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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 01.10.2003
Aktenzeichen: 6 S 789/03
Rechtsgebiete: BVFG/2000


Vorschriften:

BVFG/2000 § 5 Nr. 2b
1. Der Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2b BVFG (1. Alternative) in der Fassung des Haushaltssanierungsgesetzes - HSanG - vom 22.12.1999 setzt grundsätzlich voraus, dass der Betreffende eine Funktion ausgeübt hat, die typischerweise mit der Aufgabe verbunden war, im Sinne der KPdSU auf den ihm zugeordneten Bereich Einfluss zu nehmen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 29.3.2001, BVerwGE 114, 116).

2. Im Bereich der Streitkräfte der ehemaligen UdSSR ist dies nicht schon deshalb der Fall, weil der Betreffende der Gruppe der Stabsoffiziere angehört hat (hier: Oberstleutnant). In solchen Fällen bedarf es vielmehr grundsätzlich des konkreten Nachweises, dass der Betreffende nach Lage des Einzelfalles jenen Einfluss ausüben konnte (2. Alternative der Vorschrift).


6 S 789/03

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Spätaussiedlerbescheinigung

hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schwäble, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Ecker und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Christ aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Oktober 2003

am 1. Oktober 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2003 - 6 K 2387/02 - geändert.

Der Bescheid der Beklagten vom 6. September 2000 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15. Februar 2001 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wurde am 13.6.1940 in xxxxxxx/xxxx geboren. Seine Eltern sind der 1906 geborene xxxxxx xxxxxxx und die 1922 geborene xxxxx xxx. xxxx. Beide stammen aus dem Raum xxxxxxxxx; sie leben seit 1975 in Deutschland und sind im Besitz von Vertriebenenausweisen A. Der Kläger ist seit 1961 mit einer russischen Volkszugehörigen verheiratet; aus der Ehe gingen zwei 1962 und 1967 geborene Kinder hervor.

Am 25.10.1991 beantragte der Kläger über seinen Vater als Bevollmächtigten seine Aufnahme in Deutschland. Hierbei bezeichnete er seinen jetzigen Beruf als Lehrer, seine Volkszugehörigkeit und Muttersprache als deutsch, seine Umgangssprache in der Familie als deutsch/russisch; er könne deutsch verstehen, sprechen und schreiben. Über seinen Berufsweg gab er an, er sei von 1957 bis November 1959 Traktorist und danach bis 1986 Offizier der Sowjetarmee gewesen; seither sei er "Lehrer der Bürgerverteidigung". Volkszugehörigkeit, Mutter- und Umgangssprache seiner Eltern seien deutsch; alle vier Großelternteile seien gleichfalls Deutsche gewesen.

Mit dem Aufnahmeantrag wurden unter anderem der Inlandspass des Klägers von 1986 und die Geburtsurkunde der Kinder vorgelegt; in allen Urkunden wird der Kläger mit deutscher Nationalität geführt. Unter dem 13.11.1992 erfolgten weitere Angaben zum Aufnahmeantrag. Hiernach wurde im Elternhaus des Klägers seit dessen erstem Lebensjahr sowohl deutsch als auch russisch gesprochen; der Kläger habe die deutsche Sprache von seinen Eltern und von seiner Großmutter erlernt. Zur Zeit werde im engsten Familienkreis das Deutsche selten, das Russische häufig gesprochen. Der Kläger selbst verstehe auf Deutsch fast alles; seine Kenntnisse reichten für ein einfaches Gespräch aus, und er könne deutsch schreiben. Unter der Rubrik "Mitgliedschaft in gesellschaftlichen oder politischen Vereinigungen" heißt es "entfällt". Zum beruflichen Werdegang des Klägers wurde ausgeführt, dieser sei 1960 Leutnant, 1967 Kapitän, 1971 Oberleutnant, 1973 Major und 1984 Oberstleutnant geworden.

Mit Bescheid vom 26.11.1993 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag ab; der Kläger sei zwar deutscher Volkszugehöriger im Sinne von § 6 Abs. 2 BVFG, müsse sich jedoch den Ausschlusstatbestand des § 5 BVFG (in der vor dem 1.1.2000 maßgeblichen Fassung) entgegenhalten lassen. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch; unter anderem trug er vor, er sei - auch nach seiner Beförderung zum Oberstleutnant - nur "Chefingenieur" und somit lediglich technischer Offizier gewesen; er habe nie jemanden denunziert; seine Tätigkeit habe keine Identifizierung mit dem totalitären System erfordert; seine Stellung als Oberstleutnant habe er durch herausragendes technisches Fachwissen, nicht dagegen durch eine besondere Bindung an das totalitäre System erlangt. Mit Widerspruchsbescheid vom 3.3.1995 wies das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch zurück.

Im Verlauf des sich anschließenden Klageverfahrens veranlasste das Bundesverwaltungsamt eine Anhörung des Klägers vor der Botschaft xxxxxx, die am 24.3.1998 stattfand. Hierbei wurde festgehalten, die dialektgefärbte Sprache des Klägers lasse auf muttersprachlichen Erwerb des Deutschen schließen; er habe unverzüglich und flüssig geantwortet; trotz gelegentlicher Mängel sei mit ihm ein Gespräch in deutscher Sprache problemlos und ohne Dolmetscher möglich gewesen. Über seinen beruflichen Werdegang gab der Kläger laut Anhörungsprotokoll an, er sei 1963 Leutnant, 1966 Oberleutnant, 1969 Hauptmann, 1975 Major und 1984 Oberstleutnant geworden. 1986 sei er in Rente gegangen. Seine Eltern seien legal nach Deutschland ausgesiedelt; sein eigener Name "stand in der Akte nicht drin". Er habe dann von den Panzern zur Bauabteilung gewechselt, weil er Angst gehabt habe "dass es rauskommt". Während seiner Militärzeit habe er - bei 16 Panzern - maximal 68 Mann befehligt; dies sei in den Jahren von 1967 bis 1971 gewesen. Damals sei er auch Führer einer Kompanie gewesen. Als Major sei er Vertreter des Stabschefs eines Regiments und als Oberstleutnant Vertreter des Stabschefs einer Baubrigade gewesen. Dienstwohnung, Dienstfahrer und Dienstfahrzeug hätten ihm nicht zugestanden. Von 1966 bis 1991 sei er Mitglied der KPdSU gewesen; Parteifunktionen habe er jedoch nicht wahrgenommen. Grund für seinen Eintritt in die Partei sei gewesen, dass man ihm gesagt habe, er könne sonst nicht mit Beförderung rechnen (wörtlich: "du wirst nicht gehoben").

Mit Urteil vom 16.7.1998 gab das Verwaltungsgericht Köln der Klage statt und verpflichtete das Bundesverwaltungsamt, dem Kläger einen Aufnahmebescheid zu erteilen; ein vom Bundesverwaltungsamt zunächst gestellter Antrag auf Zulassung der Berufung wurde später zurückgenommen. Unter dem 26.10.1999 wurde dem Kläger ein Aufnahmebescheid erteilt.

Am 25.4.2000 verließ der Kläger sein Herkunftsgebiet und reiste am gleichen Tage nach Deutschland ein; am 17.5.2000 beantragte er Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG. Bei Entgegennahme des Antrags wurde festgestellt, dass der Kläger sehr gut deutsch versteht sowie fließend deutsch und Dialekt spricht.

Mit Bescheid vom 6.9.2000 lehnte die Beklagte den Antrag ab; auch wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG erfüllt sein dürften, stehe dem Erwerb der Spätaussiedlereigenschaft § 5 Abs. 2b BVFG in der seit 1.1.2000 geltenden Fassung entgegen.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, wonach es "mehr als bedenklich" sei, in Fällen der vorliegenden Art die Neufassung des § 5 BVFG anzuwenden. Zum Berufsweg des Klägers heißt es klarstellend, dieser sei von 1959 bis 1961 einfacher Soldat, von 1961 bis 1966 Leutnant, von 1966 bis 1969 Oberleutnant, von 1969 bis 1975 Kapitän, von 1975 bis 1982 Major und von 1982 bis 1986 Oberstleutnant gewesen; 1986 - vier Jahre vor Beendigung des totalitären Systems - sei er in den Ruhestand versetzt worden. In den letzten vier Jahren könne er mithin schon deshalb keine "bedeutsame" Funktion zur Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems mehr ausgeübt haben. Im Übrigen könne von einer derartigen Funktion erst bei höheren Rangstufen die Rede sein. Bei ihm - dem Kläger - komme hinzu, dass sein Berufsweg auch deshalb nicht "bedeutsam" verlaufen sei, weil er aufgrund seiner deutschen Volkszugehörigkeit regelrecht "gebremst" worden sei, wobei die Aussiedlung seiner Eltern im Jahre 1975 eine maßgebliche Rolle gespielt habe. - Mit Widerspruchsbescheid vom 15.2.2001 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück.

Am 9.3.2001 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt; wegen der Begründung wird auf die in Kopie beiliegende Klageschrift verwiesen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 6.9.2000 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15.2.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen; ferner, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 23.1.2003 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen; wegen der Begründung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 11.3.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3.4.2003 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 23.1.2003 - 6 K 2387/02 - zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 6.9.2000 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15.2.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen;

ferner, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung gehört.

Dem Senat liegen die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten (einschließlich der Aufnahmeakten) des Regierungspräsidiums Karlsruhe und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe sowie die Akten des Verwaltungsgerichts Köln in der Sache 17 K 1675/95 vor. Wegen der Einzelheiten wird auf diese Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch sonst zulässige Berufung hat Erfolg, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung; die Ablehnung seines entsprechenden Antrags ist rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Mithin ist die Beklagte - unter gleichzeitiger Änderung des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts und unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide - zu verpflichten, dem Kläger die begehrte Bescheinigung auszustellen.

1. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG, wonach Spätaussiedler zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft auf Antrag eine Bescheinigung erhalten. Die Spätaussiedlereigenschaft des Klägers wiederum, der aus der ehemaligen UdSSR stammt, bestimmt sich nach § 4 Abs. 1 BVFG, wonach wesentliches Tatbestandsmerkmal - die übrigen Voraussetzungen der Vorschrift sind im vorliegenden Falle unproblematisch - die deutsche Volkszugehörigkeit ist. Auf den 1940 (und somit nach dem 31.12.1923) geborenen Kläger ist insoweit § 6 Abs. 2 BVFG in der am 7.9.2001 in Kraft getretenen Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes - SpStatG - vom 30.8.2001 (BGBl. I, S. 2266) ungeachtet des Umstands anzuwenden, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt bereits Aufnahme in Deutschland gefunden hatte (vgl. - jeweils unter Hinweis auf die Übergangsvorschrift des § 100a BVFG i.d.F. des SpStatG - BVerwG, Urteil vom 12.3.2002, BVerwGE 116, 114, sowie Urteil des Senats vom 26.7.2002, DÖV 2003, 38 = VBlBW 2003, 165). Auf dieser Grundlage ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass der Kläger deutscher Volkszugehöriger ist.

Zum einen setzt die deutsche Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 BVFG n.F. voraus, dass der Betreffende von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt. Daran kann hier kein Zweifel bestehen, nachdem der Kläger, ohne dass die Beklagte dem widersprochen hätte, stets - auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat - vorgetragen hat, er stamme beidseits von deutschen Volkszugehörigen ab. Zum zweiten ist erforderlich, dass sich der Betreffende bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf vergleichbare Weise nur zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Auch diese Voraussetzung liegt hier vor. Da der Kläger, wie dargelegt, beidseits von deutschen Volkszugehörigen abstammt, bedurfte es nach dem Recht der damaligen UdSSR keiner Nationalitätenerklärung; vielmehr gehörte nach dortigem Recht auch er zur deutschen Nationalität. Im Übrigen wurde der Kläger in seinem Inlandspass von 1991 und in den Geburtsurkunden seiner 1962 und 1967 geborenen Kinder - Echtheit und inhaltliche Richtigkeit dieser Urkunden wurden von der Beklagten zu keinem Zeitpunkt bestritten - mit deutscher Nationalität geführt; dass er sich zuvor - insbesondere im Zusammenhang mit der Ausstellung seines ersten Inlandspasses - jemals zu einer anderen als zur deutschen Nationalität erklärt hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zum dritten schließlich muss diese rechtliche Zuordnung zur deutschen Nationalität bestätigt werden durch die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache; diese ist nur festgestellt, wenn der Betreffende im Zeitpunkt der Aussiedlung aufgrund dieser Vermittlung zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann (§ 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG n.F.). Auch hieran kann im vorliegenden Falle kein Zweifel bestehen, nachdem dem Kläger anlässlich seines Antrags gemäß § 15 Abs. 1 BVFG gute und zugleich dialektgefärbte deutsche Sprachkenntnisse bescheinigt wurden und auch der Senat in der mündlichen Verhandlung den sicheren Eindruck gewonnen hat, der Kläger spreche nicht nur fließend, sondern darüber hinaus in einer Weise deutsch, die ohne weiteres auf einen seit langem in ihm verwurzelten und gleichsam natürlich erworbenen Umgang mit der deutschen Sprache hindeutet.

2. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts steht dem Erwerb der Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 BVFG im vorliegenden Falle auch nicht der Ausschlusstatbestand des § 5 BVFG entgegen. Zwar hat das Verwaltungsgericht diese Vorschrift zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in der am 1.1.2000 in Kraft getretenen - gegenüber früher zumindest tendenziell verschärften - Fassung des Haushaltssanierungsgesetzes - HSanG - vom 22.12.1999 (BGBl. I, S. 2534) angewandt, nachdem der Kläger - im Wege des Aufnahmeverfahrens - erst am 25.4.2000 und somit nach Inkrafttreten des HSanG nach Deutschland gelangt ist (vgl. zur Problematik näher BVerwG, Urteil vom 12.3.2002, BVerwGE 116, 119). Indessen vermag der Senat den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum Inhalt des Ausschlusstatbestands nicht zu folgen.

§ 5 BVFG hat nunmehr folgenden Wortlaut:

§ 5

Ausschluss

Die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder 2 erwirbt nicht, wer

1. in den Aussiedlungsgebieten

a) der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewaltherrschaft erheblich Vorschub geleistet hat oder

b) durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat oder

c) in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat oder

2. a) die Aussiedlungsgebiete wegen einer drohenden strafrechtlichen Verfolgung aufgrund eines kriminellen Delikts verlassen oder

b) in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles war, oder

c) wer für mindestens drei Jahre mit dem Inhaber einer Funktion im Sinne von Nr. 2 b in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat.

Hiernach ist im vorliegenden Falle maßgeblich, ob beim Kläger die Voraussetzungen des § 5 Nr. 2b BVFG vorliegen. Bei Anwendung der Neufassung, die aktuellem (möglicherweise auch recht kurzatmigem) Reformbedürfnis entspringen mag, sind insbesondere auch die Gesetzesmaterialien in den Blick zu nehmen, auch wenn sich diese grundsätzlich nur dann auf die Gesetzesinterpretation auswirken können, wenn sie im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden haben. Der Gesetzentwurf der Fraktion SPD und Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 14/1523) sieht offenbar zunächst Erklärungsbedarf, weshalb diese Änderung ausgerechnet in ein Haushaltssanierungsgesetz aufgenommen wurde: Durch Verstetigung der Aussiedlung würden zugunsten von Bund, Ländern und Gemeinden mehr Ausgaben in nicht quantifizierbarer Höhe im Zusammenhang mit Aufnahme und Eingliederung von Spätaussiedlern vermieden. Das deutet ohne weiteres darauf hin, dass der Ausschlusstatbestand nach dem subjektiven Willen des Gesetzgebers gegenüber dem bisherigen Rechtszustand verschärft werden sollte. Die weitere Begründung zu § 5 lautet, soweit im vorliegenden Falle von Bedeutung, wörtlich wie folgt:

Der gestrichene § 5 Nr. 1 d enthielt einen aus den sog. Vertreibungsdruckrichtlinien übernommenen Ausschlusstatbestand. Seine Neufassung und Einfügung unter § 5 Nr. 2 a stellt klar, dass es sich um einen Tatbestand handelt, der nicht wie die Ausschlussgründe des § 5 Nr. 1 a bis c an die "Unwürdigkeit", sondern wie § 5 Nr. 2 in der geltenden Fassung an das fehlende Kriegsfolgenschicksal des Antragstellers anknüpft. Wer eine Stellung im kommunistischen Herrschaftssystem inne hatte, die für dessen Aufrechterhaltung als wichtig galt, erhielt, wie z.B. Regierungsmitglieder, Berufsfunktionäre der kommunistischen Massenorganisationen, Berufsoffiziere der Streitkräfte oder der Miliz - jedenfalls ab der Stellung eines Oberstleutnant -, Richter, Untersuchungsrichter, Staatsanwälte oder leitende Mitarbeiter der Verwaltung oder von größeren Wirtschaftsbetrieben, Privilegien, die dem Normalbürger verschlossen blieben. Er unterlag insbesondere nicht mehr den allgemeinen, gegen die deutsche Minderheit gerichteten Maßnahmen, so dass schon für Angehörige der mittleren Funktionsebene des Systems die Regelvermutung eines Kriegsfolgenschicksals nach § 4 Abs. 1 in diesen Fällen widerlegt ist. Die Formulierung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Einzelheiten des Privilegiensystems geheim gehalten wurden, so dass der Nachweis einer besonderen Bindung an das System sowie deren Ursächlichkeit für Beförderungsentscheidungen im Unterschied zum geltenden Recht entfällt.

Der Neufassung des Normtextes ist - "grammatische Auslegung" - zunächst zu entnehmen, die "Herübernahme" der Problematik in die Nr. 2 deute darauf hin, dass sie aus dem Zusammenhang der "Unwürdigkeitstatbestände" herausgenommen werden sollte; dies bestätigt auch die Begründung des Entwurfs. Weiter ist bei Zugrundelegung des Normtexts der Vorschrift erforderlich, dass die wahrgenommene Funktion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam galt oder bedeutsam war; mithin muss eine unmittelbare sachliche Beziehung zwischen der Bedeutung der Funktion und der Aufrechterhaltung "des" Herrschaftssystems als solchem bestehen. Dieser Zusammenhang legt jedenfalls für die typisierende Alternative des § 5 Nr. 2b BVFG unmittelbar nahe, dass der Ausschlusstatbestand zumindest eine Funktion voraussetzt, die deutlich über mittlere oder gar untere Dienstränge hinaus geht.

Legt man die Begründung des Gesetzes zugrunde, wurde dies im Gesetzgebungsverfahren zumindest zum Teil anders gesehen; so werden in den Materialien recht unterschiedslos Berufsfunktionäre der kommunistischen Massenorganisationen, Richter, Untersuchungsrichter, Staatsanwälte oder leitende Mitarbeiter der Verwaltung genannt, die sämtlich Privilegien erhalten hätten, die dem Normalbürger verschlossen geblieben seien, mit der Folge, dass schon für Angehörige der mittleren Funktionsebene des Systems die Regelvermutung eines Kriegsfolgenschicksals widerlegt sei. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers war dies bei Berufsoffizieren der Streitkräfte oder der Miliz "jedenfalls ab der Stellung eines Oberstleutnants" der Fall. Indessen haben diese subjektiven Vorstellungen nach Überzeugung des Senats im Gesetzestext keinen Niederschlag mehr gefunden; dieser stellt ausdrücklich und unmissverständlich allein darauf ab, ob die jeweilige Funktion für die Aufrechterhaltung "des" kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam galt, lässt dagegen jeglichen auch nur andeutungsweisen Hinweis auf die in den Gesetzesmaterialien erwähnte Problematik der Privilegien vermissen, die dem Normalbürger verschlossen geblieben seien, und bietet zudem auch keinerlei Anhaltspunkt für eine typisierende Differenzierung nach Dienstgraden. Der Ausschlussgrund des § 5 Nr. 2b BVFG setzt mithin voraus, dass die vom Betreffenden konkret wahrgenommene Funktion, so wie sie ausgeübt wurde, entweder für die Aufrechterhaltung "des" kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt (1. Alternative) oder - bei untypischer Sachlage - aufgrund der Umstände des Einzelfalles war (2. Alternative). Dies wiederum bedingt regelmäßig, dass die konkret wahrgenommene Funktion ermittelt und bewertet wird.

In dieser Einschätzung sieht sich der Senat in Übereinstimmung mit der seitherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, das sich in mehreren Urteilen vom 29.3.2001 (vgl. insbesondere Buchholz 412.3 § 5 BVFG Nr. 2 = BVerwGE 114, 116) mit § 5 Nr. 2b BVFG n.F. befasst und ausgeführt hat, die Vorschrift knüpfe zwar an das fehlende Kriegsfolgenschicksal des Betreffenden an, mache dies jedoch - ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 5 Nr. 1 d BVFG a.F. - nicht am Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes fest; dem deutschen Volkszugehörigen werde nach wie vor zugebilligt, nach seinen Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion. § 5 Nr. 2b BVFG gehe davon aus, dass das für deutsche Volkszugehörige sonst (möglicherweise) bestehende Kriegsfolgenschicksal nicht mehr fortbestand, wenn der Betreffende im Aussiedlungsgebiet eine Funktion ausgeübt habe, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten habe, weil er damit den Schutz dieses Systems genossen habe. Weiter hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, die Frage, welche Funktionen hiernach gewöhnlich als bedeutsam galten, beantworte sich nach den zur Zeit des kommunistischen Herrschaftssystems maßgeblichen politischen und rechtlichen Auffassungen im Aussiedlungsgebiet. Diese seien - "wie der Senat bereits zur Vorgängervorschrift hervorgehoben hat" - in der früheren Sowjetunion geprägt gewesen durch die führende Rolle, die der KPdSU in Staat und Gesellschaft zugekommen sei. Hauptamtlich tätige Parteifunktionäre der KPdSU hätten mithin eine Funktion ausgeübt, die in der damaligen Sowjetunion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems gewöhnlich als bedeutsam gegolten habe. Unzutreffend sei dagegen die vom Berufungsgericht im dortigen Verfahren vertretene Auffassung, eine Funktion habe schon dann für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten, wenn ihre Ausübung in der Regel an die Parteimitgliedschaft gebunden gewesen sei. Denn ungeachtet des Verhältnisses der Zahl der Parteimitglieder zur Gesamtbevölkerung belege die Regelvoraussetzung der Parteizugehörigkeit für die Ausübung einer Funktion nicht deren Bedeutung für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems. Die führende, lenkende und das System stabilisierende Kraft ging systemtypisch nicht von einfachen Parteimitgliedern, sondern von den Parteifunktionären ("von oben") aus. Deshalb ergebe sich weder aus der einfachen Parteizugehörigkeit noch aus einer diese grundsätzlich voraussetzenden Funktionsausübung eine irgend geartete Bedeutsamkeit für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Systems. Unzutreffend sei auch die Auffassung des Berufungsgerichts im dortigen Fall, eine Funktion habe für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam gegolten, wenn sie in einer staatlichen Einrichtung, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente, auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene ausgeübt worden sei. Zum einen handele es sich hierbei um einen Zirkelschluss, und zum anderen werde verkannt, dass § 5 Nr. 2 b BVFG insoweit maßgeblich auf eine konkret ausgeübte Funktion abstelle und nicht auf die gesamte Einrichtung, in der die Funktion ausgeübt werde. Dies alles bedeute, dass Parteifunktionen mit der Aufgabe, den Willen der Partei in staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen durchzusetzen, für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galten. Dies treffe jedoch nicht gleichermaßen für alle Funktionen in den staatlichen, wirtschaftlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen zu, auf welche die Partei Einfluss habe nehmen können und genommen habe. So könnten grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nicht kommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich seien und ausgeübt würden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam geltend angesehen werden. Hiernach war die bloße Funktion "Staatsanwalt-Kriminalist" als "normale, d.h. nicht politische Strafverfolgung" eine lediglich allgemeine staatliche Funktion, der keine spezifische Bedeutung für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems zukam; anderes galt dagegen - neben hauptamtlichen Parteifunktionären - für "politische Offiziere" (BVerwG, Urteil vom 29.3.2001 - 5 C 24.00 -).

Zusammenfassend reicht mithin für den Ausschlussgrund des § 5 Nr. 2b BVFG für sich genommen nicht hin, wenn der Betreffende, sei es auch als einfaches Mitglied der KPdSU, in staatlichen Einrichtungen "Karriere" gemacht und nur solche Funktionen wahrgenommen hat, die auch in anderen Staats- und Gesellschaftsordnungen selbstverständlich sind; ging die führende, lenkende und das System stabilisierende Kraft systemtypisch nicht von einfachen Parteimitgliedern, sondern von Parteifunktionären aus, ist vielmehr grundsätzlich erforderlich, dass der Betreffende eine Funktion ausgeübt hat, die typischerweise (§ 5 Nr. 2b BVFG, 1. Alternative: "gewöhnlich") oder im konkreten Einzelfall (2. Alternative) mit der Aufgabe verbunden war, im Sinne der KPdSU auf den ihm zugeordneten Bereich Einfluss zu nehmen. Im Bereich der Streitkräfte mag dies - einer abschließenden Beurteilung bedarf es im vorliegenden Verfahren nicht - typischerweise auf der obersten Ebene der Generäle der Fall gewesen sein; für die darunter liegenden Ränge - Stabsoffiziere (Oberst, Oberstleutnant und Major) und erst recht Offiziere - bedarf es grundsätzlich des konkreten Nachweises, dass der Betreffende nach Lage des Einzelfalles zu jener Einflussnahme in der Lage war.

Auf dieser Grundlage ergibt sich ohne weiteres, dass sich der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2b BVFG nicht entgegenhalten lassen muss. Der Kläger, der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einen rundum glaubwürdigen Eindruck vermittelt hat (seine Glaubwürdigkeit wurde auch von der Beklagten nicht bestritten), hat stets angegeben, er habe seine Laufbahn bei den sowjetischen Streitkräften als Oberstleutnant beendet; in der mündlichen Verhandlung hat er endgültig klargestellt, er habe diesen Rang im Jahre 1984 erlangt. Mithin zählte er zur Gruppe der Stabsoffiziere und somit zur mittleren Gruppe des Führungspersonals. Wie dargelegt, kann bei diesen Diensträngen nicht davon ausgegangen werden, ihre Inhaber seien schon deshalb für die Aufrechterhaltung "des" kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam gewesen. Hieran ändert auch nichts, dass derartige Funktionen regelmäßig nur erreichen konnte, wer Mitglied der KPdSU war; mithin kommt dem Umstand, dass auch der Kläger selbst eingeräumt hat, dieser Partei beigetreten zu sein, weil er sonst nicht mit Beförderung hätte rechnen können, für sich genommen keinerlei Bedeutung zu. Dass der Kläger in der KPdSU, über lediglich einfache Mitgliedschaft hinaus, eine Parteifunktion wahrgenommen hätte, ist nicht ersichtlich; im Gegenteil hat er vor der Botschaft xxxxxx, ohne dass dies je bestritten worden wäre, ausdrücklich angegeben, derartige Funktionen habe er nicht innegehabt. In der mündlichen Verhandlung hat er dies bestätigt. Der Senat hat auch keinerlei Anhaltspunkte, wonach der Kläger aufgrund der Umstände des Einzelfalles für die Aufrechterhaltung "des" kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam gewesen sein könnte (2. Alternative des § 5 Nr. 2b BVFG). Der von ihm vor der Botschaft xxxxxx umschriebene maximale Umfang seiner Befehlsgewalt - bei 16 Panzern höchstens 68 Mann - hält sich nach Überzeugung des Senats in jeder Hinsicht im üblichen Rahmen "schlichter" militärischer Befehlsgewalt von Offizieren derartigen Dienstgrades; nichts anderes kann für die Funktionen des Vertreters des Stabschefs eines Regiments und des Vertreters des Stabschefs einer Baubrigade gelten, die er - auch dies ist unstreitig - als Major und sodann als Oberstleutnant wahrnahm. Im Gegenteil handelte es sich erkennbar durchweg um Funktionen, die auch in anderen, nicht kommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen selbstverständlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Beschluss

vom 1. Oktober 2003

1. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt (vgl. § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).

2. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt (vgl. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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