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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 04.12.2000
Aktenzeichen: 8 S 2399/00
Rechtsgebiete: BauGB, LBO


Vorschriften:

BauGB § 15 Abs. 1 Satz 2
LBO § 59 Abs. 4 S. 1
1. Das Fehlen einer ausdrücklichen landesrechtlichen Bestimmung der in § 15 Abs. 1 S. 2 BauGB genannten Frist ist unschädlich, da die darin etwa zu sehende Gesetzeslücke durch eine entsprechende Anwendung der Regelung in § 59 Abs. 4 S. 1 LBO geschlossen werden kann. Eine vorläufige Untersagung der Bauarbeiten kann demnach in Baden-Württemberg nur innerhalb eines Monats nach Eingang der vollständigen Bauvorlagen bei der Gemeinde ausgesprochen werden.

2. Die im Kenntnisgabeverfahren vor Beginn der Bauausführung abzuwartende Frist beginnt bei der Vorlage geänderter Bauvorlagen erneut zu laufen, sofern die vorgenommenen Änderungen nicht nur unwesentlich sind (im Anschluss an VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.9.1996 - 3 S 2576/96 - VBlBW 1997, 141).


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

8 S 2399/00 8 S 2633/00

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung bezüglich Untersagung der Bauarbeiten

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Prof. Dr. Schmidt sowie die Richter am Verwaltungsgerichtshof Schenk und Rieger

am 4. Dezember 2000

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 4. Oktober 2000 - 14 K 3897/00 - wird zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht dem Antrag stattgegeben hat.

Das Beschwerdeverfahren wird unter dem Aktenzeichen 8 S 2633/00 fortgesetzt.

Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der genannte Beschluss geändert. Der Antrag wird insgesamt abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 8.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist begründet. An der Richtigkeit der Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die unter Ziff. 1 der Verfügung des Landratsamts Esslingen vom 25.7.2000 ausgesprochene vorläufige Untersagung der Bauarbeiten wiederhergestellt hat, bestehen aus den im Antrag der Beigeladenen dargelegten Gründen ernsthafte Zweifel im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

II.

1. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes entscheidet der Senat gleichzeitig über die Beschwerde. Nach der gesetzlichen Regelung ist zwar zunächst nur über den Zulassungsantrag zu befinden. Für den Fall, dass diesem entsprochen wird, sieht das Gesetz vor, dass das Zulassungsverfahren gemäß § 146 Abs. 6 S. 2 in Verbindung mit § 124a Abs. 2 S. 4 VwGO als Beschwerdeverfahren fortgesetzt wird. Das schließt jedoch nicht aus, dass das Beschwerdegericht im Falle der Eilbedürftigkeit mit dem Antrag auf Zulassung der Beschwerde zugleich über die Beschwerde selbst entscheidet, wenn es die Beteiligten vorher auf die Möglichkeit eines solchen Verfahrens hingewiesen und ihnen damit Gelegenheit gegeben hat, sich nicht nur zu der Frage der Zulassung des Rechtsmittels sondern auch zur Sache selbst zu äußern (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.1.1998 - 8 S 3244/97 -; Beschl. v. 12.2.1997 - 7 S 430/97 - DVBl. 1997, 661; Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl., § 146 Rn. 27). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Die Sache duldet keinen Aufschub, da das Landratsamt inzwischen die unter Ziff. 2 seiner Verfügung angeordnete Baueinstellung aufgehoben hat, so dass der Antragsteller von Rechts wegen mit seinen Bauarbeiten fortfahren könnte. Aus der Sicht der Beigeladenen droht damit die Gefahr, dass der Antragsteller durch eine Verwirklichung seines Bauvorhabens der von ihr beabsichtigten Änderung des Bebauungsplans zuvor kommt. Daran, möglicht rasch zu erfahren, ob er trotz der vom Landratsamt für sofort vollziehbar erklärten Untersagungsverfügung die Bauarbeiten nicht nur vorübergehend fortsetzen kann, hat auch der Antragsteller ein dringendes Interesse. Auf die Möglichkeit, dass der Senat im Fall einer Zulassung der Beschwerde gleichzeitig über diese selbst entscheidet, wurden die Beteiligten zuvor hingewiesen.

2. Die Beschwerde ist begründet. Der Senat sieht anders als Verwaltungsgericht keinen Anlass, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die unter Ziff. 1 der Verfügung des Landratsamts Esslingen vom 25.7.2000 ausgesprochene vorläufige Untersagung der Bauarbeiten wiederherzustellen.

a) Das Verwaltungsgericht nimmt an, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Untersagungsverfügung gegeben seien. Der Senat teilt diese Beurteilung.

Wird eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB nicht beschlossen, obwohl deren Voraussetzungen gegeben sind, hat nach § 15 Abs. 1 S. 1 BauGB die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Wird, wie im vorliegenden Fall, kein Baugenehmigungsverfahren, sondern das Kenntnisgabeverfahren durchgeführt, ist gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 BauGB auf Antrag der Gemeinde an Stelle der Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit eine vorläufige Untersagung innerhalb einer durch das Landesrecht festgesetzten Frist auszusprechen. Eine solche Entscheidung steht nach § 15 Abs. 1 S. 3 BauGB der Zurückstellung nach S. 1 gleich.

Mit dieser durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 (BauROG) in das BauGB eingefügten Regelung sollen die Gemeinden die Möglichkeit erhalten, auch genehmigungsfreie Bauvorhaben, die einem in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan zuwiderlaufen, zeitlich befristet zu verhindern. Die Vorschrift ist allerdings insofern unvollständig, als sie nach ihrem Wortlaut eine ergänzende landesrechtliche Regelung derjenigen Frist verlangt, innerhalb welcher die Gemeinde die vorläufige Untersagung verlangen kann. Eine solche Regelung hat der Landesgesetzgeber weder in der Durchführungsverordnung zum BauGB vom 2.3.1998 noch im Ausführungsgesetz zu dem gleichen Gesetz vom 12.4.1999 getroffen, was darauf hindeutet, dass er die Festlegung einer Frist für überflüssig hält. Das dürfte sich mit der Haltung erklären, die der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren des BauROG eingenommen hat. In seiner Stellungnahme zum Entwurf dieses Gesetzes hatte der Bundesrat die Meinung vertreten, es verstehe sich von selbst, dass die Ausführung des Bauvorhabens aufgrund § 15 BauGB nur innerhalb der in den Bauordnungen der Länder bestimmten Fristen untersagt werden könne, nach deren Ablauf der Bauherr im Anzeige- oder Baugenehmigungsfreistellungsverfahren mit den Bau beginnen dürfe (BT-Drs. 13/6392, S. 104). Ob diese Überlegung, die sich der Landesgesetzgeber offenbar zu eigen gemacht hat, ausreicht, um von einer ausdrücklichen landesrechtlichen Regelung abzusehen, kann dahin stehen, da der Senat keine Bedenken hat, die andernfalls anzunehmende Gesetzeslücke durch eine entsprechende Anwendung der Regelung in § 59 Abs. 4 S. 1 LBO zu schließen. Danach darf bei Vorhaben im Kenntnisgabeverfahren - vorbehaltlich einer Mitteilung gemäß § 53 Abs. 4 LBO oder einer Untersagungsverfügung gemäß § 47 Abs. 1 LBO - nach einem Monat nach Eingang der vollständigen Bauvorlagen bei der Gemeinde mit der Ausführung begonnen werden (im Ergebnis ebenso Sauter, LBO, 3. Aufl., § 51 Rn. 24). Von der Maßgeblichkeit dieser Vorschrift ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen.

Diese Frist dürfte, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, am 27.7.2000, dem Tag, an dem die Verfügung des Landratsamts dem Antragsteller zugegangen ist, noch nicht abgelaufen gewesen sein. Durch die Frist des § 59 Abs. 4 LBO wird im Kenntnisgabeverfahren ein Minimum an präventiver Kontrollmöglichkeit durch die Baurechtsbehörde, die Gemeinde und die Angrenzer gewährleistet. Dieses Minimum muß auch bei nachträglichen Änderungen der vom Bauherrn eingereichten Bauvorlagen sichergestellt sein, soweit die Änderungen für die Frage der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den auch im Kenntnisgabeverfahren zu beachtenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 51 Abs 4 LBO) erheblich sind. Die vor Beginn der Bauausführung abzuwartende Frist beginnt deshalb bei der Vorlage geänderter Bauvorlagen erneut zu laufen, sofern die vorgenommenen Änderungen nicht nur unwesentlich sind (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 30.9.1996 - 3 S 2576/96 - VBlBW 1997, 141).

Die vom Antragsteller nach Einreichung seines Baugesuchs vorgenommenen Änderungen an den Bauvorlagen waren nicht nur von unwesentlicher Bedeutung, sondern zielten darauf, das Vorhaben durch eine Verkleinerung des Baukörpers den Bestimmungen des Bebauungsplans der Beigeladenen anzupassen. Die das geänderte Baugesuch betreffenden Bauvorlagen, die die Beigeladene an das Landratsamt mit Schreiben vom 26.6.2000 weiter geleitet hat, waren zunächst unvollständig, da sie keinen hinreichenden Aufschluss darüber gaben, wie die Reduzierung der Firsthöhe des geplanten Gebäudes erfolgen soll. Der Grund dafür ist, dass sich der Antragsteller darauf beschränkt hat, die Maßangaben in seinem Baugesuch handschriftlich zu korrigieren, ohne aber die Bauzeichnungen diesen Änderungen anzupassen. Aus dem geänderten Baugesuch ging daher nicht mit der erforderlichen Klarheit hervor, auf welche Weise die Dachhöhe bei Beibehaltung der vom Bebauungsplan vorgeschriebenen Dachneigung von 38° um das angegebene Maß von 0,25 m verringert werden soll. Diese Unklarheit hat der Antragsteller erst durch die dem Landratsamt am 7.7.2000 per Fax übermittelte Skizze beseitigt. Unabhängig von der Frage, ob nicht auch diese Skizze bei der Beigeladenen zur Weiterleitung an die Baurechtsbehörde hätte eingereicht werden müssen, hat die im Rahmen des § 15 Abs. 1 S. 2 BauGB zu beachtende Frist demnach frühestens am 7.7.2000 begonnen. Die dem Antragsteller am 27.7.2000 zugestellte vorläufige Untersagung ist demnach fristgerecht erfolgt.

Auch im Hinblick auf die übrigen Voraussetzungen einer vorläufigen Untersagung bestehen an dem allein noch im Streit befindlichen ersten Teil der Verfügung des Landratsamts keine Bedenken. Die Beigeladene hat am 15.5.2000 die Einleitung eines Verfahrens zur Änderung des Bebauungsplans "Lange Äcker IV" beschlossen und diesen Beschluss am 18.8.2000 öffentlich bekannt gemacht. Nach der von der Beigeladenen gegebenen Begründung soll mit der Änderung des Bebauungsplans die städtebauliche Konzeption dahingehend konkretisiert werden, dass der nach dem geltenden Bebauungsplan mögliche Bau einer Tiefgarage nur bei einer "trägerhaften Gesamtplanung der Reihenhausblöcke" mit einer Zu- und Abfahrtsrampe zulässig sein soll. Einzeltiefgaragen sollen daher ausgeschlossen werden. Ebenso wenig wie das Verwaltungsgericht vermag auch der Senat zu erkennen, dass sich diese Absichten mit den bauplanerischen Instrumenten nicht verwirklichen ließen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre liegen daher vor. Auch ist zu befürchten, dass die Durchführung der Planung der Beigeladenen durch das Vorhaben des Antragstellers zumindest wesentlich erschwert würde.

b) Das Verwaltungsgericht hält die Verfügung des Landratsamt jedoch deshalb für rechtswidrig, weil die Behörde keine ausdrückliche Frist für die vorläufige Untersagung bestimmt habe. Für die Richtigkeit dieser Auffasung spricht, dass die in § 15 Abs. 1 S. 1 BauGB genannte Frist nur eine Höchstfrist ist, so dass es der Behörde möglich ist, sie im Einzelfall zu unterschreiten. Mit ihrem Argument, dass bei einer Veränderungssperre keine Angabe über ihre Geltungsdauer verlangt werde, übersieht die Beigeladene, dass eine Veränderungssperre gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BauGB nach Ablauf von zwei Jahren automatisch außer Kraft tritt, sofern sie von der Gemeinde nicht rechtzeitig verlängert wird. Eine vergleichbare Regelung über die Geltungsdauer der Zurückstellung oder vorläufigen Untersagung für den Fall, dass die Behörde die Geltung nicht selbst bestimmt, fehlt. Auf die Angabe, für welchen Zeitraum das Baugesuch zurückgestellt bzw. eine vorläufige Untersagung der Bauarbeiten ausgesprochen werden soll, wird man deshalb nicht verzichten können. Auch dürfte die bloße Bezugnahme auf § 15 Abs. 1 BauGB nicht genügen, um anzunehmen, dass dieser Zeitraum die dort genannte Höchstdauer sein soll (ebenso das bereits vom Verwaltungsgericht zitierte Urt. des OVG Nordrhein-Westfalen v. 1.10.1981 - 7 A 2283/79 - BauR 1982, 50 sowie die einhellige Kommentarliteratur).

Diese Frage hat sich jedoch inzwischen dadurch erledigt, dass das Landratsamt die Anordnung vom 25.7.2000 mit Bescheid vom 23.11.2000 ergänzt und die vorläufige Untersagung bis 25.7.2001 befristet hat. Ein etwaiger Fehler dieser Anordnung, ist dadurch geheilt. Schon aus diesem Grund sieht der Senat keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers gegen diesen Teil der Verfügung des Landratsamts wiederherzustellen. Dies hätte jedoch auch dann gegolten, wenn das Landratsamt den Bescheid vom 23.11.2000 nicht erlassen hätte. Denn selbst wenn man auf den Bescheid des Landratsamts in seiner ursprünglichen Gestalt abstellt, würde die in diesem Bescheid fehlende Bestimmung einer Frist für die Geltung der vorläufigen Untersagung der Bauarbeiten nur dann die vom Verwaltungsgericht getroffene Entscheidung rechtfertigen, wenn dieser Mangel zur Aufhebung der Anordnung im Widerspruchsverfahren verpflichten oder zumindest berechtigen würde. Das ist jedoch nicht der Fall. § 15 Abs. 1 BauGB gibt den Gemeinden einen Anspruch darauf, dass die Baurechtsbehörde von den in dieser Vorschrift vorgesehenen Mitteln zur Sicherung der gemeindlichen Planungsvorstellungen Gebrauch macht, sofern die dafür im Gesetz genannten tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Der der Anordnung des Landratsamts zunächst möglicherweise anhaftende Fehler hätte der Widerspruchsbehörde daher keine Handhabe zu einer Aufhebung der angefochtenen Anordnung gegeben, sondern sie nur dazu berechtigt, die Verfügung durch die Bestimmung einer Frist in der Weise zu ergänzen, wie dies das Landratsamt inzwischen selbst getan hat .

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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