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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 07.01.2005
Aktenzeichen: 7 S 2525/04
Rechtsgebiete: BSHG, SGB I
Vorschriften:
BSHG § 2 Abs. 1 | |
SGB I § 17 Abs. 1 Nr. 1 | |
SGB I § 47 |
Besteht die Notlage wegen verzögerten Zahlungszugangs fort, muss der Leistungsträger geeignete Maßnahmen ergreifen, um der Notlage zu begegnen. Auf die Überziehung seines Kontos kann ein Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nicht verwiesen werden.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Sozialhilfe; Antrag nach § 123 VwGO
hier: Prozesskostenhilfe
hat der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Gehrlein und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Klein und Prof. Bader
am 7. Januar 2005
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. September 2004 - 12 K 3106/04 - teilweise geändert. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt xxxxxxx xxxxxxxx, xxxxxx xxxxxxxxxx x, xxxxx xxxxxxxxxx, beigeordnet.
Der Antragsteller hat keine Raten oder sonstige Beträge zu zahlen.
Gründe:
I.
Mit Bescheid vom 26.7.2004 bewilligte die früher zuständige Stadt S. dem Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat August 2004. Als am 2.8.2004 keine Zahlung eingegangen war, sprach der Antragsteller bei der Stadt S. vor und teilte mit, dass er völlig mittellos sei und seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Die Stadt S. lehnte eine Barauszahlung im Hinblick auf die bereits erfolgte Anweisung des Betrages von 520,01 EUR ab. Am gleichen Tage beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Stuttgart den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der sofortigen Auszahlung des auf die erste Kalenderwoche entfallenden Teils der Hilfe für den Monat August 2004. Nachdem der Zahlungsbetrag dem Konto des Antragstellers am 5.8.2004 gutgeschrieben worden war, erklärte dieser den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt. Nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 27.9.2004 hat der Antragsteller die Verfahrenskosten zu tragen; der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wurde abgelehnt. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Antragsteller voraussichtlich unterlegen wäre, vielmehr waren die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags jedenfalls als offen zu betrachten. Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wollte der Antragsteller eine sofortige Auszahlung der bereits bewilligten Hilfe zum Lebensunterhalt für die erste Kalenderwoche des Monats August 2004 erreichen. Dieses Rechtsschutzbegehren erscheint weder als rechtsmissbräuchlich noch als von vornherein aussichtslos.
1. Dem Antragsteller stand für den fraglichen Zeitraum die Hilfe zum Lebensunterhalt zu, wie sich aus der Bewilligung durch die zunächst zuständige kreisangehörige Stadt S. ergibt (Bescheid vom 26.7.2004). Der für den Monat August 2004 bestehende Anspruch des Antragstellers war auch fällig (§ 41 SGB I).
2. Hinsichtlich der Auszahlung von Geldleistungen gilt allgemein, dass die Leistungsträger verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass die Leistungsberechtigten die ihnen zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhalten (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I). Gemäß § 47 SGB I sind Geldleistungen - vorbehaltlich abweichender Regelungen der besonderen Teile - kostenfrei auf ein Konto des Empfängers bei einem Geldinstitut zu überweisen, wenn nicht der Empfänger kostenfreie Übermittlung des Zahlungsbetrages an seinen Wohnsitz verlangt. Aus dieser Regelung, die grundsätzlich auch für das Recht der Sozialhilfe zur Anwendung kommt, folgt insbesondere auch, dass Überweisungen seitens des Leistungsträgers so rechtzeitig zu veranlassen sind, dass die Zahlung bei normalem Lauf der Dinge fristgerecht beim Empfänger eingeht (vgl. Mrozynski, SGB I, 3. Aufl., § 47 Rdnr. 10 m.w.N.). Diese Erfordernisse der zügigen Leistungserbringung und des rechtzeitigen Zugangs der Zahlung gelten insbesondere für Leistungen der Sozialhilfe. Denn diese Hilfen dienen der Beseitigung einer gegenwärtigen Notlage und damit der Deckung eines aktuell bestehenden sozialhilferechtlichen Bedarfs (vgl. § 2 Abs. 1 BSHG). Der rechtzeitige Zugang der Hilfe ist Strukturprinzip der Sozialhilfe, weil nur so die gegenwärtige Notlage beseitigt und damit die Aufgabe der Sozialhilfe erfüllt werden kann. In besonderer Weise gelten diese Erwägungen für Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt, die der Deckung des notwendigen Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind. Geht die Zahlung nicht rechtzeitig zu, kann der notwendige Bedarf nicht gedeckt werden. Bei den Empfängern dieser Hilfe kann auch regelmäßig davon ausgegangen werden, dass sie keine Reserven besitzen, auf die sie zur aktuellen Bedarfsdeckung zurückgreifen können. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung und eines aktuellen Kontoauszugs glaubhaft gemacht, dass er im fraglichen Zeitpunkt über keine ausreichenden Mittel verfügt hat. Selbst wenn das Geldinstitut eines Hilfeempfängers mit einer kurzfristigen Überziehung des Kontos einverstanden wäre, was bei diesem Personenkreis keineswegs gewiss ist, wäre eine solche Überziehung mit erheblichen Kosten verbunden, was für den Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt regelmäßig unzumutbar ist. Von daher war der Antragsteller im Zeitpunkt der Beantragung der einstweiligen Anordnung mittellos.
3. Der Antragsteller hat weiterhin glaubhaft gemacht, dass er der früher zuständigen Stadt S. von seiner Notlage durch seine Vorsprachen am 28.7. und am 2.8.2004 Kenntnis verschafft hat, ohne dass diese tätig geworden sei. Geht eine bereits bewilligte Hilfe dem Hilfeempfänger nicht rechtzeitig zu, so besteht die Notlage fort und es bedarf des Handelns des Sozialhilfeträgers. Im Bereich der Sozialhilfe gilt allgemein, dass die Hilfegewährung den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht werden muss. Beim Vorliegen eines akuten Bedarfs kann auch die sofortige bare Auszahlung eines Geldbetrages geboten sein, wenn die Notlage nur so überwunden werden kann (vgl. z.B. Mrozynski, SGB I, 3. Aufl., § 47 Rdnr. 7). Wählt der Leistungsträger einen Überweisungszeitpunkt, der nicht zu einem fristgerechten Zugang der Zahlung führt, muss er den aktuell fortbestehenden Bedarf gg. durch eine parallele darlehensweise Barauszahlung decken. Er kann sich nicht allein darauf zurückziehen, dass er die Überweisung bereits auf den Weg gebracht hat. Denn angewiesene, aber noch nicht zugegangene Mittel sind solche, die dem Hilfesuchenden tatsächlich nicht zur Verfügung stehen und deshalb zur Bedarfsdeckung nicht geeignet sind.
4. Soweit das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss darauf abgestellt hat, dass der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen und deshalb die Verspätung eingetreten sei, teilt der Senat diese Einschätzung nicht. Selbst wenn eine solche Pflichtverletzung vorgelegen haben sollte, könnte diese für die verspätete Auszahlung jedenfalls nicht ursächlich sein. Denn die Stadt S. hat den vollständigen Zahlungsbetrag am 26.7.2004 angewiesen. Jedenfalls als bei der Vorsprache des Antragstellers am 2.8.2004 feststand, dass ein Zahlungseingang nicht erfolgt war und auch ungewiss war, wann genau eine Gutschrift erfolgen würde, hätte die Stadt S. nicht untätig bleiben dürfen, sondern geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um der bestehenden Notlage zu begegnen. Da sie dies unterließ, hatte der Antragsteller Anlass zur Beantragung der einstweiligen Anordnung.
Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§§ 188 Satz 2, 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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