Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 26.04.2002
Aktenzeichen: 5 S 629/02
Rechtsgebiete: LBO


Vorschriften:

LBO § 6 Abs. 1 Satz 2
LBO § 6 Abs. 1 Satz 4
LBO § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
LBO § 37 Abs. 7 Satz 2
LBO § 55 Abs. 2 Satz 2
1. Im Rahmen der Zulassung einer grenznahen Garagenanlage nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO, die die Privilegierungsmaße des § 6 Abs. 1 Satz 2 und 4 LBO überschreitet, gehört zu den nachbarlichen Belangen nicht auch das Interesse des Nachbarn, vor unzumutbaren Lärmimmissionen im Zusammenhang mit der Stellplatznutzung verschont zu bleiben. Insoweit ist allein § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO einschlägig.

2. Erhebt ein Nachbar gegen ein Stellplatzvorhaben nur Einwendungen wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsfläche, so ist er in einem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren mit Einwendungen wegen unzumutbarer Lärmimmissionen gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO ausgeschlossen.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 629/02

In der Verwaltungsrechtssache

wegen erteilter Baugenehmigung

hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Lutz und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schefzik und Schenk

am 26. April 2002

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2002 - 3 K 4685/01 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die gemäß §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen erteilte, kraft Gesetzes sofort vollziehbare Baugenehmigung des Landratsamts Böblingen vom 16.10.2001 anzuordnen. Die nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen fällt zu Lasten des Antragstellers aus, da sein Widerspruch voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist nämlich nicht ersichtlich, dass die angefochtene Baugenehmigung, soweit sie der Beigeladenen auf dem Baugrundstück Flst.Nr. 4976/3 in Weil im Schönbuch die Errichtung von fünf Garagen und vier Carports an der westlichen Grenze zum Grundstück Flst.Nr. 4947 des Antragstellers gestattet - nur hierauf erstreckt sich (noch) der Widerspruch des Antragstellers -, gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz des benachbarten Antragstellers zu dienen bestimmt sind.

Dabei geht der Senat zu Gunsten des Antragstellers davon aus, dass er mit seinen Einwendungen gegen die Garagen- und Carportanlage nicht schon auf Grund einer anzunehmenden Bestandskraft des der Beigeladenen erteilten Bauvorbescheids vom 29.03.2001 ausgeschlossen ist und dass auch das Einwendungsschreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 29.08.2001 im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens noch am selben Tag und damit innerhalb der Zweiwochenfrist des § 55 Abs. 2 Satz 1 LBO eingegangen ist.

Gleichwohl kann der Antragsteller wegen der materiellen Präklusionswirkung des § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO in einem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren nur mit den Einwendungen gehört werden, die er im Einwendungsschreiben vom 29.08.2001 erhoben hat. Darin hat der Antragsteller gegen die "Anordnung der Garagen" nur vorgebracht, dass entgegen der Annahme im Bauvorbescheid vom 29.03.2001 § 6 Abs. 5 LBO nicht einschlägig sei, sondern sich die Zulässigkeit der Grenzbebauung ausschließlich nach § 6 Abs. 1 LBO beurteile, dass aber die danach "äußerstenfalls zulässige Bebauung entlang der Grenze zum Grundstück des Einwenders (9 m gegenüber einer einzelnen Nachbargrenze, 15 m insgesamt) bereits bei weitem überschritten" sei. Damit hat der Antragsteller allenfalls die von den Abstandsflächenvorschriften erfassten nachbarlichen Belange als Einwendungen "thematisiert", wiewohl er konkret nicht dargetan hat, in welchem nachbarlichen Belang (Belichtung, Belüftung, Brandschutz) er sich durch die grenznahe Garagen- und Carportanlage beeinträchtigt fühlt. Selbst wenn man zu Gunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass er mit dem Einwendungsschreiben vom 29.08.2001 die von den Abstandsflächenvorschriften erfassten nachbarlichen Belange "thematisiert" hat, dürfte insoweit eine Rechtsverletzung des Antragstellers nicht vorliegen. Zwar hält allein schon die Garagenanlage mit einer Länge von insgesamt 16 m entlang der Grenze zum Grundstück des Antragstellers nicht die (Privilegierungs-)Maße des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Satz 4 LBO ein. Das Landratsamt Böblingen ist aber in der angefochtenen Baugenehmigung vom 16.10.2001 bei der Zurückweisung der Einwendungen des Antragstellers zu Recht davon ausgegangen, dass zu Gunsten der Beigeladenen die Regelung des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO zum Zuge kommen dürfte. Danach sind geringere Tiefen der Abstandsflächen zuzulassen, wenn Beleuchtung mit Tageslicht sowie Belüftung in ausreichendem Maße gewährleistet bleiben, Gründe des Brandschutzes nicht entgegenstehen und, soweit die Tiefe der Abstandsflächen die Maße des § 5 Abs. 7 Satz 3 LBO unterschreitet, nachbarliche Belange nicht erheblich beeinträchtigt werden. Die Anwendbarkeit dieser Regelung scheitert nicht schon daran, dass die Garagen- und Carportanlage unmittelbar an der Grenze zum Grundstück des Antragstellers hin errichtet werden soll, die Abstandsfläche also auf Null reduziert ist. Bei der Prüfung der Frage, ob nachbarliche Belange des Antragstellers erheblich beeinträchtigt werden, ist von der normativen Wertung auszugehen, dass eine den nach § 5 Abs. 7 Satz 3 LBO nachbarschützenden Teil - hier sogar gänzlich - unterschreitende Tiefe der Abstandsfläche regelmäßig zu einer erheblichen und damit nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung des betreffenden Nachbarn führt. Nach der Rechtsprechung aller Baurechtssenate des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg ist eine hiervon abweichende Beurteilung nur gerechtfertigt, wenn die vorhandene Situation in Bezug auf das Nachbargrundstück durch Besonderheiten gekennzeichnet ist, die das Interesse des Nachbarn an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der Abstandsflächentiefe deutlich mindern oder weniger schutzwürdig erscheinen lassen (vgl. Senatsbeschl. v. 25.01.2000 - 5 S 2996/99 - m.w.N., VBlBW 2000, 286 = BauR 2000, 1732). Das dürfte hier der Fall sein.

Dass in Bezug auf Belichtung, Belüftung und Brandschutz die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO gegeben sind, hat das Landratsamt Böblingen in der angefochtenen Baugenehmigung ausführlich dargelegt. Mit dem Verweis hierauf hat sich das Verwaltungsgericht die behördlichen Ausführungen zu eigen gemacht. Insoweit erhebt der Antragsteller mit der Beschwerde keine substantiierten Bedenken; sein bloßer Hinweis darauf, dass die Carports in Holzbauweise errichtet werden dürften, genügt insoweit nicht. Gleiches gilt für die Behauptung, dass in der Grenzwand des Erdgeschosses Fenster genehmigt worden seien. Zum einen sind mit der Baugenehmigung vom 23.10.1958/08.11.1960 nur brandschutzsichere "Glasbaustein"-Fenster zugelassen worden. Zum anderen hat der Antragsteller diese "Öffnungen" selbst zugemauert. Auch für den Senat ist somit nach Aktenlage nicht erkennbar, dass im Hinblick auf Belichtung, Belüftung und Brandschutz die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO nicht erfüllt wären.

Für das Nachbargrundstück des Antragstellers dürfte auch die erforderliche Sondersituation vorliegen, die das Interesse des Antragstellers an der Einhaltung des nachbarschützenden Teils der erforderlichen Abstandsflächentiefe deutlich mindert oder als weniger schutzwürdig erscheinen lässt. Diese Sondersituation besteht nach Aktenlage darin, dass der gewerblich genutzte Teil (Flaschnerei) im Erdgeschoss des Anwesens des Antragstellers auf einer Länge von ca. 32 m selbst unmittelbar an der Grenze zum Baugrundstück hin errichtet ist. Hinter diesem Grenzbau bleibt die Carport- und Garagenanlage sowohl in ihrer Länge wie auch in ihrer Höhenentwicklung deutlich zurück. In Bezug auf die durch die Abstandsflächenvorschriften geschützten nachbarlichen Belange tritt also durch die genehmigte Garagen- und Carportanlage keine nachteilige Veränderung auf dem Nachbargrundstück des Antragstellers ein. Insoweit ist für die Frage, ob wegen der besonderen Gegebenheiten auf dem Nachbargrundstück die Unterschreitung des nachbarschützenden Teils der erforderlichen Abstandsflächen ausnahmsweise nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung nachbarlicher Belange führt, auf die konkreten örtlichen und baulichen Verhältnisse abzustellen (vgl. Senatsbeschl. v. 25.01.2000 - 5 S 2996/99 - a.a.O.).

Im vorliegenden Zusammenhang kann der Antragsteller nicht geltend machen, dass es infolge des mit der Garagen- und Carportanlage verbundenen An- und Abfahrtsverkehrs zu erheblichen Lärmbelästigungen für ihn kommen werde, da seine Dachterrasse im ersten Obergeschoss wie auch andere Teile seiner Wohnung im ersten und zweiten Obergeschoss seines Anwesens zum Baugrundstück hin ausgerichtet seien. Allerdings hat der Senat im Beschluss vom 14.12.1989 - 5 S 2897/89 - (NVwZ-RR 1990, 295) die Auffassung vertreten, dass im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Erteilung einer Ausnahme nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 LBO a.F. grundsätzlich alle in Betracht kommenden nachbarlichen Belange (z.B. auch der Lärmschutz) zu berücksichtigen seien. Abgesehen von den strukturellen Unterschieden zwischen der "Vorgängerregelung" des § 7 Abs. 3 Nr. 2 LBO a.F. und der nunmehr geltenden Vorschrift des § 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 LBO ist es in jenem Verfahren nicht um die Frage der Nachbarrechtswidrigkeit einer Stellplatznutzung gegangen. Insoweit bestimmt § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO, dass die Nutzung der Stellplätze und Garagen u.a. das Wohnen durch Lärm, Abgase oder Gerüche nicht erheblich stören darf. Jedenfalls für die Zulässigkeit von Stellplätzen und Garagen unter dem Aspekt der von ihrer Nutzung ausgehenden (Lärm-)Immissionen - das steht hier primär in Streit - stellt also § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO die maßgebliche Regelung dar. Ob die Nutzung von Stellplätzen und Garagen auf Grund der örtlichen Gegebenheiten das Wohnen durch Lärm, Abgase oder Gerüche erheblich stört, ist allein im Rahmen des § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO zu prüfen. Danach kann dahinstehen, ob die Wahrung des nachbarlichen Wohnfriedens als "Aufhänger" für Lärmschutzbelange überhaupt zum Schutzprogramm der Abstandsflächenvorschriften gehört (verneinend VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 10.09.1998 - 8 S 2137/98 - VBlBW 1999, 26; zweifelnd auch Senatsbeschl. v. 25.01.2000 - 5 S 2996/99 - a.a.O.).

Ob die nachbarschützende Vorschrift des § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO zu Lasten des Antragstellers verletzt ist, bedarf keiner genaueren Prüfung. Denn insoweit ist der Antragsteller gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO präkludiert. In seinem Einwendungsschreiben vom 29.08.2001 hat der Antragsteller nämlich eine immissionsmäßige Betroffenheit durch die grenznahe Garagen- und Carportanlage nicht, auch nicht im Sinne einer "Thematisierung", angesprochen, sondern nur eine Überschreitung der Privilegierungsmaße des § 6 Abs. 1 Satz 2 und 4 LBO gerügt. Im Übrigen dürfte auch in der Sache ein Verstoß gegen § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO zu verneinen sein. Denn bei den insgesamt neun grenznahen Stellplätzen handelt es sich um im Sinne des § 37 Abs. 1 Satz 1 LBO notwendige Stellplätze für die auf dem Baugrundstück zugelassene Wohnbebauung. Zwar tritt damit eine gewisse Massierung an der Grenze zum Grundstück des Antragstellers hin ein. Die Zu- und Abfahrt zu den privat genutzten Stellplätzen dürfte jedoch zügig möglich sein. Auch sonst sind keine örtlichen Gegebenheiten erkennbar, die eine erhebliche Störung im Sinne des § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO erwarten ließen.

Auch unter bauplanungsrechtlichen Aspekten dürfte der Widerspruch des Antragstellers erfolglos bleiben. Einschlägig ist nach Aktenlage § 34 Abs. 1 BauGB, der Nachbarschutz zu Gunsten des Antragstellers nur über das im Tatbestandsmerkmal des Sich-Einfügens enthaltene Rücksichtnahmegebot vermittelt. Dessen Verletzung hat der Antragsteller im Einwendungsschreiben vom 29.08.2001 aber nur insoweit gerügt, als infolge der genehmigten Wohnanlagen auf dem Baugrundstück ein Nutzungskonflikt mit der vorhandenen gewerblichen Betätigung auf seinem Nachbargrundstück zu befürchten sei, so dass er mit immissionsschutzrechtlichen Maßnahmen seitens der Behörde rechnen müsse. Eine Rücksichtslosigkeit der grenznahen Carport- und Garagenanlage gegenüber der Wohnnutzung auf seinem Anwesen - dies ist eine qualitativ ganz andere Stoßrichtung - hat der Antragsteller nicht geltend gemacht, so dass er auch insoweit gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO präkludiert ist. Im Übrigen dürfte auch in der Sache ein Verstoß gegen das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot aus den gleichen Erwägungen wie im Rahmen des § 37 Abs. 7 Satz 2 LBO zu verneinen sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

Zurück