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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 05.10.2006
Aktenzeichen: 8 S 2417/05
Rechtsgebiete: LBO


Vorschriften:

LBO § 74 Abs. 1 Nr. 1
LBO § 56 Abs. 2 Nr. 3
LBO § 56 Abs. 5
Wenn die nach § 56 Abs. 2 Nr. 3 LBO zulässige Anbringung von Fotovoltaik-Modulen zwangsläufig dazu führt, dass etwa 99 % der Fläche einer Dachhälfte optisch schwarz, schwarz/grau oder schwarz/blau in Erscheinung tritt, und wenn die Gemeinde zugleich das Ziel verfolgt, eine weitgehende Einheitlichkeit der farblichen Gestaltung der Dacheindeckungen zu erreichen, so erfordern Gründe des allgemeinen Wohls im Sinne des § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 LBO die Zulassung einer der Farbe der Solarmodule entsprechenden Farbe der übrigen Dacheindeckung.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

8 S 2417/05

Verkündet am 05.10.2006

In der Verwaltungsrechtssache

wegen baurechtlicher Entscheidung

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. September 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 19. Oktober 2005 - 1 K 651/05 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, dem Kläger die beantragte Befreiung von Nr. 2.2 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan "Reuteberg-West" zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Farbe der Dacheindeckung des dem Kläger gehörenden, im Wege des Kenntnisgabeverfahrens errichteten Einfamilienwohnhauses.

Das Hausgrundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans "Reuteberg-West" vom 15.10.2003. Die gemeinsam mit ihm erlassenen örtlichen Bauvorschriften sehen als Dachdeckungsmaterial nur Dachziegel oder Betondachsteine in den Farben rot bis rotbraun vor. Unter dem 28.10.2004 beantragte der Kläger die Zulassung einer Abweichung von dieser Bestimmung aus architektonischen Gründen, da die Südseite der Dachhaut zu 90 % von einer Photovoltaikanlage in grau-schwarzer Farbe bedeckt werden solle. Die Beklagte lehnte diesen Antrag letztlich mit Bescheid vom 28.12.2004 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 56 Abs. 5 LBO seien nicht gegeben. Auch wenn man der Förderung regenerativer Energien ein Gemeinwohlinteresse zubillige, könne daraus kein Erfordernis einer abweichenden Farbe der Dachdeckung abgeleitet werden. Auch eine offenbar nicht beabsichtigte Härte liege nicht vor; die örtlichen Bauvorschriften, in deren Kenntnis der Kläger das Baugrundstück erworben habe, dienten ganz bewusst dem Zweck, im öffentlichen Interesse an einem Mindestmaß einheitlicher Gestaltung des Baugebiets die persönlichen Gestaltungsabsichten der Bauherren in Teilbereichen einzuschränken.

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, nach dem Stand der Technik könne die für die südliche Dachhälfte vorgesehene Fotovoltaikanlage keine andere Farbe als schwarz oder dunkelgrau aufweisen. Eine Eindeckung der nördlichen Dachhälfte mit roten Ziegeln stehe in ästhetischem Widerspruch dazu. Deshalb sei mit dem zuständigen Sachbearbeiter des Planungsamtes vereinbart worden, dass ein Befreiungsantrag gestellt werden solle, dem dieser zustimmen werde. Die ablehnende Entscheidung gehe allein auf das Votum des Ortsvorstehers zurück. Das Regierungspräsidium Tübingen wies diesen Widerspruch mit Bescheid vom 14.3.2005 mit der Begründung zurück, die örtliche Bauvorschrift sei rechtsgültig und die Voraussetzungen für eine Befreiung lägen nicht vor.

Der Kläger hat am 14.4.2005 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage erhoben und zuletzt beantragt, unter Aufhebung der anders lautenden Bescheide festzustellen, dass die farbliche Gestaltung des Daches auf seinem Gebäude baurechtlich zulässig sei, insbesondere nicht gegen die entsprechende örtliche Bauvorschrift verstoße, hilfsweise die entgegenstehenden Bescheide aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Befreiung von der festgesetzten Farbe der Dacheindeckung zu erteilen. Zur Begründung hat er geltend gemacht, die Festlegung der Dachfarbe verstoße gegen das Abwägungsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Den Verfahrensakten lasse sich nicht entnehmen, dass eine Abwägung bezüglich der Dachflächenfarbe insbesondere im Hinblick auf zwangsläufig schwarze bis dunkelgraue Fotovoltaik-Elemente stattgefunden habe. Derartige Zellen gebe es in rötlichen Tönen nicht. Bei seinem Haus führe die Einhaltung örtlichen Bauvorschrift dazu, dass auf der Südseite durch die Fotovoltaik-Elemente ein graues/schwarzes Dach mit einem schmalen roten oder rötlich-braunen Rand entstehe, während die nördliche Dachfläche rot bis rotbraun gedeckt sei. Es werde so eine optische Zweifarbigkeit erzwungen, die verunstaltend wirke. Ohnehin sei fraglich, ob angesichts des Vorhandenseins unterschiedlicher Dachfarben in den angrenzenden Baugebieten das Ziel eines einheitlichen Erscheinungsbildes überhaupt noch erreicht werden könne. Die Festlegung sei umso fraglicher, als ihm für den Fall einer "In-Dachmontage", also einer Nutzung der Dachziegel als Fotovoltaik-Elemente, eine entsprechende Befreiung in Aussicht gestellt worden sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat vorgetragen, die seitens des Klägers angesprochene Gemengelage unterschiedlicher Dachfarben betreffe einzelne Häuser außerhalb des Bebauungsplans "Reuteberg-West". Die von ihm vorgelegten Lichtbilder zeigten, dass seine abweichende Dachfarbe aus der farblich einheitlichen Dachlandschaft heraussteche und störend wirke. Die Regelung verstoße nicht gegen das Abwägungsgebot. Dem gestalterischen Wunsch des Plangebers könne nicht entgegengehalten werden, dass er den Gesichtspunkt der Förderung so genannter "Solar-Anlagen" bei Erlass der Satzung nicht berücksichtigt habe. Dass es Fotovoltaikanlagen nur in einem gräulich-blauen Farbton gebe, stehe der vorgeschriebenen Farbgestaltung nicht entgegen. Die Dachziegelfarbe kollidiere nicht mit der Funktionsfähigkeit solcher Anlagen. Das subjektiv-ästhetische Empfinden des Klägers müsse zurücktreten. Durch das Anbringen einer Fotovoltaikanlage entstehe nicht zwangsläufig eine verunstaltend wirkende zweifarbige Dachlandschaft, weil solche Anlagen in der Regel nicht die komplette Dachfläche überdeckten. Auch im vorliegenden Falle bleibe ein seitlicher Rand deutlich sichtbar. Die Voraussetzungen für eine Befreiung lägen nicht vor. Weder erforderten Gründe des Allgemeinwohls eine Befreiung noch führe die Einhaltung der vorgeschriebenen Farbpalette zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Hauptantrag stattgegeben und festgestellt, dass die farbliche Gestaltung der Dacheindeckung am Wohnhaus des Klägers baurechtlich zulässig sei, insbesondere nicht gegen die entsprechende örtliche Bauvorschrift verstoße, weil diese Bestimmung unwirksam sei. Denn es sei rechtlich nicht sichergestellt, dass ihr Zweck, über die zulässige Farbpalette der Dachziegel eine gewisse Einheitlichkeit der Dachlandschaft im Plangebiet zu gewährleisten, erreicht werden könne. Vielmehr befürworte und unterstütze die Beklagte die Errichtung von Fotovoltaikanlagen, weshalb davon auszugehen sei, dass solche Anlagen, deren technische Gestaltung eine abweichende Farbwahl gebiete, im Baugebiet nicht verhindert werden sollten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten, mit der diese beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 19. Oktober 2005 - 1 K 651/05 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend: Die fragliche Regelung über die zulässige Farbe der Dacheindeckungen sei komplexer strukturiert als vom Verwaltungsgericht angenommen. Sie besage, dass - 1. - die Dachfarbe rot bis rotbraun durchgesetzt werden solle und - 2. - als Ausnahme von dieser Regel auch andersfarbige Solaranlagen und andere technische Einrichtungen zulässig seien. Beide Sätze zusammen bildeten erst die maßgebliche Gestaltungsvorschrift. Das Verwaltungsgericht habe die Ausnahmeregelung, die "natürlich nicht expressis verbis in den Normtext aufgenommen" worden sei, zwar gesehen, ihr aber nicht die ihr zukommende Bedeutung beigemessen. Die Regelung - einschließlich des Ausnahmetatbestandes - erscheine außerordentlich vernünftig. Sie gewähre der Gewinnung regenerativer Energie Vorrang vor der farblichen Einheitlichkeit der Dachlandschaft, sei also bereit, zur Förderung des Umweltschutzes Abstriche am Farbkonzept hinzunehmen. Intendiert sei keine 100%-Lösung, sondern ein zurückgenommenes, ausgewogenes Konzept, das zum einen auf die Nordseiten der Dächer wirke, wo aus wirtschaftlichen Gründen keine Solaranlagen installiert werden könnten. Zum anderen habe das Konzept eine zeitliche Dimension, da es bei Abbau der Solaranlage auch für die bisher für sie beanspruchte Dachflächen wieder in den Vordergrund trete und steuernd wirken könne. Demgegenüber laufe die Auffassung des Verwaltungsgerichts auf die Forderung nach einem Alles-oder-Nichts-System hinaus. Das Konzept der Beklagten trage dagegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung und stelle so eine ausgewogene und vernünftige Lösung dar, die von den Bauherrn - außer dem Kläger - durchweg akzeptiert werde. Dem Kläger komme es dagegen auf die Pflege seines Individualismus an. Seine Betroffenheit tendiere gegen Null, weil rote oder rotbraune Dachsteine nicht kostspieliger seien als schwarze oder graue. Schließlich habe der Senat eine vergleichbare Regelung in einer Entscheidung vom 22.4.2002 (- 8 S 177/02 - VBlBW 2003, 123) als rechtmäßig angesehen. Die nach Nr. 21 des Anhangs zu § 50 LBO verfahrensfreien Anlagen zur fotovoltaischen oder thermischen Solarnutzung seien wohl auch in jenem Fall zulässig gewesen, ohne dass der Senat daraus die Unwirksamkeit der örtlichen Bauvorschrift abgeleitet habe.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert: Das Verwaltungsgericht gehe zu Recht davon aus, dass die streitige örtliche Bauvorschrift, deren Ziel es sei, für eine gewisse Einheitlichkeit der Dachlandschaft im Plangebiet zu sorgen, ihren Regelungszweck im Hinblick auf die zugelassenen Ausnahmen für zwangsläufig schwarze bis dunkelgraue Solaranlagen nicht mehr erreichen könne und deshalb unwirksam sei. Mit der Installation einer solchen Anlage werde bei Einhaltung der Farbvorgabe im Übrigen eine "Zweifarbigkeit" und damit "Uneinheitlichkeit" in der farblichen Gestaltung der Dachflächen bereits am jeweiligen Gebäude selbst geschaffen. Ferner machten aufgrund des technischen Fortschritts durchaus auch diffuses Licht nutzende Solaranlagen auf nicht nach Süden weisenden Dächern Sinn. Auch das auf die zeitliche Dimension abhebende Argument der Beklagten verfange nicht; für Solarmodule werde eine Garantie von 25 Jahren gewährt und die Einspeisevergütung nach dem Energieeinspeisungsgesetz währe 20 Jahre. Das Beharren auf roter bis rotbrauner Dachdeckung trotz Zulassung andersfarbiger Photovoltaikelemente führe zum Gegenteil der beabsichtigten Einheitlichkeit der Dachflächen. Eine Gestaltungsregelung, die es nicht verstehe, erwünschte Ausnahmen dieser Art aufzunehmen und gestalterisch zu verarbeiten, sei wegen Verstoßes gegen das Abwägungsgebot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unwirksam. Es sei auch nicht zutreffend, dass das "Konzept" der Beklagten von den Bauherren durchweg akzeptiert werde; laut Auskunft des Baurechtsamtes hätten mindestens drei weitere Bauherren wegen einer Eindeckung mit schwarzen Dachziegeln angefragt. Am Haus gegenüber - Juraweg 23 - seien dunkelbraune Ziegel verwendet worden. Im älteren Baugebiet am Juraweg seien mehrere schwarze Dächer vorhanden. Vollends fragwürdig werde die ablehnende Entscheidung der Beklagten vor dem Hintergrund der Erklärung der Baugenehmigungsbehörde, die bei einer so genannten Indachmontage der Photovoltaikelemente eine Befreiung von der Dachfarbe für das gesamte Dach - also auch für die nördliche Dachfläche - in Aussicht gestellt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die dem Senat vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die - zulässige - Berufung der Beklagten ist nicht begründet; das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht der Klage stattgegeben. Es hätte allerdings nicht dem Hauptantrag des Klägers folgen und die streitige örtliche Bauvorschrift für unwirksam halten dürfen (nachfolgend 1.), sondern entsprechend seinem Hilfsantrag die Beklagte zur Erteilung der beantragten Befreiung von Nr. 2.2 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan "Reuteberg-West" verpflichten müssen (nachfolgend 2.).

1. Die örtliche Bauvorschrift über die Farbe der Eindeckung der Dächer im Baugebiet "Reuteberg-West" mit roten bis rotbraunen Dachziegeln oder Betondachsteinen ist rechtsgültig.

a) Diese Bestimmung ist zwar möglicherweise verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Denn bei örtlichen Bauvorschriften, die zusammen mit einem Bebauungsplan beschlossen werden, richtet sich das Verfahren für ihren Erlass gemäß § 74 Abs. 7 LBO in vollem Umfang nach den für Bebauungspläne geltenden Vorschriften. Dazu gehört auch § 9 Abs. 8 BauGB, wonach eine Begründung beizufügen ist, in der die Ziele, Zwecke und wesentlichen Auswirkungen darzulegen sind. Dass es sich bei dieser Bestimmung mindestens auch um eine Verfahrensvorschrift handelt, ergibt sich aus § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB, der § 9 Abs. 8 BauGB ausdrücklich erwähnt. Auf solche örtlichen Bauvorschriften finden allerdings die Planerhaltungsvorschriften der §§ 214 ff. BauGB entsprechende Anwendung (Urteil des Senats vom 19.9.2002 - 8 S 1046/02 - BRS 65 Nr. 146; ebenso: Sauter, LBO, § 74 RdNr. 121 a. E.; vgl. auch: OVG NW, Urteil vom 24.7.2000 - 7a D 179/98.NE - BRS 63 Nr. 18; Urteil vom 9.2.2000 - 7 A 2386/98 - NVwZ-RR 2001, 14 zum nordrhein-westfälischen Landesrecht; BVerwG, Beschluss vom 20.2.2002 - 9 B 63.01 - UPR 2002, 275 zum allgemein geltenden Grundsatz der Planerhaltung).

Im vorliegenden Fall enthält die Begründung zum Bebauungsplan vom 8.4.2003 zur Gestaltung der baulichen Anlagen unter Nr. 5.6. lediglich die Aussage, dass zur Einfügung der Bebauung in das vorhandene Orts- und Landschaftsbild besondere Festsetzungen zur Gestaltung und Anordnung der baulichen Anordnung (wie Dachform, Firstrichtung und Einfriedigungen) getroffen wurden. Es erscheint fraglich, ob die unterbliebene Nennung der Farbe der Dacheindeckung diese Begründung lediglich als unvollständig erscheinen lässt, was nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB einen unbeachtlichen Fehler darstellen würde, oder ob von einem völligen Begründungsausfall auszugehen wäre, der von dieser Unbeachtlichkeitsregel nicht erfasst wäre. Dies kann aber letztlich offen bleiben, denn selbst wenn ein beachtlicher Begründungsmangel vorliegen sollte, wäre er gemäß § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden, da er nicht innerhalb eines Jahres nach der Bekanntmachung der örtlichen Bauvorschriften am 23.10.2003 gegenüber der Beklagten gerügt worden ist.

b) Die streitige örtliche Bauvorschrift ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden.

aa) Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO, der den Gemeinden den Erlass örtlicher Bauvorschriften über "Anforderungen an die äußere Gestaltung baulicher Anlagen" gestattet. Einzelheiten der Dachgestaltung können dagegen nicht durch planerische Festsetzungen auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 BauGB oder der Baunutzungsverordnung getroffen werden (Urteil des Senats vom 22.4.2002 - 8 S 177/02 - VBlBW 2003, 123; BVerwG, Urteil vom 11.5.2000 - 4 C 14.98 - NVwZ 2000, 1169; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.2006 - 3 S 337/06 -). Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 22.4.2002, a.a.O.) gehören zur äußeren Gestaltung einer baulichen Anlage auch Dachformen oder andere Einzelheiten der Dachgestaltung, wie namentlich Material und Farbe der Dacheindeckung. Sie können daher Gegenstand einer örtlichen Bauvorschrift auf der Grundlage des § 74 Abs. 1 Nr. 1 LBO sein.

bb) Wie jede andere rechtliche Regelung muss auch eine örtliche Bauvorschrift dem sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Bestimmtheitsgebot genügen. Dieses Gebot schließt jedoch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus, sofern sich ihr näherer Inhalt unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und des erkennbaren Willens des Normgebers erschließen lässt (Urteil des Senats vom 22.4.2002, a.a.O., unter Berufung auf BVerwG, Beschluss vom 24.1.1995 - 4 NB 3.95 - BRS 57 Nr. 26). Das ist hier sowohl hinsichtlich der vorgeschriebenen Materialien als auch hinsichtlich der angeordneten Farben "rot bis rotbraun" der Fall. Dies hat der Senat in dem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 22.4.2002 unter Berufung auf das Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 9.2.2000 (- 7 A 2386/98 - BauR 2000, 1472) und in Abgrenzung zum Urteil des OVG Niedersachsen vom 7.11.1995 (- 11 A 293/94 - NVwZ-RR 1996, 491) entschieden. Gründe für eine hiervon abweichende Sichtweise sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

cc) Die umstrittene Regelung verstößt auch nicht gegen das Abwägungsgebot.

Ebenso wie bei der Aufstellung von Bebauungsplänen hat die Gemeinde auch beim Erlass örtlicher Bauvorschriften die von der beabsichtigten Regelung berührten öffentlichen und privaten Belange gegen- und untereinander gerecht abzuwägen (Urteil des Senats vom 19.9.2002 - 8 S 1046/02 - BRS 65 Nr. 146 m.w.N.). Zwar findet die nur für Bebauungspläne geltende Regelung in § 1 Abs. 6 BauGB a. F./§ 1 Abs. 7 BauGB n. F. auf örtliche Bauvorschriften auch dann keine (unmittelbare) Anwendung, wenn diese - wie hier - zusammen mit einem Bebauungsplan beschlossen werden, da in § 74 Abs. 7 LBO nur für das Verfahren zum Erlass dieser Vorschriften auf das BauGB verwiesen wird und es sich bei § 1 Abs. 6 BauGB a. F./3 1 Abs. 7 BauGB n. F. nicht um eine verfahrensrechtliche, sondern eine materiell-rechtliche Regelung handelt. Die Verpflichtung der Gemeinde zu einer Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ergibt sich jedoch unabhängig von einer solchen Verweisung aus dem Umstand, dass mit den von ihr erlassenen örtlichen Bauvorschriften Inhalt und Schranken des Eigentums geregelt werden und hierbei die Interessen der Allgemeinheit sowie die privaten Interessen des Einzelnen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen (Urteil des Senats vom 22.4.2002, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.2006, a.a.O.; OVG NW, Urteil vom 9.2.2000, a.a.O.; HessVGH, Urteil vom 2.4.1992 - 3 N 2241/89 - BRS 54 Nr. 116).

Die streitige Regelung wird diesen Anforderungen (noch) gerecht. Den Verfahrensakten kann zwar nicht entnommen werden, dass hinsichtlich der Vorgabe einer bestimmten Farbe für die Dacheindeckungen eine Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Gemeinde einerseits und denen der Grundstückseigentümer andererseits stattgefunden hat. Entgegen der Ansicht der Kläger lässt dieser Umstand jedoch für sich allein nicht darauf schließen, dass sich der Gemeinderat bei der Beschlussfassung über die örtlichen Bauvorschriften nicht mit den jeweiligen Belangen abwägend befasst hat, die von der umstrittenen Gestaltungsbestimmung berührt werden (BVerwG, Beschluss vom 29.1.1992 - 4 NB 22.90 - NVwZ 1992, 662 = PbauE § 214 Abs. 3 BauGB Nr. 3; Urteil des Senats vom 22.4.2002, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.2006, a.a.O.). Dies gilt umso mehr, als es sich bei der in Rede stehenden Vorschrift um keine Regelung von zentraler Bedeutung handelt, da von ihr weder die bauliche Ausnutzbarkeit der Baugrundstücke eingeschränkt wird noch den Bauherren Vorgaben gemacht werden, die sie in ihren Gestaltungswünschen übermäßig einengen oder eine zusätzliche Kostenbelastung verursachen, zumal - wie noch zu zeigen sein wird - das Bauordnungsrecht die seitens des Klägers vermisste Flexibilität im Hinblick auf eine Harmonisierung mit den aus technischen Gründen abweichenden Farben von Fotovoltaikanlagen anderweitig herstellt. Dementsprechend sind auch während des Aufstellungsverfahrens von keiner Seite Einwendungen gegen die beabsichtigte Gestaltungsregelung erhoben worden. Ihre Zielrichtung ist im Übrigen offenkundig. Der Beklagten geht es mit der Regelung ersichtlich darum, durch Vorgabe eines bestimmten Farbspektrums für eine gewisse Einheitlichkeit der Dachlandschaft im Plangebiet zu sorgen. Dass an anderen Stellen - etwa in den benachbarten Planbereichen - nicht durchgängig dieselben Vorgaben gelten, ist unerheblich, denn die streitige Bauvorschrift gilt nur für das Baugebiet "Reuteberg-West" (vgl. dazu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.10.2006, a.a.O.). Allerdings mindert die Tatsache, dass in den östlich sich anschließenden Neubaugebieten die Farben der Dächer zu etwa gleichen Anteilen zwischen rot bis rotbraun und schwarz bis anthrazit variieren, wie die seitens des Klägers vorgelegten Fotos zeigen, das Gewicht der gemeindlichen Interessen. Dennoch hält es der Senat für nicht vertretbar, dem von der Beklagten verfolgten Ziel völlig die Rechtfertigung abzusprechen. Denn es spricht einiges dafür, dass in den Nachbarbaugebieten inhaltsgleiche örtliche Bauvorschriften nicht in allen Fällen eingehalten worden sind. Dies betrifft aber nicht die Frage der Normgeltung, sondern ihres Vollzugs. Andererseits liegt es auf der Hand, dass von einer Regelung wie der streitigen das Interesse der Grundstückseigentümer an einer möglichst ungeschmälerten Erhaltung ihrer gestalterischen Freiheiten berührt wird. Auf diese unterschiedliche Interessenlage besonders und ausdrücklich einzugehen, bestand für den Gemeinderat der Beklagten folglich kein Anlass.

Das Verwaltungsgericht hätte daher nicht von der Unwirksamkeit der örtlichen Bauvorschrift über Material und Farbe der Dacheindeckungen ausgehen und dem Hauptantrag des Klägers nicht stattgeben dürfen.

2. Es hätte aber - auf der Grundlage des Hilfsantrags des Klägers - die Beklagte verpflichten müssen, die beantragte Befreiung von Nr. 2.2 der örtlichen Bauvorschriften zum Bebauungsplan "Reuteberg-West" zu erteilen. Denn der Kläger hat einen aus einem Zusammenwirken der Abweichungsregel des § 56 Abs. 2 Nr. 3 LBO mit der Befreiungsmöglichkeit nach § 56 Abs. 5 LBO folgenden Anspruch auf die begehrte Befreiung. Im Einzelnen ergibt sich dies aus folgendem:

a) Nach § 56 Abs. 2 Nr. 3 LBO sind Abweichungen von den §§ 4 bis 37 LBO und von Vorschriften aufgrund dieses Gesetzes, also auch von örtlichen Bauvorschriften (Sauter, LBO, § 56 RdNr. 4), zur Verwirklichung von Vorhaben zur Energieeinsparung zuzulassen, wenn die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Es besteht somit ein Anspruch auf deren Zulassung, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Zu den nach dieser Vorschrift privilegierten Vorhaben zählen auch Fotovoltaikanlagen (vgl. Sauter, LBO, § 56 RdNr. 19, der ausdrücklich solarthermische Anlagen sowie Energie- oder Absorberdächer anführt; Anlagen wie diejenige des Klägers, die Sonnenlicht direkt in Strom umwandeln, können nicht anders behandelt werden als solarthermische Anlagen). Wenn diese aber - was unter den Beteiligten unstreitig ist - aus technischen Gründen nicht in roter oder rotbrauner Farbe erhältlich sind, so muss die Abweichungsregelung auch die Farbvorgabe in der örtlichen Bauvorschrift erfassen, soll sie nicht ins Leere laufen. Das sieht die Beklagte auch nicht anders, denn sie will die Solarenergienutzung ausdrücklich ermöglichen (vgl. die Niederschrift über die Verhandlung des Fachbereichsausschusses Stadtentwicklung, Bau und Umwelt des Gemeinderats vom 30.9.2003, S. 2, /33 der Bebauungsplanakten) und betont sogar den "Vorrang" regenerativer Energien vor der "farblichen Einheitlichkeit der Dachlandschaft" (Schriftsatz vom 29.12.2005, S. 3). Danach kann kein Zweifel bestehen, dass die Anbringung von Fotovoltaikanlagen auch dann im Sinne des § 56 Abs. 2 LBO mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, wenn sie von der festgesetzten Farbe der Dacheindeckungen abweichen.

b) Aus diesem von der Beklagten nicht in Frage gestellten Anspruch auf Zulassung einer Abweichung von der Dachfarbenfestlegung auf der Grundlage des § 56 Abs. 2 Nr. 3 LBO für die Fotovoltaikelemente selbst folgt zugleich ein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Befreiung von der streitigen örtlichen Bauvorschrift im Hinblick auf die Farbe der "eigentlichen" Dachhaut. Denn wenn die - auch seitens der Beklagten befürwortete - Anbringung solcher Module zwangsläufig dazu führt, dass etwa 99 % der Fläche der südlichen Dachhälfte optisch schwarz, schwarz/grau oder schwarz/blau in Erscheinung tritt, und wenn zugleich das Ziel verfolgt wird, eine weitgehende Einheitlichkeit der farblichen Gestaltung der Dacheindeckungen zu erreichen, so erfordern Gründe des allgemeinen Wohls im Sinne des § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 LBO die Zulassung einer der Farbe der Solarmodule entsprechenden Farbe der übrigen Dacheindeckung. Jede andere Entscheidung würde - wie der Kläger zu Recht hervorhebt - das grundsätzliche Ziel einer im Hinblick auf ihre Farbe möglichst einheitlichen Gestaltung der Dachlandschaft konterkarieren. Das gilt sowohl für den nur wenige Zentimeter schmalen, sichtbaren Rand der Dachhaut der südlichen Dachfläche, auf der die Fotovoltaikelemente angebracht sind, als auch für die nördliche Dachseite. Denn es sind keine öffentlichen Belange ersichtlich, die es erfordern könnten, eine an sich wegen der - aus technischen Gründen in derartigen Farbtönen gehaltenen - Solarmodule optisch schwärzlich erscheinenden Dachfläche rot umranden und ihr Satteldachpendant auf der nördlichen Dachhälfte andersfarbig gestalten zu müssen. Davon abgesehen stellt es für den Kläger eine im Sinne des § 56 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 offenbar nicht beabsichtigte Härte dar, gleichwohl sein gesamtes Dach - entgegen seinem Wunsch - rot bis rotbraun eindecken zu müssen. Denn der Satzungsgeber kann nicht zugleich beabsichtigen, Fotovoltaikanlagen auf den Dächern im Baugebiet zuzulassen, die nur in schwarz, schwarz/grau oder schwarz/blau erhältlich sind, und dennoch eine rote bis rotbraune Dacheindeckung zu fordern. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich solche Anlagen nur für eine begrenzte Zeit energetisch nutzen lassen und dann nach Entfernung der Module die "falsche" Farbe der Dacheindeckung zu Vorschein kommen werde, wie die Beklagte meint. Denn diesem Szenario lässt sich ohne weiteres dadurch vorbeugen, dass in die Befreiungsentscheidung ein entsprechender Widerrufsvorbehalt aufgenommen wird.

Nach allem ist die Berufung mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Gründe für eine Zulassung der Revision (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Beschluss

Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG auf EUR 5.000,-- festgesetzt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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