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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 13.03.2008
Aktenzeichen: 8 S 15/07
Rechtsgebiete: BauNVO, LBO


Vorschriften:

BauNVO § 23 Abs. 5 Satz 2
LBO § 6 Abs. 6 Nr. 2
Die in § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO bezeichneten baulichen Anlagen sind nicht bereits dann in den Abstandsflächen (anderer Gebäude oder baulicher Anlagen) unzulässig, wenn eines der beiden genannten Maße überschritten wird, sondern erst, wenn beide Maße überschritten werden.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

8 S 15/07

Verkündet am 13.03.2008

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Errichtung einer Werbeanlage

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. März 2008

am 13. März 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 2. August 2006 - 16 K 675/06 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das sich mit Außenwerbung befasst. Sie erstrebt die Baugenehmigung für die Errichtung einer Wechselwerbeanlage.

Mit Schreiben vom 29.7.2005, eingegangen bei der Beklagten am 4.8.2005, beantragte die Klägerin die Erteilung der Baugenehmigung. Bei dem Vorhaben handelt es sich um einen so genannten "Mega-Light-Wechsler", eine großflächige hinterleuchtete Werbeanlage für programmgesteuerten wechselnden Aushang von bis zu vier Plakaten oder Folien im Format 18/1 (9 qm) mit den Maßen 3,85 m x 2,81 m x 0,4 m, befestigt auf einem 2,50 m bis 3,00 m hohen Monofuß, Gesamthöhe somit ca. 5,31 m bis 5,81 m. Erstellt werden soll die Anlage auf dem ca. 20 ar großen Grundstück Flst.-Nr. 2312 Vaihinger Str. 159 Gemarkung Möhringen, das mit einem Fabrikgebäude, einem Wohnhaus, einem Lagergebäude und einer Garage bebaut ist. Vorgesehen ist die Werbeanlage im nördlichen Vorgartenbereich des Baugrundstücks unmittelbar neben und rechtwinklig zur Fahrbahn der Vaihinger Straße. Für das Baugrundstück gilt der Bebauungsplan "Gewerbegebiet Vaihinger Straße Süd" aus dem Jahr 1976, der das Grundstück als Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO 1968) ausweist. Der geplante Standort der Werbeanlage befindet sich außerhalb der im Bebauungsplan durch Baugrenzen festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche.

Mit Bescheid vom 9.8.2005 lehnte die Beklagte den Bauantrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Werbeanlage auf der nicht überbaubaren Fläche aufgestellt werden solle. Eine Zulassung nach § 23 Abs. 5 BauNVO werde im Ermessensweg aus stadtgestalterischen Gründen abgelehnt. Stadteinwärts, also in westlicher Richtung, sei die unüberbaubare Fläche zwischen dem Gehweg und der Bebauung, abgesehen von den der Zufahrt dienenden asphaltierten Flächen, vorgartenmäßig und mit unterschiedlicher Intensität (Hecken, Bäume, Rasenflächen) ca. 200 m lang angelegt; Fremdwerbung in vergleichbarer Größe und Anordnung im Winkel zur Straße sei in Sichtweite nicht vorhanden. Insoweit würde aber ein neues Element im Straßenbild eingeführt, das erfahrungsgemäß aufgrund der starken Konkurrenz in der Werbebranche zu Berufungsfällen führe. Dies sei stadtgestalterisch unerwünscht, zumal auch die architektonische und stadtgestalterische Ausprägung des Gebiets, die sich letztlich nur in den Fassaden und den unterschiedlich begrünten Freiflächen entlang der Straße gestalterisch darstellen könne, leide. Die Landeshauptstadt Stuttgart bemühe sich seit etlichen Jahren zu Gunsten eines geordneten Stadtbildes Grünflächen und nach Möglichkeit auch sonstige Vorplätze und Freiflächen vor Gebäuden möglichst frei von Werbung zu halten. Dies sei inzwischen für vergleichbare Fälle gängige Verwaltungspraxis, lasse sich aber dort nicht immer erreichen, wo es sich um Eigenwerbung von Unternehmen, öffentliche Verkehrsmittel, Beschilderung von Eingängen, Zu- und Ausfahrten oder dergleichen handle. Gerade großflächige Markenartikelwerbung trete im Bereich von Grünflächen besonders aufdringlich in Erscheinung, zumal dann, wenn sie - wie hier - großflächig und dauerhaft beleuchtet sei und durch ihren hohen Fuß das sich dahinter befindliche kleine eingeschossige Flachdachgebäude überrage. Dem solle - zumal im Rahmen des Ermessens - entgegengewirkt werden. Auch im Verhältnis zu dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite beginnenden Außenbereich sei es aus stadtgestalterischer Sicht erwünscht, dass derartige Grünstreifen, die einerseits das Ausufern und Zerfransen der Bebauung begrenzten und gleichzeitig einen gewissen Übergang zum Außenbereich darstellten, durch großflächige Werbeanlagen nicht unterbrochen würden. Der Bescheid wurde der Klägerin am 18.8.2005 zugestellt.

Den dagegen rechtzeitig eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin u. a. wie folgt: Die Werbeanlage sei auf der nicht überbaubaren Grundstücksfläche zulässig, da eine Ausnahme nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO zu erteilen sei. Werbeanlagen seien nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO landesrechtlich in den Abstandsflächen zulässig, so dass die entsprechende Ausnahmemöglichkeit bereits Gegenstand des Planungskonzepts sei. Wenn dieser Ausnahmetatbestand nicht den städtebaulichen Vorstellungen des Plangebers entsprochen habe, wäre eine entsprechende textliche Festsetzung im Bebauungsplan erforderlich gewesen, wie sich aus § 23 Abs. 5 BauNVO unmittelbar ergebe. Setze der Bebauungsplan, wie vorliegend, nichts anderes fest, so könne die Erteilung der Ausnahme nicht mit dem einfachen Hinweis darauf verweigert werden, dass Ausnahmen nicht erwünscht seien. Dies entspreche angesichts des maßgeblichen Plankonzepts, das gerade Ausnahmen zulassen wolle, keiner sachgerechten Ermessensbetätigung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.1.2006 wies das Regierungspräsidium Stuttgart nach einer Ortsbesichtigung den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte das Regierungspräsidium u. a. aus, dass das genehmigungspflichtige Vorhaben im Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans über die überbaubare Grundstücksfläche stehe, da es außerhalb der durch Baugrenzen ausgewiesenen überbaubaren Grundstücksfläche verwirklicht werden solle. § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO finde keine Anwendung. Anlagen, die der gewerblich betriebenen Außenwerbung dienten, seien keine Nebenanlagen im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO, sondern bauplanungsrechtlich als eigenständige Hauptnutzung zu beurteilen, selbst wenn sie in einem Gewerbegebiet errichtet würden. Die geplante Werbeanlage könne zwar als bauliche Anlage i. S. von § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO 1968 eingestuft werden, da sie gem. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO 1995 in den Abstandsflächen anderer Anlagen zulässig sei. § 23 Abs. 5 BauNVO eröffne aber einen verhältnismäßig weiten Ermessensspielraum. Der Bereich, in dem die geplante Werbeanlage errichtet werden solle, diene im Interesse der Auflockerung städtischer Strukturen der Anlegung von Grünflächen. Dieses Interesse werde auf Grund der besonderen Auffälligkeit der Werbeanlage und der dadurch für die Umgebung entstehenden Unruhe, die eine zumindest potenzielle Beeinträchtigung der Nachbarschaft und des Stadtbildes insgesamt bedeute, in erheblichem Maße beeinträchtigt. In der näheren Umgebung seien keine vergleichbaren Werbeanlagen vorhanden. Wenn man § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO für nicht einschlägig halte, müsse von der Festsetzung des Bebauungsplans befreit werden. Eine Befreiung sei jedoch nicht möglich, da dadurch die Grundzüge der Planung berührt würden, denn die Festsetzung von nicht überbaubarer Grundstücksfläche entlang der Vaihinger Straße sei ein wesentlicher Bestandteil des mit dem Bebauungsplan verfolgten planerischen Gesamtkonzepts.

Ebenfalls am 27.1.2006 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Untätigkeitsklage erhoben und zur Begründung ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt. Nach Zustellung des Widerspruchsbescheides hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 2.8.2006 beantragt, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 9.8.2005 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.1.2006 die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 2.8.2006 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorhaben im Widerspruch zu der Festsetzung des Bebauungsplans über die überbaubaren Grundstücksflächen stehe. Der Standort des Vorhabens liege außerhalb der festgesetzten Baugrenzen, wo es grundsätzlich bebauungsrechtlich unzulässig sei. Die Voraussetzungen des § 23 Abs. 5 BauNVO seien nicht erfüllt. Das Vorhaben der Klägerin sei weder bei baugebietsbezogener Betrachtung noch bei grundstücksbezogener Betrachtung eine Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 BauNVO. Es sei auch keine bauliche Anlage, die - im Sinne einer gesetzlichen Ausnahme vom Freihaltegebot des § 5 Abs. 1 Satz 1 LBO - gemäß § 6 Abs. 6 LBO in den Abstandsflächen zulässig wäre. Das Vorhaben halte zwar mit seiner Wandfläche das gebotene Maß von 25 qm ein, überschreite aber das kumulativ zu beachtende Höhenmaß von 2,50 m. Eine Befreiung sei nicht möglich, weil die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat mit Beschluss vom 27.12.2006 - 8 S 2209/06 - zugelassene Berufung der Klägerin, mit der sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 2. August 2006 - 16 K 675/06 - zu ändern und unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids der Beklagten vom 9. August 2005 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27. Januar 2006 die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Sie macht geltend, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine ausnahmsweise Zulassung der Werbeanlage auf der nicht überbaubaren Grundstücksfläche nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO ausscheide. Vielmehr handle es sich bei der streitgegenständlichen Werbeanlage um eine bauliche Anlage, die nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO in den Abstandsflächen und damit auch nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO grundsätzlich vor der Baugrenze zulässig sei. Im Übrigen habe sich das behördliche Ermessen, unter Berücksichtigung des Grundsatzes aus Art. 3 GG, wesentlich Gleiches auch gleich zu behandeln, aufgrund der Genehmigungspraxis im Planbereich vorliegend soweit reduziert, dass nur die Erteilung einer Ausnahme ermessensfehlerfrei wäre.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie zunächst auf die ihrer Meinung nach zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts und trägt ergänzend vor, dass der Wortlaut des § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO eindeutig sei. Die beiden - negativ formulierten - Voraussetzungen ("wenn") seien durch das Wort "und" verbunden, nicht durch das Wort "oder'. Der Verweis auf § 5 Abs. 9 LBO berücksichtige nicht, dass die beiden Vorschriften unterschiedliche Schutzrichtungen hätten. Während § 5 Abs. 9 LBO den Angrenzer schütze, sei § 6 Abs. 6 LBO vorrangig auf den Schutz des Bewohners/Nutzers des Baugrundstücks ausgerichtet. Der klägerische Vortrag, das Ermessen der Behörde sei auf Null reduziert, sei unsubstantiiert und darüber hinaus im Hinblick auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid auf S. 3 und im Widerspruchsbescheid auf S. 8, wonach die nähere Umgebung frei von vergleichbaren Werbeanlagen sei, unverständlich. Falls man die Maße des § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO nicht kumulativ sehe, liege jedenfalls eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor. Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB könne nicht erteilt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die dem Gericht vorliegenden Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerin im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil der Bescheid der Beklagten vom 9.8.2005 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 27.1.2006 rechtmäßig sind und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung und auch nicht darauf, dass ihr Bauantrag erneut beschieden wird (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).

Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Dem Vorhaben der Klägerin steht die Festsetzung des Bebauungsplans "Gewerbegebiet Vaihinger Straße Süd" aus dem Jahr 1976 hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche auf dem Baugrundstück entgegen (vgl. § 30 Abs. 1 BauGB) und die Beklagte hat es ermessensfehlerfrei abgelehnt, die Werbeanlage gem. § 23 Abs. 5 BauNVO 1968 zuzulassen.

Wird - wie im vorliegenden Fall - die überbaubare Grundstücksfläche durch die Festsetzung von Baugrenzen bestimmt, dürfen Gebäude und Gebäudeteile diese nicht überschreiten. Dies ergibt sich aus § 23 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 BauNVO in der für den 1976 beschlossenen Bebauungsplan maßgeblichen Fassung vom 26.11.1968 (BGBl. S. 1233). Zwar handelt es sich bei dem Vorhaben der Klägerin ersichtlich weder um ein Gebäude noch um einen Gebäudeteil; jedoch ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass nicht nur Gebäude und Gebäudeteile, sondern auch alle anderen baulichen Anlagen die im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen grundsätzlich nicht überschreiten dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 7.6.2001 - 4 C 1.01 - NVwZ 2002, 90 mit ausführlicher Begründung).

Da die geplante Werbeanlage von planungsrechtlicher Relevanz i. S. v. § 29 Abs. 1 BauGB ist und es sich daher um eine bauliche Anlage im genannten Sinn handelt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.12.1992 - 4 C 27.91 -, BWVPr 1993, 133 = NVwZ 1993, 985 = PBauE § 1 Abs. 3 BauGB Nr. 4), ist sie an der vorgesehenen Stelle grundsätzlich unzulässig. Das Vorhaben musste von der Beklagten auch nicht nach § 23 Abs. 5 BauNVO 1968 zugelassen werden. Eine Zulassung nach § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO 1968 scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei der vorgesehenen Werbeanlage um keine Nebenanlage i. S. des § 14 BauNVO 1968 handelt. Eine Werbeanlage der Außenwerbung, die Fremdwerbung zum Gegenstand hat, stellt auch dann keine Nebenanlage in diesem Sinn dar, sondern ist als selbständige Hauptnutzung zu qualifizieren, wenn sie - wie vorliegend - in einem Gewerbegebiet errichtet werden soll (vgl. Senatsbeschluss vom 28.9.1998 - 8 S 2068/98 - BRS 60 Nr. 132 im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 3.12.1992 a.a.O.).

Auch § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO 1968 gebietet die Zulassung der Werbeanlage am vorgesehenen Standort nicht. Nach dieser Vorschrift können bauliche Anlagen auf den nicht überbaubaren Grundstücksflächen zugelassen werden, soweit sie nach Landesrecht in den Abstandsflächen zulässig sind oder zugelassen werden können. Maßgebend dafür ist das zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung geltende Landesrecht, denn die Verweisung in § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO 1968 auf das jeweilige Landesrecht ist als dynamische Verweisung zu verstehen (vgl. Senatsbeschluss vom 28.9.1998 - 8 S 2068/98 - BWVPr 1996, 66).

Die danach einschlägige Vorschrift des § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO hat folgenden Wortlaut:

"In den Abstandsflächen sind zulässig ... bauliche Anlagen, die keine Gebäude sind, wenn sie in den Abstandsflächen nicht höher als 2,5 m sind und ihre Wandfläche nicht mehr als 25 qm beträgt".

Diese Voraussetzungen erfüllt die vorgesehene Werbeanlage: Es handelt sich auch landesrechtlich um eine bauliche Anlage (vgl. § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 LBO), die kein Gebäude ist (vgl. § 2 Abs. 2 LBO), und sie soll zwar höher als 2,5 m ausgeführt werden, ihre Wandfläche beträgt aber selbst bei Berücksichtigung des Monofußes nicht mehr als 25 qm. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sind die in § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO bezeichneten baulichen Anlagen nicht bereits dann in den Abstandsflächen (anderer Gebäude oder baulicher Anlagen) unzulässig, wenn eines der beiden Maße überschritten wird, sondern erst, wenn beide Maße überschritten werden. Dies ergibt sich aus dem gesetzgeberischen Willen und dem Zusammenhang mit § 5 Abs. 9 LBO; der Wortlaut der Vorschrift steht dieser Auslegung nicht entgegen.

Nach der Vorstellung des Gesetzgebers entspricht § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO in der derzeit geltenden Fassung dem bis 1995 geltenden § 6 Abs. 9 Satz 1 LBO 1983 (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zur LBO 1996 LT-Drs. 11/5337, 85). § 6 Abs. 9 Satz 1 LBO 1983 hatte folgenden Wortlaut:

"In den Abstandsflächen sind bauliche Anlagen, die nicht länger als 5 m und nicht höher als 2,5 m sind, wie Stellplätze, Schwimmbecken, Terrassen, Treppen, Rampen, Pergolen sowie Masten, Schornsteine, Einfriedigungen und Stützmauern zulässig."

Schon für diese Vorschrift bestand Einigkeit darüber, dass beide genannten Maße überschritten sein müssen, damit die Zulässigkeit der Anlage in der Abstandsfläche entfällt, während die Anlage zulässig blieb, wenn nur eines der beiden Maße überschritten war (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.6.1993 - 5 S 874/93 -; Urteil vom 12.9.1996 - 3 S 2330/95 -; Urteil vom 14.8.1997 - 5 S 1252/96 - BauR 1998, 517 = BRS 59 Nr. 189; Sauter, LBO <Kommentierung 1990> § 6 LBO 1983 Rn. 71b). Zur Begründung wurde dabei auf die Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs zu § 6 Abs. 8 LBO 1983 verwiesen. § 6 Abs. 8 LBO 1983 weitete die grundsätzlich nur für Gebäude bestehende Abstandsflächenpflicht (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 LBO 1983) auch auf solche baulichen Anlagen aus, die "länger als 5 m und höher als 2,5 m sind" (§ 6 Abs. 8 LBO 1983) und von denen daher hinsichtlich Belüftung und Beleuchtung "Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen" (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zur LBO 1983 LT-Drs. 8/3410, 64). Derartige Wirkungen nahm die Rechtsprechung aber erst bei einer Überschreitung beider Maße an und hob dabei maßgeblich auf die sprachliche Formulierung der Vorschrift ("und") ab (vgl. grundlegend VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.7.1984 - 3 S 976/84 - BWVPr. 1984, 257; ferner: Urteil vom 8.5.1985 - 3 S 63/85 - VBlBW 1986, 23 und Urteil vom 1.6.1994 - 3 S 2617/92 -). Indem zur Auslegung von § 6 Abs. 9 Satz 1 LBO 1983 auf die Auslegung von § 6 Abs. 8 LBO 1983 zurückgegriffen wurde, sollte der hinter der Verwendung gleicher Maße in beiden Vorschriften stehenden gesetzgeberischen Vorstellung zur Geltung verholfen werden: Bauliche Anlagen, die keine Gebäude sind und selbst keine Abstandsflächen haben müssen, sollten ihrerseits auch in den Abstandsflächen zulässig sein. Als Konsequenz daraus waren zwar hohe, aber schmale (z. B. Silos) und niedrige, aber breite bauliche Anlagen (z. B. Einfriedigungen) an der Nachbargrenze zulässig, da eine eigene Abstandsfläche nicht erforderlich war (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 18.7.1984 und vom 8.5.1985 a. a. O.). Insbesondere einige der in § 6 Abs. 9 Satz 1 LBO 1983 genannten Beispiele (Masten, Schornsteine, Einfriedigungen und Stützmauern) belegten diese gesetzgeberische Absicht, denn die genannten Anlagen überschreiten regelmäßig einen der beiden Werte, sollten aber dennoch in den Abstandsflächen zulässig sein.

Als die LBO 1995 neu gefasst wurde, war dem Gesetzgeber diese Auslegung des § 6 Abs. 9 Satz 1 LBO 1983 bekannt. Seiner erklärten Absicht entsprach es, die neue Regelung - § 6 Abs. 6 Satz 2 LBO 1996 - der alten Regelung - § 6 Abs. 9 Satz 1 LBO 1983 - im wesentlichen nachzubilden; lediglich die beispielhafte Aufzählung der betroffenen baulichen Anlagen wurde für überflüssig gehalten. In der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung (vgl. LT-Drs. 11/5337, 85) kommt dies eindeutig zum Ausdruck, wenn es dort heißt: "Satz 1 Nr. 2 entspricht im wesentlichen dem geltenden Abs. 9 Satz 1. Bauliche Anlagen, die keine Gebäude sind und selbst keine Abstandsflächen haben müssen, sind auch in den Abstandsflächen zulässig. Die beispielhafte Aufzählung solcher baulicher Anlagen ist überflüssig, da sie keiner weitergehenden Klärung dient."

Welche baulichen Anlagen, die keine Gebäude sind, keine Abstandsflächen haben müssen, wird in § 5 Abs. 9 LBO 1996 geregelt, der sachlich § 6 Abs. 8 LBO 1983 entspricht und folgenden Wortlaut hat:

"Die Absätze 1 bis 8 gelten entsprechend für bauliche Anlagen, die keine Gebäude sind, wenn die baulichen Anlagen höher als 2,5 m sind und ihre Wandfläche mehr als 25 qm beträgt."

In der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung (vgl. LT-Drs. 11/5337, 82) heißt es hierzu:

"Abs. 8 (Anm.: jetziger Abs. 9) greift die Regelung des bisherigen § 6 Abs. 8 auf, indem er die sonstigen baulichen Anlagen unter bestimmten Voraussetzungen den Gebäuden gleichstellt. ... Bei den angegebenen Mindestmaßen wird die bisherige Mindestlänge von über 5 m durch das Mindestmaß der Wandfläche von über 25 qm abgelöst. Das Mindesthöhenmaß von über 2,5 m bleibt erhalten. Dadurch wird stärker auf die gebäudeähnliche Wirkung der sonstigen baulichen Anlagen abgestellt. Auch in Zukunft sind Abstandsflächen nur dann erforderlich, wenn mit der baulichen Anlage beide angegebenen Maße überschritten werden."

Auch die überwiegende Rechtsprechung und die Kommentarliteratur interpretieren § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO 1996 dementsprechend (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.9.1996 - 3 S 2330/95 -; VG Sigmaringen, Urteil vom 2.9.2003 - 9 K 770/02 -; Sauter, LBO, § 6 Rn. 56; Busch in: Das neue Baurecht § 6 LBO Rn. 115; anders allerdings, wenn auch nicht tragend, VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.6.2003 - 3 S 2324/02).

Anders als vom Verwaltungsgericht angenommen, verstößt diese Auslegung von § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO 1996 nicht gegen dessen Wortlaut. Zwar ist die konjunktive Verbindung der beiden Maße durch das Bindewort "und" relativ schwach und führt zu einem sprachlich mehrdeutigen Ergebnis. Insbesondere entspricht es der juristischen Anwendungspraxis, bei lediglich additiver Aneinanderreihung von Tatbestandsmerkmalen die Voraussetzungen einer Norm bereits dann zu verneinen, wenn eines der genannten Tatbestandsmerkmale nicht vorliegt. Im vorliegenden Fall negativ gefasster Voraussetzungen hätte die Verwendung der Konjunktion "weder - noch" die enge Zusammengehörigkeit beider Maße besser hervorgehoben und zu größerer sprachlicher Präzision geführt. Dennoch kann nicht festgestellt werden, dass das vom Gesetzgeber erklärtermaßen verfolgte Ziel mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht in Einklang zu bringen ist; allenfalls könnte von einer sprachlichen Ungenauigkeit gesprochen werden. Der maßgebliche Sprachgebrauch der Rechtsgemeinschaft (vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Aufl., § 9 II.) würde die gewählte Formulierung jedenfalls nicht von vorneherein ausschließen; gesprochen könnte das "und" durch eine besondere Betonung hervorgehoben und dadurch der Sinn der Regelung ohne weiteres verdeutlicht werden. Der Wortlaut des § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO 1996 lässt daher die in Rechtsprechung und Literatur vorherrschende Auslegung durchaus zu. In einem solchen Fall ist es aber nicht zulässig, den gesetzgeberisch gewollten Anwendungsbereich einer Vorschrift allein deshalb zu verändern, weil es eine sprachlich mögliche Auslegung gibt, die der Verwirklichung des gesetzgeberischen Willens entgegensteht. Denn maßgeblich für die Normanwendung ist nicht nur der Wortlaut, sondern innerhalb des vom Wortlaut zur Verfügung gestellten Spielraums auch der gesetzgeberische Wille und der gedankliche Zusammenhang mit anderen Normen - hier: § 5 Abs. 9 LBO 1996. Es ist also im Rahmen des Bedeutungsspielraums der Gesetzesworte diejenige Bedeutung zu ermitteln, die der Norm richtigerweise zukommt (vgl. Zippelius a. a. O.). Führt dies aber - wie hier - zu einem eindeutigen Ergebnis, besteht kein Grund, einer sprachlich zwar ebenfalls möglichen, davon aber abweichenden anderen Wort-Auslegung den Vorzug zu geben. Der Gesetzgeber bleibt allerdings - wie stets - im Interesse der Rechtssicherheit gehalten, den im Einzelfall verfolgten Normzweck in sprachlich möglichst präziser Form zum Ausdruck zu bringen.

Fällt somit die von der Klägerin geplante Werbetafel in den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO 1968, hatte die Beklagte über die Zulassung in der nicht überbaubaren Grundstücksfläche nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Ermessensfehler hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht substantiiert geltend gemacht und auch für den Senat sind solche nicht ersichtlich. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von unzutreffenden tatsächlichen Annahmen ausgegangen ist; auch die Klägerin hat Derartiges nicht behauptet. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte maßgebliche Belange der Klägerin nicht berücksichtigt oder die für ihre Entscheidung ausschlaggebenden Gesichtspunkte falsch gewichtet hätte. Die Beklagte hat ihre Entscheidung im wesentlichen mit stadtgestalterischen Gründen gestützt und dabei neben den für das gesamte Stadtgebiet geltenden Erwägungen auch konkret auf die Situation des Baugrundstücks bezogene Gründe angeführt. Dem hält die noch im Widerspruchs- und Klageverfahren vorgebrachte, im Berufungsverfahren aber zu Recht nicht mehr aufrechterhaltene Argumentation der Klägerin ohne Erfolg entgegen, dass ein Ausschluss derartiger Anlagen im Bebauungsplan hätte erfolgen müssen, wenn die Zulassungsmöglichkeit nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO nicht den städtebaulichen Vorstellungen des Plangebers entspreche. Denn aus dem Umstand, dass der Plangeber von der in seinem weiten planerischen Ermessen stehenden Möglichkeit eines Ausschlusses solcher Anlagen im Bebauungsplan nicht Gebrauch gemacht, sondern die Entscheidung dem Einzelfall überlassen hat, folgt kein Ermessensfehler. Dieses Vorgehen ist für die Klägerin im übrigen eher vorteilhaft, weil eine Zulassung der Werbeanlage im Fall des planerischen Ausschlusses von vornherein nicht möglich gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Beschluss vom 11. März 2008

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG endgültig auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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