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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 10.12.2008
Aktenzeichen: 9 S 1099/08
Rechtsgebiete: LVwVfG, BVFG


Vorschriften:

LVwVfG § 51
BVFG § 10 Abs. 2
1. Die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist allein verfahrensrechtlicher Natur und erschöpft sich in der Regelung, ob sich die Behörde auf die Bestandskraft beruft und es so bei der bereits getroffenen Entscheidung verbleibt (sog. "wiederholende Verfügung"), oder ob diese aufgehoben und anschließend eine neue Sachentscheidung getroffen wird (sog. "Zweitbescheid").

2. Sachliche Begründungserwägungen in einem Bescheid, mit dem ein Antrag auf Wieder-aufgreifen des Verfahrens abgelehnt worden ist, müssen kein Indiz für das Vorliegen eines "Zweitbescheids" mit erneuter Sachbescheidung sein. Sie können vielmehr ebenso Erwägungen zur Begründung der verfahrensbezogenen Ermessensausübung darstellen. Dies gilt grundsätzlich sogar dann, wenn zur Begründung des abgelehnten Wiederaufgreifens auf Gesichtspunkte zurückgegriffen wird, die in der Begründung des ursprünglichen Bescheids nicht zur Sprache gekommen sind.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

9 S 1099/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Anerkennung eines ausländischen juristischen Abschlusses

hier: Antrag auf Zulassung der Berufung

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 10. Dezember 2008

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 28. Februar 2008 - 4 K 534/06 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 7.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Der zulässige Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, ist unbegründet, weil die dargelegten Gründe die in Anspruch genommenen Zulassungsgründe nicht tragen (vgl. § 124a Abs. 5 S. 2 VwGO).

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen nicht; dieses ist vielmehr in Ergebnis und Begründung zutreffend. Die mit dem Zulassungsantrag erhobenen Rügen gehen schon deshalb fehl, weil der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 06.02.2006 nicht als "Zweitbescheid" zu qualifizieren ist und eine erneute Sachprüfung durch die Gerichte daher nicht stattzufinden hat.

a) Die von der Klägerin begehrte Anerkennung ihres im Jahr 1979 am Juristischen Institut in Swerdlowsk erworbenen Diploms als der Ersten juristischen Staatsprüfung gemäß § 10 Abs. 2 BVFG gleichwertig ist bereits durch Bescheid des Beklagten vom 13.10.1993 abgelehnt worden. Von der in der damaligen Rechtsmittelbelehrung zutreffend aufgeführten Klagemöglichkeit hat die Klägerin keinen Gebrauch gemacht, so dass der Ablehnungsbescheid unanfechtbar geworden ist. Dem mit Schriftsatz vom 20.12.2005 erneut gestellten Antrag steht daher bereits die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids aus dem Jahr 1993 entgegen.

Auch das Institut der Bestandskraft stellt jedoch keine absolute Sperre für eine erneute Befassung mit dem beschiedenen Begehren dar; vielmehr statuiert § 51 LVwVfG Verfahrenswege, nach denen trotz Vorliegens eines bestandskräftigen Verwaltungsakts in eine Prüfung einzutreten ist, ob der Ablehnungsbescheid aufgehoben und eine neue Sachentscheidung getroffen werden muss. Gegenstand des Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist damit aber nur die Frage, ob die Behörde eine erneute Sachentscheidung zu treffen hat, oder ob es bei der Bestandskraft des unanfechtbar gewordenen Ablehnungsbescheids verbleibt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 23.02.2004 - 5 B 104/03 u.a. - sowie Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl. 2006, § 11 RdNr. 55).

Die Entscheidung über den Wiederaufgreifensantrag ist damit allein verfahrensrechtlicher Natur und erschöpft sich in dem Regelungsgegenstand, ob sich die Behörde auf die Bestandskraft beruft und es so bei der bereits getroffenen Entscheidung verbleibt (sog. "wiederholende Verfügung") oder ob diese aufgehoben und anschließend eine neue Sachentscheidung getroffen wird (sog. "Zweitbescheid"; vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10.08.1995 - 7 B 296/95 -). Insoweit steht der Klägerin ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu (vgl. § 51 Abs. 5 LVwVfG; dazu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.06.2000 - 2 BvR 1989/97 -, NVwZ 2000, 907).

b) Entgegen der von der Klägerin vorgetragenen Auffassung kann die Abgrenzungsfrage, ob die Behörde mit dem Ablehnungsbescheid eine erneute Sachentscheidung getroffen hat, nicht bereits aus der Tatsache beantwortet werden, dass die Behörde in eine erneute Sachprüfung eingetreten ist. Denn auch ein Bescheid, mit dem das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. §§ 48, 49 LVwVfG abgelehnt worden ist, bedarf der sachlichen Prüfung durch die Behörde. Die fehlerfreie Betätigung des der Behörde eingeräumten Ermessen setzt voraus, dass sie alle für die Entscheidung erheblichen Umstände in ihre Erwägungen einbezogen hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.11.1990 - 4 S 2354/90 -, VBlBW 1991, 182), wozu insbesondere eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Ablehnungsbescheids gehört (vgl. Meyer, in: Knack, VwVfG-Kommentar, 8. Aufl. 2004, § 51 RdNr. 16). Der Umstand, dass die Behörde bei der Verbescheidung des Wiederaufgreifensantrags sachliche Erwägungen zur Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts anstellt, belegt daher nicht, dass sie das Verfahren tatsächlich bereits wiederaufgegriffen und damit eine erneute verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Sache eröffnet hat. Vielmehr können derartige Ausführungen auch der Darlegung derjenigen Erwägungen dienen, die die Behörde dazu bewogen haben, von dem ihr eingeräumten Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens keinen Gebrauch zu machen (vgl. auch die ausführliche Darstellung möglicher Wiederaufgreifens- und Ermessensgesichtspunkte in BVerwG, Urteil vom 20.10.2004 - 1 C 15/03 -, BVerwGE 122, 103).

Eine andere Betrachtungsweise würde die Behörde im Übrigen auch vor ein unlösbares Dilemma stellen: denn wenn man bereits die sachliche Prüfung des ursprünglichen Ablehnungsbescheids als tatsächliches Wiederaufgreifen des Verfahrens bewerten würde, gebe es für die Behörde im Ergebnis keine Möglichkeit, den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens in nicht zu beanstandender Weise abzulehnen. Stellt sie keine Erwägungen zur Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Ablehnungsbescheids dar, leidet die Entscheidung an einen Ermessensdefizit (vgl. dazu Senatsurteil vom 31.01.1989 - 9 S 1141/88 -, NVwZ 1989, 882); begründet sie ihre Entscheidung dagegen, läuft sie Gefahr, dass die sachliche Einlassung bereits als tatsächliches Wiederaufgreifen des Verfahrens behandelt wird. Die sachliche Behandlung der Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Versorgungsbescheids bei der Verbescheidung des Wiederaufgreifensantrags besagt daher für sich genommen nichts darüber, ob die Behörde den Antrag positiv oder negativ beschieden hat.

Maßgeblich für diese Frage ist vielmehr allein der - aus objektiver Empfängersicht zu beurteilende - Regelungsgegenstand der Verfügung. Entscheidet sich eine Behörde danach, eine erneute Sachentscheidung nicht zu treffen, wird diese verfahrensrechtliche Regelungen auch durch materielle Ausführungen zur Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids nicht beeinträchtigt. Dies gilt sogar dann, wenn zur Begründung des abgelehnten Wiederaufgreifens auf Gesichtspunkte zurückgegriffen wird, die in der Begründung des ursprünglichen Bescheids nicht zur Sprache gekommen sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.10.1961 - VI C 123/59 -, BVerwGE 13, 99). Derartige Erwägungen dürften zur fehlerfreien Ermessensausübung sogar geboten sein, wenn diese Gesichtspunkte von tragender Bedeutung für die Begründung des gestellten Wiederaufgreifensantrags waren.

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden, der Beklagte habe sich im Bescheid vom 06.02.2006 entscheidungstragend auf die Bestandskraft des Ablehnungsbescheids vom 13.10.1993 berufen. Dies ergibt sich nicht nur aus dem insoweit explizit gegebenen Hinweis; vielmehr sind auch die nachfolgenden Sacherwägungen erkennbar ausgeführt, um die Gesichtspunkte, die maßgeblich für die Ablehnung des beantragten Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 LVwVfG waren, darzulegen und nachvollziehbar zu machen. Die sachliche Einlassung des Beklagten führt daher nicht dazu, dass eine durch "Zweitbescheid" getroffene, erneute Sachentscheidung angenommen werden müsste.

Dementsprechend ist auch die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte auf den verfahrensrechtlichen Gegenstand beschränkt, ob die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gegeben und die hierzu angestellten Ermessenserwägungen ordnungsgemäß sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.08.1995 - 7 B 296/95 -). Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, auf den materiellen Vortrag der Klägerin komme es nicht an, ist daher nicht zu beanstanden ist.

2. Angesichts der damit fehlenden Entscheidungserheblichkeit gehen auch die übrigen von der Klägerin erhobenen Rügen ins Leere. Nur ergänzend ist deshalb darauf zu verweisen, dass sie auch in der Sache nicht zum Erfolg des Antrags geführt hätten.

Hinsichtlich der in Zweifel gezogenen Aussagekraft des Sachverständigengutachtens in Bezug auf die erforderlichen Dauer eines im Ausland angebotenen Ausbildungsgangs ergibt sich dies bereits daraus, dass das Verwaltungsgericht nicht nur auf diesen Umstand abgestellt, sondern entscheidungstragend darauf verwiesen hat, dass die Klägerin die nach der Studienordnung erforderliche Diplomarbeit nicht absolviert hat.

Die vorgetragene Divergenz schließlich scheidet schon deswegen aus, weil das verwaltungsgerichtliche Urteil eine Abweichung von dem im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.1992 (- 9 C 5/91 -, BVerwGE 90, 271) aufgestellten Rechtssatz nicht enthält, wonach "Maßstab für die Gleichwertigkeit die Fähigkeit des Vertriebenen [ist], sich unter Loslösung vom Heimatrecht in angemessener Zeit, ggf. unter Anleitung, soweit in die Hauptgebiete des deutschen Rechts einzuarbeiten, dass er den für das Bestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung erforderlichen Kenntnisstand im deutschen Recht erreicht". Vielmehr ist in der angegriffenen Entscheidung auf diesen Obersatz wörtlich und wiederholt (vgl. S. 11 und S. 13 UA) Bezug genommen. Im Übrigen steht die Entscheidung auch materiell im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht, weil die beanstandete Berücksichtigung der Studiendauer auch in der angegebenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts selbst als Gleichwertigkeitskriterium herangezogen worden ist.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Zulassungsverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 36.1 des Streitwertskatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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