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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.05.2007
Aktenzeichen: 5 S 810/07
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, PolG, StrG, LVwVfG


Vorschriften:

VwGO § 98
ZPO § 485 Abs. 1
ZPO § 485 Abs. 2 Satz 1
PolG § 1
PolG § 3
StrG § 16 Abs. 8
LVwVfG § 24 Abs. 1 Satz 1
LVwVfG § 26 Abs. 1 Satz 1
Für den Antrag einer Behörde, während eines laufenden Verwaltungsverfahrens ein selbständiges Beweisverfahren anzuordnen, fehlt es an einem rechtlich geschützten Interesse, weil sie die unter Beweis gestellten Tatsachen im Wege der Amtsaufklärung selbst erheben kann und muss.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

5 S 810/07

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Beweisverfahren nach § 98 VwGO, §§ 485 ff. ZPO

hat der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 3. Mai 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. März 2007 - 8 K 1067/07 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, eine Gemeinde, hat dem Antragsgegner gestützt auf §§ 1, 3 PolG i.V.m. § 16 Abs. 8 StrG unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 750,-- EUR mit Verfügung vom 22.12.2006 aufgegeben, die von ihm vorgenommene Auffüllung eines Fußwegs in Hanglage zu entfernen und den ursprünglichen Zustand spätestens bis zum 08.01.2007 wiederherzustellen. In der Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung hat sie ausgeführt, dass das unerlaubte und unsachgemäße Auffüllen des Wegs insbesondere die Sicherheit der unterhalb liegenden Grundstücke beeinträchtige; es müsse vor Wintereinbruch Abhilfe geschaffen werden, weil bei Regen- und Schneefällen die Gefahr zunehme, dass Erde abrutsche und Gesteinsbrocken herabstürzten. Außerdem könnten durch eine Duldung des rechtswidrigen Verhaltens des Antragsgegners Dritte zur Nachahmung veranlasst werden. Nach einem Ortstermin am 10.01.2007 hat die Antragstellerin mit Verfügung vom 09.01.2007 ein Zwangsgeld in Höhe von 750,-- EUR festgesetzt und die Ersatzvornahme angedroht; die Kosten der Ersatzvornahme hat sie mit geschätzt 4.000,-- EUR angegeben. Der Antragsgegner hat gegen diese Verfügungen Widerspruch erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt; über diese Rechtsbehelfe ist noch nicht entschieden. Im Widerspruchsverfahren hat der Antragsgegner angeregt, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Weg in seinem jetzigen Zustand verbleiben könne. Daraufhin hat der Antragsteller am 07.03.2007 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe beantragt, die schriftliche Begutachtung eines Sachverständigen zum Beweis der Tatsachen anzuordnen, dass die Auffüllung und Anschüttung des Wegs aus Erde, Geröll, Holzlatten, Maschendrahtzaun und Zaunpfosten besteht, dass sie nicht nach anerkannten Regeln der Technik und bestehenden Sicherheitsvorschriften ausgebracht worden ist, dass die vorgenommenen Sicherheitsmaßnahmen mit Holzlatten, Maschendrahtzaun und Zaunpfosten unzureichend sind, dass das angeschüttete und aufgefüllte Material jederzeit abzurutschen droht und dass Teile davon bereits abgerutscht sind. Ferner soll der Sachverständige Art, Ausmaß und Ursache der gerügten Mängel feststellen, die Maßnahmen zu ihrer Beseitigung bezeichnen und die hierfür erforderlichen Kosten angeben.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt, weil die Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts einer entsprechenden Anwendung der einschlägigen Vorschriften der Zivilprozessordnung entgegenstünden; die Antragstellerin habe kein rechtlich schutzwürdiges Interesse an der Begutachtung durch einen Sachverständigen in einem selbständigen Beweisverfahren. Im Verwaltungsverfahren und im Widerspruchsverfahren obliege es ihr selbst, die bezeichneten Tatsachen festzustellen. Im Verwaltungsverfahren getroffene Feststellungen seien im Verwaltungsprozess voll verwertbar. Wenn in solchen Fällen auf Antrag der Behörde ein selbständiges Beweisverfahren zulässig wäre, würden die Kosten der Sachverhaltsermittlung auf den Bürger abgewälzt. Das sei im Regelfall unzulässig.

Die Antragstellerin führt zur Begründung ihrer Beschwerde aus, es gehe ihr allein darum, dass die im Wege der Amtsermittlung bereits vollständig festgestellten Tatsachen "gerichtsfest dokumentiert" würden. Schließlich stehe die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich; diese Wirkung gelte nicht für Tatsachen, die nur im Rahmen der Amts- ermittlung von der Behörde selbst erhoben worden seien.

II.

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, auf den Antrag der Antragstellerin ein selbständiges Beweisverfahren anzuordnen.

Gemäß § 98 VwGO sind, soweit die Verwaltungsgerichtsordnung nicht abweichende Vorschriften enthält, auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 ZPO entsprechend anzuwenden. Hieraus folgt, dass auch in Verfahren, für die der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO) eröffnet ist, die Vorschriften über das selbständige Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO grundsätzlich entsprechend gelten; denn abweichende Vorschriften enthält die Verwaltungsgerichtsordnung insoweit nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.02.2004 - 8 S 2185/03 - VBlBW 2004, 228 m.w.N.; Beschl. v. 03.07.1995 - 8 S 1407/95 - NVwZ-RR 1996, 125).

Gemäß § 485 Abs. 1 ZPO kann auf Antrag einer Partei u.a. die (schriftliche oder mündliche) Begutachtung durch einen Sachverständigen angeordnet werden, wenn der Gegner zustimmt oder zu besorgen ist, dass das Beweismittel verlorengeht oder seine Benutzung erschwert ist. Wird die Anordnung einer schriftlichen Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragt, ist dies gemäß § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch zulässig in Fällen, in denen zwar kein Beweisverlust im Sinne von § 485 Abs. 1 ZPO droht, der Antragsteller aber dennoch ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Person oder der Zustand oder Wert einer Sache, die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels oder der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird (vgl. Leipold, in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., vor § 485 Rdnr. 1 ff., § 485 Rdnr. 9 ff., 13 ff.). Gemäß § 481 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist ein solches rechtliches Interesse anzunehmen, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

Der Senat kann offenlassen, ob eine entsprechende Anwendung von § 485 Abs. 1 und 2 Satz 1 ZPO gemäß § 98 VwGO und damit das selbständige Beweisverfahren grundsätzlich ausgeschlossen ist, wenn es von einer Behörde beantragt wird. Denn jedenfalls für den Antrag einer Behörde, während eines laufenden Verwaltungsverfahrens ein selbständiges Beweisverfahren anzuordnen, fehlt es an einem rechtlich geschützten Interesse, weil sie die unter Beweis gestellten Tatsachen im Wege der Amtsaufklärung selbst erheben kann und muss (im Ergebnis ebenso OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 22.01.1998 - 2 M 36/97 - Juris; Lang, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 98 Rdnr. 294; Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 98 Rdnr. 266, 268).

Damit ist nicht das rechtliche Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 Satz 1 ZPO gemeint (so aber OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 22.01.1998 - 2 M 36/97 - Juris). Bei diesem handelt es sich um ein spezielles, nur im Anwendungsbereich dieser Vorschrift geltendes Zulässigkeitserfordernis im Sinne eines Anordnungsgrunds. In den Fällen des § 485 Abs. 1 ZPO genügt insoweit - enger - die Gefahr eines Beweisverlustes oder der Beweiserschwerung oder die Zustimmung des Gegners.

Vielmehr geht es um das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, das ungeschriebenes Zulässigkeitserfordernis jedes Gesuchs um gerichtlichen Rechtsschutz ist (BVerwG, Urt. v. 17.01.1989 - 9 C 44.87 - BVerwGE 81, 164 = NVwZ 1989, 673). Dieses dürfte zwar beim Antrag eines Bürgers auf Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens und bei Vorliegen eines Anordnungsgrunds gemäß § 485 Abs. 1 oder 2 Satz 1 ZPO regelmäßig gegeben sein, jedenfalls dann, wenn dieser in einem Verwaltungsverfahren die Erhebung eines Sachverständigengutachtens in dem von ihm gewünschten Umfang nicht ohne Weiteres erwirken kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.02.2004 - 8 S 2185/03 -, Beschl. v. 03.07.1995 - 8 S 1407/95 -, jeweils a.a.O.). Es fehlt aber, wenn die Behörde selbst das selbständige Beweisverfahren beantragt. Denn sie ist nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln (§ 24 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) und dabei im erforderlichen Umfang Beweis zu erheben (§ 26 LVwVfG).

Die Antragstellerin weist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hin, wonach einer Behörde ein Wahlrecht zusteht, ob sie eine vorhandene Ermächtigung zum Erlass eines Leistungsbescheids (Verwaltungsakts) nutzt oder ob sie eine Geldforderung im Wege einer allgemeinen Leistungsklage geltend macht (BVerwG, Urt. v. 06.09.1988 - 1 C 15.86 - BVerwGE 80, 164 = VBlBW 1989, 131). Darum geht es hier aber nicht. Denn die Behörde ermittelt in einem Verwaltungsverfahren den Sachverhalt von Amts wegen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG). Dabei bedient sie sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält (§ 26 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG). Nur wenn sie hierzu besonders ermächtigt ist, sei es nach allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen (§§ 1, 3 PolG) oder seines aufgrund spezieller Vorschriften (vgl. § 9 Abs. 2 und § 10 BBodSchG), darf sie ihre Feststellungslast, zur Gefahrenabschätzung und zur Klärung möglicher Gefahrenabwehrmaßnahmen, auf den Bürger abwälzen.

Ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin lässt sich auch nicht mit der Erwägung begründen, nur eine gerichtlich angeordnete Beweiserhebung im selbständigen Beweissicherungsverfahren "dokumentiere" gemäß § 493 Abs. 1 ZPO die Tatsachen "gerichtsfest". Gemäß § 493 Abs. 1 ZPO steht die selbständige Beweiserhebung einer Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht gleich, wenn sich eine Partei im Prozess auf Tatsachen beruft, über die selbständig Beweis erhoben worden ist. Im Verwaltungsprozess sind aber die Ergebnisse eines auf Anordnung des Gerichts eingeholten Sachverständigengutachtens nicht etwa von vornherein höher zu bewerten als die Ergebnisse eines von einer Behörde selbst oder auf Veranlassung einer Behörde von einem Dritten (z.B. einem Vorhabenträger) eingeholten Sachverständigengutachtens. Vielmehr sind Auskünfte einer sachkundigen Behörde und die von ihr selbst erstellten oder eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen mit dem ihnen zukommenden Gewicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu würdigen. Liegen solche sachkundigen bzw. sachverständigen Äußerungen vor, unterliegt die Sachkunde der Personen, von denen sie stammen, keinen Zweifeln und sind sie nachvollziehbar und widerspruchsfrei, bedarf es eines (weiteren) Sachverständigengutachtens nicht (st. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 29.09.1976 - VIII C 13.75 - und Beschl. v. 10.06.1999 - 9 B 81.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 106 und 302; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.02.2000 - 10 S 2913/98 - GewA 2001, 387 = Juris, Rdnr. 43 ff; Senatsurt. v. 08.02.2007 - 5 S 2224/05 - Juris, Rdnr. 138).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil gemäß KV- Nr. 5502 eine Festgebühr von 50,-- EUR anfällt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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