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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: 8 S 967/07
Rechtsgebiete: BauNVO
Vorschriften:
BauNVO § 23 Abs. 3 Satz 2 |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen erteilter Baugenehmigung
hier: vorläufiger Rechtsschutz
hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
am 14. Juni 2007
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. März 2007 - 11 K 2546/07 - geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage - 11 K 3011/07 - gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. November 2006 und gegen den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 12. März 2007 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500.- EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27.3.2007 sind zulässig (vgl. §§ 146, 147 VwGO) und begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6.11.2006 anzuordnen, zu Unrecht abgelehnt. Die angefochtene Baugenehmigung wird jedenfalls in der gegenwärtigen Fassung einer gerichtlichen Überprüfung voraussichtlich nicht standhalten, da sie gegen nachbarschützende Vorschriften zu Lasten der Antragsteller verstößt.
Die Baugenehmigung verstößt gegen die für das Baugrundstück geltende Festsetzung der nördlichen Baugrenze im Bebauungsplan "Grösseweg - Strümpfelbacher Weg - Heilbronner Straße", Neufestsetzung im Bereich "Karl-Friedrich-Goerdeler-Strasse", Planbereich 04.14/3 vom 21.6.1990, weil das Vorhaben diese Baugrenze überschreitet. Denn gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO 1990 dürfen weder Gebäude noch Gebäudeteile eine festgesetzte Baugrenze überschreiten.
Dieser Rechtsverstoß verletzt die Antragsteller in ihren Rechten. Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs kommt hinteren Baugrenzen regelmäßig nachbarschützende Wirkung zu (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.5.2006 - 8 S 149/06 -, vom 2.6.2003 - 8 S 1098/03 -, VBlBW 2003, 470 und vom 27.12.1995 - 8 S 3002/95 -; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 19.2.2003 - 5 S 5/03 -). Der Senat sieht in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall keine Veranlassung zu einer ausnahmsweise anderen Einschätzung, da es nach Aktenlage keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gibt, dass es dem Ortsgesetzgeber bei der Festsetzung der für das Baugrundstück geltenden hinteren Baugrenze ausschließlich um die Wahrung städtebaulicher Belange ging und nicht (zumindest auch) darum, die Nachbarn in ein gegenseitiges Verhältnis der Rücksichtnahme einzubinden. Dieser Nachbarschutz wirkt zu Gunsten der der Baugrenze gegenüberliegenden Nachbargrundstücke und damit auch - jedenfalls soweit es der Baugrenze "gegenüber" liegt - zu Gunsten des Grundstücks der Antragsteller (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 1.2.1999 - 5 S 2507/96 -, PBauE § 23 BauNVO Nr. 8 = BRS 62, 445), so dass sich diese darauf berufen können.
Die Antragsteller sind auch nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben daran gehindert, die genannte Überschreitung der Baugrenze im Verhältnis zum Beigeladenen geltend zu machen. Der Senat folgt auch insoweit den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts.
Die Überschreitung der Baugrenze konnte - entgegen dem Rechtsstandpunkt der Antragsgegnerin - nicht gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1990 zugelassen werden. Nach dieser Vorschrift kann zwar ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Ausmaß zugelassen werden. Das Vorhaben des Beigeladenen tritt jedoch nicht lediglich mit einem Gebäudeteil, sondern mit dem Gebäude selbst über die Baugrenze vor. Der Unterschied zwischen "Gebäude" und "Gebäudeteil" entspricht dabei der Differenzierung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Gebäudeteilen, so dass beim Vortreten eines unwesentlichen Gebäudeteiles lediglich dieser Gebäudeteil, beim Vortreten eines wesentlichen Gebäudeteiles dagegen zugleich das Gebäude selbst die Grenze überschreitet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.6.1975 - IV C 5.74 -, Buchholz 406.11 § 30 BBauG Nr. 11 = BauR 1975, 313 = DVBl 1975, 895). Vorliegend soll das Gebäude mit seiner um 1,20 m vorkragenden nördlichen Außenwand die Grenze überschreiten. Diese Außenwand ist ein wesentlicher Gebäudeteil, so dass das Gebäude selbst vor die Baugrenze vortritt (vgl. BVerwG a. a. O.). Auf die vom Verwaltungsgericht für entscheidungserheblich gehaltene Frage, bis zu welchem Maß ein Gebäudeteil "in geringfügigem Ausmaß" vortritt, kommt es daher nicht an.
Um das Gebäude in seiner jetzigen Form genehmigen zu können, wäre daher eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich. Eine dahingehende Entscheidung hat die Antragsgegnerin bisher nicht getroffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 66 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 4 GKG).
Ende der Entscheidung
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