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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 02.12.2003
Aktenzeichen: 6 S 2036/03
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 68
VwGO § 69
VwGO § 75 Satz 1
Hat eine Behörde auf einen von ihr als Neuantrag gewerteten Widerspruch hin in gleicher Sache einen Ablehnungsbescheid erlassen, kann der Betroffene hinsichtlich der noch ausstehenden Entscheidung über seinen Widerspruch keine Untätigkeitsklage mehr erheben. Vielmehr ist er darauf verwiesen, gemäß §§ 68, 69 VwGO Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einzulegen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

6 S 2036/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Spätaussiedlerbescheinigung

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schwäble, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Ecker und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Christ

am 2. Dezember 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Anträge des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 3. Juli 2003 - 6 K 2392/02 - zuzulassen, werden abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Berufungszulassungsverfahrens wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 VwGO, 114 ZPO); zur Begründung wird auf die nachfolgenden Ausführungen verwiesen.

Der auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger entgegen §§ 68 Abs. 2, 69 VwGO keinen Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis vom 18.9.2001 eingelegt hat. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Klägers, die Klage sei gemäß § 75 Satz 1 VwGO als Untätigkeitsklage zulässig, weil sein Schreiben vom 2.3.2001 als Widerspruch zu werten und über diesen Widerspruch noch immer nicht entschieden sei.

Mit dem Verwaltungsgericht kann offengelassen werden, ob überhaupt ein - noch nicht beschiedener - Widerspruch des Klägers vorliegt. Selbst wenn dies zuträfe, hätte er zunächst gegen den Ablehnungsbescheid vom 18.9.2001 Widerspruch einlegen müssen. Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 75 Satz 1 VwGO. Danach kann Untätigkeitsklage nicht mehr erhoben werden, sobald die Behörde über das Begehren "sachlich entschieden" hat. Das Gesetz stellt folglich nicht darauf ab, ob die Behörde "über einen Widerspruch" durch Widerspruchsbescheid und "über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts" durch Ablehnungsbescheid entschieden hat, vielmehr schließt jede verbindliche behördliche Sachentscheidung über das Begehren des Bürgers die Erhebung der Untätigkeitsklage aus. Dies bedeutet für den Fall, dass die Behörde einen Widerspruch als Neuantrag in gleicher Sache gewertet und sachlich beschieden hat, dass gemäß §§ 68 Abs. 2, 69 VwGO stets Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid einzulegen ist; der Betroffene kann nicht stattdessen unter Hinweis auf die noch ausstehende Entscheidung über seinen Widerspruch Untätigkeitsklage erheben (ebenso Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 75 Randnr. 6; Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 75 Randnr. 6). Für diese Auslegung spricht auch die Funktion der Untätigkeitsklage, der Behörde die Möglichkeit zu nehmen, den Zugang des Bürgers zu Gericht durch Untätigkeit im nach § 68 VwGO zwingend vorgeschriebenen Vorverfahren zu verhindern oder doch unangemessen zu verzögern (vgl. BVerfGE 40, 237, 257; Eyermann, a.a.O., § 75 Randnr. 1). Die Behörde ist indessen nicht untätig geblieben, wenn sie einen Ablehnungsbescheid erlässt, auch wenn der Betroffene und die Behörde bei der Interpretation des Begehrens als Neuantrag oder als Widerspruch unterschiedlicher Auffassung sind. Im Übrigen gebietet gerade der Gesichtspunkt effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, dass die materiell-rechtliche Frage, ob ein - bereits beschiedener - Neuantrag oder ein - noch offener - Widerspruch vorliegt, zunächst im Vorverfahren und nicht sogleich im Rahmen einer Untätigkeitsklage wegen angeblich noch ausstehender Entscheidung über einen Widerspruch geklärt werden muss. Denn die Untätigkeitsklage wäre jedenfalls in den Fällen unzulässig, in denen das Gericht die Auffassung der Behörde teilt, dass ein Neuantrag gestellt und kein Widerspruch eingelegt wurde; dem betroffenen Bürger bliebe dann jedoch wegen Bestandskraft des Ablehnungsbescheides Rechtsschutz in der Sache versagt.

Unabhängig davon ist die Untätigkeitsklage hier auch deshalb unzulässig, weil das Schreiben des Klägers vom 2.3.2001 nicht als - noch offener - Widerspruch gegen die Versagung der Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG gewertet werden kann. Das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis hat das als " Widerspruch" bezeichnete Schreiben vielmehr zutreffend als Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG behandelt.

Diese Auslegung durch die Behörde ist sachdienlich, weil im Zusammenhang mit der - vom Kläger beantragten - Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG keine verbindliche negative Feststellung hinsichtlich dessen Spätaussiedlereigenschaft getroffen wurde, gegen die er sich mit einem Widerspruch hätte wenden können. Der Kläger behauptet selbst nicht, das Landratsamt habe anlässlich der Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG ihm gegenüber schriftlich oder mündlich erklärt, dass er die Voraussetzungen für die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nicht erfülle; dafür ist nach Aktenlage auch nichts ersichtlich. Es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass damals eine negative Feststellung konkludent getroffen worden wäre, abgesehen davon, dass die umfassende Bindungswirkung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG die formlose Abgabe derartiger Erklärungen wohl ausschließen dürfte. Im Gegenteil zeigt die Behandlung des Schreibens des Klägers vom 2.3.2001 als Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG deutlich, dass das Landratsamt zuvor keine verbindlichen Aussagen zur Spätaussiedlereigenschaft des Klägers hatte treffen wollen.

Die sachdienliche Auslegung des Schreibens vom 2.3.2001 als Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG widerspricht auch nicht einem nach außen erkennbaren Willen des Klägers. Bereits im Schreiben vom 2.3.2001 selbst hat der Kläger ausdrücklich auch seine "Anerkennung" als Spätaussiedler beantragt. Er hat auch nicht dem Hinweis des Landratsamts im Schreiben vom 9.4.2001 widersprochen, dass sein "Widerspruch" mangels eines belastenden Verwaltungsakts unzulässig sei; vielmehr hat er, wie in diesem behördlichen Schreiben angeregt, zur Frage seiner deutschen Volkszugehörigkeit mit Schreiben vom 6.3.2001 weiter vorgetragen. Danach ist er der Einladung des Landratsamts vom 25.5.2001 gefolgt, "zur weiteren Bearbeitung seines Antrags auf Anerkennung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG" persönlich vorzusprechen. Schließlich wurde dem Kläger mit Schreiben des Landratsamts vom 10.8.2001 mitgeteilt, es sei beabsichtigt, seinen Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG abzulehnen; die Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb eines Monats hat er nicht genutzt. Nach allem ist das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis zu Recht davon ausgegangen, dass auch der Kläger sein Schreiben vom 2.3.2001 als Antrag auf Anerkennung als Spätaussiedler verstehen wollte. Erst nachdem er gegen den Ablehnungsbescheid vom 18.9.2001 nicht fristgerecht - entsprechend der ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung - Widerspruch, sondern stattdessen Klage erhoben hatte, gab er an, das Schreiben müsse als Widerspruch gewertet werden, um daraus die rechtliche Konsequenz zu ziehen, dass die ohne Durchführung eines Vorverfahrens erhobenen Klage als Untätigkeitsklage zulässig sei.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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