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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 21.03.2006
Aktenzeichen: 8 S 1056/05
Rechtsgebiete: BauGB, LBO


Vorschriften:

BauGB § 172 Abs. 1
BauGB § 173 Abs. 1
LBO § 48 Abs. 2 Satz 1
LBO § 111 Abs. 2 Nr. 1 (F. 1972)
1. Die Vorschrift des § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO ist nicht nur im Baugenehmigungsverfahren, sondern auch dann anwendbar, wenn die Baurechtsbehörde über einen Antrag auf baurechtliches Einschreiten entscheiden muss, der gegen ein Vorhaben der Gemeinde gerichtet ist (wie VGH Bad.-Württ., Beschl. vom 29.3.1999 - 3 S 718/99 -, VBlBW 1999, 309) oder der von der Gemeinde selbst unter Berufung auf nachbarliche Rechte gestellt wird.

2. Einwendungen gegen ein Vorhaben, die für das konkrete baurechtliche Verfahren irrelevant sind, wie etwa die Geltendmachung rein zivilrechtlicher Abwehrrechte, oder behördeninterne Mitwirkungsakte, die nicht der Entscheidungsbefugnis der Baurechtsbehörde unterliegen, wie bspw. die Versagung der denkmalschutzrechtlichen Zustimmung oder des gemeindlichen Einvernehmens, sind keine "Einwendungen" im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO.

3. Regelungen in Erhaltungssatzungen, welche eine Baugenehmigungspflicht für bauliche Maßnahmen vorsehen, die ansonsten einer "erhaltungsrechtlichen" Genehmigung nach §§ 172, 173 BauGB bedürften, sind auch nach Aufhebung der Ermächtigung zur satzungsrechtlichen Einführung einer Genehmigungspflicht (§ 111 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1972) durch die LBO 1995 noch in Kraft.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

8 S 1056/05

Verkündet am 21.03.2006

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Beseitigungsverfügung

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. März 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 20. April 2005 - 9 K 1762/03 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine baurechtliche Verfügung, mit der ihm die Beseitigung eines Balkonanbaus aufgegeben wird. Er ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Flst.Nr. 27/6, Seminargasse 5 in Rottenburg, das im Geltungsbereich der Altstadtsatzung der Beklagten vom 25.08.1981 liegt.

Mit einem als "Bauvoranfrage" bezeichneten Schreiben vom 19.01.1999 legte der Kläger dem Stadtplanungsamt der Beklagten Skizzen des geplanten Balkonanbaus vor. Er wies darauf hin, dass für ihn und seine Familie der Erwerb des Hauses in der Seminargasse 5 in erster Linie davon abhängig sei, ob ein Balkon gemäß beiliegender Skizze montiert werden könne; deshalb werde um eine Stellungnahme gebeten. Mit Schreiben vom 01.02.1999 führte das Stadtplanungsamt daraufhin gegenüber dem Kläger aus, dass ein Balkonanbau "mitgetragen" werden könne, wenn Breite und Tiefe abweichend von dem vorgelegten Vorschlag reduziert würden, wenn die Balkonbreite der Toreinfahrt annähernd entspreche, wenn der vorhandene Baum berücksichtigt werde und wenn der Balkon etwa 1,50 m tief sei. Ferner wird darauf hingewiesen, dass "gestalterische Details, Materialwahl und ähnliches" der weiteren Abstimmung mit dem Stadtplanungsamt bedürften; für Fragen "über diese ersten Aussagen hinaus" stehe das Stadtplanungsamt zur Verfügung.

Am 18.04.2000 legte der Kläger ein Baugesuch zur Erstellung eines Balkonanbaus vor und beantragte Befreiung von § 5 der Altstadtsatzung sowie § 8 Abs. 9 LBO/AVO. Das Bauverwaltungsamt (Baurechtsbehörde) führte eine Angrenzerbenachrichtigung durch, bei der von Nachbarn Einwendungen erhoben wurden. Das ebenfalls angehörte Stadtplanungsamt rückte nunmehr von der oben genannten positiven Stellungnahme ab und wandte sich gegen den Balkonanbau, weil er nicht in das historische Straßenbild passe und wegen der Überbauung des öffentlichen Straßenraumes ein Baum gefällt werden müsse (Stellungnahme vom 05.06.2000). In einem Vermerk vom 07.06.2000 heißt es, dass die Stadt als Eigentümerin der öffentlichen Fläche der Überbauung ihres Grundstücks FlstNr. 108 im Luftraum nicht zustimme. Davon wurde der Kläger am 29.06.2000 unterrichtet. Mit Schreiben vom 09.11.2000 teilte die Baurechtsbehörde dem Kläger mit, dass das Schreiben des Stadtplanungsamts vom 01.02.1999 nicht als Antwort auf eine Bauvoranfrage gewertet werden könne, weil sie selbst erst am 12.05.2000 im Zusammenhang mit dem gestellten Befreiungsantrag hiervon Kenntnis erlangt habe. Der geplante Balkon sei zwar baurechtlich genehmigungsfrei, weil er lediglich einen fiktiven umbauten Raum von etwa 12 m³ aufweise. Unabhängig von baurechtlichen Bestimmungen sei jedoch festzustellen, dass er vollständig über städtischem Eigentum gebaut werden solle, und dass die Beklagte als Grundstückseigentümerin der Überbauung nicht zustimme.

Im Jahre 2002 begann der Kläger mit dem Bau des Balkons. Mit Bescheid vom 04.03.2002 stellte die Beklagte die Bauarbeiten unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ein. Gleichwohl führte der Kläger den Balkonanbau zu Ende. Mit Schreiben vom 13.03.2002 - Stadtkämmerei/Liegenschaftsverwal-tung - teilte die Beklagte dem Kläger nochmals mit, dass sie als Eigentümerin des Grundstücks Flst.Nr. 108 der Errichtung des Balkons über dem Grundstück als Überbau nicht zustimme; sie forderte den Kläger in ihrer Eigenschaft als Grundstückseigentümerin zur Beseitigung auf. Mit Schreiben vom 04.04.2002 - Stadtkämmerei/Liegenschaftsverwaltung - drohte die Beklagte rechtliche Schritte an, falls der Überbau nicht bis spätestens 22.04.2002 entfernt sei. Nachdem der Kläger dieser Aufforderung nicht nachgekommen ist, hat die Beklagte beim Amtsgericht Rottenburg Klage auf Beseitigung des Balkons erhoben, die das Amtsgericht wegen Vorgreiflichkeit des vorliegenden Verfahrens ausgesetzt hat.

Mit baurechtlicher Verfügung der Beklagten vom 28.05.2002 wurde der Kläger aufgefordert, den gesamten Balkon auf der Südwestseite des Gebäudes Seminargasse 5 bis spätestens einen Monat nach Bestandskraft zu beseitigen und die Balkontüröffnung so zu gestalten, dass sie den Sicherheits- und Gestaltungsvorschriften der Altstadtsatzung entspricht. In der Verfügung wird festgestellt, dass kein Antrag auf Genehmigung nach § 2 Altstadtsatzung gestellt worden sei und der zuständige Dezernent für Liegenschaften der Baurechtsbehörde mitgeteilt habe, dass die Stadt als Eigentümerin dem Überbau nicht zustimme. Unabhängig von der privatrechtlichen Seite habe die Stadt Rottenburg mit Schreiben des Stadtplanungsamts vom 27.05.2002 der Baurechtsbehörde mitgeteilt, dass eine nachträgliche Genehmigung nach § 2 Altstadtsatzung nicht erteilt werden könne. Insoweit wird weiter ausgeführt:

"Vielmehr wird diese Genehmigung gemäß § 3 Altstadtsatzung i.V.m. § 172 Abs. 3 BauGB versagt, weil insbesondere die bauliche Anlage (Gebäude Nr. 5, Seminargasse) im Zusammenhang mit den anderen Gebäuden in der Seminargasse das Ortsbild bzw. die Stadtgestalt in ihrer historischen Form prägt und solche Veränderungen der Erhaltung des dortigen Stadtbilds zuwiderlaufen. Der Balkonanbau weicht vom ursprünglichen Straßenzug ab. Historisch bildet gerade der südliche Teil der Seminargasse ein deutliches Abbild der Baukultur der vergangenen Jahrhunderte. Die vorhandene Bausubstanz mit ihren spitzen Giebeln sowie den teilweise historischen Fassaden und Fassadenöffnungen bewahrt das Bild des städtischen Lebens in den letzten zwei Jahrhunderten. Das historische Rottenburger Stadtbild lässt keine Balkonanbauten zur Straßenseite zu. Die Gebäudevorderseite ist in der Regel glatt verputzt und lediglich durch Fassadenöffnungen gegliedert. Historisch ausgebildet wurden Balkone auf den straßenabgewandten Seiten und dann meist eingepasst in die Fassadenfläche. Durch den nicht altstadtgerechten Balkonanbau an das Haus Seminargasse 5 wird das historische Erscheinungsbild des südlich folgenden Straßenzuges verfälscht. Nachdem die Erhaltung des ursprünglichen Zustandes der straßenseitigen Fassaden der Seminargasse im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, eine Duldung nach pflichtgemäßem Ermessen den Sinn und Zweck der Altstadtsatzung zunichte machen würde, der Verzicht auf einen Balkon aus subjektiven Gründen bei dieser Wohnung zumutbar ist und zudem ein Präzedenzfall geschaffen würde, hat die Stadt gebeten, die Beseitigung des Balkons zu verlangen.

Nach Abwägung aller Interessen kommt die Baurechtsbehörde zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Herstellung des ursprünglichen Zustandes der Fassade des Gebäudes Seminargasse 5 das private Interesse des Bauherrn an einem Erhalt des Balkons erheblich übersteigt, weshalb ordnungsgemäße Zustände nach pflichtgemäßem Ermessen letztendlich nur durch eine Beseitigung des Balkons erreicht werden können."

Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies das Regierungspräsidium Tübingen mit am 10.9.2003 zugestellten Bescheid vom 9.9.2003 zurück. Zur Begründung wird ausgeführt: Die Beklagte habe das überwiegende öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände zutreffend dargelegt. Das Vorhaben bedürfe einer Genehmigung nach § 2 der Altstadtsatzung. Eine solche sei nicht erteilt worden. Die positive Stellungnahme des Stadtplanungsamtes vom 01.02.1999 stelle keine baurechtliche Entscheidung dar, weil sie ausdrücklich als "erste Aussage" formuliert worden sei. Aus den von der Beklagten in der Beseitigungsverfügung genannten Gründen bestehe auch kein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung nach § 3 der Satzung. Die Ausführungen der Beklagten seien nicht zu beanstanden. Insbesondere seien im maßgeblichen Umgebungsbereich keine in den Straßenbereich ragenden Balkone vorhanden. Dass unmittelbar angrenzend an das Baugrundstück ein modernes Gebäude stehe, begründe keinen Anspruch darauf, die Gestaltungsanforderungen für die das Umfeld prägenden Gebäude mittelalterlichen Charakters "zurückzufahren". Das öffentliche Interesse an der Herstellung rechtmäßiger Zustände überwiege das private Interesse des Klägers auch deshalb, weil der Kläger den Balkonanbau in Kenntnis der nicht vorliegenden Genehmigung begonnen und noch nach erfolgter Baueinstellung zu Ende geführt habe.

Am 8.10.2003 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom 28.5.2002 und insoweit den diesen Bescheid betreffenden Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 9.9.2003 aufzuheben, hilfsweise die Nichtigkeit dieses Bescheides festzustellen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Mit Urteil vom 20.04.2005 hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Beseitigungsanordnung der Beklagten vom 28.05.2002 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 09.09.2003 aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Beseitigungsverfügung hätte gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative LBO vom Regierungspräsidium Tübingen als höherer Baurechtsbehörde erlassen werden müssen. Die Beklagte sei "hausintern" als Eigentümerin des überbauten Straßenraumes an dem gemäß § 2 Altstadtsatzung notwendigen Genehmigungsverfahren beteiligt worden. Als solche habe sie Einwendungen im Sinne des § 48 Abs. 2 LBO erhoben, nämlich die Zustimmung zur Überbauung ihres Eigentums versagt. Diese Vorschrift sei auch anwendbar, wenn es - wie hier - um baurechtliches Einschreiten gegen ein Vorhaben gehe und eine dem Genehmigungsverfahren vergleichbare Interessenkollision vorliege. Letzteres sei hier der Fall. Denn die Beklagte habe sich (auch) mit privatrechtlichen Erwägungen gegen das Bauvorhaben gewandt; sie unterscheide sich insoweit nicht von anderen Nachbarn eines Bauvorhabens. Es könne offen bleiben, ob § 48 Abs. 2 LBO auch in Genehmigungsverfahren nach § 172 BauGB anwendbar sei, obwohl insoweit gemäß § 173 Abs. 1 BauGB nicht die Baurechtsbehörde, sondern die Gemeinde selbst zuständig sei. Denn jedenfalls für die hier in Rede stehende baurechtliche Beseitigungsverfügung sei die Baurechtsbehörde zuständig. Nach allem sei die Beseitigungsverfügung wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit der Beklagten aufzuheben, ohne dass es auf die Vereinbarkeit des Balkons mit der Altstadtsatzung der Beklagten ankomme. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen.

Gegen das ihr am 02.05.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 18.05.2005 Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 20. April 2005 - 9 K 1762/03 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Berufung hat sie am 01.07.2005 wie folgt begründet: Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsverlagerung nach § 48 Abs. 2 LBO lägen nicht vor. Sie habe keine Einwendungen in der Funktion eines "Beteiligten" am baurechtlichen Verfahren auf Einschreiten gegen den Balkonanbau erhoben. Insbesondere habe sie nicht als Grundstückseigentümerin einen Antrag auf baurechtliches Einschreiten gestellt. Einwendungen, die eine Gemeinde im Rahmen des Genehmigungsverfahrens erhoben habe, könnten nicht in einen Antrag auf Einschreiten umgedeutet werden. Die Beseitigungsanordnung sei auch rechtmäßig. Der Balkonanbau verstoße gegen § 34 BauGB, weil die faktische vordere Baulinie entlang der Gebäudekanten überschritten werde. Er sei zudem aus den in der angefochtenen Verfügung genannten Gründen unvereinbar mit § 3 der Altstadtsatzung. Auch verstoße das Vorhaben gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften dieser Satzung, nämlich gegen die Gestaltungsgrundsätze nach § 4 und die Anforderungen an Fassaden nach § 5. Schließlich stelle der Balkon dadurch, dass er in den Straßenraum hineinrage, eine unzulässige Sondernutzung dar.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er führt im Wesentlichen aus: Es fehle an der sachlichen Zuständigkeit der Beklagten. Diese habe sich als Grundstückseigentümerin am Verwaltungsverfahren beteiligt, indem sie ihre Zustimmung zum Überbau versagt habe. Außerdem müsse derjenige, der im Genehmigungsverfahren Einwendungen erhoben habe, auch als Beteiligter eines anschließenden Beseitigungsverfahrens gelten; ansonsten könnte die Zuständigkeitsverlagerung durch Verfahrensgestaltung umgangen werden. Die Beseitigungsverfügung sei auch materiell rechtswidrig. Sein Vorhaben sei mit der Altstadtsatzung vereinbar. Ein Verstoß gegen § 3 Altstadtsatzung liege schon deshalb nicht vor, weil die bauliche Anlage als solche erhalten bleibe. Im Übrigen sei diese Vorschrift unbestimmt, da der Genehmigungstatbestand nicht klar definiert sei. In der Sache treffe es nicht zu, dass die obere Seminargasse im Sinne des Barock baulich geprägt sei, wie dies in der Präambel der Altstadtsatzung vorausgesetzt werde. Ansonsten hätte das benachbarte moderne Gebäude der Volksbank nicht genehmigt werden dürfen. Sein eigenes Gebäude sei wohl eher ein "älterer Profanbau" mittelalterlichen Charakters ohne prägende Wirkung. Im Übrigen widerspreche der Balkonanbau - im Unterschied zu anderen Bauten - einer solchen Prägung auch nicht, zumal es im "maßgebenden Bereich" sowohl an der Vorder- als auch an der Hinterfront bereits Balkone gebe. Außerdem habe es auch schon im Mittelalter und im Barock Balkone gegeben. Ferner habe es die Beklagte versäumt darüber zu entscheiden, ob eine Ausnahme oder Befreiung nach § 12 Altstadtsatzung erteilt werden könne. Schließlich sei die Zurückstellung seiner privaten Interessen unverhältnismäßig. Es dürfe nicht außer Betracht bleiben, dass er das Gebäude nur erworben habe, weil er auf die Richtigkeit der Angaben der Beklagten zur Möglichkeit eines Balkonanbaus vertraut habe. Im Übrigen habe der Gesichtspunkt der Überschreitung einer "faktischen Baulinie" bei der Beseitigungsanordnung keine Rolle gespielt; er sei auch deshalb ohne Bedeutung, weil es wegen "divergierender Gebäudestellung" eine solche Linie nicht gebe. Eine unzulässige Sondernutzung sei nicht gegeben, weil nicht in den Straßenraum eingegriffen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die dem Senat vorliegenden Akten des Verwaltungsgerichts sowie die Bauakten der Beklagten verwiesen. In der mündlichen Verhandlung am 17.3.2006 wurde Frau K. vom Stadtplanungsamt als Auskunftsperson zu den Umständen befragt, unter denen sie die Stellungnahme vom 1.2.1999 abgegeben hat.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung zur Beseitigung des Balkonanbaus im Ergebnis zu Recht aufgehoben, weil sie rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Der Senat teilt allerdings nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beseitigungsanordnung sei schon deshalb rechtswidrig, weil nicht die beklagte Stadt, sondern das Regierungspräsidium Tübingen als nächst höhere Baurechtsbehörde für die Entscheidung sachlich zuständig gewesen wäre.

Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 LBO ist anstelle einer Gemeinde als Baurechtsbehörde die nächst höhere Baurechtsbehörde zuständig, wenn es sich um ein Vorhaben der Gemeinde selbst handelt, gegen das Einwendungen erhoben werden (Alternative 1), sowie bei einem Vorhaben, gegen das die Gemeinde als Beteiligte Einwendungen erhoben hat (Alternative 2). Eine Zuständigkeitsverlagerung ist demnach nicht für alle Fälle von Interessenkollisionen vorgeschrieben, denen die Baurechtsbehörde einer Gemeinde bei der Beurteilung baulicher Maßnahmen ausgesetzt sein kann, etwa wenn die Baurechtsbehörde der Gemeinde über ein Bauvorhaben derselben befinden muss (so bereits Beschluss des Senats vom 10.11.1998 - 8 S 2755/98 - , VBlBW 1999, 140). Vielmehr regelt die Vorschrift nach ihrem Wortlaut und Sinn einen spezifischen Interessenkonflikt. Es soll verhindert werden, dass die gemeindlichen Baurechtsbehörden über Einwendungen entscheiden müssen, die gegen ein Bauvorhaben der Gemeinde gerichtet sind oder die von der Gemeinde selbst gegen ein Vorhaben erhoben werden, um insoweit jeden Anschein von Parteilichkeit auszuschließen (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.12.1998 - 5 S 1548/98 - BRS 60 Nr. 146; Busch/Hager u.a., Das Neue Baurecht in Baden-Württemberg, Bd. 4, § 48 RdNr. 20; Schlotterbeck/von Arnim/Hager, LBO für Baden-Württemberg, 5. Aufl., § 48 RdNr. 18).

Aus dieser Zielrichtung der Vorschrift folgt, dass sie nicht nur auf Baugenehmigungsverfahren, sondern auch auf Verfahren anwendbar ist, die auf Einschreiten der Baurechtsbehörde gerichtet sind. Dies hat der erkennende Gerichtshof für die Alternative 1 bereits in einem Fall entschieden, in dem ein Nachbar das "baupolizeiliche Einschreiten" der Baurechtsbehörde gegen bauliche Maßnahmen der Gemeinde beantragt hat (vgl. Beschluss vom 29.03.1999 - 3 S 718/99 -, VBlBW 1999, 309). Auch in diesem Fall ist die genannte spezifische Konfliktlage gegeben. Ohne Zuständigkeitsverlagerung müsste sich die Baurechtsbehörde gleichsam in eigener Sache mit den gegen das gemeindliche Vorhaben gerichteten Einwänden des Nachbarn auseinander setzen. Nichts anderes kann gelten, wenn es - wie hier - um die Entscheidung über Einwendungen geht, welche die Gemeinde selbst gegen bauliche Maßnahmen erhebt. Auf diesen Fall findet § 48 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 2 LBO daher grundsätzlich Anwendung, um zu vermeiden, dass die Baurechtsbehörde der Gemeinde über die Einwendungen des eigenen Rechtsträgers befinden muss.

Die Zielrichtung des Gesetzes, den Anschein von Parteilichkeit der gemeindlichen Baurechtsbehörde bei der Entscheidung über Einwendungen zu verhindern, schränkt auf der anderen Seite den Anwendungsbereich des § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO auch ein. So kann die Baurechtsbehörde der Gemeinde zum einen nur dann in den vom Gesetzgeber nicht gewollten Interessenkonflikt bei der Berücksichtigung von Einwendungen gegen Vorhaben der Gemeinde oder von Einwendungen der Gemeinde selbst gegen bauliche Maßnahmen Dritter geraten, wenn diese Einwendungen für das konkrete baurechtliche Verfahren überhaupt von Belang sind. Das ist nicht der Fall, soweit einem Vorhaben nur zivilrechtliche Ansprüche oder Abwehrrechte entgegengehalten werden, weil baurechtliche Entscheidungen unbeschadet solcher privater Rechte ergehen (vgl. § 58 Abs. 3 LBO für die Baugenehmigung; vgl. dazu Urteil des Senats vom 12.12.1996 - 8 S 1725/96 -, NVwZ 1998, 652). Zum anderen setzt der in Rede stehende spezifische Interessenkonflikt voraus, dass die - für das baurechtliche Verfahren relevanten - Einwendungen der eigenständigen Würdigung durch die Baurechtsbehörde unterliegen. Handelt es sich hingegen um Einwendungen, welche die Baurechtsbehörde binden, spielt es für den Ausgang des Verfahrens insoweit keine Rolle, welche Baurechtsbehörde zuständig ist. Solche die Baurechtsbehörde bindenden "Einwendungen" sind insbesondere behördeninterne Mitwirkungsakte wie - im Falle der Alternative 1 des § 48 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz LBO - die Versagung der denkmalschutzrechtlichen Zustimmung zu einer baulichen Maßnahme der Gemeinde nach § 7 Abs. 3 DSchG (anderer Auffassung noch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.10.1975 - I 865/74 -, ESVGH 26, 105) oder - im Falle der Alternative 2 - die Versagung des Einvernehmens nach § 36 BauGB durch die Gemeinde. Denn in allen diesen Fällen ginge eine Zuständigkeitsverlagerung zur Vermeidung des Anscheins einer parteilichen Bewertung der gegen das Vorhaben erhobenen "Einwendungen" ins Leere, weil ohnehin keine eigenständige Würdigung durch die Baurechtsbehörde der Gemeinde stattfindet und die höhere Baurechtsbehörde in gleicher Weise an den behördeninternen Mitwirkungsakt gebunden ist (vgl. auch Schlez, LBO für Baden-Württemberg, 4. Aufl., § 48 RdNr. 6 ff.; anderer Auffassung Busch/Hager, a.a.O.; wohl auch Sauter, LBO, 3. Aufl., Bd. 1, § 48 RdNr. 19).

Ausgehend davon liegen hier die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsverlagerung auf die höhere Baurechtsbehörde nicht vor. Die zivilrechtlichen Abwehrrechte, welche die Beklagte aus ihrem Grundeigentum gegen den Balkonanbau als Überbau geltend macht, sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keine Einwendungen der Gemeinde im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO, weil sie - wie ausgeführt - für das baurechtliche Verfahren auf Einschreiten gegen den Balkonanbau unerheblich sind. Hier kommt hinzu, dass die Beklagte nur gegenüber dem Kläger ihre Zustimmung zur Überbauung ihres Grundstücks versagt und nur diesem gegenüber einen zivilrechtlichen Anspruch auf Beseitigung des Überbaus - auch gerichtlich - geltend gemacht hat; sie hat jedoch nicht unter Berufung auf die Überbauung ihres Grundeigentums von ihrer Baurechtsbehörde die Beseitigung des Balkons verlangt. Die Beklagte hat daher hinsichtlich dieses Aspekts bereits selbst keinen Bezug zum konkreten baurechtlichen Verfahren hergestellt. Sie hat auch insoweit keine Einwendungen im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 LBO erhoben, als sie mit Schreiben des Stadtplanungsamtes vom 27.5.2002 gegenüber ihrer Baurechtsbehörde geltend gemacht hat, dass der Balkonanbau gegen die Altstadtsatzung verstoße, weil er das historische Stadtbild beeinträchtige. Mit diesem Schreiben hat sie nicht als Eigentümerin des Nachbargrundstücks von ihrer Baurechtsbehörde die Beseitigung des Balkonanbaus unter Berufung auf die Beeinträchtigung nachbarschützenden Baurechts verlangt, sondern eine ihr im Rahmen der Selbstverwaltung obliegende Aufgabe des Erhaltungsrechts nach §§ 172 ff. BauGB wahrgenommen. An diese Einschätzung war die Baurechtsbehörde gebunden. Sie hätte nicht aufgrund eigener Beurteilung zu dem anders lautenden Ergebnis gelangen können, dass kein Verstoß gegen die Altstadtsatzung vorliegt und der Balkonanbau jedenfalls unter diesem Aspekt genehmigungsfähig ist (vgl. zum entsprechenden Einvernehmenserfordernis bei baurechtlicher Genehmigungsbedürftigkeit § 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB). Dasselbe hätte auch für die höhere Baurechtsbehörde gegolten. Daher fehlt es auch insoweit mangels Interessenkonflikts an einer Einwendung im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 LBO.

2. Die Beseitigungsanordnung ist jedoch mit Blick auf die Stellungnahme des Stadtplanungsamts vom 01.02.1999 gegenüber dem Kläger rechtswidrig.

a) Dieses Schreiben ist nach seinem objektiven Erklärungsgehalt und den Umständen seines Erlasses als Bauvorbescheid nach § 57 Abs. 1 LBO zu werten, der die Zulässigkeit des Balkonanbaus vorbehaltlich der Ausgestaltung im Detail dem Grunde nach bestätigt.

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten scheidet eine solche Interpretation des Schreibens nicht schon deshalb aus, weil der Balkonanbau keiner Baugenehmigung bedurft hätte. Dies trifft gemäß § 50 Abs. 1 LBO i.V.m. Ziff. 10 des Anhangs der verfahrensfreien Vorhaben zwar zu, weil der Anbau lediglich einen fiktiven umbauten Raum von etwas mehr als 10 m³ aufweist (vgl. Schreiben der Beklagten vom 09.11.2000, Bl. 24 der Bauakte). Gemäß § 2 der Altstadtsatzung von 1981 bedürfen jedoch alle Änderungen am Äußeren der baulichen Anlagen - ausgenommen Instandsetzungs- und Unterhaltsarbeiten - einer Baugenehmigung unabhängig davon, ob sie auch sonst genehmigungsbedürftig sind. Zu dieser Regelung war der Satzungsgeber nach § 111 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1972 ermächtigt. Diese satzungsrechtliche Bestimmung zur erweiterten Baugenehmigungspflicht ist auch nicht mit Inkrafttreten der LBO 1995 außer Kraft getreten, die eine solche Ermächtigung nicht mehr enthält. Eine Rechtsnorm tritt nicht automatisch in jedem Fall außer Kraft, wenn die Ermächtigungsgrundlage aufgehoben wird, sondern nur dann, wenn dies der Wille des Gesetzgebers ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.01.2004 - 10 S 2237/02 -, BauR 2004, 979; Sauter, LBO, 3. Aufl., Bd. 2, § 74 RdNr. 5). Die Aufhebung der Ermächtigung zur satzungsrechtlichen Einführung einer Genehmigungspflicht für genehmigungsfreie bauliche Anlagen durch die LBO 1995 steht erkennbar im Zusammenhang mit der Zielsetzung des Gesetzgebers, die staatliche Präventivkontrolle auf das Unabdingbare zu beschränken und dadurch die Behörden zu entlasten und die Bautätigkeit zu fördern (vgl. Landtagsdrucksache 11/5337, S. 1 und 109). Mit dieser Zielsetzung stehen satzungsrechtliche Bestimmungen über die Einführung einer Baugenehmigungspflicht insoweit in Widerspruch, als sie eine sonst nicht gegebene Präventivkontrolle begründen. Das ist jedoch nicht der Fall, wenn die erweiterte Baugenehmigungspflicht in einer Erhaltungssatzung normiert ist. Denn gemäß § 172 Abs. 1 BauGB besteht im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung in jedem Falle eine Genehmigungspflicht auch für solche Änderungen baulicher Anlagen, die keiner Baugenehmigung bedürfen; soweit nach Landesrecht Baugenehmigungspflicht besteht, wird die eigenständige "erhaltungsrechtliche" Genehmigungspflicht durch das Erfordernis der Einvernehmenserteilung durch die Gemeinde ersetzt (§ 173 Abs. 1 Satz 2 BauGB; so auch bereits § 39h Abs. 1, 5 BBauG). Mithin stellt die Erweiterung der Baugenehmigungspflicht in Erhaltungssatzungen lediglich eine Verlagerung der bundesrechtlich ohnehin vorgesehenen Präventivkontrolle in das Baugenehmigungsverfahren dar. Eine solche satzungsrechtliche Regelung steht nicht im Widerspruch zu dem mit der Aufhebung der entsprechenden Ermächtigung verfolgten Zweck, die Präventivkontrolle baulicher Maßnahmen zurückzuführen. Sie ist daher nach wie vor in Kraft (anderer Auffassung wohl Sauter, a.a.O., § 74 RdNr. 6, allerdings ohne die Besonderheit im Bereich von Erhaltungssatzungen zu berücksichtigen). Dem steht das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 21.08.1975 (III 971/74) nicht entgegen, wonach die Einschränkung der Ermächtigung zur satzungsrechtlichen Einführung einer Baugenehmigungspflicht für ansonsten genehmigungsfreie kleine Gebäude auf solche, die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes beeinträchtigen, durch § 111 Abs. 2 Nr. 1 LBO 1972 zur Folge hat, dass alle abweichenden satzungsrechtlichen Bestimmungen außer Kraft treten. Denn insoweit war der klare Wille des Gesetzgebers erkennbar, eine Praxis zu beenden, die über den Erlass von Kreisbausatzungen die in § 89 Abs. 1 Nr. 1 LBO statuierte Genehmigungsfreiheit ausgehöhlt hatte (vgl. die Nachweise im o.g. Urteil). Der vorliegende Fall ist jedoch mit Blick auf die ohnehin vorgeschriebene Präventivkontrolle anders gelagert.

bb) Das an den Kläger gerichtete Schreiben des Stadtplanungsamtes vom 01.02.1999 weist den objektiven Erklärungsgehalt eines Bauvorbescheides nach § 57 Abs. 1 LBO auf. Diesem Schreiben liegt das ausdrücklich als "Bauvoranfrage" bezeichnete Schreiben des Klägers an das Stadtplanungsamt zugrunde, in dem der Kläger darauf hinweist, dass der Erwerb des Hauses Seminargasse 5 für ihn und seine Familie in erster Linie davon abhänge, ob dort ein Balkon gemäß der von ihm beigefügten Skizze angebracht werden kann. "Aus diesen Gründen" bitte er um Stellungnahme. Vor diesem Hintergrund musste dem Stadtplanungsamt der Beklagten klar sein, dass der Kläger eine verbindliche Aussage erwartete. Als eine solche ist das Schreiben vom 01.02.1999 auch zu werten. Denn darin heißt es ausdrücklich, dass der Balkonanbau vorbehaltlich gestalterischer Details "mitgetragen" werden könne. Ein Vorbehalt dahingehend, dass es sich nur um eine unverbindliche Auskunft handele, wird nicht gemacht. Die Anmerkung im letzten Satz des Schreibens, es handle sich um "erste Aussagen", kann nicht als solche gedeutet werden, da es gerade zum Wesen eines Bauvorbescheides gehört, dass er nur zu einzelnen Fragen Stellung nimmt. Außerdem hätte ein Hinweis auf die Unverbindlichkeit der Stellungnahme hier im Hinblick auf die Bedeutung der Aussagen des Stadtplanungsamtes für die Investitionsentscheidung des Klägers auch unmissverständlich erfolgen müssen. Nach dem Inhalt des Schreibens durfte der Kläger mithin davon ausgehen, dass dem Anbau keine grundlegenden gestalterischen Aspekte entgegenstehen und seine Zulassung nur noch davon abhängt, dass Einvernehmen über gestalterische Details erzielt wird. Die mündliche Verhandlung hat auch nicht ergeben, dass der Kläger aufgrund anderer Umstände von der Unverbindlichkeit der Stellungnahme des Stadtplanungsamtes hätte ausgehen müssen. Der Kläger hat - unwidersprochen - angegeben, er habe sich mit seiner Bauvoranfrage an das Stadtplanungsamt gewandt, weil ihm ein Mitarbeiter des Liegenschaftsamtes hierzu geraten habe. Er sei weder von Frau K. vom Stadtplanungsamt noch von anderer Seite darauf hingewiesen worden, dass das Stadtplanungsamt nur eine unverbindliche Auskunft erteilen könne und er daher seine Investitionsentscheidung nicht auf die Stellungnahme stützen könne. Vielmehr sei er aufgrund des Schreibens des Stadtplanungsamtes davon ausgegangen, dass der Anbau dem Grunde nach realisiert werden könne und es im Weiteren nur noch "um die Maße" gehen werde. Daher habe er das Haus Seminargasse 5 dann auch erworben. Diesen Angaben hat die in der mündlichen Verhandlung befragte Verfasserin des Schreibens des Stadtplanungsamtes vom 01.02.1999, Frau K., nicht widersprochen, sondern ausdrücklich eingeräumt, dass der Kläger den Eindruck habe gewinnen können, dass der Balkonanbau in gestalterischer Hinsicht dem Grunde nach genehmigt werde.

Der Wirksamkeit des sonach erteilten Bauvorbescheides über die gestalterische Zulässigkeit des Balkonanbaus steht nicht entgegen, dass hierfür an sich die Baugenehmigungsbehörde der Beklagten und nicht das Stadtplanungsamt zuständig gewesen wäre. Denn dieser - für den Kläger nicht offenkundige - Verfahrensfehler führt nicht zur Nichtigkeit des Bescheides (vgl. § 44 Abs. 1, 2 LVwVfG). Da der Bauvorbescheid bislang auch nicht aufgehoben wurde, steht er der Anordnung der vollständigen Beseitigung des Balkonanbaus wegen Verstoßes gegen die Altstadtsatzung entgegen. Diese Beseitigungsanordnung ist rechtswidrig unabhängig davon, ob sich der Bauvorbescheid vom 01.02.1999 mit Blick auf die darin genannten Vorgaben für die Gestaltung möglicherweise nicht in jeder Hinsicht mit dem konkret verwirklichten Anbau deckt.

b) Unabhängig davon hätte das Schreiben des Stadtplanungsamtes vom 01.02.1999 auch dann die Rechtswidrigkeit der Anordnung zur vollständigen Beseitigung des Balkonanbaus zur Folge, wenn es nicht als Bauvorbescheid gewertet würde. Wie oben dargelegt, hat es beim Kläger einen Vertrauenstatbestand geschaffen, den er in Gestalt des Hauskaufs auch betätigt hat. Diesen Gesichtspunkt haben weder die Beklagte noch die Widerspruchsbehörde bei der Ausübung des Ermessens nach § 65 LBO gewürdigt, sondern stattdessen nur einseitig darauf abgestellt, dass der Kläger sich seinerseits (später) nicht an die Baueinstellungsverfügung gehalten hat. Das schutzwürdige Vertrauen des Klägers auf die grundsätzlich gegebene Möglichkeit eines Balkonanbaus wiegt mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung der daran geknüpften Investitionsentscheidung schwer; auf der anderen Seite wird das Gewicht des von der Beklagten geltend gemachten öffentlichen Interesses am Erhalt des historischen Stadtbildes dadurch relativiert, dass diese Einschätzung der im Schreiben des zuständigen Stadtplanungsamtes vom 01.02.1999 zum Ausdruck kommenden positiven Bewertung des Vorhabens in gestalterischer Hinsicht diametral entgegensteht. Dem Senat erscheint es daher auch zweifelhaft, ob erneut eine Anordnung zur vollständigen Beseitigung des Balkonanbaus - gegebenenfalls nach Aufhebung des Bauvorbescheides - rechtmäßig ergehen könnte, zumal die erst im vorliegenden Verfahren weiter genannten Gründe wie das Überschreiten einer faktischen vorderen Baulinie oder einer unzulässigen Sondernutzung wenig überzeugend erscheinen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Beschluss vom 17. März 2006

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG auf 4.000,--EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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