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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 13.07.2001
Aktenzeichen: 5 S 2711/99
Rechtsgebiete: VwGO, 6. VwGOÄndG


Vorschriften:

VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 60 Abs. 1
6. VwGOÄndG Art. 10 Abs. 4
1. Zur Frage, ob die Zwei-Jahres-Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Fassung des 6. VwGOÄndG einschließlich des Fristbeginns für bereits bekannt gemachte Rechtsvorschriften nach Art. 10 Abs. 4 des 6. VwGOÄndG eine gesetzliche Frist im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO ist oder eine Ausschlussfrist, die einer Wiedereinsetzung nicht zugänglich ist (hier offen gelassen).

2. Mangelnde Rechtskenntnis entschuldigt die Versäumung dieser eindeutig geregelten Frist nicht.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 2711/99

In der Normenkontrollsache

wegen Gültigkeit des Bebauungsplanes "Innenstadt - Ausschluss von Vergnügungsstätten" (Planbereich 01.01./5)

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Lutz und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik, Harms, Schenk und Rieger

am 13. Juli 2001

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan "Innenstadt-Ausschluss von Vergnügungsstätten", in dessen Geltungsbereich er ein Grundstück mit Schank- und Speisewirtschaft sowie Tanzlokal besitzt.

Der Bebauungsplan wurde vom Gemeinderat der Antragsgegnerin am 04.10.1994 als Satzung beschlossen. Das Regierungspräsidium Stuttgart erklärte unter dem 14.02.1995, dass es keine Verletzung von Rechtsvorschriften geltend mache. Der Bebauungsplan trat mit der Bekanntmachung des Anzeigeverfahrens am 23.02.1995 in Kraft.

Am 18.11.1999 hat der Antragsteller das Normenkontrollverfahren eingeleitet mit dem Antrag, den Bebauungsplan "Innenstadt - Ausschluss von Vergnügungsstätten" der Stadt Herrenberg vom 04.10.1994 für nichtig zu erklären.

Er macht geltend, durch die Festsetzung eines Mischgebiets und die Einschränkungen von zulässigen Vergnügungsstätten in einem kerngebietstypischen Gebiet werde sein Eigentum beeinträchtigt. Zwar sei die ab 01.01.1997 geltende Antragsfrist des § 47 Abs. 2 VwGO von zwei Jahren abgelaufen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne aber auch in diese gesetzliche Frist gewährt werden. Solange er nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, müsse die fehlende Kenntnis von der Zwei-Jahres-Frist als unverschuldet angesehen werden. Das Hindernis sei weggefallen im Sinne des § 60 Abs. 2 VwGO mit der Beauftragung seines Prozessbevollmächtigten am 05.11.1999.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Sie trägt vor, eine Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sei nicht möglich, weil es sich um eine Ausschlussfrist handle. Abgesehen davon rechtfertige mangelnde Rechtskenntnis keine Wiedereinsetzung.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags und des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die dem Senat vorliegenden einschlägigen Behördenakten verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung über die Frage der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags einverstanden erklärt.

II.

Der Senat entscheidet gem. § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch Beschluss, da sich die Beteiligten mit einer Entscheidung über die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags ohne mündliche Verhandlung - im Falle einer Bejahung der Zulässigkeit entsprechend § 109 VwGO - einverstanden erklärt haben, die einschlägigen Zulässigkeitsfragen schriftsätzlich eingehend erörtert worden sind und der Senat deshalb eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Danach steht Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, der auf das Verfahrensermessen nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO einwirkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.12.1999 - 4 CN 9.98 - BVerwGE 110, 203 = NVwZ 2000, 810), dieser Verfahrensweise nicht entgegen.

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig, da er nicht innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden ist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO wegen Versäumung dieser Frist kann dem Antragsteller nicht gewährt werden.

Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der seit dem 01.01.1997 geltenden Fassung kann ein Normenkontrollantrag nur innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift gestellt werden. Für Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 VwGO, die vor dem 01.01.1997 bekannt gemacht worden sind, begann diese Zwei-Jahres-Frist nach Art. 10 Abs. 4 des 6. VwGOÄndG mit Inkrafttreten dieses Gesetzes am 01.01.1997 zu laufen. Ein Hinweis auf diese Frist ist im Gesetz im Gegensatz zu den Fristen nach § 44 Abs. 4, § 215 Abs. 2 BauGB und § 4 Abs. 4 GemO nicht vorgeschrieben und daher auch nicht erforderlich (BVerwG, Beschluss vom 28.12.2000 - 4 BN 32.00 - ZfBR 2001, 350). Die Frist endete im vorliegenden Fall somit am 31.12.1998. Der erst am 18.11.1999 gestellte Normenkontrollantrag des Antragstellers ist daher verspätet.

Ob die Zwei-Jahres-Frist als gesetzliche Frist im Sinne des § 60 VwGO anzusehen ist (so Dürr in Brügelmann, BauGB, § 10 Rn 583 und Jäde in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB § 30 Rn 84) oder als - der Wiederseinsetzung nicht zugängliche - Ausschlussfrist (so Bader in Bader/Funke-Kaiser/Kunze/ von Albedyll, VwGO, § 47 Rn 84; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 47 Rn 83; J. Schmidt in Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 47 Rn 74; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 47 Rn 26 und Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 47 Rn 36), lässt der Senat offen (ebenso VGH Bad.-Württ., Normenkontrollbeschluss vom 06.08.1999 - 8 S 1715/99 -, VBlBW 2000, 110). Denn bei einer Anwendbarkeit des § 60 VwGO scheitert die Gewährung von Wiedereinsetzung jedenfalls daran, dass der Antragsteller nicht ohne Verschulden verhindert war, die Zwei-Jahres-Frist einzuhalten. Verschuldet ist eine Fristversäumung dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.02.1976 - 4 C 74.74 - BVerwGE 50, 248 und vom 08.03.1983 - 1 C 34.80 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 129). Das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 16.09.1991 - 5 B 90.91 -Buchholz 435.12 § 27 SGB X Nr. 1 m.w.N.) hat zur Wiederseinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO wiederholt entschieden, dass mangelnde Rechtskenntnis eine Fristversäumung in der Regel nicht entschuldigt, dass jedoch auf Grund der besonderen Umstände des jeweiliges Falles ausnahmsweise auch eine andere Beurteilung angezeigt sein kann. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen bei unklarer Rechtslage, wie nach Inkrafttreten des Wehrpflichtänderungsgesetzes 1977 (BVerwG, Urteil vom 13.06.1979 - 6 C 111.78 -Buchholz 310 § 60 Nr. 108) und bei der im Rechtsmittelbeschränkungsgesetz nicht eindeutig bestimmten, erst im Wege richterlicher Rechtslückenschließung geklärten Rechtsmittelbeschränkung (BVerwG, Beschluss vom 22.06.1999 - 4 BN 20.99 - BVerwGE 109, 148 = DVBl. 1999, 1516). Solche besonderen Umstände lagen im vorliegenden Fall indessen nicht vor. Die Rechtslage war nicht unklar, sondern die Rechtsmittelbeschränkung und der Fristbeginn für bereits bekannt gemachte Rechtsvorschriften waren eindeutig geregelt und gaben keinen vertretbaren Grund für eine unterschiedliche Auslegung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Beschluss

Der Streitwert des Verfahrens wird nach § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG auf DM 20.000,-- festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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