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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 08.08.2001
Aktenzeichen: 5 S 1497/01
Rechtsgebiete: BauGB, LBO
Vorschriften:
BauGB § 34 Abs. 1 | |
LBO § 5 Abs. 1 Satz 1 | |
LBO § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 |
2. Die Regelungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 LBO gelten auch im Verhältnis zu straßenseitigen Grundstücksgrenzen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen
erteilter Baugenehmigung
hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz
hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik, Harms und Schenk
am 08. August 2001
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. April 2001 - 12 K 312/01 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren - insoweit unter Abänderung der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht - und für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 10.000,-- DM festgesetzt.
Gründe:
Die - zugelassene - Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die den Beigeladenen erteilte, kraft Gesetzes sofort vollziehbare Baugenehmigung vom 24.07.2000 zur Errichtung eines Wohnhauses auf dem Grundstück Bxxxxstraße 2 auf Gemarkung Durlach der Antragsgegnerin anzuordnen. Auch nach Auffassung des Senats überwiegen das öffentliche Interesse und das gleich gerichtete Interesse der Beigeladenen, sofort von der Baugenehmigung Gebrauch machen zu können, das gegenläufige Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nicht ersichtlich, dass das genehmigte Vorhaben gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die - worauf es allein ankommt - zumindest auch dem (Nachbar-)Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind, der Eigentümer des auf der gegenüber liegenden Seite der Bxxxxstraße gelegenen Wohnanwesens Nr. 1 ist.
Dies gilt zunächst in planungsrechtlicher Hinsicht. Einschlägig ist § 34 Abs. 1 BauGB. Nach dieser Vorschrift kommt Nachbarschutz zugunsten des Antragstellers nur über das im Tatbestandsmerkmal des "Sich-Einfügens" enthaltene Rücksichtnahmegebot in Betracht. Die hierfür geltenden Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss zutreffend dargelegt; dies bedarf keiner Wiederholung. In der Sache geht es darum, ob dem Antragsteller die geltend gemachte Beeinträchtigung der Belichtung/Besonnung seines Wohngrundstücks durch das genehmigte Vorhaben billigerweise zugemutet werden kann. Dies bejaht der Senat mit dem Verwaltungsgericht.
Die vom Antragsteller befürchteten Beeinträchtigungen für sein Wohngrundstück rühren von der Höhe und vom Standort des genehmigten Bauvorhabens her. Damit sind im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB für das Gebot des Sich- Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung die Kriterien des Maßes der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche angesprochen. Was letzteres Merkmal anbelangt, ist die Bebauung entlang der Bxxxxstraße dadurch gekennzeichnet, dass die Gebäude im maßgebenden Bereich der geraden Führung der Bxxxxstraße nach Abzweigung von der Axxxxxxstraße allesamt unmittelbar an der straßenseitigen Grundstücksgrenze errichtet sind. Das (teilweise) "Zurücktreten" der Bebauung auf den Grundstücken Bxxxxstraße 3 und Bxxxxstraße 6 findet sich nur in dem Bereich, in dem die Bxxxxstraße "abknickt". Bei einem "Zurücktreten" auch des genehmigten Vorhabens hinter die straßenseitige Grundstücksgrenze würde die sich bisher im Bereich der geraden Straßenführung ergebende "faktische Baulinie" unmittelbar entlang des Straßengrundstücks verlassen. Mit einem solchen Standort würde sich das Vorhaben der Beigeladenen nicht mehr nach der zu überbauenden Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Im Übrigen wäre im vorliegenden Zusammenhang das Einfügensgebot des § 34 Abs. 1 BauGB auch dann nicht verletzt, wenn man die beiden von der Straßenbegrenzungslinie (teilweise) "zurücktretenden" Gebäude Bxxxxstraße 3 und Bxxxxstraße 6 in den Bereich der maßgebenden Umgebungsbebauung einbeziehen würde.
Auch im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung fügt sich das umstrittene Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Nach den vorliegenden Plänen und Fotografien überschreitet das geplante Wohngebäude nicht den Rahmen der Höhenentwicklung, wie er durch die (benachbarten) Wohngebäude an der Südseite der Bxxxxstraße vorgegeben ist.
Hält sich danach das Vorhaben unter den beiden genannten Kriterien innerhalb des sich aus der Umgebungsbebauung an der Bxxxxstraße ergebenden Rahmens, so fügte es sich gleichwohl nicht ein, wenn es sich gegenüber der Umgebung und vorliegend gerade gegenüber dem Wohngrundstück des Antragstellers auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Sinne einer "qualifizierten Störung" als rücksichtslos darstellte. Das ist nicht der Fall. Zwar geht auch der Senat davon aus, dass es bei Verwirklichung des Vorhabens zu einer merklichen Beeinträchtigung der Belichtung/Besonnung für das Wohngebäude des Antragstellers kommen wird. Dies ist jedoch - wie bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend erkannt - nicht ausschließlich eine Folge des umstrittenen Bauvorhabens, sondern (auch) der Lage des Wohngrundstücks des Antragstellers an der Bxxxxstraße und hier der Lage des Wohngebäudes selbst unmittelbar an der (nördlichen) Straßengrenze; mit diesem Standort trägt das Wohnhaus des Antragstellers selbst zum prägenden Charakter der straßenseitigen Bebauung entlang der (schmalen) Bxxxxstraße bei. In dieser Situation kann der Antragsteller nicht darauf vertrauen, dass ein auf der gegenüber liegenden Straßenseite - wenn auch südlich - gelegenes Grundstück unverändert einen Zustand beibehält, der (weit) hinter der baulichen Nutzung der anderen Grundstücke an der Bxxxxstraße zurück bleibt. Dabei müssen sich die Beigeladenen als Bauherrn nicht auf eine höhenmäßige Reduzierung ihres Bauvorhabens und damit auf einen Verlust von Wohnraum verweisen lassen, damit es zu einer geringeren Beeinträchtigung der Belichtung/Besonnung des Wohngrundstücks des Antragstellers kommt. In der vorliegenden altstadt-typischen Bebauungssituation entlang der Bxxxxstraße kann von den Beigeladenen nicht verlangt werden, dass sie ihr berechtigtes Interesse an einer baulichen Nutzung des Grundstücks Bxxxxstraße 2 innerhalb und entprechend der vorhandenen Bebauungssituation zugunsten des Antragstellers zurückstellen. Mit dieser Wertung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu den Gründen des Beschlusses vom 12.07.2001 - 5 S 1084/01 - über die Zulassung der Beschwerde des Antragstellers. Dort hat der Senat ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Beschlusses insoweit geäußert, als das Verwaltungsgericht unter bauordnungsrechtlicher Sicht streitentscheidend im Rahmen des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO für das Vorliegen der erforderlichen atypischen Situation auf dem (Nachbar-)Grundstück des Antragstellers auf den Umstand abgestellt hat, dass es sich bei der Bxxxxstraße um eine sogenannte Traufgasse handele, bei der fast ausnahmslos die Bestimmung des § 5 Abs. 2 Satz 2 LBO nicht eingehalten sei. Im Gegensatz zur bauordnungsrechtlichen Regelung des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 29.01.1999 - 5 S 2971/98 - NVwZ-RR 1999, 491 = VBlBW 1999, 347) nimmt die planungsrechtliche Vorschrift des § 34 Abs. 1 BauGB bei der Frage nach der Wahrung des Rücksichtnahmegebots nicht nur das betroffene Nachbargrundstück in den Blick, sondern auch - abwägend - die berechtigten Interessen des Bauherrn.
In bauordnungsrechtlicher Hinsicht ist für eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften zugunsten des Antragstellers ebenfalls nichts ersichtlich. Insbesondere dürfte kein Verstoß gegen die Nachbarschutz vermittelnden Vorschriften über die erforderliche Abstandsfläche gegeben sein. Darauf, ob die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO für die Zulassung geringerer Tiefen als des nachbarschützenden Teils der einzuhaltenden Abstandsfläche vorliegen - was das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss streitentscheidend bejaht, der Senat im Zulassungsbeschluss jedoch angezweifelt hat - kommt es nicht an. Denn zugunsten der Beigeladenen greift - wie auch schon in der Baugenehmigung vom 24.07.2000 angenommen - die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO. Danach ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden an Grundstücksgrenzen, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude an die Grenze gebaut werden muss, es sei denn, die vorhandene Bebauung erfordert eine Abstandsfläche. Wie die Grundregel des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO, wonach vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen liegen müssen, die von oberirdischen baulichen Anlagen freizuhalten sind, diese Freihaltung von Abstandsflächen prinzipiell auch an den Grundstücksgrenzen verlangt, die an einer öffentlichen Straße liegen, so greift die Ausnahmeregelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO dann, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze zur öffentlichen Straße gebaut werden muss (vgl. Senatsbeschl. v. 07.11.1984 - 5 S 2437/83 - BWVPr 1985, 43). Da im vorliegenden Fall planungsrechtlich § 34 Abs. 1 BauGB einschlägig ist, kommt es also auf den Rahmen an, der sich der beachtlichen Umgebungsbebauung im Hinblick auf die Überbaubarkeit der Grundstücksfläche zur öffentlichen Straße hin, also im Hinblick auf die "vorderen Grenzabstände" zur Bxxxxstraße entnehmen lässt. Danach ergibt sich - wie zur planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens nach § 34 Abs. 1 BauGB bereits ausgeführt -, dass die Umgebungsbebauung, wie dies auch bei einer entsprechend festgesetzten straßenseitigen Baulinie der Fall wäre, die Verpflichtung begründet, ein Vorhaben auf dem Baugrundstück unmittelbar an der Grenze zur (öffentlichen) Bxxxxstraße zu verwirklichen, da es sich bei einem "Zurücktreten" um eine erforderliche Abstandsfläche nicht (mehr) nach der zu überbauenden Grundstücksfläche i. S. des § 34 Abs. 1 BauGB einfügte, also unzulässig wäre (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urt. v. 07.11.1984 - 3 S 2571/84 - NVwZ 1986, 142).
Danach kann dahinstehen, ob sich die Beigeladenen - eine Abstandsflächenpflicht für ihr Vorhaben unterstellt - nicht (auch) auf § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 LBO berufen könnten. Danach sind geringere Tiefen der Abstandsflächen zuzulassen, wenn in überwiegend bebauten Gebieten die Gestaltung des Straßenbildes oder besondere örtliche Verhältnisse dies erfordern. Nach dieser Vorschrift ist eine Grenzbebauung (vorliegend zur straßenseitigen Grundstücksgrenze hin) auch dann zuzulassen, wenn dadurch nachbarliche Interessen an Belichtung/Besonnung beeinträchtigt werden (vgl. Senatsurt. v. 13.02.1998 - 5 S 3202/96 - BRS 60 Nr. 86).
Dass in bauordnungsrechtlicher Hinsicht das Vorhaben wegen der beiden im Erdgeschoss geplanten Garagenstellplätze nicht gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO verstoßen dürfte und dass sich der Antragsteller im vorliegenden Nachbarrechtsstreit nicht auf eine Verletzung denkmalschutzrechtlicher Bestimmungen berufen kann, hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss bereits zutreffend dargelegt; hierauf nimmt der Senat Bezug, zumal diese Aspekte im Beschwerdeverfahren nicht mehr aufgegriffen bzw. nicht weiter vertieft worden sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO: Es entspricht der ständigen Praxis des Senats, die außergerichtlichen Kosten des notwendig beigeladenen Bauherrn, auch wenn er keinen Antrag gestellt hat, dem unterlegenen Nachbarn aufzuerlegen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 25 Abs. 2 Satz 2, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG: Es entspricht der ständigen Praxis des Senats, bei einem Nachbarrechtsstreit auch im Eilverfahren - wegen der Schaffung bzw. Verhinderung vollendeter Tatsachen - den Streitwert des Hauptsacheverfahrens (vgl. II Nr. 7.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit: Fassung 1996, NVwZ 1996, 563) zugrunde zu legen.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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