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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 21.12.2006
Aktenzeichen: 8 S 1827/06
Rechtsgebiete: VwVfG


Vorschriften:

VwVfG § 48
VwVfG § 49
VwVfG § 51
VwVfG § 72 Abs. 1
VwVfG § 75 Abs. 2
Der Antrag eines Dritten auf Widerruf eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses wegen nachträglicher Änderung der Sach- und Rechtslage kann nur dann Erfolg haben, wenn bei Antragstellung evident ist, dass ein außerordentlicher Ausnahmefall vorliegt, weil Schutzauflagen nicht ausreichen, um nachteilige Auswirkungen des Plans auf besonders schutzwürdige eigene Rechtsposition des Dritten auszuschließen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

8 S 1827/06

Verkündet am 21.12.2006

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Widerrufs des Planfeststellungsbeschlusses L 608 BÜ Malsch

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19. Dezember 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 26. Juni 2006 - 6 K 230/06 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt den Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 28.1.2002 über die Beseitigung des Bahnübergangs in Malsch im Zuge der L 608 durch den Bau einer nördlichen Teilortsumfahrung.

Die Klage seiner Mutter gegen diesen Planfeststellungsbeschluss war durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25.9.2003 - 6 K 461/02 - abgewiesen worden. Dem Kläger gehören als deren Rechtsnachfolger zwei Grundstücke, von denen Teilflächen für die Umfahrungsstraße in Anspruch genommen werden sollen. Mit Schreiben vom 30.11.2005 beantragte er die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 mit der Begründung, das beklagte Land habe am 17.2.2005 ein Gebiet als FFH-Gebiet "Wiesen und Wälder bei Malsch - Nr. 7116-342" an den Bund (nach-)gemeldet, das signifikant näher an die planfestgestellte Trasse heranrücke, als dies noch bei Erlass des Urteils vom 25.9.2003 auf Grund einer ersten Gebietsmeldung vorgesehen gewesen sei. Der Bund habe die Nachmeldung am 9.3.2005 an die EG-Kommission weitergeleitet. Die Nachmeldung stelle eine für den Planfeststellungsbeschluss rechtlich relevante neue Tatsache im Sinne des § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG dar. Das Widerrufsermessen der Planfeststellungsbehörde sei auf Null reduziert, weil die geplante Straße mit der Ausweisung des FFH-Gebiets nicht zu vereinbaren sei. Mit Schreiben vom 30.12.2005 teilte das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Kläger mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren wieder aufzunehmen, da es keinen Anlass gebe, über eine veränderte Rechts- oder Sachlage nachzudenken. § 75 LVwVfG stehe der Anwendbarkeit von § 49 Abs. 2 LVwVfG entgegen und ein Anspruch auf Wiederaufgreifen sei nach § 72 Abs. 1 LVwVfG ausgeschlossen.

Der Kläger hat am 20.1.2006 beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage mit dem Antrag erhoben, das beklagte Land zum Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 zu verpflichten. Er hat zur Begründung ausgeführt: Die Anwendbarkeit des § 49 LVwVfG werde durch die §§ 72 Abs. 1 und 75 Abs. 2 LVwVfG nicht ausgeschlossen. Eine Planänderung nach § 76 LVwVfG komme nicht in Betracht. Er sei in seinen Eigentumsrechten betroffen und könne daher die Verletzung objektiven Rechts rügen. Diese sei in einem Verstoß gegen naturschutzrechtliche Vorschriften zu sehen. Erhobene Fachgutachten belegten, dass durch die planfestgestellte Trasse die Erhaltungsziele des (nach-)gemeldeten FFH-Gebiets voraussichtlich erheblich beeinträchtigt würden. Die Straße verstoße gegen § 26e NatSchG, eine Befreiung gemäß § 26c NatSchG sei nicht erteilt worden. Das beklagte Land könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da es sowohl Vorhabens- als auch Entscheidungsträger sei. Deshalb sei das Widerrufsermessen auf Null reduziert.

Das beklagte Land ist der Klage entgegen getreten und hat ausgeführt: Der Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 stehe die formelle und materielle Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25.9.2003 entgegen. Ferner schließe § 72 Abs. 1 LVwVfG einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 LVwVfG aus. Gegenüber den §§ 48 und 49 LVwVfG sei § 75 Abs. 2 LVwVfG die speziellere Vorschrift. Schließlich liege auch keine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage vor, die einen Anspruch auf Widerruf begründen könnte. Das (nach-)gemeldete FFH-Gebiet werde von der planfestgestellten Straße nur am Rande teilweise berührt. Eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzzwecke oder Erhaltungsziele trete dadurch nicht ein. Das ergebe sich auch aus der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung der Europäischen Kommission, auf die Petition des Klägers nicht einzugehen.

Das Verwaltungsgericht hat nach Anhörung der seitens des Klägers in die Sitzung gestellten Sachverständigen die Klage abgewiesen und diese Entscheidung wie folgt begründet: Die §§ 48 und 49 LVwVfG fänden auf Planfeststellungsbeschlüsse jedenfalls insoweit Anwendung, als die §§ 75 Abs. 2 und 76 LVwVfG nicht herangezogen werden könnten. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn sich nachträglich die für die Planungsentscheidung maßgeblichen rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse grundlegend änderten. Im vorliegenden Fall komme allenfalls der Widerrufstatbestand des § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG (nachträgliche Änderung der Rechtslage) in Betracht, weil die Meldung eines FFH-Gebiets zwar eine Tatsache darstelle, rechtliche Relevanz aber erst durch die neu geschaffene Vorschrift des § 40 NatSchG erhalte, der den Schutz der FFH-Richtlinie auf lediglich gemeldete Gebiete erstrecke. Die Voraussetzungen dieses Widerrufstatbestandes lägen aber nicht vor. Das an die Kommission gemeldete FFH-Gebiet werde nicht beeinträchtigt, weil die geplante Straße außerhalb dieses Gebiets verlaufen werde. Falls es doch angeschnitten werde, was auch in der mündlichen Verhandlung nicht habe geklärt werden können, liege jedenfalls keine erhebliche Beeinträchtigung vor. Denn die in der Meldung an die EU-Kommission genannten Erhaltungsziele, auf die entscheidend abzustellen sei, würden nicht in der dazu erforderlichen Weise tangiert.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht im Hinblick auf die von ihm für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob bei der Beurteilung der Erheblichkeit einer Beeinträchtigung eines FFH-Gebiets nur auf die in seiner Meldung genannten Arten abzustellen ist oder ob auch sonstige Arten in die Prüfung einbezogen werden müssen, zugelassene Berufung des Klägers, mit der er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 26. Juni 2006 - 6 K 230/06 - zu ändern und das beklagte Land zu verpflichten, den Planfeststellungsbeschluss L 608/3 und 3 a "Beseitigung des Bahnübergangs in Malsch im Zuge der L 608 durch den Bau einer nördlichen Teilortsumfahrung" des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 28. Januar 2002 zu widerrufen.

Er macht geltend: Ihm stehe nach Maßgabe des § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG -hilfsweise nach Maßgabe des § 49 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG - ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung bezüglich seines Begehrens zu. Die Nachmeldung des Gebiets am 17.2.2005 stelle eine neue Tatsache dar, die für die getroffene Regelung des Planfeststellungsbeschlusses rechtlich relevant sei, weil durch das Heranrücken an das planfestgestellte Projekt ein Verschlechterungs- und Vereitelungsverbot verhängt worden sei. Nach § 38 Abs. 2 i. V. m. § 40 NatSchG sei die geplante Straße unzulässig, weil sie zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele maßgebenden Bestandteilen führen könne. Der Kläger legt dazu eine gutachtliche Stellungnahme des Büros Dr. Schemel vom 11.9.2006 vor, die in Fortführung zweier Stellungnahmen vom Juni 2006 zu dem Ergebnis gelangt, dass die planfestgestellte Trasse ein Kerngebiet ("mainland patch") der Biozönose der Wiesenknopf-Ameisenbläulinge zerschneiden und damit ökologisch dauerhaft verändern werde. Darüber hinaus drohe der Verlust einer Springfrosch-Population, die durch die Straße ihren einzigen Laichplatz und ihren Sommerlebensraum verlieren werde. Zerstört werde ferner der Lebensraum der Zauneidechse. Schließlich könne das Straßenprojekt zu einer signifikanten Beeinträchtigung der lokalen Population streng geschützter Vogelarten (Wendehals, Grauspecht, Grünspecht) führen. Die Planfeststellungsbehörde wäre deshalb heute berechtigt, die Planfeststellung zu verweigern. Es stünden schonendere Alternativen zur Verfügung. Die nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG weiterhin erforderliche Voraussetzung für einen Widerruf, die Gefährdung des öffentlichen Interesses, sei gegeben. Sie folge aus der Unzulässigkeit des Projekts wegen erheblicher Beeinträchtigung des FFH-Gebiets und aus dem Umstand, dass in diesem Gebiet Tatbestände verwirklicht werden sollten, die als Ordnungswidrigkeiten oder sogar als Straftaten zu qualifizieren seien. Daraus folge zugleich, dass dem Gemeinwohl schwere Nachteile drohten und damit der Widerrufstatbestand des § 49 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG erfüllt sei. Das somit eröffnete Widerrufsermessen der Planfeststellungsbehörde sei auf Null reduziert, das beklagte Land könne sich nicht auf den Schutz seines eigenen Vertrauens berufen und sei darüber hinaus europarechtlich verpflichtet, die ökologische Bedeutung des gemeldeten Gebiets zu wahren.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es erwidert: Angesichts der Komplexität einer FFH-Verträglichkeitsprüfung als Vorstufe einer Gesamtabwägung sei eine Reduktion des Widerrufsermessens auf Null praktisch ausgeschlossen. § 49 LVwVfG sei ohnehin nicht einschlägig, da ein Planfeststellungsbeschluss nur im Wege eines dem Planfeststellungsverfahren vergleichbaren förmlichen Verfahrens aufgehoben werden könne. Ein Wiederaufgreifen des Verfahrens werde aber durch § 72 Abs. 1 LVwVfG ausgeschlossen. Davon abgesehen lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Widerruf nicht vor. Projekte seien vor ihrer Zulassung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftsrechtlicher Bedeutung hin zu überprüfen, was im Planfeststellungsverfahren auch geschehen sei. Dagegen gebe es keine Bestimmung, wonach diese Prüfung nochmals erfolgen müsse, wenn ein neues Gebiet hinzukomme. Selbst wenn das im Februar 2005 nachgemeldete FFH-Gebiet schon im Januar 2002 gemeldet gewesen wäre, hätte dies im Übrigen den Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 nicht gehindert, weil das Straßenbauvorhaben zu keinen erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets führe. Denn das nachgemeldete Gebiet mit einer Größe von mehr als 900 ha werde - wenn überhaupt - nur marginal berührt. Deshalb habe auch die EU-Kommission die Beschwerde des Klägers auf ihrer Paket-Sitzung vom 15.12.2005 zurückgewiesen. Nach der dazu gegebenen Begründung würden die Gebiete für alle geschützten Arten größer als vorher. Deshalb stelle die Generaldirektion der Kommission fest, dass die Herausnahme des gegenständlichen Gebietsteils im Bereich der planfestgestellten Straße akzeptiert werden könne, weil die Gebietsänderung im Zusammenhang mit einer Vergrößerung des Gebiets und einer Aufwertung des betroffenen Lebensraumtyps insgesamt zu sehen sei. Der Widerrufstatbestand des § 49 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG liege schon deshalb nicht vor, weil eine rechtskräftig bestätigte Vorhabenszulassung keinen Ordnungswidrigkeitentatbestand auslösen könne.

Die Beigeladene hat - wie bereits im ersten Rechtszug - keinen eigenen Sachantrag gestellt und in der mündlichen Verhandlung lediglich geäußert, die Bevölkerung befürworte das Straßenbauprojekt, auch der Gemeinderat habe sich mit deutlicher Mehrheit dafür ausgesprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist aufgrund ihrer Zulassung im Urteil des Verwaltungsgerichts statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger weder Anspruch auf einen Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 noch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Planfeststellungsbehörde über seinen Antrag vom 30.11.2005 habe. Denn die Voraussetzungen, unter denen die Widerrufsvorschrift des § 49 LVwVfG (allenfalls) auch auf Planfeststellungsbeschlüsse anwendbar ist, liegen nicht vor (nachfolgend 1.). Unabhängig davon ist auch keiner der in Frage kommenden Widerrufstatbestände erfüllt (nachfolgend 2.).

1. Nach der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs (Urteil des Senats vom 12.9.1996 - 8 S 1511/96 - NVwZ-RR 1997, 682 = NuR 1998, 202 mit eingehender Begründung; ebenso: Urteil des 5. Senats vom 1.10.1998 - 5 S 1358/97 - NVwZ-RR 2000, 87) findet § 49 LVwVfG jedenfalls insoweit auf Planfeststellungsbeschlüsse keine Anwendung, als sich aus dieser Vorschrift ein Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Widerrufsermessens ergibt. Auf der Grundlage dieser Rechtsansicht scheitert das Begehren des Klägers bereits am - unabhängig vom Vorliegen eines Widerrufsgrundes - fehlenden Anspruch auf eine behördliche Entscheidung.

Er beruft sich dem gegenüber auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: Urteil vom 21.5.1997 - 11 C 1.96 - BVerwGE 105, 6 = NVwZ 1998, 281). Danach eröffnet § 72 Abs. 1 LVwVfG den Weg zu den übrigen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes und damit auch zu § 49 LVwVfG. Die erhöhte Bestandskraft, die Planfeststellungsbeschlüsse genössen, schließe die Anwendung des § 49 LVwVfG auf sie nicht aus, weil § 72 Abs. 1 VwVfG zwar § 51 VwVfG für nicht anwendbar erkläre, nicht jedoch § 49 VwVfG und diese Bestimmung weder durch die planfeststellungsrechtlichen Spezialregelungen der §§ 73 ff. VwVfG noch durch die besonderen "Charakteristika" eines Planfeststellungsbeschlusses verdrängt werde (dem im Ergebnis folgend: BVerwG, Beschluss vom 16.12.2003 - 4 B 75.03 - NVwZ 2004, 865; HessVGH, Urteil vom 2.4.2003 - 2 A 2646/01 - NVwZ-RR 2003, 729; Beschluss vom 14.10.2003 - 2 A 2796/01 - ZLW 2004, 482; OVG Rhld.-Pf., Beschluss vom 2.12.2004 - 7 A 11380/04 - ZLW 2005, 309).

Die Bedenken des Senats gegen einen Rückgriff auf die allgemeinen Bestimmungen über die Aufhebung von Verwaltungsakten in den §§ 48, 49 LVwVfG und die dadurch eröffnete Möglichkeit, einen unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschluss erneut in seinem Bestand anzugreifen (vgl. auch: HessVGH, Beschluss vom 17.6.1992 - 2 Q 195/92 - DVBl. 1992, 1446, 1447; Grupp, DVBl. 1990, 81, 89 sowie BayVGH, Beschluss vom 12.10.1995 - 20 B 94.1188 - BayVBl. 1996, 400, 403), sind dadurch nicht ausgeräumt. Denn der Ausschluss des § 51 LVwVfG bewirkt zwar - wie das Bundesverwaltungsgericht zutreffend anführt (Urteil vom 21.5.1997, a.a.O., S. 13) -, dass die Behörde durch einen Dritten nicht in ein erneutes Planfeststellungsverfahren gezwungen werden kann. Es ist aber nur schwer nachvollziehbar, dass ein Planfeststellungsbeschluss, der am Ende eines formalisierten, mit besonderen Beteiligungsrechten ausgestatteten Verfahren getroffen wird, nach seiner Bestandskraft der Gefahr unterliegen soll, in einem "schlichten" Verwaltungsverfahren ohne die besonderen Verfahrensgarantien des Planfeststellungsrechts, insbesondere ohne Beteiligung der Öffentlichkeit, auf Antrag eines einzelnen der Aufhebung zu unterliegen.

Aus Anlass des vorliegenden Falles bedarf dies aber keiner weiteren Vertiefung, denn auch nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herausgearbeiteten Maßstäben hat der Kläger weder einen Anspruch auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 noch auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Aufhebungsantrags. Das Bundesverwaltungsgericht hat nämlich nicht angenommen, dass die §§ 48, 49 VwVfG uneingeschränkt auf Planfeststellungsbeschlüsse Anwendung fänden. Vielmehr beeinflusse § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, der bei Auftreten zuvor nicht voraussehbarer Wirkungen auf das Recht eines anderen dem Betroffenen einen Anspruch auf Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen gewährt, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen, die Auslegung und Anwendung von § 49 VwVfG: Die Widerrufsmöglichkeit nach § 49 VwVfG erweise sich - entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit - als ultima ratio. Ein Widerruf könne von Dritten nur verlangt werden, wenn Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht als Abhilfe ausreichten. In dieser Modifikation zeige sich die erhöhte Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses. Eine andere Auslegung, die dazu führte, dass Dritten gerade dann der Rechtsschutz versagt werde, wenn sie in besonderem Maße in eigenen Rechtspositionen nachteilig betroffen seien und andere Schutzmöglichkeiten nicht ausreichten, sei mit den Grundrechten dieses Personenkreises nicht vereinbar (Urteil vom 21.5.1997, a.a.O., S. 13). Dass Schutzauflagen nicht ausreichen, um nachteilige Auswirkungen des Plans für die in diesem Sinne qualifiziert Betroffenen auszuschließen, muss sich bereits bei Einleitung des Aufhebungsverfahrens abzeichnen. Denn eine andere Interpretation der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts würde dazu führen, dass jedermann mit der bloßen Behauptung, es sei nach dem Eintritt der Bestandskraft des Plans eine für ihn nachteilige Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eingetreten, deren Wirkungen durch ergänzende Schutzauflagen nicht ausgeschlossen werden könnten, die Planfeststellungsbehörde zur Einleitung eines Aufhebungsverfahrens zwingen könnte. Dies widerspräche aber den "besonderen Rechtswirkungen eines unanfechtbar gewordenen Planfeststellungsbeschlusses, insbesondere seiner Gestaltungs- und Ausschlusswirkung" (vgl. die amtlichen Begründung zu § 68 des Entwurfs des VwVfG 1973, BT-Drs. 7/910, S. 87) ebenso wie der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dass ein Widerruf von Dritten - im Sinne einer ultima ratio - nur verlangt werden kann, wenn Schutzauflagen nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nicht als Abhilfe ausreichen.

Nach diesen Maßstäben kommt eine Anwendung des § 49 LVwVfG im vorliegenden Fall auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessverwaltungsgerichts nicht in Betracht. Denn in Bezug auf eine eigene Rechtsposition des Klägers ist keine nach dem Unanfechtbarwerden des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 eingetretene Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse erkennbar, die im Sinne einer ultima ratio zur Wahrung seiner Grundrechte eine Aufhebung des Plans auch nur ansatzweise rechtfertigen könnte. An seiner Rechtsbetroffenheit als Eigentümer von Grundstücken, die teilweise für die planfestgestellte Straße in Anspruch genommen werden sollen, hat die nachträgliche Meldung eines erweiterten FFH-Gebiets weder faktisch noch rechtlich etwas geändert. Insbesondere übersieht der Kläger, dass sowohl Art. 6 der FFH-Richtlinie als auch die §§ 40 und 38 NatSchG sich ausschließlich auf eine Überprüfung der Verträglichkeit eines Projekts mit den Erhaltungszielen eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebiets vor seiner Zulassung beziehen. Das streitige Straßenbauvorhaben wurde aber durch den rechtskräftig bestätigten Planfeststellungsbeschluss vom 28.1.2002 zugelassen und damit vor der Nachmeldung des FFH-Gebiets "Wiesen und Wälder bei Malsch - Nr. 7116-342" an den Bund vom 17.2.2005 und deren Weiterleitung an die Kommission am 9.3.2005. Weder die FFH-Richtlinie noch das Naturschutzgesetz enthalten aber Regelungen, aus denen die Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde abgeleitet werden könnte, auch nach der Zulassung eines Projekts die Frage der Umweltverträglichkeit unter Kontrolle zu halten und notfalls von Amts wegen oder auf Antrag eines Dritten einen Planfeststellungsbeschluss wieder aufzuheben, wenn nachträglich Umstände eintreten, die geeignet sein könnten, die Verträglichkeitsfrage neu zu überdenken.

Selbst wenn jedoch unterstellt würde, diese Nachmeldung zwänge zu einer Änderung des Plankonzepts, ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass dann der Eingriff in das Grundeigentum des Klägers entfiele oder jedenfalls gemildert würde und deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der durch § 75 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG modifizierte § 49 LVwVfG zur Anwendung käme. Denn bei der von ihm als vorzugswürdig dargestellten Unter- statt Überführung der Schienentrasse, würde sich am Verlauf der Straße im Bereich seiner Grundstücke nichts ändern. Dasselbe gilt, sofern eine geänderte, siedlungsnähere Trassenführung, die das FFH-Gebiet "Wiesen und Wälder bei Malsch - Nr. 7116-342" zweifelsfrei nicht mehr tangierte, in Erwägung gezogen würde. Eher wäre aufgrund der Lage seiner Grundstücke im östlichen Bogenabschnitt der Umfahrungsstraße davon auszugehen, dass bei einer "engeren" Linienführung das Maß der notwendigen Inanspruchnahme seines Grundeigentums zunähme.

2. Unabhängig davon ist das Begehren des Klägers auch dann nicht begründet, wenn von einer uneingeschränkten Anwendbarkeit des § 49 LVwVfG ausgegangen würde.

a) Der Kläger beruft sich auf den Widerrufsgrund nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG. Danach darf ein Verwaltungsakt (nur) widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre. Beide Voraussetzungen liegen nicht vor.

Denn zum einen lässt sich den vorgelegten Stellungnahmen des Büros Dr. Schemel an keiner Stelle entnehmen, dass die darin getroffenen Feststellungen - etwa bezüglich der Beeinträchtigung des Lebensraums des Springfroschs oder der Maculinea-Population - auf nachträglich eingetretenen Tatsachen beruhten. Vielmehr haben die seitens des Klägers in die mündliche Verhandlung gestellten Gutachter ausdrücklich bestätigt, dass die vorhandene naturräumliche Ausstattung seit mindestens einem Jahrzehnt so bereits bestehe. Es gibt deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Sachlage nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 geändert hätte.

Zum andern ist eine Gefährdung des öffentlichen Interesses bei Unterbleiben des geforderten Widerrufs schon deshalb zu verneinen, weil der Planfeststellungsbeschluss aufgrund einer ausführlichen Gesamtabwägung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Beseitigung des bisherigen schienengleichen Bahnübergangs, der ein erhebliches Gefahrenpotential auch für Fußgänger und Radfahrer berge, gerechtfertigt sei und die im Verfahren erörterten anderen Varianten (Straßenunter- statt einer Straßenüberführung) nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus wasserrechtlichen Gründen nicht vorzugswürdig seien (vgl. auch LT-Drs. 13/4775, S. 4 zur Petition des Klägers). Umgekehrt wird das öffentliche Interesse an einem Unterbleiben des Widerrufs und einer Durchführung des planfestgestellten Umfahrungsstraße zusätzlich dadurch dokumentiert, dass nach den Erklärungen des Vertreters der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung deren Bevölkerung das Straßenbauprojekt befürwortet und sich auch der Gemeinderat mit deutlicher Mehrheit dafür ausgesprochen hat.

b) Das Verwaltungsgericht ist demgegenüber davon ausgegangen, dass allenfalls der Widerrufstatbestand des § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG einschlägig sein könne, weil die Gebietsmeldung zwar eine Tatsache darstelle, die aber erst durch § 40 NatSchG, der den Schutz der FFH-Richtlinie auf lediglich gemeldete Gebiete erstreckt, rechtliche Relevanz erhalte. Hinsichtlich dieses Widerrufsgrundes sind - unabhängig davon, dass die §§ 40 und 38 NatSchG nicht einschlägig sind, weil das Projekt bereits vor der Gebietsmeldung zugelassen war (s. o.) - keine Umstände zu erkennen, die die Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils in Frage stellen könnten. Es wird deshalb insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen, denen der Senat folgt. Soweit das Verwaltungsgericht deshalb Zweifel geäußert und die Berufung zugelassen hat, weil die Frage grundsätzlich zu klären sei, ob die Beeinträchtigung eines FFH-Gebiets nur anhand der in der Gebietsmeldung genannten Arten zu prüfen sei, oder ob auch sonstige, namentlich besonders geschützte Arten in die Prüfung einbezogen werden müssten, würde eine erweiternde Annahme darauf hinauslaufen, dass auch solche Gebiete gemeldet werden müssten, die nicht die Kriterien des Art. 4 Abs. 1 FFH-RL erfüllen, bzw. dass auch der vom Kläger akzeptierte Spielraum der nationalen Meldebehörde unterlaufen würde. Klärungsbedarf besteht deshalb insoweit nicht. Daher gibt es auch keinen Anlass, den Anregungen des Klägers Folge zu leisten, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs dazu einzuholen, ob neben den §§ 40 und 38 NatSchG auch Maßstäbe des Artenschutzrechts (Art. 12 ff. der FFH-Richtlinie) und der Vogelschutzrichtlinie eine Rolle spielten sowie, ob für jedes speziell gemeldete Gebiet die Schutzzwecke durch Schutzgebietsausweisungen normiert werden müssten. Diese Fragen sind nach dem Vorstehenden für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht erheblich. Davon abgesehen beziehen sich - wie bereits mehrfach erwähnt - alle angeführten Verbotsvorschriften auf die (zukünftige) Zulassung von Projekten. Im vorliegenden Fall wurde das Straßenbauprojekt aber lange vor der Gebietsmeldung planfestgestellt.

c) Schließlich scheidet auch ein Widerruf nach dem vom Kläger hilfsweise herangezogenen Widerrufstatbestand des § 49 Abs. 2 Nr. 5 LVwVfG aus. Auf der Grundlage dieser Vorschrift kommt ein Widerruf schon deshalb nicht in Betracht, weil nicht zu erkennen ist, dass der Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses vom 28.1.2002 schwere Nachteile für das Gemeinwohl heraufbeschwören würde (s. o. zu § 49 Abs. 2 Nr. 3 LVwVfG). Die Argumentation des Klägers, bei einer Realisierung des Projekts würden Ordnungswidrigkeitentatbestände verwirklicht, verkennt, dass die Verwirklichung eines aufgrund eines rechtskräftigen Urteils bestandskräftig planfestgestellten Vorhabens unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Bußgeldtatbestand erfüllen kann.

Nach allem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Für eine Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO besteht keine Veranlassung, weil sie sich mangels Stellung eines eigenen Sachantrags nicht am Kostenrisiko beteiligt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO) und es deshalb nicht billig erscheint, sie von ihren außergerichtlichen Kosten zu entlasten.

Gründe für eine Zulassung der Revision (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Beschluss

Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 2 GKG auf EUR 5.000,-- festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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