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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 27.06.2006
Aktenzeichen: 8 S 997/06
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 42 Abs. 2
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80a Abs. 3
Der nachbarschützende Gehalt bauplanungsrechtlicher Normen beschränkt sich auf die Eigentümer der Nachbargrundstücke und ihnen gleichgestellte dinglich Berechtigte. Er erfasst jedoch nicht nur obligatorisch zur Nutzung dieser Grundstücke Berechtigte wie Mieter oder Pächter.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG

Beschluss

8 S 997/06

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Anfechtung einer Baugenehmigung

hier: Antrag nach den §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO

hat der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg am 27. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. März 2006 - 12 K 884/06 - werden zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 7.500 festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat mit überzeugender Begründung die Anträge, den Widersprüchen der Antragsteller gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von vier Doppelhaushälften sowie drei Reihenhäusern mit Garagen und Stellplätzen auf den Grundstücken Flst. Nrn. 171 und 174 aufschiebende Wirkung beizumessen, abgelehnt. Die Beschwerdebegründung, die keine neuen Aspekte enthält, gibt lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:

Die Angriffe der Antragsteller gegen die Erwägungen des Verwaltungsgerichts, mit denen es mit Blick auf dessen fehlende Eigentümerstellung die Antragsbefugnis des Antragstellers 2 in Zweifel zieht, gehen schon deshalb fehl, weil das Verwaltungsgericht diese Frage ausdrücklich offen gelassen hat. Davon abgesehen treffen ihre Rechtsausführungen auch nicht zu. Es ist zwar richtig, dass in der Rechtsprechung einem Mieter oder Pächter eine Antragsbefugnis im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter bestimmten Voraussetzungen zuerkannt wurde (BVerwG, Beschluss vom 11.11.1988 - 4 NB 5.88 - VBlBW 1989, 254; Urteil vom 21.10.1999 - 4 CN 1.98 -, NVwZ 2000, 807; Beschluss vom 25.1.2002 - 4 BN 2.02 - BauR 2002, 1199; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 3.3.2005 - 3 S 1524/04 - VBlBW 2006, 142; Urteil des Senats vom 7.1.1998 - 8 S 1337/97 - <juris>). Ferner wurde im Recht der Straßenplanung die Klagebefugnis von Pächtern bejaht, die sich von der enteignenden Vorwirkung eines Planfeststellungsbeschlusses (§ 19 FStrG) bedroht sahen (BVerwG, Urteil vom 1.9.1997 - 4 A 36.96 - BVerwGE 105, 178; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.12.2000 - 5 S 2716/90 - VBlBW 2001, 362). Dagegen entspricht es ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 11.7.1989 - 4 B 33.89 - NJW 1989, 2766; Beschluss vom 20.4.1998 - 4 B 22.98 - NVwZ 1998, 956) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 26.8.1993 - 5 S 1772/93 - BWVPr. 1994, 90 m.w.N.), dass der nachbarschützende Gehalt bauplanungsrechtlicher Normen - wie sie vorliegend im Streit stehen - sich auf die Eigentümer der Nachbargrundstücke beschränkt, nicht jedoch die nur obligatorisch zur Nutzung dieser Grundstücke Berechtigten - wie Mieter oder Pächter - erfasst. Dem Eigentümer gleichzustellen ist lediglich, wer in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstück dinglich berechtigt ist, wie etwa der Inhaber eines Erbbaurechts oder der Nießbraucher, ferner auch der Käufer eines Grundstücks, auf den der Besitz sowie Nutzungen und Lasten übergegangen sind und zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen ist. Unabhängig davon, dass somit - entgegen der Rechtsauffassung der Antragsteller - Mieter und Pächter in baurechtlichen Nachbarstreitverfahren weder nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt noch im Sinne der §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO antragsbefugt sind, trifft auch ihre Schlussfolgerung nicht zu, dass "natürlich" für den Ehemann, der im landwirtschaftlichen Betrieb, der eine wichtige Existenzgrundlage für die Familie darstelle, mitarbeite, nichts anderes gelten könne. Denn es versteht sich von selbst, dass Mitarbeiter unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mit Mietern oder Pächtern gleichgesetzt werden können.

Die Ausführungen der Antragsteller zur früheren Untersagung ihrer Gänsehaltung weisen keinen erkennbaren Bezug zu der erteilten Baugenehmigung auf. Soweit geltend gemacht wird, Anwohner hätten die Gemeinde und deren Mitarbeiter "aufgehetzt", soll wohl die Gefahr angedeutet werden, dass es wegen Emissionen aus der Tierhaltung zu Konfrontationen mit Nachbarn kommen und die Gemeindeverwaltung für deren Interessen eintreten könnte. Dies rechtfertigt es aber schon im Ansatz nicht, der Baugenehmigung, auf deren Erteilung die Beigeladene einen Anspruch hat, ihre durch § 212 a Abs. 1 BauGB angeordnete sofortige Vollziehbarkeit zu nehmen, zumal die Gemeinde Aichwald nicht selbst Baurechtsbehörde ist.

Die Antragsteller beanstanden ferner zu Unrecht, dass sie im Baugenehmigungsverfahren nicht förmlich angehört worden seien, obwohl ihr Anwesen im "Einwirkungsbereich der geplanten Wohnbauvorhaben" liege. Damit verkennen sie aber, dass § 55 Abs. 1 LBO die Gemeinden nur zur Benachrichtigung der Eigentümer angrenzender Grundstücke verpflichtet. Die der Antragstellerin 1 gehörenden Grundstücke Flst. Nrn. 160, 166, 169 und 170 grenzen aber nicht an die Baugrundstücke, weil die Grundstücke Flst. Nrn. 168/2, 173 und 172 dazwischen liegen. Das Landratsamt Esslingen hat auch keineswegs - wie die Antragsteller vortragen - in seinem Schreiben vom 27.12.2005 behauptet, dass alles "bestens sei". Vielmehr wird dort zutreffend auf die nach § 55 LBO bestehende Rechtslage hingewiesen.

Mit ihrem weiteren Vorbringen, die angefochtene Baugenehmigung leide an erheblichen Abwägungsmängeln, weil in ihr unter Missachtung des Trennungsgrundsatzes kein Ausgleich der durch sie hervorgerufenen Konfliktlage vorgenommen worden sei, verkennen die Antragsteller zum einen, dass sich das Trennungsgebot des § 50 BImSchG nur auf raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen bezieht und deshalb grundsätzlich nicht Einzelgenehmigungen erfasst. Zum anderen ist weder dargelegt noch ersichtlich, welche Maßnahmen zur Konfliktvermeidung oder -minderung zur Verfügung gestanden hätten.

Die Antragsteller werfen dem Verwaltungsgericht ferner zu Unrecht vor, seine Ausführungen, die bereits vorhandene Wohnbebauung verlange schon bisher gegenseitige Rücksichtnahme und eine Gefahr, dass gerade das Vorhaben der Beigeladenen die Fortführung des Betriebs der Antragstellerin 1 in Frage stellen könnte, sei nicht zu erkennen, stellten eine zu einseitige Betrachtung dar. Sie übersehen damit, dass das Verwaltungsgericht unter Heranziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Beschluss vom 2.12.1985 - 4 B 189.85 - NVwZ 1996, 641; Urteil vom 14.1.1993 - 4 C 19.90 - NVwZ 1993, 1184) zutreffend darauf abgehoben hat, dass die genehmigte Wohnbebauung deshalb keine gesteigerte Rücksichtnahme verlangt, weil die Grundstücke der Antragstellerin schon derzeit auf allen Seiten von Wohnbebauung umgeben sind und sich auf dem Baugrundstück Flst. Nr. 174 ein Wohnhaus befand. Der in diesem Zusammenhang gegebene Hinweis der Antragsteller auf das Urteil des Senats vom 9.5.1980 - VIII 2214/79 - geht fehl. Denn jenem Verfahren lag die völlig andere Fallkonstellation zugrunde, dass sich die Inhaberin einer Hautleim- und Gelatinefabrik gegen die Ausweisung von Gewerbe-, Misch- und Wohngebieten unter Einbeziehung ihrer Betriebsgrundstücke wehrte. Die seitens der Antragsteller aus dieser Entscheidung gezogene Schlussfolgerung, der Senat habe auf eine bereits gegebene Wohnbebauung abgestellt, trifft deshalb nicht zu. Im damaligen Verfahren gab es nur eine geplante, aber keine vorhandene Wohnbebauung; im Übrigen ging es um eine Bebauungsplanung und nicht - wie vorliegend - um eine gebundene Entscheidung über einen Bauantrag.

Nach allem sind die Beschwerden mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 und 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Der Senat orientiert sich dabei - ebenso wie offenbar auch das Verwaltungsgericht - an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (VBlBW 2004, 467). Eine Ermäßigung im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, ist nicht angezeigt, weil die Entscheidung in der Sache vorweggenommen wird (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs a.a.O.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).



Ende der Entscheidung

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