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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.10.2005
Aktenzeichen: 6 S 1908/05
Rechtsgebiete: GastG, PolG, VwGO


Vorschriften:

GastG § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
GastG § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3
GastG § 11 Abs. 1
PolG § 1
PolG § 3
VwGO § 123 Abs. 1
Ein Gastwirt ist ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht schon deshalb gaststättenrechtlich unzuverlässig, weil in seiner Gaststätte Angehörige der "rechten Szene" verkehren und dies von Angehörigen der "linken Szene" zum Anlass von Gewalttaten genommen wird.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

6 S 1908/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen vorläufiger Gaststättenerlaubnis

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schwäble, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Pfaundler und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Heckel

am 04. Oktober 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30. August 2005 - 3 K 1544/05 - wird zurückgewiesen.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts dahin geändert, dass die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wird, der Antragstellerin nach Maßgabe der am 9. Februar 2005 erteilten vorläufigen Gaststättenerlaubnis auch freitags den Betrieb ihrer Gaststätte bis einen Monat nach Zustellung des Urteils im Verwaltungsrechtstreit 3 K 1762/05 zu erlauben; im Übrigen wird die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt 2/5, die Antragsgegnerin 3/5 der Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Beide Beschwerden sind nach § 146 Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Während der Beschwerde der Antragsgegnerin jeder Erfolg zu versagen war (1.), war der angefochtene Beschluss auf die Beschwerde der Antragstellerin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange zu ändern (2.); im Übrigen bleibt auch ihre Beschwerde ohne Erfolg (3.).

1. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung unter näher bestimmten Maßgaben dazu verpflichtet, der Antragstellerin eine vorläufige Gaststättenerlaubnis (vgl. § 11 Abs. 1 GastG) zu erteilen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen sowohl eines Anordnungsanspruchs (a) als auch eines Anordnungsgrundes (b) bejaht.

(a) Zwar steht die Erteilung einer vorläufigen Gaststättenerlaubnis nach § 11 Abs. 1 GastG im behördlichen Ermessen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.04.1990, NVwZ-RR 1991, 64), jedoch kann die Behörde von ihrem Ermessen regelmäßig nur im Sinne einer stattgebenden Entscheidung fehlerfrei Gebrauch machen, wenn keine Bedenken ersichtlich sind, die die Versagung einer endgültigen Erlaubnis wahrscheinlicher als ihre Erteilung erscheinen lassen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 26.10.1983, GewArch 1984, 68; OVG Lüneburg, Beschl. v. 30.09.1975, GewArch 1976, 341; wohl auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.04.1990, a. a. O.; Michel/Kienzle/Pauly, GastG, 14. A. 2003, § 11 Rn. 3). Erst recht ist ein entsprechender Anordnungsanspruch zu bejahen, wenn - was bei einer Vorwegnahme der Hauptsache Voraussetzung ist -, ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache schon jetzt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 14.08.1986, GewArch 1987, 63 <64> zu § 12 GastG; Beschl. v. 29.01.1988, GewArch 1988, 388 <389> u. v. 11.07.1988, GewArch 1988, 389, jeweils zu § 2 GastG; auch Hess. VGH, Beschl. v. 08.11.1995, GewArch 1996, 325). Dass die vorläufige Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 2 1. Hs. GastG nicht für eine längere Zeit als drei Monate erteilt werden soll, steht einem Anordnungsanspruch noch nicht entgegen, da diese Frist bei Vorliegen eines (auch hier gegebenen) wichtigen Grundes verlängert werden kann (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 2. Hs. GastG; hierzu auch BayVGH, Beschl. v. 03.12.1979, GewArch 1980, 134 <135>). Ebenso wenig steht einem auf die Erteilung einer vorläufigen Erlaubnis gerichteten Anordnungsanspruch entgegen, dass die Antragsgegnerin die Erteilung einer (endgültigen) Gaststättenerlaubnis bereits abgelehnt hat und der dagegen erhobene Widerspruch der Antragstellerin erfolglos geblieben ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.04.1990, NVwZ-RR 1991, 64 <65>; anders OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.12.1967, VRspr. 19 Nr. 195). Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass Versagungsgründe i. S. des § 4 Abs. 1 GastG nicht erkennbar sind; auf die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss nimmt der Senat Bezug. Auch die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, warum das Verhalten Dritter - namentlich der ihre Gaststätte besuchenden Gäste - die gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin begründen sollte. Zwar erstreckt sich die gewerberechtliche Aufsichtspflicht eines Gastwirts (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. Urt. v. 16.09.1975, BVerwGE 49, 160) auch auf Gäste; er hat unter anderem auch dafür zu sorgen, dass durch deren Verhalten die Bewohner der Nachbargrundstücke nicht erheblich belästigt werden (vgl. Michel/Kienzle/Pauly, a.a.O., § 4 Rn. 24). Indessen ist nicht ersichtlich, inwiefern die Antragstellerin gegen diese Pflicht verstoßen hätte. Insbesondere ist nicht dargetan, inwiefern sie strafbare oder ordnungswidrige Handlungen ihrer Gäste duldete bzw. notwendige Maßnahmen gegen solche unterließe (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.07.1978, BVerwGE 56, 205; Urt. v. 13.12.1988, BVerwGE 81, 74). So ist schon nicht ersichtlich, dass die Gäste in den Gasträumen bzw. aus diesen heraus strafbare oder ordnungswidrige Handlungen oder sonstige Rechtsverstöße begangen hätten bzw. künftig begingen. Dass Angehörige der "linken Szene" deren Anwesenheit bzw. in der Gaststätte stattfindende Veranstaltungen zum Anlass von Gewalttaten genommen haben, kann der Antragstellerin entgegen der von der Beschwerde vertretenen Ansicht schlechterdings nicht angelastet werden. Allein der Umstand, dass in ihrer Gaststätte Angehörige der "rechten Szene" verkehren und diese eine von ihr möglicherweise geteilte, von der Antragsgegnerin jedoch abgelehnte politische Gesinnung haben, ist für sich genommen weder strafbar noch sonst rechtswidrig und vermag daher auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die gewerberechtliche Aufsichtspflicht eine gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit der Antragstellerin i. S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht zu begründen. Vielmehr wird eine politische Gesinnung so lange vom Recht der freien Meinungsäußerung gedeckt, als sie sich nicht in erheblichen Rechtsverstößen bzw. strafbarer Weise äußert (vgl. Art. 5 Abs. 1 GG; hierzu VG Schleswig, Beschl. v. 27.09.2000, NJW 2001, 387 <388>, VG Arnsberg, Beschl. v. 23.12.1998, NVwZ-RR 2000, 17; Michel/Kienzle/Pauly, a.a.O., § 4 Rn. 32). Ein etwa rechtswidriges Verhalten ihrer Gäste außerhalb des Gaststättenbetriebes könnte der Antragstellerin ohnehin nicht angelastet werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.09.1975, a. a. O.).

Auch dafür, dass die in den Gasträumen am 20.07.2005 vorgefundenen Publikationen gegen Strafvorschriften, etwa gegen §§ 84 ff, 130 StGB verstießen, lassen sich der Beschwerdebegründung auch bei Berücksichtigung der dort mitgeteilten Inhalte keinerlei konkrete Anhaltspunkte entnehmen.

Dass auch der Versagungsgrund des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG nicht vorliegt, hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt. Mit der Alternative "im Hinblick auf seine örtliche Lage" zielt die Vorschrift auf die Verhinderung von Gefahren, die durch den Standort der Gaststätte in einer bestimmten Umgebung (mit-)bedingt sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.1988, a. a. O.). Dafür, dass gerade die örtliche Lage der Gaststätte ein Risikofaktor wäre, ist indessen nichts ersichtlich.

Entgegen der Ansicht der Beschwerde kann die Versagung der Gaststättenerlaubnis auch nicht mit der Erwägung, dass "man so den Rechtsradikalen mit ihrem rechten Szenetreffpunkt ihren Kristallisationspunkt nähme", auf die polizeirechtliche Generalklausel in §§ 1, 3 PolG gestützt werden. Diese ist im Hinblick auf die spezielle Ermächtigungsgrundlage in § 4 Abs. 1 GastG in vorliegendem Zusammenhang nicht anwendbar (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.04.1982, ESVGH 32, 240). Abgesehen davon lägen auch die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Antragstellerin als Notstandsstörerin nicht vor (vgl. § 9 Abs. 1 PolG). (b) Zu Recht ist das Verwaltungsgericht auch bei der zuletzt erlassenen einstweiligen Anordnung vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes ausgegangen; auf die entsprechenden Ausführungen in den Beschlüssen vom 03.02.2005 - 3 K 4161/04 -, 04.05.2005 - 3 K 929/05 - und 30.08.2005 - 3 K 1544/05 - wird Bezug genommen. Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin aufgrund materiellen Rechts unter den - auch von der Antragsgegnerin bejahten - Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 GastG im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null letztlich eine vorläufige Erlaubnis beanspruchen kann, bedeutete es auch ohne wirtschaftliche Existenzgefährdung eine unzumutbare Benachteiligung (vgl. § 123 Abs. 1 VwGO), wenn diese gerade in dem Übergangszeitraum, zu dessen Überbrückung sie dient, nicht durchgesetzt werden könnte, obwohl die Voraussetzungen hierfür zweifelsfrei erfüllt sind (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 26.03.1984, GewArch 1984, 389 <390>). Insofern steht der ausgesprochenen Verpflichtung wegen der bei einem späteren Obsiegen nicht mehr auszugleichenden Nachteile auch das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache nicht entgegen, zumal der Antragstellerin lediglich eine vorläufige und nicht etwa - vorübergehend - schon eine endgültige Erlaubnis zu erteilen ist und insofern nur die auf die Erteilung einer vorläufigen Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 GastG gerichtete Hauptsache vorweggenommen wird (vgl. demgegenüber BayVGH, Beschl. v. 20.11.1964, VGH N. F. 18, 5: insoweit keine Vorwegnahme der Hauptsache), die indes ersichtlich keinen wirksamen Rechtsschutz böte (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 26.10.1983, a. a. O.).

2. Auf die Beschwerde der Antragstellerin bestand hingegen Anlass, die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung auf den Freitag zu erweitern, nachdem diese glaubhaft gemacht hat, an den Wochenenden auch freitags von der ihr erteilten Erlaubnis Gebrauch gemacht zu haben (etwa am 11.03.2005, dokumentiert in den kriminalpolizeilichen Akten). Es erscheint dem Senat auch ohne weiteres nachvollziehbar, dass im Rahmen des von der Antragstellerin bislang unterhaltenen Wochenendbetriebs auch die Freitage von besonderer Bedeutung sind. Daran änderte auch nichts, sollte die Gaststätte - möglicherweise mangels ausreichenden Besucherverkehrs - nicht an jedem Wochenende geöffnet gewesen sein.

3. Zu einer weiterreichenden Anordnung sieht indessen auch der Senat keinen Anlass. So hat die Antragstellerin bislang auch nicht ansatzweise glaubhaft gemacht, dass sie, was "mittelfristig geplant" sein mag (vgl. Schriftsatz v. 26.01.2005 - 3 K 4161/04 -), ihre Gaststätte schon bisher an weiteren Tagen, insbesondere an Feiertagen oder sog. Brückentagen geöffnet habe bzw. dies in Kürze beabsichtige. Auch für eine Verlängerung der Geltungsdauer der einstweiligen Anordnung bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der auf die Erteilung der endgültigen Erlaubnis gerichteten Hauptsache besteht aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen derzeit kein Anlass, zumal zum Zeitpunkt der Zustellung jener Entscheidung möglicherweise neue Erkenntnisse vorliegen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 08.11.1995, a. a. O.).

Der Senat sieht - auch im Hinblick auf den Teilerfolg der Beschwerde - auch keine Veranlassung, die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern; es ist - nicht zuletzt im Hinblick auf deren Beschwerdevorbringen - nicht zu erkennen, dass die Antragstellerin zu mehr als 2/3 obsiegt hätte bzw. sie gar nur zu einem geringen Teile unterlegen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Satz 1 Satz 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren auf §§ 63 Abs. 2, 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nrn. 1.5, 54.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. v. 7./8. Juli 2004.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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