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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.12.2008
Aktenzeichen: 9 S 1256/08
Rechtsgebiete: VwGO, RVG VV


Vorschriften:

VwGO § 162 Abs. 1
RVG VV Nr. 3500
1. In einem Hochschulkapazitätsrechtsstreit sind die der Universität durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten nicht erstattungsfähig, wenn die Beschwerdeeinlegung für die Universität offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan ist, dem Gegner Kosten zu verursachen.

2. Die Beschwerdeeinlegung ist offensichtlich nutzlos und nur dazu angetan, dem Beschwerdegegner, dem Studienplatzbewerber, Kosten zu verursachen, wenn der Prozessbevollmächtigte der Universität unmittelbar nach Bekanntgabe des Beschlusstenors ohne sichere Kenntnis der Begründung zeitgleich mit der Durchführung der vom Verwaltungsgericht angeordneten Auslosung der "gefundenen" Studienplätze Beschwerde einlegt.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

9 S 1256/08

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Zulassung zum Studium der Humanmedizin WS 2007/2008

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hier: Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 03. Dezember 2008

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. April 2008 - 6 K 151/08 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

Die gemäß §§ 165, 151, 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde gegen die Zurückweisung der Kostenfestsetzungserinnerung, über die gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 VwGO der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern zu befinden hat (vgl. Senatsbeschluss vom 06.11.2008 - NC 9 S 2614/08 - mit zahlreichen weiteren Nachweisen), ist unbegründet.

Die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts Sigmaringen hat zutreffend die vom Antragsteller an die Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten auf 489,45 EUR festgesetzt und die darüber hinausgehende begehrte Festsetzung von weiteren 202,90 EUR versagt.

Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss eingelegte Erinnerung der Antragsgegnerin zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar stehe außer Frage, dass sich eine Universität in Numerus-clausus-Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen dürfe und grundsätzlich die hierfür entstehenden Kosten notwendig im Sinne von § 162 Abs. 1 VwGO und daher vom unterliegenden Antragsteller zu tragen seien. Es gebe jedoch Ausnahmen bei rechtsmissbräuchlichem Verhalten oder bei einem offensichtlichen Verstoß gegen den das gesamte Kostenrecht beherrschenden Grundsatz, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, was dann anzunehmen sei, wenn die anwaltliche Vertretung für die Partei offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan sei, dem Gegner Kosten zu verursachen. So liege es aufgrund der Umstände des Einzelfalles hier. Dem schließt sich der Senat für Fallgestaltungen der vorliegenden Art in Numerus-clausus-Verfahren an.

Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass sich eine Hochschule, auch wenn sie über juristisch qualifiziertes Person verfügt, in einem Kapazitätsrechtsstreit durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen darf und dessen Kosten grundsätzlich auch erstattungsfähig sind (Senatsbeschluss vom 02.08.2006 - NC 9 S 76/06 -, NVwZ 2006, 1300; zuletzt Senatsbeschluss vom 06.11.2008, - 9 S 2614/08 -). Trotz des eindeutigen Gesetzeswortlautes findet eine Kostenerstattung jedoch nicht statt, wenn die anwaltliche Vertretung für die Partei offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan ist, dem Gegner Kosten zu verursachen (so schon Senatsbeschluss vom 28.02.1991 - NC 9 S 98/90 -, ESVGH 42, 74 = NVwZ 1992, 388). Hier war die Beschwerdeeinlegung der Antragsgegnerin durch ihren Prozessbevollmächtigten am 13.11.2007 offensichtlich nutzlos (1.); sie war auch objektiv nur dazu angetan, dem Antragsteller als Prozessgegner Kosten zu verursachen (2.).

1. Der Antragsteller hatte am 19.10.2007 - neben anderen - einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem Ziel der Vergabe eines (vorläufigen) Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Kapazität. Mit Beschluss vom 09.11.2007 hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, ein Losverfahren zur Vergabe von acht weiteren Teilstudienplätzen unter insgesamt 110 Bewerbern durchzuführen. Dieser Beschluss wurde als Tenorbeschluss - also ohne Begründung - den Verfahrensbeteiligten per Telefax am 12.11.2007 übermittelt. Am 13.11.2007 führte die Antragsgegnerin das Losverfahren durch. Ebenfalls am 13.11.2007 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde eingelegt ohne diese, was mangels einer Begründung des Beschlusses auch selbstverständlich ist, weiter zu begründen. In der Folge hat der Antragsteller wegen des von ihm erreichten Rangplatzes von 109 am 20.11.2007 - vor der Zustellung des vollständigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts in dem Parallelverfahren am 06.12.2007 - seinen vorläufigen Rechtsschutzantrag zurückgenommen, was letztlich zur Einstellung des Verfahrens führte. Die Beschwerdeeinlegung der Antragsgegnerin am 13.11.2007 war offensichtlich nutzlos.

Zu Recht weist zwar der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin darauf hin, dass es nicht darauf ankommt, ob das Gericht oder der Prozessgegner die Tätigkeit des bevollmächtigten Anwalts für nutzlos hält, sondern ob sie für die von ihm vertretene Partei von Nutzen ist. Welchen Nutzen die Universität von der Beschwerdeeinlegung zum Zeitpunkt der Übermittlung des Tenorbeschlusses hat, ist jedoch auch nicht im Ansatz zu erkennen. Insoweit trägt der Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin vor, mit der Beschwerdeeinlegung sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass die Antragsgegnerin die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sachlich nicht hinnehme und es habe auch verdeutlicht werden sollen, dass die Abfassung der Beschlussgründe sehr eilbedürftig sei, was nicht der Fall wäre, wenn die Universität die Entscheidung habe akzeptieren wollen. Der Gesichtspunkt, das Verwaltungsgericht zu einer zügigen Abfassung der Beschlussgründe zu veranlassen, scheidet schon deshalb aus, weil dies ohnehin die Verpflichtung des Gerichts ist und das Gericht auch im Interesse derjenigen Antragsteller, denen kein Studienplatz zugelost wurde, gehalten ist, die Beschlussgründe zügig abzusetzen um diesen nach Prüfung der Beschlussgründe zu ermöglichen, zeitnah Beschwerde einzulegen. Welchen Nutzen es für die Antragsgegnerin - und hierauf kommt es an - haben soll, das Gericht frühzeitig wissen zu lassen, dass es mit der Entscheidung nicht einverstanden ist, bleibt im Dunkeln.

2. Die (verfrühte) Beschwerdeeinlegung ist objektiv nur dazu angetan, dem Antragsteller Kosten zu verursachen. Durch die Beschwerdeeinlegung erreicht die Antragsgegnerin keinen formell- oder materiell-rechtlichen Vorteil. Zwar tritt der Devolutiveffekt, nicht aber der Suspensiveffekt (§ 149 VwGO) ein. Da die Beschwerdefrist erst mit Bekanntgabe der vollständigen, mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Entscheidung zu laufen beginnt (vgl. Bader, in: Bader u. a., VwGO, 4. Aufl., § 146 RdNr. 19), ergibt sich für die Antragsgegnerin durch die Beschwerdeeinlegung unmittelbar kein rechtlicher, aber auch kein tatsächlicher Vorteil. Die Beschwerdeeinlegung unmittelbar nach Bekanntgabe des Beschlusstenors ist jedenfalls dann im Mengenverfahren des Hochschulzulassungsrechts, wenn - wie hier - die vom Verwaltungsgericht aufgedeckten Studienplätze nach dem Losverfahren verteilt werden, objektiv nur dazu angetan, dem Prozessgegner Kosten zu verursachen.

Es ist allen an Numerus-clausus-Verfahren beteiligten Prozessvertretern und Hochschulen bekannt, dass zahlreiche Studienplatzbewerber an der Fortführung ihres vorläufigen Rechtsschutzverfahrens in der Rechtsmittelinstanz kein Interesse mehr haben, wenn sie im Losverfahren einen derartig schlechten Rang erhalten haben, dass vernünftigerweise ein Nachrücken auf einen der einem Mitbewerber zugelosten Studienplätze nicht erwartet werden kann. Diese Bewerber nehmen vielfach - und so auch der Antragsteller im vorliegenden Verfahren - ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurück, auch wenn dies für sie zwingend mit der Folge verbunden ist, die Verfahrenskosten der 1. Instanz in vollem Umfang tragen zu müssen. Die Antragsrücknahme erfolgt auch auf dem Hintergrund, einem Beschwerdeverfahren der Antragsgegnerin, das weitere Kosten verursachen würde, auszuweichen. All dies ist der Antragsgegnerin und ihrem Prozessbevollmächtigten bekannt und bewusst. Die zu diesem Zeitpunkt eingelegte Beschwerde zielte damit auf die Verursachung weiterer Kosten.

Zwar trifft es zu, dass auch Studienplatzbewerber mit faktisch aussichtslosem Rangplatz ihrerseits Beschwerde einlegen und dies auch in zahlreichen Parallelverfahren der vorliegenden Zulassungskampagne getan haben. Es kann deshalb in der Tat nicht der Schluss gezogen werden, ein hoher Auslosungsrang führe grundsätzlich zur Rücknahme des vorläufigen Rechtsschutzantrags. Dies ändert aber nichts daran, dass die "verfrühte", "ins Blaue hinein" erfolgte Beschwerdeeinlegung für die Antragsgegnerin offensichtlich nutzlos und objektiv nur dazu angetan ist, dem Antragsteller zusätzliche Verfahrenskosten zu verursachen, weil ihm die Möglichkeit genommen wird, seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung kostengünstiger zurückzunehmen.

Die vom Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin geltend gemachten Kosten für das Beschwerdeverfahren in Höhe von 202,90 EUR sind daher vom Antragsteller nicht zu erstatten.

Um Missverständnissen vorzubeugen weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass die Universität nach wie vor grundsätzlich berechtigt ist, in allen vom Verwaltungsgericht entschiedenen Verfahren Beschwerde einzulegen, unabhängig vom Losplatz des jeweiligen Antragstellers. Sie ist auch nicht zur Vermeidung der Versagung eines Kostenerstattungsanspruchs für das Betreiben des Beschwerdeverfahrens verpflichtet, längere Zeit mit der Beschwerdeeinlegung zuzuwarten. Jedenfalls mit der Bekanntgabe des vollständigen Beschlusses des Verwaltungsgerichts ist die Beschwerdeeinlegung unter Kostengesichtspunkten gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil bei Erfolglosigkeit der Beschwerde eine vom Streitwert unabhängige Gerichtsgebühr anzusetzen ist (vgl. Nr. 5502 des auf § 3 Abs. 2 GKG gestützten Kostenverzeichnisses).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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