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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 23.07.2007
Aktenzeichen: 9 S 1298/07
Rechtsgebiete: GG, SchG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 3
GG Art. 6
GG Art. 7
SchG § 35
SchG § 89
VwGO § 47
Eine Regelung, die Schüler eines Gymnasiums verpflichtet, in verschiedenen Regionen eines Bundeslandes unterschiedliche Fremdsprachen (Englisch bzw. Französisch) als Kernfach zu erlernen, bedarf eines formellen Gesetzes. Eine Rechtsverordnung des Kultusministeriums ist hierfür nicht ausreichend.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

9 S 1298/07

In der Normenkontrollsache

wegen Gültigkeit der Stundentafelverordnung Gymnasium

hier: Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 23. Juli 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Anträge der Antragsteller wird das In-Kraft-Treten von Art. 1 Nr. 1 der Verordnung des Kultusministeriums zur Änderung der Stundentafelverordnung Gymnasien vom 21. März 2007 (GBl. S. 221, 222) bis zur Entscheidung über den unter dem Aktenzeichen - 9 S 1132/07 - anhängigen Normenkontrollantrag der Antragsteller ausgesetzt, soweit in der genannten Vorschrift geregelt wird, dass von den in den Klassen 5 und 6 zu unterrichtenden Fremdsprachen die Fremdsprache der Grundschule als Kernfach mit mehr als zwei Wochenstunden fortzuführen ist.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Anordnungsverfahrens.

Der Streitwert für das Anordnungsverfahren wird auf EUR 5.000,-- festgesetzt.

Gründe:

1. Der Antrag der Antragsteller, das In-Kraft-Treten von Art. 1 Nr. 1 der Verordnung des Kultusministeriums zur Änderung der Stundentafelverordnung Gymnasien vom 21.03.2007 (GBl. S. 221, 222) bis zur Entscheidung über den beim Senat anhängigen Normenkontrollantrag - 9 S 1132/07 - auszusetzen, ist zulässig.

1.1 Der Senat legt das Begehren der Antragsteller trotz der etwas weitergehenden Formulierung sachdienlich dahingehend aus, dass nur die Außervollzugsetzung des In-Kraft-Tretens der ersten Alternative des Art. 1 Nr. 1 der Änderungsverordnung, d.h. die Verpflichtung zur Fortführung der Grundschulfremdsprache, ausgesetzt werden soll. Der zweite Teil der Regelung, d.h. die Verpflichtung der Gymnasien, mit der zweiten Fremdsprache in Klasse 5 oder 6 zu beginnen (vgl. die gesetzliche Ermächtigung in § 89 Abs. 2 Nr. 3 SchulG) ist unter Zugrundelegung der Begründung des Normenkontrollantrags und der Begründung des vorliegenden Antrags nicht vom Begehren der Antragsteller umfasst. Dies hat der Antragsteller-Vertreter auf telefonische Nachfrage am 23.07.2007 auch ausdrücklich bestätigt.

1.2 Der Antrag ist statthaft (§ 47 Abs. 6 VwGO). Die angegriffene Vorschrift ist eine landesrechtliche Rechtsverordnung, deren Überprüfung im Hauptsacheverfahren im Wege der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle durch das baden-württembergische Landesrecht vorgesehen ist (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 4 AGVwGO). Es ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass Stundentafeln als Rechtsvorschriften im materiellen Sinn Gegenstand einer Normenkontrolle sein können, weil sie Außenwirkung entfalten und in den Rechtskreis der Schüler eingreifen (vgl. Normenkontrollurteil vom 17.12.2002 - 9 S 1427/02 -, VBlBW 2003, 384, DÖV 2003, 732 und Beschluss vom 29.11.1985 - 9 S 658/83 -, NVwZ 1986, 855). Der Antragsgegner hat die angegriffene Stundentafelverordnung auch formell als Rechtsverordnung erlassen. Der Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO kann auch bereits gestellt werden, wenn die Rechtsvorschrift - wie hier - zwar erlassen, aber noch nicht in Kraft getreten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 24.02.1976 - IX 1773/75 -, VerwRspr 28, 131 und Gerhardt/Bier in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 13.EL 2006, § 47 Rdn. 144 m.w.N.).

1.3 Der Antrag ist auch sonst zulässig, insbesondere sind die Antragsteller antragsbefugt. Sie können geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG, bzw. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG (Antragstellerin zu 2) verletzt zu werden (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dies wird vom Antragsgegner auch nicht bezweifelt.

1.4 Der Senat entscheidet über den Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO in der Besetzung von fünf (Berufs-)Richtern. Das ergibt sich aus § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO i.V.m. § 4 AGVwGO. Diese Regelungen finden nach der Rechtsprechung des Senats auch für die Entscheidung über Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Anwendung (vgl. Beschlüsse vom 16.07.2003 - 9 S 617/03 - und vom 05.02.2002 - 9 S 2739/01 -, VBlBW 2002, 309 ff., m.w.N.).

2. Der Antrag ist auch begründet.

2.1 Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Aussetzung der Rechtsverordnung ist ein strenger Maßstab anzulegen. Da die Rechtsverordnung im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats aber noch nicht in Kraft getreten ist, bedarf es der Anwendung eines darüber hinausgehenden, "besonders strengen" Maßstabs (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.09.1999 - 1 S 2122/99 -, VBlBW 2000, 120, DVBl 1999, 1734) entgegen der Auffassung des Antragsgegners jedoch nicht. In Anlehnung an die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG müssen die Gründe, die die Antragsteller für die Ungültigkeit der angegriffenen Vorschrift anführen, grundsätzlich außer Betracht bleiben, es sei denn, der Antrag erweist sich in der Hauptsache von vorneherein als unzulässig oder die angegriffene Vorschrift als offensichtlich gültig oder ungültig. Letzteres ist hier der Fall, weshalb es einer sonst notwendigen Folgenabwägung im vorliegenden Verfahren nicht bedarf.

2.2 Ein Aussetzen des In-Kraft-Tretens der angegriffenen Änderungsverordnung ist zur Verhinderung vollendeter Tatsachen deshalb geboten, weil diese auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits aus formellen Gründen im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben wird und deshalb davon auszugehen ist, dass sich die angegriffene Änderungsverordnung als offensichtlich ungültig erweist. Denn die Inhalte der angegriffenen Rechtsverordnung finden in § 35 Abs. 3 und 4 SchulG keine ausreichende gesetzliche Grundlage; vielmehr verstößt die Regelung gegen den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes und mithin gegen höherrangiges Recht.

Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes verlangt, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert wird. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, und darf sie nicht anderen Normgebern überlassen. Wann es danach einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur mit Blick auf den jeweiligen Sachbereich und auf die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den darin verbürgten Grundrechten zu entnehmen. Danach bedeutet "wesentlich" im grundrechtsrelevanten Bereich in der Regel "wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte". Die Tatsache, dass eine Frage politisch umstritten ist, führt dagegen für sich genommen nicht dazu, dass diese als wesentlich verstanden werden müsste. Der Vorbehalt des Gesetzes ist auch auf dem Gebiet des Schulwesens zu beachten. Ob und inwieweit dies Regelungen des parlamentarischen Gesetzgebers erfordert, richtet sich im Allgemeinen nach der Intensität, mit der die Grundrechte des Regelungsadressaten durch die jeweilige Maßnahme betroffen sind. Speziell in Bezug auf Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (Elternrecht) ist von Bedeutung, ob die Grenzen im Spannungsfeld zwischen dem in Art. 7 Abs. 1 GG vorausgesetzten Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates und dem elterlichen Erziehungsrecht in substantieller Hinsicht zu Lasten des Elternrechts verschoben werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 - 1 BvR 1640/97 -, BVerfGE 98, 218 ff., m.w.N., und Senat, Normenkontrollurteil vom 17.12.2002 - 9 S 1427/02 - a.a.O.).

2.3 Ausgehend hiervon bedurfte die Entscheidung, nach regionalen Gesichtspunkten verschiedene versetzungsrelevante Fremdsprachen in den einzelnen Landesteilen verpflichtend einzuführen, einer gesetzlichen Regelung. Denn die Entscheidung, in der "Grenznähe zu Frankreich" die dort vorgeschriebene Grundschulfremdsprache Französisch und in den übrigen Landesteilen die Grundschulfremdsprache Englisch verpflichtend als (versetzungsrelevantes) Kernfach mit mehr als zwei Wochenstunden an den Gymnasien der Normalform fortzuführen, tangiert erheblich das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

2.3.1 Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Dieses Elternrecht ist dann erheblich tangiert, wenn die Möglichkeit der Eltern, über den schulischen Werdegang ihrer Kinder zu bestimmen, deutlich eingeschränkt wird und damit die Grenzen im Spannungsfeld zwischen dem in Art. 7 Abs. 1 GG vorausgesetzten Bildungs- und Erziehungsauftrag des Staates und dem elterlichen Erziehungsrecht in substantieller Hinsicht zu Lasten des Elternrechts verschoben werden.

Einen solchen Eingriff in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hat der Senat in Bezug auf die verpflichtende Einführung unterschiedlicher Grundschulfremdsprachen im Normenkontrollurteil vom 17.12.2002 (a.a.O.) mit der Begründung verneint, es sei nicht zu erkennen, dass durch die regional unterschiedliche Grundschulfremdsprache die weitere schulische Ausbildung ab Klasse 5 festgelegt oder auch nur erheblich eingeschränkt wäre. Vielmehr hat jeder Schüler unabhängig davon, welche Fremdsprache er in der Grundschule gelernt hat, im Rahmen seiner Begabung Zugang zu weiterführenden Schulen. Auch die Wahl zwischen verschiedenen Schultypen des Gymnasiums wird durch die unterschiedlichen Grundschulfremdsprachen nicht eingeschränkt. Angesichts der erheblichen Unterschiede hinsichtlich der Art und Abfolge der Fremdsprachen in den Stundentafeln der Gymnasien besteht eine vielfältige Wahl- und Gestaltungsmöglichkeit der gymnasialen Schulbildung. Bereits jetzt ist es keineswegs so, dass in jedem Gymnasium in der 5. Klasse mit dem Englischunterricht begonnen würde. Schätzen Eltern jedoch die Bedeutung des Englischen hoch ein, haben sie grundsätzlich die Möglichkeit, ein Gymnasium auszuwählen, in dem dies ab der 5. Klasse angeboten wird. Diese Möglichkeit wird auch im Landesteil mit Grundschulfranzösisch bestehen bleiben. Es ist nicht ersichtlich, dass in diesem Landesteil generell Englisch künftig an Gymnasien nur noch ab der 7. oder gar ab der 9. Klasse angeboten würde. Vorentscheidungen, die eine sinnvolle Ausübung der elterlichen Entscheidungsbefugnis ausschließen würden, sind danach nicht gegeben.

2.3.2 Anders als bei der Einführung der Grundschulfremdsprache ist die Regelung einer verpflichtenden Fortführung dieser Grundschulfremdsprache als erste Fremdsprache des Gymnasiums der Normalform jedoch durchaus geeignet, die weitere (schulische) Ausbildung erheblich einzuschränken. Zwar dürfte auch unter Zugrundelegung der angegriffenen Neuregelungen der Stundentafelverordnung Gymnasium ab dem Schuljahr 2007/2008 grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, ab der 5. (bzw. spätestens ab der 6.) Klasse Englisch in der "Rheinschiene" zu erlernen. Denn Art. 1 Nr. 1 der Änderungsverordnung sieht, gestützt auf die gesetzliche Ermächtigung in § 89 Abs. 2 Nr. 3 SchulG, abweichend von der Regelung des § 13b des Gesetzes betreffend des Abkommens zwischen den Ländern der Bundesrepublik zur Vereinheitlichung auf dem Gebiete des Schulwesens vom 28.10.1964 in der Fassung vom 11.04.1972 (GBl. S. 126, - Hamburger Abkommen -), vor, dass der Unterricht in der zweiten Fremdsprache nach Entscheidung der Schule bereits in Klasse 5 oder zu Beginn der Klasse 6 beginnt. Zweite Fremdsprache können sein: Latein, Französisch und Englisch (vgl. § 13b Satz 2 des Hamburger Abkommens). Will der Schüler jedoch - wie der Antragsteller zu 1 - das Große Latinum erwerben und gleichzeitig mit der ersten Fremdsprache Englisch beginnen, so wird er in der "Rheinschiene" vom Antragsgegner auf die humanistischen Gymnasien verwiesen, die alle nach dem "Biberacher Modell" arbeiten. Ob diese humanistischen Gymnasien in der "Rheinschiene" nach In-Kraft-Treten der angegriffenen Rechtsverordnung rechtmäßig überhaupt Englisch als erste Fremdsprache anbieten könnten, ist jedoch mehr als fraglich. Denn der klare Wortlaut des Art. 1 Nr. 1 der Änderungsverordnung sieht eine solche Ausnahme nicht vor. Dies hat der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren auch indirekt eingeräumt, in dem er ankündigte, dass insoweit eine entsprechende "Klarstellung" beabsichtigt sei.

2.3.3 Beginnt der Schüler in der "Rheinschiene" - wie in Art. 1 Nr. 1 der Änderungsverordnung erlaubt und vom Antragsteller zu 1 für den Fall des Inkrafttretens dieser Verordnung vorgesehen - mit Französisch (erste Fremdsprache) und Latein (zweite Fremdsprache), so besteht nach der - von den Antragstellern bestrittenen - Rechtsauffassung des Antragsgegners die Möglichkeit, Französisch nach dem Ende der Klassenstufe 7 abzuwählen und statt dessen mit Englisch ab der 8. Klassenstufe zu beginnen. Eine solche Wahl ist jedoch geeignet, den schulischen Werdegang des Schülers nicht unerheblich einzuschränken, da diese Wahl Auswirkungen auf die Erlangung des Mittleren Bildungsabschlusses haben und zudem Probleme bei der Anerkennung des Zeugnisses der allgemeinen Hochschulreife in den übrigen Ländern bereiten kann.

Denn nach Nr. 4.1.2 der Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 03.12.1993 in der Fassung vom 02.06.2006) beträgt die Wochenstundenzahl in einer Fremdsprache für den Bildungsgang, der zum Mittleren Schulabschluss führt, insgesamt in der Regel 22 Stunden. Ob diese Wochenstundenzahl auf Gymnasien in der "Rheinschiene" ohne Einsatz von zusätzlichen Poolstunden zu erreichen ist, mag bezweifelt werden. Die Stundentafel des Gymnasiums des Antragstellers sieht für Französisch (Klasse 5 bis 10) insgesamt 19 Stunden, für Latein (Klasse 5 bis 10) insgesamt 21 Stunden und für Englisch (Klasse 8 bis 10) insgesamt 12 Stunden vor. Die Erlangung des Mittleren Bildungsabschlusses würde daher an dieser Schule mindestens den Einsatz einer zusätzlichen Poolstunde erfordern.

Die vom Antragsgegner vorgesehene Möglichkeit der Abwahl von Französisch nach Abschluss der Klasse 7 ist generell geeignet, in den übrigen Ländern Probleme bei der Anerkennung des auf dieser Grundlage erlangten Zeugnisses der Allgemeinen Hochschulreife zu bereiten. Nach Nr. 7.3. und 7.4 der Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe der Sekundarstufe II (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 07.07.1972 in der Fassung vom 02.06.2006) ist für die Anerkennung eines solchen Zeugnisses, wie der Antragsgegner selbst einräumt, eine Ausnahmeregelung erforderlich. Diese Ausnahmeregelung hat der Antragsgegner in der 365. Sitzung des Schulausschusses der Kultusministerkonferenz vom 21./22.06.2007, d.h. nach Erlass der angegriffenen Änderungsverordnung, für den Fall eingeholt, dass "aufgrund besonderer landesrechtlicher Regelungen die Fremdsprachefolge Französisch (Klasse 1 bis 7), Latein (ab Klasse 5) und Englisch (ab Klasse 8)" belegt werden. Eine Ausnahme für den Fall, dass Latein nach der Entscheidung der Schule erst ab Klasse 6 belegt werden kann, umfasst diese Ausnahmeregelung jedoch nicht.

2.3.4 Selbst wenn man mit dem Antragsgegner davon ausgeht, dass die Festlegung der Sprachenfolge in einem Gymnasium allein der staatlichen Bildungshoheit und damit dem staatlichen Gestaltungsbereich zuzuordnen ist, zeigen schon die vorgenannten Auswirkungen, dass die angegriffenen Regelungen der Änderungsverordnung geeignet sind, in das elterliche Erziehungsrecht in substantieller Weise einzugreifen. Einen wesentlichen und daher vom parlamentarischen Gesetzgeber zu regelnden Eingriff in grundrechtsrelevante Bereiche beinhaltet die Regelung jedoch jedenfalls deshalb, weil sie in einer Weise an regionale Gesichtspunkte anknüpft, die geeignet ist, eine kontinuierliche Schulausbildung innerhalb des Bundeslandes aufgrund unterschiedlicher "Fremdsprachenkarrieren" nur unter erheblichen Erschwernissen zu erreichen und daher erheblich den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG tangiert.

2.4 Art. 3 Abs. 1 GG gibt einen Anspruch auf ein Schulsystem, das innerhalb des Landes vergleichbare Bildungsinhalte und -wege und damit auch grundsätzlich gleiche Chancen, einen bestimmten Bildungsabschluss zu erreichen zur Verfügung stellt (vgl. Senat, Normenkontrollurteil vom 17.12.2002 a.a.O.). Hieraus ergibt sich freilich kein Recht darauf, an einem bestimmten Ort eine bestimmte - gewünschte - Schule vorzufinden. Jedoch darf das Bildungssystem nicht in einer Weise an regionale Gesichtspunkte anknüpfen, die zur Folge haben könnten, dass ein Bildungsabschluss in einem Landesteil nicht oder nur unter erheblichen Erschwernissen erreicht werden kann (vgl. Senat, Normenkontrollurteil vom 17.12.2002 a.a.O.).

Zumindest für "Schulwechsler" sind solche erheblichen Erschwernisse nicht ausgeschlossen. So hat der Normgeber innerhalb eines Bundeslandes dafür zu sorgen, dass eine kontinuierliche Schulausbildung ohne Brüche gewährleistet wird. Dies beinhaltet, dass bei einem Umzug innerhalb des Landes hinsichtlich der Schulausbildung keine unangemessenen Benachteiligungen auftreten. Solange die Lehrinhalte im Land einheitlich sind, bereitet ein Umzug im allgemeinen kein Problem. Werden jedoch in verschiedenen Landesteilen erheblich abweichende Lehrinhalte vermittelt, führt ein Umzug auch innerhalb des Landes für den betroffenen Schüler zu einem Nachteil, weil er den am neuen Wohnort nunmehr geforderten Unterrichtsstoff an seinem alten Wohnort nicht erlernen konnte. Hierin liegt eine Ungleichbehandlung gegenüber den Mitschülern, die nicht über die "Sprachgrenze" umgezogen sind (vgl. Senat, Normenkontrollurteil vom 17.12.2002 a.a.O.). Dieser Nachteil ist entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners auch erheblich.

So ist ein Schüler der "Rheinschiene" - abgesehen von der Ausnahme, auf die sich der Antragsgegner beruft (humanistische Gymnasien, die nach dem "Biberacher Modell" arbeiten), die aber im klaren Wortlaut der Änderungsverordnung keine Stütze findet - verpflichtet, mindestens bis zum Ende der 7. Klasse Französisch zu lernen. Wählt er als zweite Fremdsprache Latein, so hat er bei einem Wechsel auf ein Gymnasium in der "Englischzone" einen derart großen Rückstand in Englisch, dass er diesen bei den Anforderungen des "G8" auch mit den vom Antragsgegner vorgesehenen Fördermaßnahmen kaum wird aufholen können. Gleiches gilt für einen Schulwechsler aus der "Englischzone" auf ein Gymnasium der "Rheinschiene", sofern er die Kombination Englisch/Latein gewählt hat und nicht die Möglichkeit bekommt, auf eines der - rechtlich ohnehin als Ausnahme nicht vorgesehenen - humanistischen Gymnasien zu wechseln. Auch er wird den Rückstand in Französisch kaum aufholen können.

Erhebliche Erschwernisse begründet die Regelung auch für Gymnasiasten der "Rheinschiene", wenn sie mit der Kombination Französisch/Latein auf ein berufliches Gymnasium oder eine Realschule wechseln, oder wenn ein Realschüler auf ein Gymnasium der "Rheinschiene" wechselt. Denn sowohl der Schüler des beruflichen Gymnasiums als auch der Realschüler beginnen in der Regel mit der Fremdsprache Englisch.

2.5 Ob diese erheblichen Eingriffe in das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und in Art. 3 Abs.1 GG sachlich gerechtfertigt sind, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Es ist jedoch offensichtlich, dass eine solche Regelung eine Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers erfordert. Dem steht auch nicht entgegen, dass die in Art. 20 Abs. 2 GG als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Urteil vom 14.07.1998 - 1 BvR 1640/97 - a.a.O.) auch darauf zielt, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen und dieses Ziel nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden darf. Denn bei der Regelung, nach regionalen Gesichtspunkten unterschiedliche Grundschulfremdsprachen im Gymnasium der Normalform verpflichtend fortzuführen, handelt es sich in erster Linie nicht um eine zwingend pädagogische, sondern um eine politische Entscheidung. Für die Richtigkeit politischer Entscheidungen verfügt jedoch nicht der zuständige Fachminister über die besten Voraussetzungen, sondern das dafür demokratisch legitimierte Organ, das heißt der Landtag als parlamentarischer Gesetzgeber.

3. Da die Antragsteller mit dem Hauptantrag Erfolg haben, bedurfte es einer Entscheidung über den gestellten Hilfsantrag nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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