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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 05.12.2001
Aktenzeichen: 7 S 2825/99
Rechtsgebiete: MRK, BSHG


Vorschriften:

MRK Art. 6 Abs. 2
BSHG § 92 a
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Inhaftierung zur Kostenersatzpflicht führen kann.
7 S 2825/99

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Kostenerstattung

hat der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Gehrlein und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Klein und Bader auf die mündliche Verhandlung

vom 05. Dezember 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19. März 1999 - 2 K 2952/97 - teilweise geändert. Der Bescheid des Beklagten vom 05.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.07.1997 wird in vollem Umfang aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem dieser Kostenersatz für die an die frühere Ehefrau und die aus dieser Ehe hervor gegangenen drei Kinder gewährte Sozialhilfe in Höhe von 29.015,44 DM fordert.

Der Kläger war seit dem Jahre 1982 als freier Mitarbeiter bzw. ab 1984 als Verwalter von Wohnungseigentumsanlagen tätig geworden. Die zunächst gegründete GbR wurde am 26.10.1989 in eine oHG umgewandelt. Wegen des zunehmenden Geschäftsvolumens und fehlender Buchhaltung gelang es dem Kläger und seinem Mitgesellschafter nicht mehr, die Geschäfte ordnungsgemäß abzuwickeln. Die verschiedenen Geschäftsbereiche wurden nicht ordnungsgemäß getrennt, ausstehende Zahlungen konnten nicht beigetrieben, offene Darlehen nicht getilgt werden. Dies führte zur Überschuldung der Gesellschaft und zum Vermögensverfall.

Wegen dieser Ereignisse wurde gegen den Kläger und seinen Mitgesellschafter wegen des Verdachts der Untreue, des Betruges und der Urkundenfälschung ermittelt. Am 28.07.1993 wurde der Kläger von der Polizei festgenommen. Der Kläger befand sich sodann vom 28.07.1993 bis einschließlich 20.07.1994 in Untersuchungshaft, welche vom 07.09.1993 bis 05.10.1993 zur Vollstreckung einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Trunkenheit in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 90 DM unterbrochen wurde. Der Haftbefehl wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 18.07.1994 gegen Sicherheitsleistung aufgehoben.

Mit Urteil vom 31.03.1998 hat das Landgericht Mannheim den Kläger wegen Untreue in 142 Fällen, wegen Betruges in zwei Fällen, wegen Verletzung der Buchführungspflicht in zwei Fällen, wegen Bankrotts in vier Fällen sowie wegen verspäteter Konkursanmeldung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Im übrigen wurde der Kläger freigesprochen. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

Mit Schreiben vom 11.08.1994 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er der (früheren) Ehefrau des Klägers und den drei Kindern seit dem September 1993 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewähre. Der monatliche Aufwand belaufe sich auf 2.193 DM. Der Unterhaltsanspruch sei gemäß § 91 BSHG auf den Sozialhilfeträger übergegangen. Der Kläger wurde aufgefordert, Auskunft über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erteilen, um die Unterhaltsfähigkeit feststellen zu können. Der ab dem 01.09.1993 bis einschließlich Dezember 1994 entstandene Sozialhilfeaufwand wurde vom Beklagten mit insgesamt 29.806,49 DM beziffert.

Mit weiterem Schreiben vom 27.07.1995 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihn wegen der entstandenen Aufwendungen nach § 92 a BSHG in Anspruch zu nehmen. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 28.07.1995 dahin Stellung, dass er den Ausfall der Unterhaltsleistungen nicht grob fahrlässig herbei geführt habe. Auch während seiner Inhaftierung habe er in der Bäckerei der JVA gearbeitet. Seinen Unterhaltsverpflichtungen habe er nicht nachkommen können, weil der dort gezahlte Stundenlohn zu gering gewesen sei. Seit Dezember 1994 befinde er sich wieder in einem Beschäftigungsverhältnis und zahle wieder regelmäßig Unterhalt an seine geschiedene Frau und die Kinder.

Mit Bescheid vom 05.11.1996 zog der Beklagte den Kläger zum Kostenersatz in Höhe von 29.806,49 DM heran. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger sei wegen einer vorsätzlich oder grob fahrlässig begangenen Straftat inhaftiert worden und habe dadurch die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe an die Unterhaltsberechtigten vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt. Durch die Inhaftierung sei es dem Kläger nicht mehr möglich gewesen, seinen Unterhaltspflichten im Zeitraum vom 28.07.1993 bis zum 31.12.1994 nachzukommen, weshalb die Sozialhilfe vom 01.09.1993 bis 31.12.1994 in Höhe von insgesamt 29.806,49 DM habe eintreten müssen.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 08.12.1996, beim Beklagten eingegangen am 09.12.1996, Widerspruch eingelegt. Der Bescheid stütze sich auf Vermutungen und falsche Tatsachen, auch sei die Höhe des geforderten Kostenersatzes nicht im Einzelnen nachvollziehbar. Die Forderung stelle zudem eine unangemessene Härte dar, weil sie die weitere Zahlung der ab 01.01.1995 wieder aufgenommenen Unterhaltsleistungen gefährde.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.07.1997, zur Post gegeben am 21.07.1997, zurückgewiesen. Wegen der Verbuchung von Einnahmen im Jahre 1997 in Höhe von 791,05 DM wurde der Erstattungsbetrag um diesen Teilbetrag reduziert und der zu erstattende Gesamtaufwand auf 29.015,44 DM festgesetzt. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG seien erfüllt. Der Kläger habe sich sozialwidrig verhalten, indem er vorsätzlich zumindest aber grob fahrlässig durch seine Straftaten die Sozialhilfebedürftigkeit der Unterhaltsberechtigten herbei geführt habe. Die Inhaftierung sei auch ursächlich für die erforderliche Hilfegewährung gewesen. Denn der Kläger sei vor seiner Inhaftierung in der Lage gewesen , für den Unterhalt seiner Familie aufzukommen. Dass er durch den dann eingetretenen Vermögensverfall selbst in finanzielle Schwierigkeiten gekommen sei, ändere nichts an der Kausalität, weil er diese Probleme selbst herbei geführt und zu vertreten habe. Die Kausalität werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass er während seiner Haft nur ein geringes Einkommen bezogen habe. Überwiegende Ursache der fehlenden Leistungsfähigkeit sei das schuldhafte Verhalten und die daraus folgende Inhaftierung gewesen. Die Heranziehung des Klägers stelle auch keine Härte im Sinne des § 92 a Abs. 1 Satz 2 BSHG dar. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Widerspruchsbescheid vom 17.07.1997 Bezug genommen.

Der Kläger hat am 18.08.1997 Klage beim Verwaltungsgericht in Karlsruhe erhoben. Die Heranziehung stelle eine unbillige Härte dar und beeinträchtige die Fähigkeit, künftig angemessene Unterhaltszahlungen an die drei Kinder zu erbringen. Mit Beschluss vom 04.09.1997 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten aufweise und die Sache auch keine grundsätzliche Bedeutung habe.

Mit Urteil vom 19.03.1999 hat das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 05.11.1996 und dessen Widerspruchsbescheid vom 17.07.1997 aufgehoben soweit mehr als 29.015,44 DM Kostenersatz vom Kläger gefordert wird und soweit der Garantiebetrag bei der Berechnung nach den Sozialhilferichtlinien Nr. 92a.04 i.V.m. Nr. 85.23 nicht berücksichtigt ist; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen heißt es u.a.: Die Voraussetzungen des § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG seien erfüllt. Das Verhalten des Klägers, das zu seiner Verurteilung durch das Landgericht Mannheim geführt habe, sei ursächlich dafür gewesen, dass seine Familie auf Sozialhilfe angewiesen war. Wäre der Kläger nicht in Untersuchungshaft genommen worden, hätte er diesen Unterhalt aus Einnahmen aus Erwerbstätigkeit finanzieren können und müssen. Der Kläger habe auch nicht versucht, die insoweit bestehende Unterhaltsverpflichtung während seiner Inhaftierung herabsetzen zu lassen. Der Kläger könne sich auch nicht erfolgreich auf eine Härte im Sinne von § 92 a Abs. 1 Satz 2 BSHG berufen. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gegen das am 26.07.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25.08.1999 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 26.11.1999 hat der Senat die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Der Kläger hat die Berufung wie folgt begründet: Untersuchungshaft könne nicht der Strafhaft gleich gesetzt werden. Auch sei der Kläger nicht wegen der Haft, sondern aufgrund des Konkurses der Firma mittellos geworden. Damit entfalle die vom Beklagten angenommene Kausalität. Schließlich sei der angefochtene Bescheid auch rechnerisch falsch. Er habe bereits im Dezember 1994 wieder Unterhalt in Höhe von 2.500 DM an seine frühere Ehefrau gezahlt. Die Inanspruchnahme stelle zudem eine unbillige Härte dar; der Beklagte habe insoweit auch kein Ermessen ausgeübt. Die Resozialisierung des Klägers werde gefährdet. Dieser müsse aufgrund der Bewährungsauflagen monatlich 1.300 DM leisten. Hierzu kämen die Unterhaltszahlungen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19. März 1999 zu ändern und den Bescheid des beklagten Landkreises vom 05.11.1996 und dessen Widerspruchsbescheid vom 17.07.1997 insgesamt aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 17.07.1997 sowie das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die in der Sache angefallenen Gerichtsakten sowie die dem Senat vorliegenden Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Beklagten verhandeln und aufgrund der mündlichen Verhandlung entscheiden, weil dieser in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte der Klage entsprechen müssen, weil die angefochtenen Verwaltungsakte rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen.

I.

Die Berufung ist statthaft, rechtzeitig begründet und auch im Übrigen zulässig. Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Kläger 26.07.1999 zugestellt. Der Antrag auf Zulassung der Berufung erfolgte innerhalb der Monatsfrist des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 26.11.1999 nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Dieser Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers jedenfalls vor dem 20.12.1999 zugestellt (an diesem Tag ging das Empfangsbekenntnis ohne Zugangsdatum beim Verwaltungsgerichtshof ein). Die Berufung wurde mit Schriftsatz vom 04.01.2000, eingegangen am 05.01.2000, begründet. Da der Zulassungsbeschluss von der Geschäftsstelle am 14.12.1999 zur Post gegeben worden ist, ist die Monatsfrist des § 124 a Abs. 3 Satz 1 VwGO in jedem Fall eingehalten, gleichgültig wann genau der Zulassungsbeschluss beim Prozessbevollmächtigten des Klägers eingegangen ist.

II.

Der Senat lässt dahin stehen, ob das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht schon deshalb zu ändern ist, weil nicht die Kammer, sondern nach Übertragung durch Beschluss vom 04.09.1997 der Einzelrichter in der Sache entschieden hat. Denn die Voraussetzungen für eine Übertragung (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO) lagen zu keinem Zeitpunkt vor.

Der Bescheid vom 05.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.07.1997 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war deshalb insgesamt aufzuheben. Die Voraussetzungen für einen Kostenersatz nach § 92 a BSHG sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Nach § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung der Sozialhilfe an sich selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat. Nach der Rechtsprechung des BVerwG handelt es sich beim Ersatzanspruch nach § 92 a Abs. 1 BSHG um einen quasi-deliktischen Anspruch, weil dieser von einem schuldhaften Verhalten des Ersatzpflichtigen abhängt (Urt. v. 23.09.1999 - 5 C 22.99 - und Urt. v. 24.06.1976 - V C 41.74 - Buchholz § 92 a BSHG Nrn. 2 und 8). Die Gewährung von Sozialhilfe muss objektiv sozialwidrig herbeigeführt worden sein; ferner muss sich der Ersatzpflichtige der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grob fahrlässig nicht bewusst sein (aaO). Zu berücksichtigen ist zusätzlich, dass der Kostenersatz als Mittel der Durchsetzung des Nachrangprinzips eine Ausnahme darstellt. Das schlichte Nichtleisten von Unterhalt an Unterhaltsberechtigte trotz Leistungsfähigkeit genügt diesen Anforderungen nicht; der Nachrang der Sozialhilfe ist in diesen Fällen durch die Verfolgung und Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs herzustellen (BVerwG, aaO, Buchholz § 92 a Nr. 2).

Die angefochtenen Bescheide und diesen folgend das Verwaltungsgericht haben die Sozialwidrigkeit des klägerischen Verhaltens in dem Umstand erblickt, dass er aufgrund seiner Inhaftierung (Untersuchungshaft) nicht in der Lage gewesen war, seinen Unterhaltspflichten nachzukommen. Diese Sichtweise begegnet durchgreifenden Bedenken. Dies schon deshalb, weil der Zeitraum des Sozialhilfebezugs der Unterhaltsberechtigten in drei differenziert zu behandelnde Abschnitte aufzuteilen ist. Der Beklagte zahlte Sozialhilfe im Zeitraum vom 01.09.1993 bis zum 31.12.1994. In Haft war der Kläger aber nur vom 28.07.1993 bis einschließlich 20.07.1994, wobei die Untersuchungshaft für die Zeit vom 07.09.1993 bis zum 05.10.1993 zur Vollstreckung einer Geldstrafe unterbrochen wurde.

1. Im Zeitraum vom 21.07.1994 bis zum 31.12.1994 war der Kläger weder in Strafhaft noch in Untersuchungshaft. In diesem Zeitraum wurde den Unterhaltsberechtigten aber Sozialhilfe gewährt, deren Ersatz der Beklagte gemäß § 92 a BSHG begehrt. Insoweit sind die angegriffenen Bescheide schon formell rechtswidrig. Denn diese enthalten keinerlei Begründung (§ 35 SGB X), worin das sozialwidrige Verhalten des Klägers in diesem Zeitraum zu sehen sein soll. Ebenso wenig genügen die angefochtenen Bescheide insoweit dem Erfordernis des § 24 SGB X, weil der Beklagte immer nur auf die Inhaftierung abgestellt hat, dem Kläger mithin keine Gelegenheit eingeräumt worden ist, auf etwaige andere Umstände einzugehen. Die Bescheide sind insoweit aber auch materiell rechtswidrig. Denn es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, welches sozialwidrige Verhalten dem Kläger für diesen Zeitraum vorgeworfen werden könnte. Dieser hat sich umgehend nach seiner Haftentlassung um Arbeit bemüht, eine solche auch alsbald gefunden und die Unterhaltsleistungen an seine Familie wieder aufgenommen. Von daher bedarf keiner weiteren Aufklärung, wann genau der Kläger wieder mit seinen Unterhaltsleistungen eingesetzt hat. In der Widerspruchsbegründung hat er angegeben, dass er die Unterhaltszahlungen ab 01.01.1995 wieder aufgenommen habe, im Berufungszulassungsantrag heißt es, die Zahlungen in Höhe von 2.500 DM seien bereits im Dezember 1994 erfolgt, weshalb der Ersatzbetrag auch rechnerisch fehlerhaft sei. Dies kann dahin stehen, weil für diesen Zeitraum schon dem Grunde nach keine Kostenersatzpflicht besteht.

2. Der Beklagte kann vom Kläger auch keinen Kostenersatz für die Zeit der Untersuchungshaft (Zeitraum vom 01.09.1993 bis 06.09.1993 und vom 06.10.1993 bis 20.07.1994) geltend machen.

Unabhängig von der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verbüßung einer Freiheitsstrafe als sozialwidriges Verhalten im Sinne von § 92 a BSHG qualifiziert werden kann (vgl. insoweit unten 3.; kritisch hierzu insbesondere LPK-BSHG, 5. Aufl., § 92 a Rdnr. 9 m.w.N.), kann nach Auffassung des Senats jedenfalls die Untersuchungshaft nicht mit Strafhaft gleich gesetzt werden. Die Anordnung der Untersuchungshaft begründet gegenüber dem Beschuldigten grundsätzlich nicht den Vorwurf der Sozialwidrigkeit im Sinne von § 92 a BSHG.

a) Gemäß § 112 StPO darf die Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten nur angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. Das Rechtsinstitut der Untersuchungshaft trägt dem Spannungsverhältnis zwischen den Art. 104 und 2 Abs. 2 GG einerseits und dem legitimen Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters Rechnung (BVerfGE 19, 343 <347 f.>). Die Untersuchungshaft hat damit nur prozessuale Bedeutung im Rahmen des Strafprozesses, der den Strafanspruch des Staates in einem justizförmigen geordneten Verfahren gewährleisten und durchsetzen will. Unabhängig hiervon bestimmt aber Art. 6 Abs. 2 MRK, dass bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet wird, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Dies gilt selbstredend auch für Untersuchungsgefangene. Diese Unschuldsvermutung hat als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips nach der Rspr. des BVerfG Verfassungsrang (BVerfGE 74, 358 <370>; Pfeiffer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl., Einl. Rdnr. 32 a). Zudem führt die Transformation der MRK in das nationale Recht dazu, dass die Unschuldsvermutung Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik Deutschland im Range eines Bundesgesetzes ist (BVerfGE 74, 358 <370>). Die Unschuldsvermutung endet erst mit der Rechtskraft der Verurteilung (Pfeiffer, aaO, Einl. Rdnr. 32 a). Dies bedeutet, dass die Auslegung von § 92 a BSHG sowohl verfassungskonform (rechtsstaatsgemäß) als auch völkerrechtskonform erfolgen muss, wobei die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe dienen kann (BVerfGE 74, 358 <370>). Aus verfassungsrechtlicher Sicht hat das BVerfG ausgeführt, dass zu Lasten des Beschuldigten keine Nachteile begründet werden dürfen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist (BVerfGE 74, 358 <371>). Und wörtlich weiter: " Nach allem verbietet die Unschuldsvermutung zum einen, im konkreten Strafverfahren ohne gesetzlichen, prozeßordnungsgemäßen - nicht in notwendiger Weise rechtskräftigen - Schuldnachweis Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu behandeln; zum anderen verlangt sie den rechtskräftigen Nachweis der Schuld, bevor dem Verurteilten diese im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342 <347>; 35, 311 <320>)."

Wegen dieses Grundsatzes hat es das BVerfG als verfassungswidrig angesehen, dass dem Verfassungsbeschwerdeführer Kosten - begründet mit dessen Schuld - auferlegt wurden, ohne dass das Gericht zuvor eine solche Feststellung getroffen oder jedenfalls die Hauptverhandlung bis zur Spruchreife durchgeführt habe (BVerfGE 74, 358 <373 ff.>).

b) Für den vorliegenden Fall folgt aus diesen Grundsätzen, dass dem Kläger eine Straftat allgemein im Rechtsverkehr nur dann vorgeworfen werden kann, nachdem dieser rechtskräftig verurteilt worden ist. Die Bescheide des Beklagten können also nicht für sich ins Feld führen, dass der Kläger später strafrechtlich verurteilt worden ist. Dies folgt schon aus der Unschuldsvermutung, zusätzlich aber auch aus dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Bescheide maßgeblichen Zeitpunkt. Dieser ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (17.07.1997); der Kläger ist aber erst mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 31.03.1998 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Diese spätere Entwicklung ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Heranziehung zum Kostenersatz ohne Belang. Eine vorwerfbare Sozialwidrigkeit, die die Heranziehung des Klägers rechtfertigen könnte, ergibt sich jedenfalls nicht aus der späteren strafrechtlichen Verurteilung.

Nach Auffassung des Senats kann auch die Anordnung der Untersuchungshaft als solche wegen der Unschuldsvermutung keinen Ersatzanspruch des Beklagten begründen. Denn rechtmäßigerweise kann dem Kläger der Kostenersatz nur angesonnen werden, wenn er die Gewährung von Sozialhilfe an die Unterhaltsberechtigten verschuldet hat (s.o.). Dieser Schuldvorwurf muss nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht notwendigerweise ein strafrechtlicher sein; auch andere sozialwidrige Maßnahmen des Unterhaltsverpflichteten können einen solchen Schuldvorwurf begründen. Wenn der Sozialhilfeträger aber zur Begründung seines Schuldvorwurfs auf einen - zunächst noch ungeklärten - strafrechtlichen Schuldvorwurf rekurriert, ist er an die für das Strafverfahren geltenden Maximen und damit auch an die Unschuldsvermutung gebunden. Die Inhaftierung als solche stellt dort aber keine Schuldfeststellung dar, sondern hat ausschließlich strafverfahrenssichernde Funktion. Die Unschuld des Inhaftierten kann sich im nachfolgenden Verfahren erweisen bzw. seine Schuld nicht erweislich sein. Wird die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, das Verfahren eingestellt oder der Betroffene freigesprochen, hat er ggf. Anspruch auf Ersatz des ihm durch die Untersuchungshaft entstandenen Schadens (§ 2 Abs. 1 StrEG). Wie das sich anschließende Strafverfahren ausgehen wird, weiß der Sozialhilfeträger vor dessen rechtskräftigem Abschluss nicht. Würde sich heraus stellen, dass der Betroffene zu Unrecht in Haft genommen worden war, bliebe keinerlei Schuldvorwurf, der diesem sozialhilferechtlich gemacht werden könnte, übrig. Selbst wenn der Betroffene die Inhaftierung mitverschuldet hätte (§ 5 Abs. 2 und 3 StrEG), wäre höchst fraglich, ob solche Feststellungen in einem Verwaltungsverfahren des Sozialhilfeträgers gleichermaßen verwertet werden könnten. Wären solche Umstände im Streit, ohne dass eine strafgerichtliche Entscheidung hierüber vorliegen würde, müssten die Feststellungen und Bewertungen möglicherweise sogar allein im Verwaltungsverfahren getroffen werden. Hierzu ist das Verwaltungsverfahren aber weder bestimmt noch geeignet. Könnte ein Sozialhilfeträger einen Kostenersatzanspruch allein auf die "strafverfahrensrechtliche Schuld" (den Umstand der Inhaftierung) des Betroffenen gründen, käme dies zudem einer Vorverurteilung gleich, die im Widerspruch zur Unschuldsvermutung stehen würde. Unter dem einen wie dem anderen Blickwinkel stellt die Heranziehung zum Kostenersatz wegen der Untersuchungshaft immer einen Bescheid auf Verdacht und nicht auf der zu fordernden gesicherten tatsächlichen Grundlage dar. Der Sozialhilfeträger darf die den Kläger belastende Rechtsfolge aber nur aussprechen, wenn er sich der anspruchsbegründenden Tatsachen zuvor vergewissert hat. Dies ist aber vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens nicht möglich.

3. Dem Beklagten steht auch für den Zeitraum vom 07.09.1993 bis zum 05.10.1993 kein Ersatzanspruch gegen den Kläger zu. In diesem Zeitraum war der Kläger nicht in Untersuchungshaft, sondern zur Vollstreckung einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Trunkenheit in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 90 DM inhaftiert.

Ob die Verbüßung von Strafhaft, die zur Sozialhilfebedürftigkeit von Unterhaltsberechtigten führt, ein sozialwidriges Verhalten des Unterhaltsverpflichteten darstellt, ist umstritten (dafür: OVG Lüneburg FEVS 43, 246; Hess. VGH FEVS 18, 456; Knopp/Fichtner, 7. Aufl., Rdnr. 7; Gottschick/Giese, 9. Aufl., § 92 a Rdnr. 3.6; Mergler/Zink, § 92 a Rdnr. 18; Eichhorn/Fergen, Praxis der Sozialhilfe, 3. Aufl., S. 1521; Schmitt/Hillermeier, BSHG, § 92 a Rdnr. 6; Schellhorn/Jirasek/Seipp, 15. Aufl., § 92 a Rdnr. 14, der allerdings darauf verweist, dass es in solchen Fällen häufig zu einem Einsatz der Härteregelung kommen müsse; aA: LPK-BSHG, 5. Aufl., § 92 a Rdnr. 9). Der Senat lässt offen, unter welchen Voraussetzungen die Verbüßung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe als "sozialwidrig" im Sinne von § 92 a BSHG qualifiziert werden kann. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall besteht eine solche Kostenersatzverpflichtung des Klägers nicht.

a) Dies folgt zunächst daraus, dass es sich bei der vom Kläger verbüßten Freiheitsstrafe um eine Ersatzfreiheitsstrafe handelt. Dieser war ausweislich der Gründe des landgerichtlichen Urteils vom 31.03.1998 durch das Urteil des Amtsgerichts Wiesloch vom 13.07.1993 (3 Cs 382/93), rechtskräftig seit 30.07.1993, wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 90 DM verurteilt worden. Aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs seiner Firma war der Kläger nicht in der Lage, diese Geldstrafe zu bezahlen, so dass die verhängte Geldstrafe uneinbringlich war. An die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt gemäß § 43 Satz 1 StGB Freiheitsstrafe. Hierbei entspricht gemäß § 43 Satz 2 StGB einem Tagessatz ein Tag Freiheitsstrafe. Im Falle der Ersatzfreiheitsstrafe ist der leistungsunfähige Verurteilte mithin nicht in Haft, weil er eine strafbare Handlung begangen hat, sondern weil er nicht zahlen kann, weil er mittellos ist. Mittellosigkeit stellt aber keine Sozialwidrigkeit im Sinne von § 92 a BSHG dar. Anderes könnte nur dann gelten, wenn der Betroffene die Geldstrafe trotz bestehenden Leistungsvermögens nicht zahlen würde, und damit die Ersatzfreiheitsstrafe vorsätzlich oder fahrlässig verursachen würde.

Da der Kläger die Ersatzfreiheitsstrafe nur deshalb verbüßt hat, weil er mittellos war, fehlt auch die erforderliche Kausalität für einen Kostenersatzanspruch. Die Sozialhilfe musste nicht deshalb eintreten, weil der Kläger in Folge der Inhaftierung leistungsunfähig (mittellos) wurde, sondern er wurde in Haft genommen, weil er mittellos war.

b) Im vorliegenden Fall dürfte die Strafhaft aber auch deshalb als nicht ursächlich für den Unterhaltsausfall anzusehen sein, weil der Kläger zwar während der Haft gearbeitet hat, die hierfür gewährte Entlohnung aber nicht reichte, um Unterhaltsleistungen an die Familie erbringen zu können.

aa) Die erforderliche Kausalität fehlt allerdings nicht schon deshalb, weil die tatsächliche Leistungsfähigkeit des inhaftierten Klägers gemindert war und damit dessen Unterhaltsverpflichtung entfallen ist (so aber LPK-BSHG (aaO) unter Hinweis auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte). Denn der Kostenersatzanspruch nach § 92 a BSHG ist nicht deckungsgleich mit dem Unterhaltsanspruch, sondern geht über diesen hinaus. Wie durch die Rechtsprechung bereits geklärt ist, erfasst er auch Fälle - schuldhaft verursachter - Leistungsunfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten.

bb) Die Nichterbringung der Unterhaltsleistungen kann dem Kläger aber nicht vorgeworfen werden. Dass er seinen Unterhaltspflichten nicht hat nachkommen können, liegt nicht an ihm, sondern an der - verfassungswidrigerweise - zu niedrigen Bezahlung seiner Arbeit.

Bereits der BGH (NJW 1982, 1812 <1813>) hat angesprochen, dass die tatsächlichen Bezüge für in der Haft geleistete Arbeit erheblich hinter einer leistungsgerechten Entlohnung zurück bleiben. Das BVerfG hat in seinem Urteil vom 01.07.1998 (BVerfGE 98,169) im Einzelnen ausgeführt, dass eine höhere Entlohnung der Arbeit im Strafvollzug von Verfassungs wegen geboten ist und die seinerzeitige Bemessung des Arbeitsentgelts durch § 200 Abs. 1 StVollzG für mit dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot unvereinbar erachtet (aaO, S. 212 ff.). Einem Inhaftierten, der seiner Unterhaltspflicht nur deshalb nicht nachkommen kann, weil er im Strafvollzug verfassungswidrigerweise zu niedriges Entgelt für seine Arbeit erhält, kann wohl nicht der Vorwurf sozialwidrigen Verhaltens gemacht werden.

4. Fehlen somit die Voraussetzungen für einen Kostenersatz schon dem Grunde nach, kann dahin stehen, ob die Heranziehung des Klägers auch deshalb unzulässig ist, weil sie für diesen eine Härte im Sinne von § 92 a Abs. 1 Satz 2 BSHG bedeuten würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.

Die Revision war gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Von grundsätzlicher Bedeutung ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen Untersuchungshaft oder Strafhaft einen Kostenersatzanspruch nach § 92 a BSHG begründen können.

Ende der Entscheidung

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