 und damit nach Ablauf der zweiwöchigen Einwendungsfrist bei der Antragsgegnerin eingegangen.

Der Antragsteller macht jedoch möglicherweise zu Recht geltend, dass die Ausschlusswirkung des § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO (materielle Präklusion) nicht eingetreten ist, weil die von der Beigeladenen eingereichten Bauvorlagen unvollständig bzw. unklar sind. Erforderlich ist, dass die Bauvorlagen eine mögliche Betroffenheit der Angrenzer hinreichend deutlich erkennen lassen. Ist dies nicht der Fall, wird dem Angrenzer nicht etwa angesonnen, fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 4.3.1998 - 5 S 3180/97 - VBlBW 1998, 380). Unerheblich ist, ob einzelne Planbestandteile fehlerhaft sind, maßgeblich ist vielmehr die Gesamtheit der Bauvorlagen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.7.1999 - 3 S 1358/99 - VBlBW 2000, 115).

Nach diesen Grundsätzen ist es für den Eintritt der Ausschlusswirkung des § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO unerheblich, ob der Bauantrag gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 LBO unterschrieben ist. Im Übrigen erfüllt der maßgebliche zweite Bauantrag der Beigeladenen vom 30. Oktober 2001 dieses Erfordernis. Dem Eintritt der Ausschlusswirkung könnte aber entgegenstehen, dass die Bauvorlagen nicht erkennen lassen, dass das Bauvorhaben im Geltungsbereich des vom Gemeinderat der Antragsgegnerin am 5. Dezember 1972 beschlossenen und am 31. März 1973 in Kraft getretenen Bebauungsplans "xxxxxxxxxx xxxx-xxx xxxx - xxxxxxxxxx xxxxx xxxxxxxx" liegt und dieser u.a. für das Baugrundstück ein reines Wohngebiet festsetzt (vgl. § 3 BauNVO 1968). § 4 Abs. 6 Nr. 4 LBOVVO verlangt, dass Angaben darüber im Textteil des Lageplans zu machen sind. Die Beigeladene hat jedoch weder die diesbezüglichen Felder des verwendeten Formulars ausgefüllt noch an anderer Stelle in den Bauvorlagen den Bebauungsplan und insbesondere seine Festsetzungen über die Art der zugelassenen baulichen Nutzung erwähnt. Diese Angaben sind zwar für die Frage einer tatsächlichen Betroffenheit der Angrenzer durch das Bauvorhaben ohne Bedeutung. Sie sind aber - worauf unten noch eingegangen wird - wesentlich für die Frage der rechtlichen Betroffenheit eines Angrenzers. Ob auch ein solcher Mangel der Bauvorlagen dem Einwendungsausschluss nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO entgegensteht (so, bei teilweise fehlender, nach § 4 Abs. 4 Nr. 6d LBOVVO gebotener Darstellung der Abstandsflächen, VG Karlsruhe, Beschl. v. 5.7.1999 - 4 K 1109/99 - Juris), ist in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs noch nicht geklärt. Nur am Rande bemerkt der Senat, dass Bauvorlagen für Anlagen der vorliegenden Art möglicherweise auch hinreichend bestimmte Angaben über das Sendegebiet enthalten müssen (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 LBOVVO), weil diese Angaben für die bauplanungsrechtliche Beurteilung von Bedeutung sein können (etwa nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1968; vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.10.1998 - 8 S 1848/98 -, VBlBW 1999, 218, vgl. auch, die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zurückweisend, BVerwG, Beschl. v. 1.11.1999 - 4 B 3.99 -, Buchholz 406.12 § 14 BauNVO Nr. 15 = NVwZ 2000, 680).

Der Senat kann die angesprochenen Fragen wie auch die Frage, ob dem Antragsteller gegebenenfalls Wiedereinsetzung in die versäumte Einwendungsfrist zu gewähren wäre, offen lassen. Denn nach dem Beschwerdevorbringen ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung den Antragsteller in eigenen Rechten verletzt.

Die ansonsten geltend gemachten Verfahrensfehler betreffen die Anhörung weiterer Angrenzer und die Erteilung des Einvernehmens für die hilfsweise ausgesprochene Befreiung von der Festsetzung eines reinen Wohngebiets. Nachbarschützende Wirkung kommt den insoweit maßgeblichen Vorschriften grundsätzlich nicht zu. Dies macht der Antragsteller auch nicht substantiiert geltend.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die das Baugrundstück umfassende Festsetzung eines reinen Wohngebiets auch den Antragsteller schützen soll. Die Annahme des Antragstellers, hiervon sei ohne weiteres auszugehen, trifft nicht zu. Das Grundstück des Antragstellers liegt nicht etwa im selben durch diesen Bebauungsplan festgesetzten reinen Wohngebiet (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.3.1993 - 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546; Beschl. v. 2.2.2000 - 4 B 87.99 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 163 = NVwZ 2000, 679; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.6.1999 - 10 S 44/99 -, VBlBW 2000, 78) und nicht einmal im Gebiet dieses Bebauungsplans überhaupt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 4.5.2001 - 3 S 597/00 -, VBlBW 2001, 487). Der Antragsteller gehört somit nicht zu den durch den Bebauungsplan "xxxxxxxxxx xxxxxxxx xxxx - xxxxxxxxxx xxxxx xxxxxxx" Betroffenen. Anhaltspunkte dafür, dass das maßgebliche reine Wohngebiet jedenfalls auch zum Schutz der Bewohner des angrenzenden Bau- bzw. Plangebiets mit dem Grundstück des Antragstellers festgesetzt worden wäre (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 18.1.1995 - 3 S 3153/94 - VBlBW 1996, 24), hat er nicht vorgetragen. Soweit dem Senat die Bebauungsplanakten vorliegen, sind solche Anhaltspunkte im Übrigen auch nicht zu erkennen.

Schließlich kommt auch nicht in Betracht, dass die gemäß § 30 BauGB i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1968 erteilte Baugenehmigung das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte plangebietsüberschreitende Gebot der Rücksichtnahme zum Nachteil des Antragstellers verletzen würde. Das gilt auch, soweit die Antragsgegnerin hilfsweise gemäß § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung von der Festsetzung eines reines Wohngebiet erteilt hat. Mit dem Betrieb der Mobilfunkanlage sind keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für den Antragsteller verbunden. Die Anlage erfüllt, wie sich aus der den Bauvorlagen beigefügten Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post - Außenstelle Karlsruhe - gemäß § 59 TKG i.V.m. § 6 TKZulV vom 16. August 2001 ergibt, bei Einhaltung eines Sicherheitsabstands von 7,68 m (ohne Winkeldämpfung) bzw. von 1,80 m in vertikaler Richtung (mit Winkeldämpfung), bezogen auf die Unterkante der Sendeantenne mit der jeweils geringsten Montagehöhe, die derzeit gültigen Personenschutzgrenzwerte der 26. BImSchV. Hinreichende Anhaltspunkte für gesundheitliche Beeinträchtigungen des Antragstellers bestehen danach nicht. Der Einwand, die Auswirkungen thermischer und athermischer Effekte durch elektromagnetische Felder seien noch nicht in jeder Hinsicht erforscht und daher seien Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, trifft zwar zu, führt aber im Hinblick auf die Empfehlung der Strahlenschutzkommission vom 13./14.9.2001 zu Grenzwerten und Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor elektromagnetischen Feldern zu keiner anderen Bewertung. Der Staat ist nicht verpflichtet, Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen der körperlichen Unversehrtheit zu treffen. Die geltenden Grenzwerte können nur dann verfassungsrechtlich beanstandet werden, wenn erkennbar ist, dass sie die menschliche Gesundheit völlig unzureichend schützen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.2.2002 - 1 BvR 1676/01 - NJW 2002, 1638,; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.4.2002 - 3 S 590/02 -). Dafür reicht es nicht aus, dass, wie der Antragsteller allgemein ausführt, Bund und Länder die Auswirkungen des Mobilfunks auf den menschlichen Körper weiter gutachtlich untersuchen wollen und dass das Bundesamt für Strahlenschutz ein Projekt zur Langzeitimmission in Mobilfunkfeldern ausgeschrieben hat. Die weiteren Angaben des Antragstellers zu neuen Erkenntnissen sind zu unbestimmt, um ihre Existenz und ihren Aussagewert beurteilen zu können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 25 Abs. 2, § 14 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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