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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: 7 S 2219/04
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 166
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das vorläufige Rechtsschutzverfahren darf in der Regel nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, dass wegen der erfolgten Ablehnung der beantragten einstweiligen Anordnung die hinreichende Erfolgsaussicht fehle.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

7 S 2219/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Sozialhilfe; Antrag gemäß § 123 VwGO

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Gehrlein und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Klein und Prof. Bader

am 23. November 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 18. August 2004 - 7 K 813/04 - geändert. Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin xxxxxxx xxxxxxxx, xxxxxxxxxxxxx x, xxxxx xxxxxxxxxx, beigeordnet.

Die Antragstellerin hat keine Raten oder sonstige Beträge zu zahlen.

Gründe:

I.

Die am 11.09.1917 geborene Antragstellerin ist pflegebedürftig. Sie leidet an fortschreitender Demenz und begehrt die einstweilige Übernahme der Kosten der Tagespflege. Diese Kosten waren vom Antragsgegner zunächst übernommen worden. Mit Bescheid vom 25.03.2004 hob der Antragsgegner den Bewilligungsbescheid vom 04.06.2003 auf, lehnte die Übernahme der Kosten für die Tagespflege für den Zeitraum ab dem 01.10.2002 und die 2003 und 2004 erfolgte Kurzzeitpflege ab und forderte gewährte Sozialhilfe in Höhe von 6.598,98 EUR zurück. Mit Beschluss vom 18.08.2004 lehnte das Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab, weil der Antragstellerin ein Rückgewähranspruch gemäß § 528 BGB gegen ihre Tochter in Höhe von zumindest 5.540,79 EUR, wenn nicht gar 8.097,25 EUR zustehe. Zugleich lehnte das Verwaltungsgericht den Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin ab. Zur Begründung heißt es insoweit im angegriffenen Beschluss: "Hat mithin der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz keinen Erfolg, gilt entsprechendes für den Antrag, für das vorliegende Verfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren. Denn der Rechtsverfolgung fehlen die notwendigen Erfolgsaussichten (§ 166 i.V.m. § 114 ZPO)".

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht die erforderliche Erfolgsaussicht verneint.

1. Zunächst genügt die Begründung des Verwaltungsgerichts nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG.

a) In seinem Beschluss vom 26.06.2003 (1 BvR 1152/02 - NJW 2003, 3190) hat das BVerfG eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG darin gesehen, dass das OVG den im dortigen Verfahren gestellten Prozesskostenhilfeantrag nach der Entscheidung im Hauptsacheverfahren aus den Gründen des die Berufung zurück weisenden Urteils abgelehnt hat. Mit dieser Sachbehandlung habe das OVG die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bewilligung von Prozesskostenhilfe verkannt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe von der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abhängig gemacht wird. Die Anforderungen, die die Fachgerichte dabei an die erforderliche Erfolgsaussicht stellen können, dürfen aber der von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gebotenen weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes nicht widersprechen. Das Prozesskostenhilfeverfahren ist dem eigentlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagert; es soll die Rechtsverfolgung ermöglichen. Durch die Bewilligung der Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines rechtskundigen Prozessbevollmächtigten soll die unbemittelte Partei in eine Situation gebracht werden, die ihr eine angemessene Rechtsverfolgung erlaubt. Hieraus folgt zunächst, dass es weder Aufgabe des Prozesskostenhilfeverfahrens ist, das eigentliche Rechtsschutzverfahren zu ersetzen noch wird der Prozesskostenhilfeantrag durch die in der Sache getroffene Entscheidung gegenstands- oder bedeutungslos. Dies stellt Anforderungen in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht an die gerichtliche Entscheidung. Da die Prozesskostenhilfe die eigentliche Rechtsverfolgung ermöglichen soll, erfordert dies in aller Regel eine Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch vor der Hauptsacheentscheidung im Klageverfahren zumindest in angemessener Frist vor der mündlichen Verhandlung (VGH Bad.-Württ., VBlBW 2004, 385). Auch der unbemittelte Beteiligte muss alle prozessualen Möglichkeiten erhalten, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Hierzu zählt insbesondere die Akteneinsicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten und die vorbereitende schriftsätzliche Darstellung des klägerischen Standpunkts. Grundsätzlich sollte dem unbemittelten Beteiligten auch die Möglichkeit eröffnet sein, gegen eine ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts Beschwerde einlegen zu können, bevor in der Hauptsache entschieden wird. Eine Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung oder gar nach der getroffenen Hauptsacheentscheidung genügt diesen Anforderungen in aller Regel nicht. In inhaltlicher Hinsicht dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Mit der vom Gesetz für eine Prozesskostenhilfebewilligung verlangten "hinreichenden Erfolgsaussicht" ist nicht der tatsächliche Erfolg in der Hauptsache gemeint; die Offenheit der Prozesssituation zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs genügt. Sind im gerichtlichen Verfahren schwierige Rechtsfragen zu klären oder ist hinsichtlich der tatsächlichen Grundlage der zu treffenden Entscheidung Beweis zu erheben, so ist beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen grundsätzlich Prozesskostenhilfe zu gewähren. Eine Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags allein mit dem Hinweis auf das bereits erfolgte Unterliegen in der Hauptsache wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht.

b) Vergleichbares gilt auch für die Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, wenn Sachentscheidung und Prozesskostenhilfeentscheidung derart verbunden werden, dass wegen der fehlenden Erfolgsaussicht auf die Ablehnung des Eilantrags verwiesen wird. Zwar kann die zeitgleiche Entscheidung über den Sachantrag und den Prozesskostenhilfeantrag in eilbedürftigen Verfahren gerechtfertigt sein. Der im Prozesskostenhilfeverfahren anzulegende Prüfungsmaßstab muss allerdings den unterschiedlichen Anforderungen beider Verfahren Rechnung tragen. Wird das Prozesskostenhilfegesuch - wie im vorliegenden Fall - nur aus den Gründen der Sachentscheidung abgelehnt, so wird dies den verfassungsrechtlichen Anforderungen ebenfalls nicht gerecht. Diese Praxis ist zudem in hohem Maße unzweckmäßig. Denn für das Beschwerdeverfahren gelten hinsichtlich des vorläufigen Rechtsschutzes und der Prozesskostenhilfe völlig unterschiedliche Anforderungen. So unterliegt die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dem Vertretungszwang, die Prozesskostenhilfebeschwerde hingegen nicht. Auch hinsichtlich der Begründungserfordernisse bestehen grundlegende Unterschiede, denen die erteilten Rechtsmittelbelehrungen oft genug keine Rechnung tragen. So ist auch die im vorliegenden Fall erteilte Rechtsmittelbelehrung falsch. Sie orientiert sich allein an den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geltenden Anforderungen und trägt der gleichfalls getroffenen Prozesskostenhilfeentscheidung in keiner Weise Rechnung. Selbst wenn die vom Verwaltungsgericht erteilte Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich beider unterschiedlicher Beschwerdemöglichkeiten zutreffend gewesen wäre, kann diese Vermengung unterschiedlicher Anforderungen in einer Rechtsmittelbelehrung häufig geeignet sein, Missverständnisse bei den Beteiligten zu verursachen.

2. Die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung ist auch in der Sache nicht haltbar. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass der Antragstellerin ein Rückgewähranspruch aus § 528 BGB gegen ihre Tochter zustehen würde, der der Sozialhilfegewährung entgegen steht. Schon diese Frage, ob der Antragstellerin tatsächlich ein solcher Anspruch zusteht, ist nicht einfach zu beantworten. Verfehlt ist zudem die Erwägung, dass dieser Anspruch aktuell zur Bedarfsdeckung geeignet sei. Wie das Verwaltungsgericht ausführt, ist die Antragstellerin in Pflegestufe II eingestuft und leidet wohl unter Demenz. Sie selbst ist nicht mehr handlungsfähig, sondern wird von ihrer Tochter vertreten (UR-Nr. 1060/1999 des Notariats I Engstingen). Der Antragsgegner strebt ausweislich des hausinternen Schreibens vom 02.04.2004 (Bl. 89 d.A.) die Bestellung eines Betreuers nach § 1896 BGB an, weil er vom Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen ausgeht. Bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, dass bereite Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen; jedenfalls ist diese Frage nicht einfach zu beantworten.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§§ 188 Satz 2, 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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