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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 02.05.2005
Aktenzeichen: 8 S 1848/04
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 1 Abs. 7
BauNVO § 8 Abs. 2 Nr. 1
BauNVO § 11 Abs. 2
Sollen in einem Sondergebiet für großflächigen Einzelhandel und Gewerbe zentren- und nahversorgungsrelevante Sortimente ausgeschlossen werden, bedarf es einer individuellen Betrachtung der jeweiligen örtlichen Situation. Die bloße Übernahme der Anlage zum Einzelhandelserlass des Wirtschaftsministeriums vom 21.2.2001 (GABl. S. 290) als textliche Festsetzung ohne Untersuchung des vorhandenen Angebotsbestands genügt diesen Anforderungen nicht.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

8 S 1848/04

Verkündet am 02.05.2005

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Bauvoranfrage

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Stumpe sowie die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schenk und Dr. Christ auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 15. Juni 2004 - 1 K 300/03 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin erstrebt einen Bauvorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Umbaus eines bestehenden Baumarktes in einen Elektrofachmarkt sowie des Neubaus eines Lebensmitteldiscount- und Getränkemarktes auf dem Grundstück Flst. Nr. 4000/5 der Gemarkung der Beklagten (Blaubeurer Straße 110).

Unter dem 19.8.2002 reichte sie eine entsprechende Bauvoranfrage ein. Damals galt für das Baugrundstück und seine Umgebung der am 23.7.1965 beschlossene und am 19.10.1965 genehmigte Bebauungsplan "Blaubeurer Straße", der auf der Grundlage des § 8 der BauNVO vom 26.6.1962 ein Gewerbegebiet vorsah. Zur Verhinderung weiterer Ansiedlungen von Einzelhandels- und Gewerbebetrieben mit zentren- und nahversorgungsrelevanten Sortimenten beschloss die Verbandsversammlung des beigeladenen Stadtentwicklungsverbandes Ulm / Neu-Ulm (SUN), auf den zum 1.1.2000 für bestimmte Gebiete der beteiligten Städte "alle gemeindlichen Rechte aus dem BauGB" übertragen worden waren, auf Antrag der Beklagten am 8.10.2002 die Aufstellung eines Änderungsbebauungsplans. Es sollte ein Sondergebiet für großflächigen Einzelhandel und Gewerbe ausgewiesen werden, in dem aber die in der Anlage zum Einzelhandelserlass des Wirtschaftsministeriums vom 21.2.2001 (GABl. S. 290) aufgeführten zentrenrelevanten Sortimente (darunter Unterhaltungselektronik/Computer sowie Elektrohaushaltswaren) und nahversorgungsrelevanten Sortimentsgruppen (darunter Lebensmittel und Getränke) ausgeschlossen sein sollten. Ferner wurde beschlossen, die Entscheidung über die Bauvoranfrage der Klägerin gemäß § 15 BauGB zurückzustellen. Mit Bescheid der Beklagten vom 17.10.2002 wurde darauf hin die Entscheidung über die Bauvoranfrage der Klägerin um 12 Monate zurückgestellt. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies das Regierungspräsidium Tübingen mit Bescheid vom 3.3.2003 zurück.

Bereits zuvor (am 21.2.2003) hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage mit dem Ziel der Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids erhoben. Sie hat geltend gemacht, wegen des eingelegten Widerspruchs stehe die Zurückstellungsverfügung einer positiven Bescheidung ihrer Bauvoranfrage nicht entgegen. Sie habe einen Anspruch auf den erstrebten Bauvorbescheid, weil § 8 der maßgeblichen BauNVO 1962 Gewerbebetriebe aller Art ohne jede Einschränkung zulasse. Am 8.7.2003 beschloss die Verbandsversammlung des Beigeladenen den von der Abteilung Umwelt und Stadtplanung der Beklagten ausgearbeiteten Lageplan und die Begründung als Satzung. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgte im Amtsblatt der Beklagten vom 17.7.2003. Die Klägerin hat dennoch an ihrem bisherigen Klageantrag festgehalten, weil sie die Bebauungsplanänderung für unwirksam gehalten hat; sie hat hilfsweise beantragt festzustellen, dass die Nichterteilung des Bauvorbescheids an sie rechtswidrig gewesen sei.

Mit Urteil vom 15.6.2004 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Erteilung des beantragten Bauvorbescheids verpflichtet. Es ist davon ausgegangen, dass der Bebauungsplan in der Fassung des Jahres 1965 die maßgebliche planungsrechtliche Grundlage darstelle, weil die am 8.7.2003 beschlossene Planänderung unwirksam sei. Denn nach der Sitzungsniederschrift seien nur die Anlagen 2 und 4 der Sitzungsvorlage als Satzung beschlossen worden, nicht dagegen die Anlage 3, die die textlichen Festsetzungen beinhaltete.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten. Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 15. Juni 2004 - 1 K 300/03 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend: Die am 8.7.2003 beschlossene Bebauungsplanänderung sei wirksam. Der im Rahmen der Bürgerbeteiligung ausgelegte Planentwurf, der neben dem zeichnerischen Teil die textlichen Festsetzungen (auf demselben Dokument) enthalten habe, habe zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses für alle Anwesenden sichtbar an der Wand gehangen. Diese Planung sei nach dem Willen des Satzungsgebers beschlossen worden. Vorsorglich habe die Verbandsversammlung des Beigeladenen am 13.7.2004 die Bebauungsplanänderung neu beschlossen und rückwirkend zum 17.7.2003 in Kraft gesetzt. Die textlichen Festsetzungen sind - bis auf den jeweiligen Eingangssatz - wortgleich mit der Anlage zum Einzelhandelserlass des Wirtschaftsministeriums.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat sich dem Berufungsvorbringen der Beklagten angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Akten und die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden (1.) und der neuerliche Satzungsbeschluss vom 13.7.2004 hat an der für die Klägerin sprechenden Rechtslage nichts geändert (2.). Sie kann nach wie vor auf der Grundlage des Bebauungsplanes aus dem Jahre 1965 den beantragten Bauvorbescheid verlangen, weil § 8 BauNVO in der auf diesen Plan anwendbaren Fassung vom 26.6.1962 - unstreitig - für die Zulässigkeit von Gewerbebetrieben in Gewerbegebieten keine Einschränkungen in Bezug auf großflächige Einkaufszentren und Verbrauchermärkte enthielt.

1. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die - entscheidende, weil die textlichen Festsetzungen enthaltende - Anlage 3 zur Sitzungsvorlage sei am 8.7.2003 nicht zum Gegenstand der Änderungssatzung gemacht worden, trifft zu. Es mag zwar sein, dass ein die zeichnerischen und die textlichen Festsetzungen vollständig umfassendes Plandokument an der Wand des Sitzungssaales hing, wie die Beklagte nunmehr vorträgt. Die Beschlussfassung lautete aber anders, denn im Sitzungsprotokoll, das als öffentliche Urkunde i.S.d. §§ 415 ff. ZPO den vollen Beweis der in ihm bezeugten Vorgänge und Tatsachen begründet (Beschluss des Senats vom 18.5.1988 - 8 S 2404/87 -; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 9.10.1989 - 1 S 5/88 - VBlBW 1990, 186), ist unter Nr. 2 des Tagesordnungspunktes 19 (Bebauungsplanänderung 141.1/32 "Blaubeurer Straße") festgehalten:

"Der Stadtentwicklungsverband beschließt den Bebauungsplan 141.1/32 "Blaubeurer Straße" in der Fassung des Bebauungsplans der Abteilung Umwelt- und Stadtplanung vom 24.06.2003 (Anl. 4) sowie die Begründung vom 24.06.2003 (Anl. 2) als Satzung."

Die Anlage 4 des "Bebauungsplans" der Abteilung Umwelt- und Stadtplanung vom 24.6.2003 bestand aber ausschließlich aus einer Kopie der Planzeichnung im Format DIN A 4, textliche Festsetzungen umfasste sie dagegen nicht, diese fanden sich vielmehr ausschließlich in der Anlage 3, die ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht mit beschlossen wurde.

2. Beide Fassungen der Änderungsplanung und damit auch die zuletzt am 13.7.2004 mit Rückwirkung zum 17.7.2003 beschlossene sind wegen Abwägungsausfalls unwirksam. Denn die Verbandsversammlung des Beigeladenen hat die Auflistung der zentrenrelevanten und nahversorgungsrelevanten Sortimente der Anlage zum Einzelhandelserlass des Wirtschaftsministeriums vom 21.2.2001 in Nr. 1.1.2 der textlichen Festsetzungen ohne weitere auf das Verbandsgebiet oder das Gebiet der Beklagten bezogene Erwägungen übernommen und alle dort aufgeführten Sortimente bzw. Sortimentsgruppen im Geltungsbereich des Änderungsbebauungsplans für unzulässig erklärt. Ausnahmen sind nur bei Betriebsverlagerungen möglich. Eigene Erhebungen hat der Verband nicht vorgenommen, es werden auch keine Erhebungen seitens der Stadt Ulm oder eines Fachgutachters erwähnt. Darüber hinaus ist weder den Sitzungsniederschriften noch den Sitzungsvorlagen irgendeine wie auch immer geartete Abwägung etwa der für und gegen einen Ausschluss einzelner Sortimente oder Sortimentsgruppen sprechenden Belange zu entnehmen.

Eine gerechte Abwägung erfordert aber eine individuelle Betrachtung der jeweiligen örtlichen Situation, wenn zum Schutz etwa des Innenstadtbereichs bestimmte Warensortimente an nicht integrierten Standorten ausgeschlossen werden sollen; dies gilt um so mehr, wenn - wie im vorliegenden Fall - jeglicher Handel mit den angeführten Sortimenten ausgeschlossen werden soll (OVG NW, Urteil vom 3.6.2002 - 7a D 92/99.NE - BRS 65 Nr. 38). Nichts anderes folgt im Übrigen aus dem die Anlage zum Einzelhandelserlass einleitenden Satz: "Anhaltspunkte für die Zentrenrelevanz von Einzelhandelssortimenten ergeben sich aus dem vorhandenen Angebotsbestand in den gewachsenen Zentren in Verbindung mit städtebaulichen Kriterien". Dies setzt voraus, dass der "vorhandene Angebotsbestand" ermittelt wird.

Die Beklagte bzw. der Verband können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die entsprechenden Erhebungen seien im Rahmen der städtebaulichen Rahmenplanung "Nördliche Weststadt", die in der Begründung des Bebauungsplans erwähnt wird, angestellt worden. Denn zum einen handelt es sich dabei um einen Rahmenplan der Stadt, nicht des Stadtentwicklungsverbandes und den Bebauungsplanakten ist nicht zu entnehmen, dass die Mitglieder der Verbandsversammlung über diese Rahmenplanung und ihre Grundlage informiert worden wären. Zum anderen ist darin die Blaubeurer Straße gerade als Standort für großflächigen Einzelhandel und Gewerbe festgelegt. "Erklärtes Entwicklungsziel" dieses Rahmenplans sei - so die Begründung der Bebauungsplanänderung unter Nr. 3.1 - die Bestandssicherung und die Ermöglichung zur Betriebserweiterung / Erneuerung bestehender gewerblicher Nutzungen sowie die Umstrukturierung des stadtintegrierten Standorts als Entwicklungsschwerpunkt für großflächigen Einzelhandel und Großhandel und somit die Sicherung des Einzelhandelsstandorts Ulm in der Region. Wenn das Plangebiet sonach aber in die städtische Einzelhandelsstruktur integriert ist, können in ihm angebotene Warensortimente nicht zentrenschädlich sein. Dies alles spricht für das Vorhaben der Klägerin.

Ferner heißt es unter Nr. 4.2.7 des Einzelhandelserlasses zur Erforderlichkeit einer entsprechenden Bauleitplanung: "Der Nachweis der Erforderlichkeit der Planung muss deren mögliche Auswirkungen im Sinne des § 11 Abs. 3 BauNVO, insbesondere auf die infrastrukturelle Ausstattung der vorhandenen Zentren und Nebenzentren sowohl der planenden als auch der Nachbargemeinden, erkennen lassen." Ein solcher Nachweis fehlt hier.

Schließlich weist der Einzelhandelserlass im Hinblick auf die Festsetzung von Sondergebieten ausdrücklich darauf hin, dass die Zweckbestimmung speziell festgesetzt werden muss (Nr. 4.2.3.2). Hierfür genügt die Angabe "Sondergebiet für großflächige Einzelhandelsbetriebe" nicht. Vielmehr ist die Festsetzung der Art der Nutzung, d. h. der einzeln aufzuführenden zulässigen Anlagen, unerlässlich. Auch dies fehlt hier, denn es wird nicht beschrieben, was zulässig sein soll, sondern nur aufgelistet, welche Sortimente unzulässig sein sollen. Darüber hinaus wird auch der letzte Absatz der Anlage zum Einzelhandelserlass des Wirtschaftsministeriums vom 21.2.2001 in unveränderter Form in die textlichen Festsetzungen der Planänderung übernommen. In ihm werden Sortimente aufgeführt, die "in der Regel" zentrenrelevant sind. Den Bebauungsplanunterlagen lässt sich aber nicht entnehmen, ob und gegebenenfalls warum diese Regelvermutung für das Plangebiet "Blaubeurer Straße (Plan Nr. 141.1/32)" Anwendung finden soll.

Nach allem sind die Bebauungsplanänderungen vom 8.7.2003 und 13.7.2004 mit der Folge unwirksam, dass sie der positiven Bescheidung der Bauvoranfrage der Klägerin nicht entgegen stehen können. Auf der Grundlage des danach weiterhin anwendbaren Bebauungsplans "Blaubeurer Straße" vom 23.7.1965 i.V.m. § 8 der BauNVO i.d.F. vom 26.6.1962 hat die Klägerin aber - wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat - einen Anspruch auf die erstrebte Bebauungsgenehmigung. Daher ist die Berufung mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen können nicht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig erklärt werden, da er an der Seite der unterlegenen Beklagten steht.

Gründe für eine Zulassung der Revision (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F. (zu dessen Anwendbarkeit vgl. § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Art. 1 KostRMoG vom 5.5.2004, BGBl. I S. 718) in Übereinstimmung mit der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts auf EUR 125.000,-- festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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