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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.10.2006
Aktenzeichen: 5 S 1774/06
Rechtsgebiete: FStrG, StVO, PolG


Vorschriften:

FStrG § 8 Abs. 1 Satz 2
FStrG § 8a Abs. 1 Satz 1
FStrG § 8a Abs. 1 Satz 2
StVO § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
StVO § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
PolG § 3
1. Das Verbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO, Waren und Leistungen aller Art auf der Straße anzubieten, sofern der Verkehr dadurch beeinträchtigt werden kann, erstreckt sich auf das Anbieten neben der Straße, sofern dieses direkt auf die Straße wirkt (wie BVerwG, Urt. v. 20.10.1993 - 11 C 44.92 - BVerwGE 94, 234 = NJW 1994, 1082).

2. Bei einer Entfernung eines Verkaufsstands für landwirtschaftliche Erzeugnisse von etwa 100 m zur Straße ist dieser enge räumliche Zusammenhang zumindest zweifelhaft, zumal wenn am Verkaufsort selbst (ausreichend) Kfz-Stellplätze vorhanden sind.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 1774/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Verbots des Anbietens von Waren und Leistungen

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 11. Oktober 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 13. Juli 2006 - 5 K 396/06 - geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 05. September 2005 (Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 21. November 2005) wird wiederhergestellt, soweit dem Antragsteller gemäß Nr. 1 dieser Verfügung untersagt worden ist, auf dem Grundstück Flst.Nr. 414/1 (Grenzhof) dort produzierte landwirtschaftliche Erzeugnisse anzubieten, und ihm gemäß Nr. 3 der Verfügung insoweit aufgegeben worden ist, von dem Grundstück sämtliche mobile Verkaufsstände und nicht fest mit dem Boden verankerte Werbebanner oder -schilder zu entfernen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Antragsteller drei Viertel und die Antragsgegnerin ein Viertel.

Der Streitwert wird unter Änderung der Streitwertbestimmung des Verwaltungsgerichts für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat zu einem geringeren Teil Erfolg. Aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen - nur diese hat der Senat zu prüfen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) - ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO teilweise hätte stattgeben müssen. Denn das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung der Antragsgegnerin vom 05.09.2005, soweit dem Antragsteller gemäß Nr. 1 dieser Verfügung auch untersagt worden ist, auf dem Grundstück Flst.Nr. 414/1 (Grenzhof) dort produzierte landwirtschaftliche Erzeugnisse anzubieten, und ihm gemäß Nr. 3 der Verfügung auch insoweit aufgegeben worden ist, von dem Grundstück sämtliche mobile Verkaufsstände und nicht fest mit dem Boden verankerte Werbebanner oder -schilder zu entfernen. Im Übrigen hat es bei der Vollziehbarkeit der angefochtenen Verfügung zu bleiben.

Mit der angefochtenen Verfügung hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller untersagt, auf dem Grundstück Flst.Nr. 414/1 (Grenzhof) Waren aller Art, insbesondere landwirtschaftliche Erzeugnisse aller Art, zum Verkauf anzubieten (Nr. 1) und entlang der etwa 100 m von seinem Verkaufsstand entfernten B 31 Werbung in Bild oder Schrift für den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder sonstigen Waren auf dem Grundstücks Flst.Nr. 414/1 zu betreiben (Nr. 2). Außerdem hat sie dem Antragsteller aufgegeben, sämtliche mobile Verkaufsstände und nicht fest mit dem Boden verankerte Werbebanner oder -schilder auf dem Grundstücks binnen eines Tages ab Zustellung der Verfügung abzubauen und von dem Grundstück zu entfernen (Nr. 3). Hinsichtlich dieser Verbote und Gebote hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. 4). Ferner hat sie für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Nrn. 1 und 2 der Verfügung jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- EUR (Nrn. 5 und 6) und für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Nr. 3 der Verfügung die Ersatzvornahme auf Kosten des Antragstellers angedroht (Nr. 7). Das Regierungspräsidium Tübingen hat den Widerspruch des Antragstellers mit Bescheid vom 21.11.2005 zurückgewiesen.

Soweit das Verwaltungsgericht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der auf § 3 PolG i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO gestützten Nr. 2 der angefochtenen Verfügung abgelehnt hat (Untersagung der Werbung für den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf dem Grundstück Flst.Nr. 414/1 entlang der B 31), kann die Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller sich mit dem entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in seiner Beschwerdebegründung nicht hinreichend befasst, obwohl sein Beschwerdeantrag vom 18.08.2006 auf die Aussetzung der Vollziehbarkeit der angefochtenen Verfügung insgesamt gerichtet ist. Zwar macht der Antragsteller eingangs seiner Beschwerdebegründung geltend, die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StVO seien nicht erfüllt. Seine näheren Ausführungen beschränken sich jedoch auf § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO. Im Folgenden hebt er gerade darauf ab, dass zwischen den Tatbeständen des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StVO unterschieden werden müsse. Die von ihm geäußerten Zweifel an der Vermutung der Polizei, die zahlreichen Verkehrsunfälle im Bereich der Einmündung des zu seinem Verkaufsstand führenden Feldwegs in die B 31 stünden im Zusammenhang mit seinem Obstverkauf, betreffen jedenfalls nicht ausdrücklich die Werbeschilder entlang der B 31. Insoweit äußert der Antragsteller sogar abschließend, es könnten (allenfalls) die Werbeschilder an der Einfahrt (Einmündung) wahrgenommen werden; seien diese beseitigt - insoweit ist der Antragsteller der Verfügung im Übrigen nach den Angaben der Antragsgegnerin im Vorlagebericht an das Regierungspräsidium vom 27.10.2005 (freilich möglicherweise nur vorläufig) nachgekommen -, scheide eine Gefährdung durch den Verkaufsstand selbst aus.

Unabhängig hiervon hat der Senat aber auch keine Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin als Polizeibehörde davon ausgehen durfte, dass durch Werbeanlagen entlang der B 31 Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise im Sinne einer abstrakten Gefahr abgelenkt oder belästigt werden können; dies allein begründet das gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO bestehende Verbot der Werbeanlagen und rechtfertigt ein Einschreiten durch die Antragsgegnerin als zuständige Ortspolizeibehörde. Für die Feststellung, dass Werbeanlagen an dieser Stelle die bezeichneten den Straßenverkehr beeinträchtigenden Wirkungen haben können, bedarf es keiner, im Einzelnen auch gar nicht möglichen Auswertung und (zwingenden) Beurteilung der zahlreichen und teilweise sehr schweren Verkehrsunfälle an dieser Stelle. Auch im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung (§ 3 PolG, § 40 LVwVfG) durfte sich die Antragsgegnerin insoweit auf die nahe liegende und zumindest vertretbare Einschätzung der Polizei stützen.

Nicht dargelegt hat der Antragsteller ferner, dass das Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Androhungen von Zwangsmitteln (§ 12 LVwG) in Nrn. 5 bis 7 der Verfügung rechtsfehlerhaft abgelehnt hätte.

Dargelegt hat der Antragsteller jedoch, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Verbot des Verkaufs von Waren auf dem etwa 100 m von der B 31 entfernten Grundstück des Antragstellers lasse sich allein auf §§ 1, 3 PolG bzw. auf §§ 1, 3 PolG i.V.m. § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO stützen, rechtlichen Bedenken unterliegt. Es trifft zwar zu, dass das Verbot des Anbietens von Waren und Leistungen aller Art auf der Straße, wenn dadurch Verkehrsteilnehmer in einer den Verkehr gefährdenden oder erschwerenden Weise abgelenkt oder belästigt werden können (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO), nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dann gilt, wenn Waren und Leistungen neben einer Straße angeboten werden, dieses Angebot aber direkt auf die Straße wirkt und bei objektiver Betrachtung geeignet ist, dort zu Verkehrsbeeinträchtigungen zu führen. Die insoweit maßgebliche Entscheidung (BVerwG, Urt. v. 20.10.1993 - 11 C 44.92 - BVerwGE 94, 234 = NJW 1994, 1082) betraf jedoch einen gegenüber einem Autobahnanschluss in der Nähe von zwei Feldwegeinmündungen aufgestellten Wohnwagen, von dem aus Blumen verkauft wurden; dabei stellten die Kunden ihre Fahrzeuge im Einmündungsbereich der beiden Feldwege oder auf dem parallel zur Bundesstraße verlaufenden Fuß- und Radweg ab. Es erscheint auch deshalb zumindest fraglich, ob die Verkaufstätigkeit sowie die Verkaufstände und Werbeanlagen des Antragstellers auf seinem etwa 100 m von der B 31 entfernten Grundstück in vergleichbarer Weise in einem Bezug zur Straße stehen.

Dabei kann dahinstehen, ob der Verkauf von Waren auf dem Grundstück Flst.Nr. 414/1 zu Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit auf der B 31 führen kann. Denn der Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO ist nur erfüllt, wenn solche Verkehrsbeeinträchtigungen durch das Anbieten von Waren und Leistungen aller Art "auf der Straße" verursacht werden können. Den somit geforderten engen räumlichen Zusammenhang des Anbietens von Waren und Leistungen mit der Straße hat das Bundesverwaltungsgericht mit seiner dargelegten Auslegung der Vorschrift nicht aufgelöst, sondern nur teleologisch erweitert auf das Anbieten von Waren und Leistungen neben der Straße, sofern dieses direkt auf die Straße wirkt. Bei einer Entfernung des Verkaufsorts von etwa 100 m zur Straße ist dieser enge räumliche Zusammenhang zumindest zweifelhaft, zumal wenn am Verkaufsort selbst (ausreichend) Kfz-Stellplätze vorhanden sind. Dem lässt sich nicht mit dem Verwaltungsgericht entgegen halten, in der Rechtsprechung sei eine 130 m von der Straße entfernte Werbeanlage noch als unzulässig angesehen worden. Denn in der hiermit angesprochenen Entscheidung (OVG NW, Beschl. v. 31.01.2000 - 8 B 58/00 - Juris) ging es um den Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StVO, der allein auf die Auswirkungen einer Werbeanlage auf den Straßenverkehr abstellt und gerade nicht gesondert einen räumlichen Bezug der Anlage zur Straße erfordert.

Sollte der Verbotstatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO nicht erfüllt sein, kann sich die Rechtmäßigkeit der Verfügung voraussichtlich nicht allein aus §§ 1, 3 PolG ergeben. Insoweit ist bereits zweifelhaft, ob der für den Gegenstand der Klage maßgebliche Widerspruchsbescheid (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) darauf gestützt ist. Im Übrigen wäre mangels eines Verstoßes gegen eine vor abstrakten Gefahren schützenden Vorschrift des Straßenverkehrsrechts für den Erlass der Verbotsverfügung erforderlich, dass eine konkrete (Unfall-)Gefahr im Sinne des allgemeinen Polizeirechts vorläge. Dies kann, auch wenn die konkreten Umstände für eine (deutliche) Erhöhung der allgemeinen Verkehrsgefahren sprechen, jedenfalls nicht ohne Weiteres angenommen werden.

Die weitere Frage, ob sich - worauf das Verwaltungsgericht nicht eingegangen ist - die von der Antragsgegnerin als Ortspolizeibehörde ausgesprochenen Verbote und Gebote ggf. auf einen Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 8a Abs. 1 Satz 1 und 2 FStrG stützen ließen (vgl. die angefochtene Verfügung, S. 4 unten, sowie den Widerspruchsbescheid, S. 5 unten), wonach eine erlaubnispflichtige Sondernutzung einer Bundesfernstraße auch dann vorliegt, wenn eine Zufahrt gegenüber dem bisherigen Zustand einem erheblich größeren Verkehr als bisher dienen soll, und ob dies auch dann gälte, wenn sich der Antragsteller auf den Verkauf von an dieser Stelle produzierten landwirtschaftlichen Erzeugnissen beschränkte, lässt sich im Rahmen dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ebenfalls nicht abschließend beantworten.

Erscheinen die Erfolgsaussichten der Klage somit hinsichtlich des Verbots, auf dem Grundstück Flst.Nr. 414/1 Waren zu verkaufen, und des Gebots, die dort aufgestellten Anlagen zu beseitigen, offen, kommt es für den Erfolg des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO entscheidend auf eine Abwägung des Aufschiebungsinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Vollziehungsinteresses andererseits an. In diesem Rahmen hält es der Senat (in Anlehnung an den im Aktenvermerk der Antragsgegnerin vom 27.07.2005 niedergelegten Kompromissvorschlag) für angemessen, die aufschiebende Wirkung der Klage so weit wiederherzustellen, dass es dem Antragsteller ermöglicht wird, auf dem Grundstück Flst.Nr. 414/1 landwirtschaftliche Erzeugnisse zu verkaufen, soweit sie dort produziert werden (nach Aktenlage handelt es sich dabei insbesondere um Erdbeeren). Dies schließt das Aufstellen von Verkaufsständen und Werbeanlagen auf dem Grundstück für diesen Zweck in einem angemessenen Umfang ein, wobei es sich nur um kleinere Werbeanlagen (z.B. Werbeständer) handeln kann, die auf den Verkehr auf der B 31 nicht einwirken können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts unter Änderung der Streitwertbestimmung des Verwaltungsgerichts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 63 Abs. 3 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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