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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 09.12.2002
Aktenzeichen: 5 S 1985/02
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 31 Abs. 2
Eine an topografischen Gegebenheiten (hier: steile Böschung) ausgerichtete Festsetzung über die überbaubare Grundstücksfläche kann einen Grundzug der Planung i. S. des § 31 Abs. 2 BauGB darstellen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 1985/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Teilrücknahme einer Baugenehmigung

hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Lutz und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik und Albers

am 09. Dezember 2002

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 02. August 2002 - 12 K 1680/02 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren - insoweit unter Abänderung der Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht - und für das Beschwerdeverfahren auf jeweils 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige, insbesondere den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügende Beschwerde ist nicht begründet. Aus den nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgeblichen Darlegungen in der Beschwerdebegründung ergibt sich nicht, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin vom 17.05.2002 über die Rücknahme der dem Antragsteller erteilten Baugenehmigung vom 12.04.2001, soweit sie die Errichtung eines Freizeithauses auf dem Grundstück Flst.Nr. 52019 für die Bewohner einer im Stadtgebiet betriebenen Seniorenresidenz betrifft, wiederherzustellen wäre.

Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der die Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO steuernden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage entscheidungstragend angenommen, dass die in der Baugenehmigung vom 12.04.2001 ausgesprochene Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB für die "Bebauung außerhalb des Baubereichs" rechtswidrig sei, weil dadurch die Grundzüge der Planung berührt würden. Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers rechtfertigt keine andere Beurteilung dieser tatbestandlichen Voraussetzung der auf § 48 Abs. 1 LVwVfG gestützten Rücknahmeentscheidung.

Der Standort des geplanten Freizeithauses liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 393 "Hanggebiet Durlach zwischen Rittnert- und Reichardtstraße - Abschnitt Guggelensberg" der Antragsgegnerin vom 05.12.1972 und zwar vollständig außerhalb der für das ausgewiesene reine Wohngebiet in diesem (südlichen) Planbereich durch Baugrenzen festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche ("Baufenster"). Dabei geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon aus, dass das heutige Baugrundstück Flst.Nr. 52019 mit dem Standort des umstrittenen Vorhabens bei Erlass des Bebauungsplans Bestandteil des damaligen Grundstücks Flst.Nr. 52012 war, das auch noch den Bereich unterhalb der auf dem Grundstück verlaufenden, steilen Böschung erfasste, der Teil des erwähnten "Baufensters" war und ist (heutiges Grundstück Flst.Nr. 52012). Der Senat teilt nach Aktenlage ferner die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass mit der Festsetzung der überbaubaren Grundstücksfläche in diesem Bereich den durch die markante steile Böschung geprägten topografischen Gegebenheiten Rechnung getragen und eine Bebauungsmöglichkeit eben nur für den unterhalb der Böschung gelegenen Bereich eröffnet werden sollte. Insofern kann in dieser bewussten Beschränkung der Bebauungsmöglichkeit ein spezifisches planerisches Konzept für diesen (südlichen) durch markante topografische Gegebenheiten gekennzeichneten Bereich des Plangebiets gesehen werden. Dies stellt jedenfalls insoweit einen Grundzug der Planung dar (vgl. hierzu Ernst/Zinkahn/-Bielenberg, BauGB, RdNr. 36 zu § 31).

Aus der Einbeziehung des in Rede stehenden Grundstücksteils (Standort des Vorhabens) oberhalb der Böschung in den Geltungsbereich des Bebauungsplans kann der Antragsteller nicht folgern, dass sich aus der damit verbundenen Nichtanwendbarkeit der "strengen Regeln des § 35 BauGB", was die grundsätzliche Möglichkeit einer Bebauung angehe, gerade nicht die planerische Zielsetzung ergebe, hier eine Bebauung auszuschließen. Dass den Planunterlagen keine nähere Begründung für die Einbeziehung des umstrittenen Grundstücksteils in das Plangebiet zu entnehmen ist, vielmehr die Einbeziehung des gesamten Grundstücks Flst.Nr.52012 nach dem damaligen Zuschnitt wohl aus Praktikabilitätsgründen erfolgt ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Soweit der Antragsteller meint, die Antragsgegnerin habe damit "gerade die Möglichkeit einer Befreiung geschaffen und sich so Freiräume eröffnet", kann dies nicht als planerische Konzeption dahingehend verstanden werden, dass die Antragsgegnerin selbst nicht von einer grundsätzlichen Unbebaubarkeit des umstrittenen Grundstücksteils ausgegangen wäre. Maßgebend im vorliegenden Zusammenhang ist nicht die Einbeziehung des betreffenden Grundstücksteils in das Plangebiet als solche, sondern die bewusste, an den topografischen Gegebenheiten einer markanten steilen Böschung orientierte Beschränkung der Bebauungsmöglichkeiten auf den Grundstücksteil unterhalb der Böschung. Diese planerische Grundentscheidung für diesen (südlichen) Bereich des Plangebiets würde qualitativ und quantitativ verlassen oder jedenfalls berührt, wenn im Wege der Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB das geplante Freizeithaus mit einer Grundfläche von 10 m x 8 m vollständig außerhalb des dortigen "Baufensters" zugelassen würde. Die Lage des Freizeithauses am Rand des Plangebiets ist hierfür ebenso unerheblich wie der Hinweis des Antragstellers, dass insoweit keine "Wiederholungsgefahr" bestehe, weil die Situation auf dem Baugrundstück nicht verallgemeinerungsfähig sei. Bei einer Befreiung von der festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche, wie sie der Antragsteller beansprucht, handelte es sich nicht mehr um eine bloße "Randkorrektur" von minderem Gewicht, die sich aus Anlass der Verwirklichung des Bebauungsplans ergäbe und die im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu erteilen wäre, weil das Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans zwar widerspricht, sich mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen ließe (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 05.03.1999 - 4 B 5.99 - NVwZ 1999, 1110 = BRS 62, 999).

Mit Blick auf das Beschwerdevorbringen ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das ihr nach § 48 Abs. 1 LVwVfG eingeräumte Rücknahmeermessen fehlerhaft ausgeübt hätte. Dass die Baugenehmigung vom 12.04.2001 "das Ergebnis eines langen Abstimmungsprozesses mit der Antragsgegnerin" darstelle, mindert entgegen der Meinung des Antragstellers nicht das für die Rücknahmeentscheidung angeführte öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände. Ob die "Vorgeschichte" der Baugenehmigung vom 12.04.2001 rechtlich anderweitig von Bedeutung sein kann, ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich. Ferner dürfte nicht zu beanstanden sein, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Ermessensbetätigung auf das von den im Plangebiet gelegenen Nachbarn eingeleitete Widerspruchsverfahren gegen die Baugenehmigung vom 12.04.2001 verwiesen und damit (wohl) die nach § 50 LVwVfG erleichterten Rücknahmevoraussetzungen für sich beansprucht hat. Der Antragsteller wendet insoweit ein, dass die Nachbarwidersprüche auch mit Blick auf die zulässige Art der baulichen Nutzung (reines Wohngebiet) wegen Geringfügigkeit bzw. Nichtwahrnehmbarkeit der mit der Nutzung des Freizeithauses verbundenen Störungen als offensichtlich unbegründet beurteilt werden müssten mit der Folge, dass § 50 LVwVfG nicht zur Anwendung komme. Damit übersieht der Antragsteller jedoch, dass Gegenstand des Nachbarrechtsstreits allein die Baugenehmigung vom 12.04.2001 in der erteilten Form - d. h. ohne Befreiung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung - ist, dass diese Baugenehmigung auch insoweit rechtswidrig ist, weil ein Freizeithaus als Anlage für soziale Zwecke nach der hier maßgeblichen Baunutzungsverordnung 1968 in einem reinen Wohngebiet weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig war und ist (so der An-tragsteller selbst in seiner Stellungnahme vom 08.02.2001 zu den Nachbarwidersprüchen), und dass dadurch der - nicht von einer spürbaren Beeinträchtigung abhängige und damit über das Rücksichtnahmegebot hinausgehende -Anspruch auf Wahrung der Gebietsart (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 16.09.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151) verletzt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, die Streitwertfestsetzung auf §§ 25 Abs. 2 Satz 2, 14 Abs. 1, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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