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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 19.04.2005
Aktenzeichen: 9 S 109/03
Rechtsgebiete: GG, SGB VIII
Vorschriften:
GG Art. 6 Abs. 2 | |
SGB VIII § 27 | |
SGB VIII § 89 d | |
SGB VIII § 89 f | |
SGB VIII § 89 h |
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Kostenerstattung
hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Gaber und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Neu ohne mündliche Verhandlung am 19. April 2005
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 03. Dezember 2002 - 5 K 1765/01 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt als örtlicher Jugendhilfeträger vom Beklagten Erstattung von Kosten, die er für den Jugendlichen xxxxx xxxxxxxx - im folgenden: F. D. - aufgewendet hat.
F. D. wurde am 10.02.1982 in der Türkei geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Seine Eltern leben in der Türkei. Er reiste ohne Begleitung seiner Eltern an einem objektiv nicht mehr feststellbaren Tag, nach eigenen Angaben am 02.06.1997, auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde auf sein Hilfegesuch vom 27.06.1997 vom Bezirksamt Treptow des Klägers in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Obhut genommen.
Mit Beschluss vom 30.07.1997 bestellte das Amtsgericht - Familiengericht - Köpenick das Bezirksamt Treptow des Klägers vorläufig zum Pfleger und ordnete Ergänzungspflegschaft mit folgenden Wirkungskreisen an: Vertretung im Asylverfahren, Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung sowie Vertretung vor Behörden und Gerichten.
Mit Schreiben vom 13.10.1997 zeigte der Kläger dem Landeswohlfahrtsverband Baden, dem Rechtsvorgänger des Beklagten, an, dass dieser vom Bundesverwaltungsamt als überörtlicher Träger der Jugendhilfe bestimmt wurde und beantragte zugleich, die für die Dauer der Inobhutnahme entstandenen Kosten anzuerkennen und zu erstatten.
Am 01.10.1997 beantragte der Pfleger beim - zu diesem Zeitpunkt zuständigen - Bezirksamt Neukölln des Klägers Leistungen zur Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 34 KJHG (SGB VIII), welche für F. D. mit Bescheid vom 31.10.1997 ab dem 16.09.1997 sowie auf Antrag des Pflegers vom 11.11.1997 mit Bescheid vom 23.12.1997 ab dem 10.12.1997 gewährt wurden. Auf Antrag des F. D. vom 14.02.2000 gewährte ihm das Bezirksamt Neukölln des Klägers Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII für den Zeitraum vom 15.02.2000 bis 14.02.2001. Die Kosten der Inobhutnahme (27.06.1997-15.09.1997) und der Hilfe für junge Volljährige (ab 15.02.2000) wurden vom Rechtsvorgänger des Beklagten anerkannt und erstattet.
Die Erstattung der Kosten für die Hilfe zur Erziehung des F. D. (16.09.1997-14.02.2000) machte der Kläger erstmals mit Schreiben vom 21.01.2000 beim Rechtsvorgänger des Beklagten geltend. Dieser lehnte eine Kostenerstattung ab, weil dem Pfleger (lediglich) das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden sei und dieser deshalb keine Berechtigung gehabt habe, Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII zu beantragen. Soweit Kostenerstattung für den Zeitraum vom 16.09.1997 bis zum 24.01.1999 begehrt werde, stehe dem Erstattungsanspruch zudem die Ausschlussfrist des § 111 SGB X entgegen, da die Anzeige, mit der dieser Erstattungsanspruch geltend gemacht worden sei, erst am 25.01.2000 beim Rechtsvorgänger des Beklagten einging.
Die am 12.07.2001 erhobene Klage, mit der der Kläger die Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 16.09.1997 bis 14.02.2000 erbrachten Jugendhilfeleistungen begehrt, hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 03.12.2000 - 5 K 1765/01 - abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Dem Kläger stehe ein Kostenerstattungsanspruch nicht zu. Zwar sei der Beklagte durch das Bundesverwaltungsamt zum zur Kostenerstattung verpflichteten überörtlichen Träger der Jugendhilfe nach § 89 d Abs. 2 SGB VIII (a.F.) bestimmt worden. Eine Erstattungspflicht bestehe jedoch nur dann, wenn und soweit die Aufgabenerfüllung den Vorschriften des SGB VIII entspreche und mithin rechtmäßig sei. Dies sei jedoch bei den geltend gemachten Jugendhilfeleistungen nicht der Fall. Denn die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Pfleger reiche nicht aus, um anstelle der Eltern Hilfe zur Erziehung zu beantragen. Der Pfleger habe auch keine mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht einhergehende Annexkompetenz, vielmehr verbleibe den Eltern das Recht, Hilfen zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII in Anspruch zu nehmen. Mangels eines Antrags des Personensorgeberechtigten sei die Gewährung von Jugendhilfe rechtswidrig gewesen mit der Folge, dass ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten nicht bestehe.
Der Kläger hat rechtzeitig die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung vertieft er seinen bisherigen Vortrag und trägt ergänzend vor: Das Urteil des Verwaltungsgerichts gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass der gerichtlich bestellte Pfleger nicht befugt sei, Leistungen nach den §§ 27 ff. SGB VIII zu beantragen. Der Pfleger habe zumindest dann das Recht Jugendhilfeleistungen geltend zu machen, wenn - wie vorliegend - ein entgegenstehender Wille der Eltern nicht ausdrücklich erklärt worden sei. Aus diesem Grund sei auch das vom Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.06.2001 nicht einschlägig. Denn dieses behandele nur den Fall der Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen bei ausdrücklich erklärtem entgegenstehenden Willen der Personensorgeberechtigten. Einem Pfleger mit dem Wirkungskreis "Aufenthaltsbestimmung" müsse grundsätzlich das Recht zugestanden werden, Hilfe zur Erziehung zu beantragen, da sonst das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und die Befugnis, damit verbundene Erziehungshilfen geltend zu machen, auseinander falle und damit ein praktikables Verfahren nicht sichergestellt werde.
Der Kläger beantragt bei sachdienlicher Auslegung,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 03.12.2002 - 5 K 1765/01 - zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, die vom Kläger im Zeitraum 16.09.1997 bis 14.02.2000 aufgewendeten Kosten in Höhe von EUR 58.581,41 für den Hilfeempfänger xxxxx xxxxxxxx zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er meint, es bestünden bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung, da diese nicht dem Gesetz entsprechend begründet worden sei. Jedenfalls sei die Berufung aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend dargelegten Gründen unbegründet.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Dem Senat liegen die zur Sache gehörenden Akten des Bezirksamts Neukölln, des Landeswohlfahrtsverbands Baden und des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Wegen der Einzelheiten wird auf sie und auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten im Berufungsverfahren Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Im Einvernehmen mit den Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
I. Die aufgrund der Berufungszulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung ist auch sonst zulässig, insbesondere genügt die Berufungsbegründung des Klägers den gesetzlichen Anforderungen (§ 124 a Abs. 3 S. 4 VwGO). Danach muss die Begründung einen bestimmten Antrag sowie die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten. Erforderlich aber auch ausreichend zur Begründung ist, dass die Berufungsbegründungsschrift Ausführungen dazu enthält, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung für fehlerhaft gehalten wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.04.2000 - 9 B 170/00 -, NVwZ 2000, 1042). Solchen Vortrag enthält der Berufungsbegründungsschriftsatz des Klägers vom 16.01.2003. Der Kläger setzt sich hierin mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil auseinander und macht deutlich, dass und weshalb er dieses aus rechtlichen Gründen für fehlerhaft erachtet.
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten, der als Funktionennachfolger des Landeswohlfahrtsverbandes Baden (vgl. Art. 177 §§ 1 und 2 und Art. 178 § 3 Abs. 2 Verwaltungsstrukturreformgesetz vom 01.07.2004 [GBl. 2004, 570, 572]) kraft Gesetzes durch bloße Änderung des Rubrums an dessen Stelle trat (vgl. Rennert in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Auflage, § 91 Rdn. 24 m.w.N.), nicht zu.
1. Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten ist § 89 d i.V.m. § 89 f Abs. 1 SGB VIII in der bis zum 30.06.1998 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 03.05.1993 (BGBl. I S. 637 - SGB VIII a.F. -). Die Vorschrift ist zwar durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch vom 29.05.1998 (BGBl. I S. 1188) mit Wirkung vom 01.07.1998 geändert worden. Gemäß § 89 h SGB VIII sind jedoch Kosten für Maßnahmen der Jugendhilfe nach der Einreise gemäß § 89 d, die vor dem 01.07.1998 begonnen haben, nach den bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften zu erstatten, sofern das Bundesverwaltungsamt bereits vor dem 01.07.1998 einen erstattungspflichtigen überörtlichen Träger bestimmt hat. So liegt es hier: Die vom Kläger gewährten Maßnahmen der Jugendhilfe, um deren Erstattung es geht, haben bereits am 16.09.1997 begonnen, und das Bundesverwaltungsamt hat bereits am 14.10.1997 den Rechtsvorgänger des Beklagten zum erstattungspflichtigen überörtlichen Träger bestimmt.
2. Das Verwaltungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Voraussetzungen des § 89 d Abs. 1 SGB VIII a.F. erfüllt sind, so dass der Erstattungsanspruch dem Grunde nach besteht. Zutreffend ging es auch davon aus, dass ein Anspruch auf Erstattung aufgewendeter Kosten durch den verpflichteten überörtlichen Träger der Jugendhilfe nach den §§ 89 d, 89 f SGB VIII a.F. nur in Betracht kommt, wenn und soweit die Erfüllung der Aufgaben den Vorschriften des SGB VIII entsprach (§ 89 f Abs. 1 SGB VIII). Entscheidend ist insoweit, ob die zugrunde liegende Maßnahme den materiell-rechtlichen Vorschriften entsprach, d.h. ob sie rechtmäßig war (vgl. Senat, Urteil vom 19.08.2003 - 9 S 225/03 - und BVerwG, Urt. vom 24.06.1999 - 5 C 25.98 -, BVerwGE 109, 155). Vorliegend entsprach die Gewährung der Jugendhilfe gem. §§ 27, 34 SGB VIII durch den Kläger im Zeitraum vom 16.09.1997 bis zum 14.02.2000 nicht den Vorschriften des SGB VIII. Denn der (Ergänzungs-) Pfleger war nicht berechtigt, einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII zu stellen.
a) Für den Zeitraum ab dem 10.02.2000 kam eine Hilfe zur Erziehung bereits deshalb nicht in Betracht, weil F.D. bereits volljährig war. Einen für diesen Zeitabschnitt erforderlichen Antrag auf Hilfe für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII) hat F.D. erst am 14.02.2000 gestellt, weshalb diese Hilfe vom Kläger ab 15.02.2000 bewilligt und vom Rechtsvorgänger des Beklagten auch außerhalb dieses Rechtsstreits erstattet worden ist.
b.) Für den Zeitraum vom 16.09.1997 bis 10.02.2000 kam eine Hilfe zur Erziehung zwar in Betracht, diese Hilfe war jedoch rechtswidrig, weil es der Kläger unterlassen hat, beim Vormundschaftsgericht die Bestellung eines Vormunds zu beantragen und die Hilfe damit ohne Einverständnis des Personensorgeberechtigten gewährt wurde. Hilfe zur Erziehung wird gem. § 27 Abs. 2 SGB VIII nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 SGB VIII gewährt und umfasst die in diesen Vorschriften genannten Hilfsangebote wie etwa Erziehungsberatung, soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistandschaft oder auch Heimerziehung bzw. die Unterbringung in einer betreuten Wohnform. Materielle Voraussetzung für die Hilfegewährung ist, dass der Personensorgeberechtigte durch eindeutige Willensbekundung sein Einverständnis zu dieser Hilfe erklärt hat (vgl. Kunkel, LPK-SGB VIII, 2. Auflage 2003, § 27 Rdn. 1; Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Aufl., Erl. § 27 Art. 1 KJHG Rdn. 24; Münder u.a., FK-SGB VIII, § 27 Rn. 12 und Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, 2. Auflage 2000, § 27 Rdn. 26). Wer Personensorgeberechtigter ist, bestimmt sich nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII). Personensorgeberechtigte sind danach zunächst die Eltern des Minderjährigen (§§ 1626 ff. BGB) oder der Vormund (§ 1793 BGB), auf den die gesamte elterliche Sorge übertragen wird. Der (Ergänzungs-) Pfleger (§ 1909 BGB) ist dagegen nicht generell personensorgeberechtigt, da auf ihn nicht die gesamte elterliche Sorge übertragen wird. Er ist nur sorgeberechtigt für den ihm durch Beschluss des Familiengerichts übertragenen Aufgabenbereich (vgl. Münder u.a., FK-SGB VIII § 7 Rn. 2, § 27 Rn. 12 f.); der Umfang seiner Berechtigung ergibt sich aus dem Inhalt des Gerichtsbeschlusses. Demnach war das Bezirksamt Treptow des Klägers sorgeberechtigt im Umfang der ihm durch Beschluss des Amtsgerichts Köpenick vom 30. Juli 1997 (vorläufig) übertragenen Wirkungskreise, nämlich der Vertretung des F. D. im Asylverfahren, der Sorge für seine Gesundheit, der Aufenthaltsbestimmung sowie der Vertretung vor Behörden und Gerichten. Eine Übertragung weiterer Teilbereiche der elterlichen Sorge lässt sich dem Beschluss des Familiengerichts nicht entnehmen, insbesondere wurde dem (Ergänzungs-) Pfleger nicht ausdrücklich das Recht eingeräumt, Hilfe zur Erziehung zu beantragen.
c) Ein Anspruch des Bezirksamts Treptow als bestelltem (Ergänzungs-) Pfleger, Hilfe zur Erziehung nach § 27 Abs. 1 SGB VIII zu beantragen, ergibt sich weder direkt aus dem übertragenen Aufgabenbereich noch aus einer Annexkompetenz hierzu.
(1.) Ausweislich des Beschlusses des Familiengerichts war der (Ergänzungs-) Pfleger befugt, über den Aufenthalt des F. D. zu bestimmen. Aus einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass der Pfleger auch befugt sein soll, Hilfe zur Erziehung zu beantragen. Als Pfleger mit dem übertragenen Wirkungskreis "Aufenthaltsbestimmung" konnte dieser zwar ohne weiteres über den Ort bestimmen, an dem Erziehungshilfemaßnahmen für F.D. erbracht werden sollen, er war jedoch nur insoweit personensorgeberechtigt, als Teile der Personensorge auf ihn durch Gerichtsbeschluss übertragen und damit zugleich den Eltern entzogen wurden. Die (nur) teilweise Übertragung der Personensorge auf den Pfleger ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Denn mit der teilweisen Entziehung des Personensorgerechts und der Übertragung auf ihn ist ein Eingriff in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verbunden, der nicht nur einer besonderen Rechtfertigung bzw. Ermächtigung bedarf, sondern auch so gering wie möglich zu halten ist (Übermaßverbot). Die Übertragung von Rechten auf den Pfleger muss daher durch Gerichtsbeschluss erfolgen. In diesem ist präzise der Aufgabenbereich (Wirkungskreis) des Pflegers zu bestimmen (vgl. Palandt-Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Auflage 2004, Einf. § 1909 Rn. 8). Was nicht auf ihn übertragen wird, verbleibt zwingend bei den personensorgeberechtigten Eltern oder dem Vormund. Es ist aus diesem Grund nur folgerichtig, dass das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 21.06.2001 (- 5 C 6/00 -, NJW 2002, 232 [233]) klargestellt hat, dass die Gewährung von Jugendhilfe gegen den erklärten ausdrücklichen Willen des Sorgeberechtigten rechtswidrig ist und das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verletzt, solange diesem das Recht auf Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung nicht entzogen wurde. Um eine Kollision des Elternrechts mit den staatlichen Aufgaben zum Schutze des Kindes (vgl. § 1666 BGB) zu vermeiden, ist es daher erforderlich, sofern ein Pfleger bestellt wird, das Erziehungsrecht ganz oder teilweise zu entziehen, zumindest aber das Recht, Hilfe zur Erziehung zu beantragen, von den Personensorgeberechtigten auf den (Ergänzungs-) Pfleger zu übertragen, damit sich dessen Sorgeberechtigung auch hierauf erstreckt (zutreffend Kunkel, aaO, § 27 Rdn. 9; Wiesner aaO, Vor § 27 Rn. 42 und § 27 Rdn. 13; Münder u.a., FK-SGB VIII § 27 Rn. 12, 24; offengelassen Senat, Urt. vom 19.08.2003 - 9 S 225/03 -; a.A. OVG Koblenz, Urt. vom 13.04.2000 - 12 A 11123/99 -, FamRZ 2001, 1181; LG Darmstadt, Beschluss vom 16.02.1995 - 5 T 1414/94 -, FamRZ 1995, 1435 [1436] und Schellhorn, SGB VIII, § 27 Rdn 15). Ist dies nicht geschehen, so scheidet eine Berechtigung des Pflegers insoweit aus.
Dies gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch dann, wenn - wie im vorliegenden Verfahren - die Eltern des F. D. einen der Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung nach den §§ 27, 34 SGB VIII entgegenstehenden Willen nicht erklärt haben, d.h. wenn ein Kollisionsfall anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall (BVerwG, Urteil vom 21.06.2001 - 5 C 6/00 -, NJW 2002, 232 f.) nicht erkennbar war bzw. diese Hilfe möglicherweise sogar ihrem mutmaßlichen Willen entsprochen hat. Denn der Gesetzgeber hat in § 1631 Abs. 1 BGB vier unterschiedliche Teilbereiche des Personensorgerechts ausdrücklich nebeneinander gestellt: das Pflegen, Erziehen, Beaufsichtigen und die Aufenthaltsbestimmung. Das Recht, über den Aufenthalt zu bestimmen, ist folglich vom Erziehungsrecht zu trennen. Will der Aufenthaltsbestimmungspfleger (auch) erzieherische Aufgaben wahrnehmen, so bedarf es daher einer ihm ausdrücklich eingeräumten Rechtsposition (so mit Recht der Schiedsspruch der Zentralen Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten vom 25.02.1999 - B 23/97 -, S. 5 und 6 [Bl. 123-129 der Behördenakten des Klägers]). Soweit hiergegen eingewendet wird, der Aufenthaltsbestimmungspfleger müsse auch den Antrag auf Inanspruchnahme von Hilfe zur Erziehung stellen können, da die in der Türkei lebenden Eltern sich hierzu aufgrund der Entfernung nicht erklären könnten, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar wird der (Ergänzungs-) Pfleger grundsätzlich für Angelegenheiten tätig, an deren Besorgung die Eltern oder der Vormund verhindert sind (§ 1909 Abs. 1 S. 1 BGB). Eine (Ergänzungs-) Pflegschaft wird jedoch nur für einzelne Angelegenheiten angeordnet, die durch das Familiengericht festgelegt werden. Nur in diesem Rahmen und nicht darüber hinausgehend kann der Pfleger die Eltern vertreten. Dies gebietet das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit und Verlässlichkeit einer familiengerichtlichen Entscheidung sowie um Missbrauch auszuschließen, ist dies erforderlich. Soweit eine weitergehende Kompetenz des Staates für erforderlich gehalten wird, ist nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches kein Ergänzungspfleger, sondern ein Vormund (§ 1773 BGB) zu bestellen, der die im Ausland lebenden Eltern (dauerhaft) vertritt. Inwieweit es bei einem unbegleitet einreisenden minderjährigen ausländischen Flüchtling geboten ist, stets einen Vormund zu bestellen - hierfür sprechen insbesondere die §§ 1674 Abs. 1, 1675, 1773 Abs. 1 BGB - oder ob die (vorläufige) Bestellung eines Ergänzungspflegers ausreichend sein kann (undeutlich Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck aaO, § 6 Rn. 20) ist letztlich nicht streitentscheidend. Denn vorliegend war vom zuständigen Bezirksamt des Klägers (nur) die Bestellung eines (Ergänzungs-) Pflegers beantragt und auch nur eine Ergänzungspflegschaft angeordnet worden, mit der Konsequenz, dass dieser nur im Rahmen seines Wirkungskreises tätig werden konnte. Um dies zu vermeiden, hätte das Bezirksamt Treptow des Klägers einen Antrag auf Anordnung einer Vormundschaft stellen oder zumindest aber anregen müssen, dass nicht allein das Aufenthaltsbestimmungsrecht, sondern auch die Befugnis, Hilfe zur Erziehung in Anspruch zu nehmen, auf den Pfleger übertragen wird.
(2.) Auch aus den weiteren auf den Pfleger übertragenen Aufgabenkreisen folgt keine Befugnis, Leistungen nach den §§ 27 ff. SGB VIII zu beantragen.
Die Übertragung des Bereichs "Gesundheitsfürsorge" enthält keine solche Befugnis. Zwar gehört zum Bereich der Gesundheitsfürsorge nicht nur die körperliche, sondern auch die seelische Gesundheit des Minderjährigen, auf die durch geeignete pädagogische Konzepte im Rahmen der Jugendhilfe Einfluss genommen werden kann, jedoch ist die Zielrichtung des angeordneten Wirkungskreises eine andere: Bezweckt ist, die körperliche und seelische Gesundheit des Jugendlichen zu erhalten und insoweit eine ärztliche Versorgung zu gewährleisten. Der Minderjährige soll unmittelbar profitieren. Hilfe zur Erziehung wird dagegen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 27 Abs. 1 SGB VIII den Personensorgeberechtigten, d.h. im Regelfall den Eltern als Inhabern des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, nicht aber dem Minderjährigen gewährt. Dieser hat nach der Neufassung des KJHG bzw. SGB VIII keinen eigenen Anspruch mehr auf Hilfeleistung nach den §§ 27 ff. SGB VIII. Ein Anspruch des Pflegers aus dem Wirkungskreis "Gesundheitsfürsorge" kommt daher nicht in Betracht.
Eine Berechtigung des Pflegers ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus dessen Befugnis, den F. D. "im Verfahren vor Behörden und vor Gerichten" zu vertreten. Dieser Aufgabenkreis ist nach der gewählten Formulierung im Gerichtsbeschluss als allgemeines Verfahrensrecht ausgestaltet, welches dem Pfleger gestattet, den Minderjährigen zu vertreten. Es enthält dagegen keinen materiell-rechtlichen Gehalt dergestalt, dass der Pfleger auch Inhaber des Erziehungsrechts oder wenigstens befugt sein soll, Hilfe zur Erziehung zu beantragen. Auch hat der Minderjährige keinen eigenen Anspruch nach den §§ 27 ff. SGB VIII, den der Pfleger in Vertretung des Minderjährigen geltend machen könnte. Im Übrigen kann die im Beschluss des Amtsgerichts gewählte allgemeine Formulierung in Anbetracht der besonderen Bedeutung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für ein Tätigwerden des Pflegers darstellen, selbst wenn man ihr auch einen materiell-rechtlichen Gehalt zuweisen wollte.
d) Konnte danach das Bezirksamt Treptow als Pfleger keine Berechtigung zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung nach den § 27 ff. SGB VIII aus dem Beschluss des Amtsgerichts Köpenick vom 30. Juli 1997 herleiten, so ist die durch den Kläger gewährte Jugendhilfe nach den §§ 27, 34 SGB VIII für den Zeitraum vom 16.09.1997 bis zum 10.02.2000 schon aus diesem Grund rechtswidrig. Da die dem möglichen Erstattungsanspruch des Klägers aus § 89 d i.V.m. § 89 f SGB VIII (a.F.) zugrunde liegende Maßname rechtswidrig war, besteht auch kein Erstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten.
e) Aus diesem Grund kann auch dahingestellt bleiben, ob dem Erstattungsanspruch des Klägers, soweit er den Zeitraum vom 16.09.1997 bis zum 24.01.1999 betrifft, auch die Frist des § 111 SGB X entgegen steht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO iV.m. § 188 Satz 2 VwGO a.F.. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.
Ende der Entscheidung
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