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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 08.12.2008
Aktenzeichen: 6 S 2300/08
Rechtsgebiete: GG, RDG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
RDG § 3 Abs. 3
RDG § 5
RDG § 6 Abs. 3
RDG § 7
RDG § 10
Der Bereichsausschuss für den Rettungsdienst hat keine Zuständigkeit zur einseitigen Regelung der Organisation des Notarztdienstes. Ihm fehlt darüber hinaus auch die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes gegenüber einem Krankenhausträger, der die Organisation des Notarztdienstes zum Gegenstand hat.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

6 S 2300/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen notärztlicher Versorgung im Rettungsdienst

hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 08. Dezember 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 30. Juli 2008 - 3 K 1217/08 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe: Die Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig (§ 146 Abs. 1 und 4 VwGO). Sie hat jedoch keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich beschränkt ist, geben keine Veranlassung, eine von dem Beschluss des Verwaltungsgerichts abweichende Entscheidung zu treffen.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung des Bereichsausschusses für den Rettungsdienst im Rettungsdienstbereich XXXXXXX vom 03.06.2008 wiederhergestellt. Das Interesse der Antragstellerin, der angegriffenen Anordnung vorläufig bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens keine Folge leisten zu müssen, hat Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der angeordneten sofortigen Vollziehung.

In der angefochtenen Verfügung hat der Bereichsausschuss für den Rettungsdienst im Rettungsdienstbereich XXXXXXX die Antragstellerin verpflichtet, den durch sie "sicherzustellenden Notarztdienst unverzüglich so zu organisieren, dass innerhalb des Versorgungsbereichs des Notarztstandortes XXXXXXX der Notarztdienst für Notarzteinsätze (inklusive Duplizitätsfälle und ggf. im Rahmen der originären Aufgabe des Rettungsdienstes für notärztlich zu begleitende Verlegungsfahrten) sichergestellt ist (Ziff. 1); hierzu ist unverzüglich ein zusätzlicher organisierter Notarztdienst am Standort XXXXXX zunächst werktags von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr einzurichten (Ziff. 2). Der Stand des Vollzugs ist dem Bereichsausschussvorsitzenden seitens des Krankenhauses jeweils zum 1. eines Monats schriftlich mitzuteilen (Ziff. 3). Der Sofortvollzug von Ziffer 1 - 3 wird im öffentlichen Interesse angeordnet (Ziff. 4)..." Gestützt wird der Bescheid auf § 10 Abs. 1 Satz 3 RDG, wonach die Krankenhausträger im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet sind, Ärzte gegen Kostenausgleich zur Verfügung zu stellen.

Ebenso wie das Verwaltungsgericht ist auch der Senat der Auffassung, dass sich nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die angefochtene Verfügung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweisen wird. Denn dem Bereichsausschuss für den Rettungsdienst dürfte, wovon auch das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, sowohl die Zuständigkeit zur einseitigen Regelung des hier streitigen Notarztdienstes als auch die Befugnis, einen entsprechenden Verwaltungsakt gegenüber der Antragstellerin zu erlassen, fehlen.

Bei der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen streitgegenständlichen "Entscheidung" vom 03.06.2008 dürfte es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG handeln. Der Bereichsausschuss für den Rettungsdienst verpflichtet die Antragstellerin u. a. zur Organisation eines zusätzlichen Notarztdienstes und nimmt damit für sich Hoheitsbefugnisse in Anspruch. Damit tritt er gegenüber der Antragstellerin als Hoheitsträger auf (vgl. hierzu Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10 Aufl., § 35, Rdnr. 16 zum formellen und materiellen VA-Begriff und Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 42 Rdnr. 13, aus prozessrechtlicher Sicht). Dieser Verwaltungsakt dürfte bereits formell rechtswidrig sein, weil dem Bereichsausschuss hierfür voraussichtlich die sachliche Zuständigkeit fehlt. Die Verwaltung ist rechtlich verpflichtet, die ihr zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen, zugleich muss sie aber auch die Grenzen ihres Zuständigkeitsbereichs beachten. Diese Grenzen hat der Bereichsausschuss, sofern er hier tatsächlich öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit (vgl. zur hoheitlichen Tätigkeit der Rettungsleitstelle BGH, Urteil vom 25.09.2007 - KZR 48/05 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2004 - 6 S 17/04 -) wahrnehmen sollte, im vorliegenden Fall aller Voraussicht nach überschritten.

Zuständigkeitsregelungen für den Bereichsausschuss finden sich in § 5 Abs. 3 RDG. Danach obliegen ihm neben den Aufgaben nach § 3 Abs. 3 RDG und § 6 Abs. 3 RDG die Beratung der Angelegenheiten des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich. § 3 Abs. 3 RDG weist dem Bereichsausschuss die wesentliche Aufgabe zu, auf der Grundlage des Rettungsdienstplanes und unter Beachtung der Hilfsfrist nach Abs. 2 für den Rettungsdienstbereich einen Plan (Bereichsplan) zu erstellen, der den Standort der Rettungsleitstelle, Zahl und Standorte der bedarfsgerechten Rettungswachen für den Bereich der Notfallrettung sowie die personelle und sächliche Ausstattung dieser Einrichtungen festlegt. Darüber hinaus ist der Bereichsausschuss nach § 6 Abs. 3 Satz 2 RDG zur Festlegung der Entgelte für die Vermittlung von Einsätzen in der Notfallrettung und im Krankentransport durch die Rettungsleitstelle berufen. Bei Vereinbarungen über die Organisation des Notarztsystems im Rettungsdienstbereich zwischen Leistungsträger, Krankenhausträger und Kassenärztlichen Vereinigungen ist der Bereichsausschuss im Rahmen einer Benehmensregelung zu beteiligen (§ 10 Abs. 3 RDG). Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen handelt es sich dabei ebenfalls wieder um Beratung in dem Sinne, dass dem Bereichsausschuss Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist und eine Verständigung zu erstreben ist, ohne dass - im Gegensatz zum Einvernehmen - das Nichtbefolgen der Stellungnahme dem rechtmäßigen Zustandekommen der Vereinbarung entgegenstehen dürfte (BayVerfGH, Urteil vom 16.12.1992 - Vf. 14-VI-90 -, NVwZ-RR 1993, 422, 423; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl. 2007, § 45 Rdnr. 62 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Zuständigkeit des Bereichsausschusses nach den genannten Vorschriften ist damit insgesamt auf die Planung und Organisation des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich zugeschnitten (Güntert/Alber, RDG Baden-Württemberg, Stand Juli 2008, § 5 S. 1) und auch darauf begrenzt. Weitergehende Zuständigkeiten, insbesondere die einseitige Festlegung der Organisation des Notarztdienstes gegenüber der Antragstellerin, hat er nicht. Die Verfügung vom 03.06.2008 ist aller Voraussicht nach bereits mangels (sachlicher) Zuständigkeit des Bereichsausschusses formell rechtswidrig.

Darüber hinaus dürfte die streitgegenständliche Verfügung auch materiell rechtswidrig sein, weil es dem Bereichsausschuss zudem an der Befugnis zum Erlass eines entsprechenden Verwaltungsaktes gegenüber der Antragstellerin voraussichtlich fehlt. Eingriffe in die Rechte der Antragstellerin (hier: in das Grundrecht auf freie Berufsausübung aus Art. 12 Abs. 1 GG, i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) bedürfen nach dem Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes einer (formell-)gesetzlichen Grundlage (eine Eingriffsermächtigung im Rettungsdienstplan oder im Bereichsplan reicht hierfür nicht aus), aus der sich Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß des Eingriffes hinreichend bestimmen und begrenzen lassen (statt vieler BVerfG, Urteil vom 31.05.2006, BVerfGE 116, 69 ff.). Jedes amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter, wie es auch im vorliegenden Fall der Bereichsausschuss für sich reklamiert, bedarf als Ausübung von Staatsgewalt der demokratischen Legitimation (statt vieler: BVerfG, Beschluss vom 24.05.1995 - 2 BvF 1/92 -, Randnr. 138 f. m.w.N.). Der Bereichsausschuss besteht aus Mitgliedern, die von interessierten Beteiligten entsandt werden. Das Demokratieprinzip verlangt jedoch für Stellen mit hoheitlicher Entscheidungsmacht eine unmittelbare persönliche Legitimationskette, die auf das Parlament und damit auf den Volkswillen zurückzuführen ist. Bereits hieran fehlt es. Eine Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes enthält das RDG in seiner derzeit gültigen Fassung jedoch nicht. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners lässt sich § 10 Abs. 1 Satz 3 RDG nicht als Ermächtigungsgrundlage zum Erlass der Entscheidung vom 03.06.2008 durch den Bereichsausschuss heranziehen. Nach dieser Vorschrift sind die Krankenhausträger im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, Ärzte gegen Kostenausgleich zur Verfügung zu stellen. Dieser Verpflichtung der Krankenhausträger steht jedoch nicht die (Eingriffs-)Befugnis des Bereichsausschusses gegenüber, diese im Einzelfall durchzusetzen. Im Gegenteil: § 10 Abs. 3 RDG sieht ausdrücklich vor, dass die Organisation des Notarztsystems im Rettungsdienstbereich zwischen Leistungsträger, Krankenhausträger und Kassenärztlichen Vereinigungen im Benehmen mit dem Bereichsausschuss vereinbart werden soll. Das Gesetz geht dabei ersichtlich von einer einvernehmlichen Regelung zwischen den Beteiligten aus und räumt dem Bereichsausschuss lediglich ein Mitwirkungsrecht dergestalt ein, dass die Vereinbarung "im Benehmen" mit ihm zu treffen ist. Kommt eine solche Vereinbarung aber wie im vorliegenden Falle nicht zustande, sieht das RDG keine weitergehenden Befugnisse des Bereichsausschusses vor.

Entgegen der Ansicht des Antragsgegners vermag der Senat nicht zu erkennen, weshalb es keiner weiteren Vereinbarung nach § 10 Abs. 3 RDG bedarf (Beschwerdebegründung, S. 13). Die Organisation des zusätzlichen Notarztdienstes "erschöpft" sich nicht "in der Gestellung eines weiteren Notarztes", sondern verpflichtet die Antragstellerin intern dafür Sorge zu tragen, dass ein weiterer Notarzt zu bestimmten Tageszeiten zur Verfügung gestellt werden kann. Diese Verpflichtung wurde im Übrigen - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - nicht nur der Antragstellerin auferlegt, sondern auch gegenüber anderen Krankenhausträgern (im Wesentlichen vergleichbar) ausgesprochen. Hierin liegt eine organisatorische Änderung des bisherigen Notarztsystems, die deshalb erforderlich wurde, weil zum einen bereits nach den Berechnungen im ORGAKOM - Gutachten (Stand November 2006) die Hilfsfrist nur unzureichend erfüllt werden konnte. Zum anderen haben weitere Auswertungen der Hilfsfrist ergeben, dass diese im Jahr 2007 nur in ca. 70,45 % der Notfalleinsätze eingehalten wurde. Im Zeitraum vom 01.01. - 15.05.2008 verbesserte sich die Einhaltung der Hilfsfrist auf insgesamt ca. 84 % der Fälle.

Die Eingriffsbefugnis ergibt sich auch nicht aus §§ 3 Abs. 3, 5 und 6 Abs. 3 RDG, wie es der Antragsgegner vorschlägt. Soweit in § 3 Abs. 3 RDG dem Bereichsausschuss die Aufgabe zukommt, im Bereichsplan u. a. die Zahl und Standorte der bedarfsgerechten Rettungswachen für den Bereich der Notfallrettung sowie die personelle und sächliche Ausstattung dieser Einrichtungen festzulegen, spricht vieles dafür, dass damit (nur) die abstrakte Festlegung des notwendigen Personals (vgl. § 7 RDG) umfasst wird und die Organisation des Notarztsystems, wie es auch das Verwaltungsgericht beurteilt hat, hiervon zu trennen ist. Eine Eingriffsbefugnis des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin lässt sich jedenfalls hieraus nicht herleiten.

Gleiches gilt im Hinblick auf § 5 RDG, der die personelle Besetzung des Bereichsausschusses zum Gegenstand hat. Soweit dem Bereichsausschuss in Abs. 3 der Vorschrift neben den Aufgaben nach § 3 Abs. 3 und § 6 Abs. 3 RDG die Beratung der Angelegenheiten des Rettungsdienstes im Rettungsdienstbereich zugewiesen wird, ergibt sich hieraus auch keine Eingriffsbefugnis des Antragsgegners. Der Begriff der "Beratung" in § 5 Abs. 3 RDG ist eindeutig. Beratung bedeutet Information und Hilfestellung bei der Willensbildung, nicht hingegen die vom Bereichsausschuss beanspruchte eigenständige rechtsverbindliche Willensentscheidung. Eine Auslegung dahingehend, dass davon auch das anschließende verbindliche Umsetzen von Maßnahmen zur Abhilfe (Beschwerdebegründung S. 9) umfasst wird, verbietet bereits der Wortlaut. Dies mag zwar aus der Sicht des Antragsgegners wünschenswert sein, widerspricht aber der gegenwärtigen Rechtslage. Hinzu kommt, dass das RDG im übrigen eine klare Aufgabenzuweisung an den Bereichsausschuss vornimmt, wie § 6 Abs. 3 RDG belegt und mit der Verweisung auf die Schiedsstellenregelung des § 28 Abs. 5 RDG (einschließlich der Zuweisung zum Verwaltungsrechtsweg, der Beteiligtenfähigkeit der Schiedsstelle, der Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens) sogar ausdrücklich für diesen Fall eine Konfliktlösung aufzeigt.

Soweit sich der Antragsgegner auf einen Vermerk des Sozialministeriums Baden-Württemberg vom 07.11.2007 stützt, wonach der hier streitige Notarztdienst "als Annexkompetenz zur Planungs- und Sicherstellungsverantwortung des Bereichsausschusses" anzusehen sein soll und dies insbesondere mit Bestimmungen im Rettungsdienstplan untermauert, teilt der Senat ebenso wie das Verwaltungsgericht diese Rechtsauffassung nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts verwiesen. Angesichts dieser Rechtslage war auf die zahlreichen weiteren Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bereichsausschusses nicht mehr einzugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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