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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: 5 S 1847/05
Rechtsgebiete: BBauG 1960, BauGB, badisches Ortsstraßengesetz 1908, Badische Landesbauordnung 1935, BauNVO


Vorschriften:

BBauG 1960 § 173 Abs. 3
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 30 Abs. 3
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 233 Abs. 3
badisches Ortsstraßengesetz 1908 § 9
Badische Landesbauordnung 1935 § 30 Abs. 2
BauNVO § 23 Abs. 2
1. Eine in einem nach dem alten badischen Straßenrecht (Ortsstraßengesetz von 1908) festgestellte Bau- und Straßenflucht entspricht einer Baulinie im Sinn von § 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO. Sie regelte nicht, in welcher Tiefe ein Grundstück bebaut werden durfte. Nur mit diesem Inhalt konnte sie bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 als eine bauplanerische Festsetzung übergeleitet werden.

2. Auch das alte badische Baurecht (Badische Landesbauordnung 1935) kennt - anders als das alte württembergische Recht (Senatsurt. v. 04.12.2003 - 5 S 1746/02 -) - keine der Überleitung fähige Regelung, welche die rückwärtige Bebaubarkeit von Grundstücken in Anknüpfung an eine nach Ortsstraßenrecht festgestellte Bau- und Straßenflucht bestimmte.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 1847/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Bauvorbescheids

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schnebelt und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik und Albers

am 15. Dezember 2005

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25. Juli 2005 - 3 K 1559/04 - wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag, die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn aus dem Antragsvorbringen ergibt sich nicht, dass die geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegen. Teilweise sind sie bereits nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Vorhaben der Klägerin - die Errichtung eines Wohnhauses "in zweiter Reihe" - hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, gemäß § 34 Abs. 1 BauGB beurteilt. Ein qualifizierter Bebauungsplan (§ 30 Abs. 1 BauGB), der die Anwendung von § 34 Abs. 1 BauGB überhaupt ausschließen würde (BVerwG, Urt. v. 12.01.1968 - IV 167.65 - BVerwGE 29, 49 = DVBl 1968, 515), liegt nicht vor. Ebenso wenig ist ein einfacher Bebauungsplan (§ 30 Abs. 3 BauGB) vorhanden, der abschließende Regelungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen enthält. Zwar gelten die Feststellungen der Bau- und Straßenfluchten im Ortsstraßenplan "Gewann Altfeld Grünwinkel" der Beklagten vom 02.11.1937 als Festsetzungen gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960, § 233 Abs. 3 BauGB fort. Das Verwaltungsgericht hat ihnen aber zutreffend die Bedeutung beigemessen, dass sie nur die Bebauung des Grundstücks in seinem vorderen, der jeweiligen Straße zugewandten, nicht aber im jeweiligen rückwärtigen Bereich regeln.

§ 9 des badischen Ortsstraßengesetzes v. 15.10.1908 regelte als "positive Wirkung" der Planfeststellung im Ortsstraßenplan, dass für Bauten auf dem an die geplante Ortsstraße angrenzenden Gelände die festgesetzte Straßenhöhe und Bauflucht maßgebend ist, das heißt, es musste war an die Bauflucht herangebaut werden. Als "negative Wirkung" der Planfeststellung war eine Bebauung auf dem in die künftige Straße fallenden Gelände untersagt (Flad, Das badische Ortsstraßengesetz, 1909, S. 213 ff.). Damit war bei entsprechender Festsetzung die Bebauung eines Grundstücks in die Tiefe zwar nicht ausgeschlossen, sie war aber auch nicht ausdrücklich gestattet. Ihre Zulässigkeit ergab sich vielmehr allein dann, wenn Beschränkungen nach anderen (Bau-)Vorschriften fehlten. Damit entspricht eine in einem nach dem badischen Ortsstraßengesetz von 1908 festgestellte Bau- und Straßenflucht einer Baulinie im Sinne von § 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO. Sie regelte nicht, in welcher Tiefe ein Grundstück bebaut werden durfte. Nur mit diesem Inhalt konnte sie bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 übergeleitet werden (vgl. auch, zum badischen Ortsstraßengesetz von 1896, VG Freiburg, Urt. v. 26.04.2005 - 4 K 1322/03 - und, zum badischen Ortsstraßengesetz von 1868, VG Freiburg, Urt. v. 26.04.2005 - 4 K 51/03 -; Walz, Das Badische Ortsstraßenrecht, 1900, S. 52 ff.). Die Klägerin überschätzt die rechtliche Bedeutung einer Bau- und Straßenflucht nach dem badischen Ortsstraßenrecht, wenn sie der Auffassung ist, mit jener sei die überbaubare Grundstücksfläche abschließend dahin geregelt worden, dass die hinter der Bau- und Straßenflucht gelegene Grundstücksfläche in vollem Umfang bebaubar gewesen sei, solange es an einer Beschränkung in einer örtlichen Bauordnung gemäß dem alten badischen Bauordnungsrecht gefehlt habe (vgl. etwa § 30 Abs. 2 Badische Landesbauordnung 1935).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 12.01.1968 - IV 167.65 - a.a.O.). Diese bezieht sich nicht auf die Feststellung von Baufluchten nach dem Straßenrecht, sondern auf die Festsetzung von Baugrenzen oder Baulinien nach einem im Jahr 1960 festgestellten städtebaulichen "Durchführungsplan", der gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 BBauG fortgalt. Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht zwar ausgeführt, dass ein qualifizierter Bebauungsplan die überbaubaren Grundstücksflächen nicht in ihrem exakten Ausmaß festsetzen müsse, sondern es ausreiche, dass er "Festsetzungen ... über die überbaubaren Grundstücksflächen" enthalte. Seien in einem Bebauungsplan die überbaubaren Flächen nicht nach allen vier Seiten durch Baugrenzen oder Baulinien bestimmt, sei dieser jedoch nur dann qualifiziert und schließe er nur dann die Anwendung von § 34 Abs. 1 BauGB aus, wenn die beschränkte Festsetzung vom Planungsträger als eine erschöpfende gewollt sei, wenn also mit anderen Worten der Planungsträger eine uneingeschränkte rückwärtige Bebauung habe zulassen wollen. Dies könne bei Bebauungsplänen, die unter der Geltung des Bundesbaugesetzes aufgestellt worden seien, in der Regel angenommen werden. Dies gelte aber nicht ohne Weiteres bei übergeleiteten Plänen, zumal dann, wenn sie zu einer Zeit erlassen worden seien, in der die von ihnen erfassten Vorhaben nach anderen Vorschriften weitergehenden planungsrechtlichen Anforderungen unterlegen hätten.

Nach diesen Grundsätzen kann die Festlegung von Bau- und Straßenfluchten in einem Ortsstraßenplan nach dem badischen Ortsstraßengesetz von 1908 nicht als erschöpfende Regelung der überbaubaren Grundstücksflächen beurteilt werden. Die Auffassung der Klägerin, ein unter der Geltung des badischen Ortsstraßengesetzes 1908 beschlossener Ortsstraßenplan lege abschließend die überbaubaren Grundstücksflächen fest, wenn diese nicht abweichend in einer örtlichen Bauordnung geregelt worden seien, trifft nicht zu. Denn die mit dem badischen Ortsstraßengesetz 1908 verfolgten Belange betreffen allein Straßen. Die Bebaubarkeit von Grundstücken wird darin nur geregelt, soweit sie die Substanz der Straße oder das Straßenbild betrifft. Über eine abschließende Regelung der Bebaubarkeit der anliegenden Grundstücke war nach den einschlägigen Bestimmungen des Baurechts zu entscheiden. So konnten etwa gemäß § 30 Abs. 2 der Badischen Landesbauordnung 1935 durch eine örtliche (nach dem badischen Polizeistrafrecht zu erlassende) Bauordnung rückwärtige Baugrenzen (hintere Baulinien) festgesetzt werden, über die hinaus die hinteren Teile der Grundstücke nicht bebaut werden durften. Sollte die letzte, bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 noch geltende Bauordnung der Beklagten aus dem Jahr 1958 insoweit keine Bestimmungen getroffen haben, stünde ein solches Unterlassen der Beklagten nicht einer positiven Regelung der überbaubaren Grundstücksfläche in der gesamten Tiefe gleich, die im Übrigen gemäß § 30 Abs. 2 der Badischen Landesbauordnung nicht vorgesehen (und wohl auch nicht notwendig) war. Anders als das alte württembergischen Baurecht regelte das alte badische Baurecht die rückwärtige Bebaubarkeit von Grundstücken auch nicht in Anknüpfung an nach Ortsstraßenrecht festgestellte Bau- und Straßenfluchten. Nur das württembergische Recht enthielt seit dem Inkrafttreten von Art. 1a Abs. 2 und 4 Württ. BauO in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 15.12.1933 (RegBl. S. 443) eine Bestimmung, dass ein Grundstück im rückwärtigen Bereich - mit einer Tiefe von 50 m hinter einer Baulinie - bebaut werden konnte (vgl. Senatsurt. v. 04.12.2003 - 5 S 1746/02 - Juris; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.02.1995 - 8 S 2183/94 - VBlBW 1995, 400; Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2447/97 - NuR 1999, 332 -; Urt. v. 23.01.1998 - 8 S 2430/97 - PBauE § 173 BBauG 1960 Nr. 1).

Nur am Rande bemerkt der Senat, dass die auf materielles Polizeirecht gestützten Bauordnungen der Beklagten, soweit sie gemäß § 173 Abs. 3 BBauG 1960 übergeleitet werden konnten, mit Ablauf der für Polizeiverordnungen geltenden 20-Jahresfrist ohnehin außer Kraft getreten sind (Senatsurt. v. 02.02.1994 - 5 S 2927/93 - Juris; Senatsbeschl. v. 22.03.2004 - 5 S 103/04 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.10.1993 - 8 S 3087/92 - VBlBW 1994, 280 und Beschl. v. 25.05.1994 - 3 S 1360/93 - Juris). Auch deshalb ließe sich aus einer dort fehlenden Beschränkung der Bebauungstiefe nichts (mehr) für einen (abgeleiteten) Inhalt der fortgeltenden Bau- und Straßenflucht herleiten.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen auch nicht deshalb, weil das Verwaltungsgericht zur Beurteilung des Einfügens nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, als nähere Umgebung nur das Straßengeviert betrachtet hat, in dem das Baugrundstück liegt, und nicht auch das östlich angrenzende Gebiet jenseits der Altfeldstraße bis zur Hopfenstraße. Die Klägerin macht geltend, das Baugrundstück werde auch noch durch die Bebauung in jenem Gebiet geprägt, befasst sich insoweit aber nicht näher mit den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts. Dieses ist unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs zutreffend davon ausgegangen, dass unter dem Blickwinkel der überbaubaren Grundstücksfläche der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebauung in der Regel enger zu begrenzen ist als etwa bei der Ermittlung der Gebietsart (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 23.09.1993 - 8 S 1281/93 - Juris; Senatsbeschl. v. 03.09.2003 - 5 S 1570/03 -) und dass regelmäßig das Straßengeviert, in dem das Baugrundstück liegt, die nähere Umgebung darstellt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.10.1980 - 8 S 659/80 - BRS 36 Nr. 135). Anders kann es zwar sein, wenn eine sogenannte Hinterlandbebauung in den Nachbargevierten gang und gäbe ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.1980 - 4 C 30.78 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 79 = BRS 36 Nr. 56; Beschl. v. 04.10.1995 - 4 B 68.95 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 176 = NVwZ-RR 1996, 375). Solche Umstände hat das Verwaltungsgericht aber nicht feststellen können. Sie ergeben sich insbesondere nicht bereits daraus, dass auf zwei jenseits der Altfeldstraße gelegenen Grundstücken eine rückwärtige Bebauung vorhanden ist.

In der so festgelegten näheren Umgebung hat das Verwaltungsgericht die tatsächlich überbauten Grundstücksflächen zutreffend ermittelt und bewertet. Dabei ist es zu Recht nicht auf die Bebauung der Grundstücke Flst.Nrn. 14182/4 und 14182/3 eingegangen. Denn diese Grundstücke sind zwar von der Altfeldstraße bzw. von der Hausackerstraße betrachtet im rückwärtigen Teil bebaut, liegen aber jeweils auch an der Hopfenstraße. Demzufolge handelt es sich insoweit nicht um eine städtebauliche Spannungen begründende, die Bebauung im Straßengeviert verdichtende "rückwärtige" Bebauung, wie sie die Klägerin anstrebt.

Aus den vorstehenden Gründen weist die Rechtssache weder hinsichtlich der "Beurteilung des Ortsstraßenplans als abschließende Regelung der überbaubaren Grundstücksfläche" noch hinsichtlich der Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Ferner ergibt sich aus dem Vorbringen der Klägerin nicht, dass die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) vorliegen. Aus diesem lässt sich bereits nicht ersehen, welche Verfahrensvorschrift das Verwaltungsgericht jeweils verletzt haben soll. Sinngemäß wendet sich die Klägerin überwiegend nur gegen die jeweilige rechtliche Beurteilung durch das Verwaltungsgericht. Soweit sie sinngemäß geltend macht, das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht verletzt (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), genügt das Vorbringen bereits nicht dem Darlegungserfordernis (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 19.08.1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133(nF) VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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