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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.04.2006
Aktenzeichen: 5 S 2620/05
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3
Zur Rücksichtnahme im Verhältnis zwischen einer im Außenbereich privilegierten Windkraftanlage, deren Flügeldrehbewegungen optische Irritationen auslösen, und einem ca. 400 m entfernten, ebenfalls im Außenbereich gelegenen und genehmigten Wohngebäude und Bürogebäude.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 2620/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen erteilter Baugenehmigung (Windkraftanlage)

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 03. April 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Oktober 2005 - 1 K 653/04 - werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 15.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Zulassungsanträge haben keinen Erfolg.

1. Entgegen der Meinung der Kläger bestehen aus den von ihnen dargelegten und somit nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO allein maßgeblichen Gründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Darin hat das Verwaltungsgericht die Nachbarklagen der Kläger gegen die der Rechtsvorgängerin des Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 18.06.2003 zur Errichtung einer Windkraftanlage mit einer Nabenhöhe von 98,79 m und einem Rotordurchmesser von 70 m (Gesamthöhe also 133,79 m) auf dem Außenbereichsgrundstück Flst.Nr. 43/1 auf Gemarkung Langenschiltach der Beklagten abgewiesen, weil das genehmigte Vorhaben nicht zu Lasten des ca. 410 m in südlicher Richtung entfernt gelegenen Wohngrundstücks Flst.Nr. 39 der Kläger rücksichtslos sei; dies gelte angesichts der Entfernung auch hinsichtlich der (optisch) irritierenden Wirkung durch den Anblick der ständigen Drehbewegungen der Rotoren der Windkraftanlage; die Wohnnutzung der Kläger im Außenbereich sei damit vorbelastet, dass der Anblick einer dort privilegiert zulässigen Anlage hinzutreten könne, dem im Falle einer Windkraftanlage eine ständige Drehbewegung wesensimmanent sei; das nachbarliche Rücksichtnahmegebot sei von Wechselseitigkeit geprägt; ihre eigene Pflicht zur Rücksichtnahme ließen die Kläger aber außer Acht, wenn sie sich durch eine vollständige Verglasung der Nordseite ihres Hauses bis unter den Giebel gerade eine besonders umfangreiche und vollständige Draufsicht auf die Windkraftanlage überhaupt erst eröffneten und daran die Erwartung knüpften, ein vor dieser Fassade gelegener Sichtbereich von bis zu 800 m oder gar 1000 m müsse von allen anderen Bauwerken einschließlich privilegiert zulässiger vollständig freigehalten werden; ihnen sei insoweit auch zumutbar, das Mobiliar in ihrem Architekturbüro (Zeichentische, Computer usw.) so räumlich von der Glasfassade abgewandt oder wegorientiert anzuordnen, dass Irritationen weitgehend vermieden würden; die Schutzwürdigkeit der Kläger halte sich auch deshalb in Grenzen, weil eine Wohnnutzung im Außenbereich im Grundsatz - außer für Landwirte - planungsrechtlich überhaupt nicht zulässig sei, was erst recht für eine gewerbliche Nutzung mit einem Architekturbüro gelte. Die Richtigkeit dieser Entscheidung ziehen die Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Zweifel.

Ob eine Verletzung des - vorliegend allein Nachbarschutz vermittelnden - Rücksichtnahmegebots vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Das angesichts der Größe der umstrittenen Windkraftanlage mit einer überstrichenen Bewegungsfläche von 3.849 qm verbundene Ausmaß der optischen Irritationen für die Kläger soll und kann angesichts der (wohl) uneingeschränkten Einsehbarkeit der Windkraftanlage auf einer ebenen, als Acker- und Wiesengelände genutzten Hochfläche zwar nicht in Abrede gestellt werden, auch wenn das (Wohn-)Gebäude der Kläger ca. 410 m entfernt ist. Im Rahmen des Rücksichtnahmegebots fällt jedoch maßgebend zu Lasten der Kläger ins Gewicht, dass ihr (Wohn-)Gebäude im Außenbereich liegt, der grundsätzlich - wie die Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB zeigen - für das "normale" Wohnen (und büromäßige Arbeiten) nicht offen steht. Dies mindert die Schutzwürdigkeit der Kläger, auch wenn sie ihr (Wohn-)-Gebäude mit Genehmigung errichtet haben. Der dadurch vermittelte Bestandsschutz, den die Kläger betonen, bedeutet nicht, dass sie mit Blick auf mittelbare Betroffenheiten durch andere bauliche Anlagen bzw. Nutzungen die gleichen Abwehransprüche hätten, wie wenn ihr Grundstück in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen allgemeinen oder reinen Wohngebiet läge (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 03.09.1999 - 10 B 1283/99 - NVwZ 1999, 1360). Andererseits fällt im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zugunsten des Beigeladenen (Bauherrn) ins Gewicht, dass er sich für das umstrittene Vorhaben auf den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB berufen kann, wobei planerisch unterstützend hinzu kommt, dass der Standort des Vorhabens in dem seit 20.10.1999 wirksamen Flächennutzungsplan der Beklagten als "Sondergebiet Windenergienutzung" ausgewiesen ist. Auf diese bauleitplanerische Entscheidung und das zugrunde liegende Verfahren mit der Möglichkeit der Bürgerbeteiligung nach § 3 Abs. 2 BauGB a.F. hat auch die Beklagte in ihrem Schreiben vom 18.06.2003 über die Zurückweisung der Einwendungen der Kläger (und anderer) hingewiesen. Als im Außenbereich nicht privilegiert Wohnende (und Arbeitende) müssen die Kläger mit den (optisch) irritierenden Wirkungen einer privilegierten Windkraftanlage rechnen und diese angesichts einer Entfernung von ca. 410 m trotz der Größe der vom Rotor überstrichenen Bewegungsfläche hinnehmen. Die Kläger können nicht mit Erfolg einwenden, dass die ihnen vom Verwaltungsgericht angesonnenen "Selbstschutzmöglichkeiten" (insbesondere anderweitige Anordnung des Mobiliars im Architekturbüro) unverhältnismäßig seien. Zu "architektonischer Selbsthilfe" sind die Kläger nicht verpflichtet, sie ist ihnen - im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen - nur zumutbar. Dass ihr (Wohn-)Gebäude genehmigt und damit in seinem Bestand geschützt ist, gewährt ihnen nur einen Schutzanspruch vor Eingriffen in Form einer hoheitlichen Abbruchsanordnung oder Nutzungsuntersagung, aber keinen Anspruch auf Unterlassung des im Außenbereich privilegiert zulässigen Vorhabens des Beigeladenen. Die Errichtung der durchgängigen Glasfront an der Nordseite des (Wohn-)Gebäudes, die einen besonders breiten/weiten Blick in die bisher nicht verbaute Landschaft eröffnet, ist dem Risikobereich der Kläger zuzurechnen und insoweit nur als eine Chance zu qualifizieren, zu deren Beibehaltung sie nicht verlangen können, dass das umstrittene Vorhaben unterbleibt, obwohl es im Außenbereich privilegiert zulässig und durch den Flächennutzungsplan der Beklagten dem dortigen Bereich auch positiv zugewiesen ist. Vielmehr ist es ihnen zuzumuten, sich auf die veränderte Wohn- bzw. Arbeitssituation einzustellen (vgl auch Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 04.04.2005 - 1 LA 76/04 - NVwZ-RR 2005, 521).

2. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung zur Einhaltung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots im Verhältnis einer im Außenbereich privilegierten Windkraftanlage gegenüber einer dort nicht privilegierten Wohnnutzung, die - im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung - keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 159 Satz 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG (vgl. die Streitwertfestsetzung durch das Verwaltungsgericht).

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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