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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 12.12.2005
Aktenzeichen: 9 S 1580/05
Rechtsgebiete: SGB IX, KSchG


Vorschriften:

SGB IX § 85
SGB IX § 90
SGB IX § 92
KSchG § 9
Der im Kündigungsschutzprozess vom Arbeitgeber gestellte (Hilfs-)Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses (§ 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG) bedarf nicht der Zustimmung des Integrationsamtes. Dies gilt auch, wenn der minderbehinderte Arbeitnehmer seinen Antrag auf Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten nach Zugang der Kündigung gestellt hat. Eine analoge Anwendung der Sonderkündigungsschutzregelungen des SGB IX auf diese Fälle scheidet aus (a.A. OVG Lüneburg, Urteil vom 12.07.1989 - 4 L 21/89 -).
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

9 S 1580/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Zustimmung zu einem Auflösungsantrag

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wiegand und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Gaber ohne mündliche Verhandlung

am 12. Dezember 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 09. Juni 2005 - 8 K 1306/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beigeladene vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der Zustimmung des Integrationsamts zu einem Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses im Arbeitsgerichtsprozess.

Der am 16.01.1969 geborene Kläger war bei der Beigeladenen seit 01.10.1999 als Arbeiter beschäftigt. Mit Schreiben vom 01.03.2001, dem Kläger zugegangen am 03.03.2001, kündigte die Beigeladene das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.06.2001.

Danach, am 08.03.2001, stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter sowie auf Gleichstellung mit den Schwerbehinderten. Mit Bescheid vom 02.05.2001 stellte das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung von 30 fest. Den Gleichstellungsantrag lehnte das Arbeitsamt zunächst mit Bescheid vom 05.07.2001 ab und änderte ihn auf den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 06.02.2002 ab. Die Gleichstellung erfolgte rückwirkend zum 08.03.2001.

Auf die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage stellte das Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Aalen - mit Urteil vom 27.06.2002 (- 9 Ca 131/01 -) fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 01.03.2001 zum 30.06.2001 nicht aufgelöst worden ist und wies den Antrag der Arbeitgeberin, der jetzigen Beigeladenen, auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2001 gegen Zahlung einer Abfindung mit der Begründung zurück, der Auflösungsantrag hätte der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bedurft.

Auf die Berufung der Beigeladenen hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 12.03.2003 (- 4 Sa 45/02 -) unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts und Zurückweisung der Berufung im Übrigen entschieden, "das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 8.000,-- EUR zum 30.06.2001 aufgelöst". Das Landesarbeitsgericht hält die Zustimmung des Integrationsamts zum Auflösungsantrag nicht für erforderlich. Die Entscheidung ist nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 30.09.2003 (- 9 AZN 309/03 -) rechtskräftig.

Aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts beantragte die Beigeladene beim Integrationsamt die Zustimmung zu dem gestellten Auflösungsantrag, hilfsweise die Ausstellung eines Negativattests. Den Antrag lehnte der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern - Integrationsamt - mit Bescheid vom 31.01.2003 als unzulässig mit der Begründung ab, der Auflösungsantrag bedürfe der Zustimmung nicht. Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt mit Bescheid vom 04.02.2004 mit im Wesentlichen gleicher Begründung zurück.

Am 01.04.2004 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und zuletzt beantragt, festzustellen, dass der Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach § 9 KSchG der Zustimmung des Integrationsamtes bedurfte.

Dem Antrag des Beklagten und der Beigeladenen folgend hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 09.06.2005 die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Zulässigkeit der Feststellungsklage könne offen bleiben, da diese jedenfalls unbegründet sei. Der Antrag der Beigeladenen auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG habe zu seiner Wirksamkeit nicht der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle bedurft.

Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung hat der Kläger rechtzeitig eingelegt und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist fristgerecht begründet. Er trägt vor: Die Zustimmung des Integrationsamts zum Auflösungsantrag gemäß § 9 KSchG sei in analoger Anwendung der Regelung des § 85 SGB IX notwendig. Es sei zwar richtig, dass der Gesetzgeber auch im Fall des schwerbehinderten Arbeitnehmers dem Arbeitgeber die Möglichkeit der Auflösung an die Hand gegeben habe. Aus dem Kontext des Gesetzes folge jedoch, der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass eine Überprüfung durch das Integrationsamt hinsichtlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits vor der Kündigung erfolgt sei. Sei dies nicht geschehen, weil aufgrund des zeitlichen Ablaufs zu diesem Zeitpunkt die Schwerbehinderteneigenschaft noch nicht festgestanden habe, so müsse, um dem Schutzzweck des Gesetzes genüge zu tun, der Auflösungsantrag dem Zustimmungserfordernis unterworfen werden.

Der Kläger beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 09.06.2005 - 8 K 1306/04 - zu ändern und festzustellen, dass der Auflösungsantrag der Beigeladenen nach § 9 des Kündigungsschutzgesetzes der Zustimmung des Integrationsamtes bedurfte.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung mit dem Hinweis, es entspreche herrschender Meinung, dass ein Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht der Zustimmung des Integrationsamtes bedürfe.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Kläger fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis, da durch die vorgenommene Prüfung des Landesarbeitsgerichts festgestellt worden sei, dass kein Arbeitsverhältnis mehr bestehe und daher auch eine Wiederaufnahme des Kündigungsschutzverfahrens ausscheide. Im Übrigen sei die Klagabweisung zu Recht erfolgt. Der vorliegende Fall unterscheide sich in nichts von einer Vielzahl von Sachverhalten und Fällen, in denen ein Zustimmungserfordernis als nicht notwendig angesehen werde. Ein Verstoß gegen Grundrechte liege nicht vor.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten des Beklagten und des Verwaltungsgerichts sowie zwei Bände des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammer Aalen - im Verfahren - 9 Ca 131/01 - und ein Band im Verfahren - 8 Ca 441/02 - sowie zwei Bände Akten des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg im Verfahren - 4 Sa 45/02 - und ein Band im Verfahren - 4 Sa 9/04 - vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Im Einvernehmen mit den Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen. Der Antrag der beigeladenen Arbeitgeberin im arbeitsgerichtlichen Verfahren auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 des Kündigungsschutzgesetzes bedarf nicht der Zustimmung des Integrationsamts.

Auch der Senat lässt wie bereits das Verwaltungsgericht die Frage offen, ob dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis für die geltend gemachte Feststellung fehlt, nachdem das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg mit rechtskräftigem Urteil vom 12.03.2003 (- 4 Sa 45/02 -) das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beigeladenen aufgelöst hat, oder ob das Rechtsschutzbedürfnis fortbesteht, weil möglicherweise im Falle des Erfolgs der Feststellungsklage ein arbeitsgerichtliches Wiederaufnahmeverfahren denkbar erscheint (vgl. hierzu Vossen in Ascheid/Preiss/Schmidt, Kündigungsrecht, 2. Aufl., SGB IX § 85 RdNr. 38 m.z.w.N.). Denn die Klage ist jedenfalls unbegründet.

Im vorliegenden Fall findet das Sozialgesetzbuch (Neuntes Buch) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen- (im Folgenden: SGB IX) vom 19.06.2001 (BGBl. I S. 1046) in der bis zu seiner Änderung durch das Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.04.2004 (BGBl. I S. 606) geltenden Fassung Anwendung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zustimmungserklärung des Integrationsamtes zu einer beabsichtigten Kündigung ist derjenige der Widerspruchsentscheidung. Nichts anderes gilt im vorliegenden Fall, in dem an Stelle der bei einer Sachentscheidung möglichen Anfechtungsklage ohne Verstoß gegen die Subsidiaritätsklausel (§ 43 Abs. 2 VwGO) die Feststellungsklage erhoben wurde (vgl. zu Ausnahmen vom Subsidiaritätsprinzip, Happ in Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 43 RdNrn. 42 und 43). Demnach ist das Recht anzuwenden, das im Zeitpunkt des am 11.03.2004 zur Post gegebenen Bescheid des Widerspruchsausschusses des Beklagten vom 04.02.2004 galt.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) in der Fassung vom 25.08.1989 (BGBl. I S. 1317 mit späteren Änderungen) ist auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, wenn das Gericht in einem Kündigungsstreit feststellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung aufgelöst worden ist, aber Gründe vorliegen, die eine den Arbeitszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Diesen Auflösungstatbestand - Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch arbeitsgerichtliches Urteil - erfasst das SGB IX nicht.

Weder die in Teil 1 SGB IX enthaltenden "Regelungen für Behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen", noch die in seinem Teil 2 niedergelegten "Besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht)" befassen sich mit der Auflösung von Arbeitsverhältnissen aufgrund gerichtlicher Entscheidung. Geregelt ist die Kündigung von Arbeitsverhältnissen im 4. Kapitel des Teil 2 SGB IX. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf danach der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 85 SBG IX). Schwerbehinderter Mensch im Sinne dieser Bestimmung ist der Schwerbehinderte oder der diesem gleichgestellte behinderte Mensch (§ 68 Abs. 1 SGB IX), wobei die Gleichstellung (vgl. § 2 Abs. 3 SGB IX) erst mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam wird (§ 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX). Darauf, ob Schwerbehinderteneigenschaft als schwerbehindert kraft Gesetzes entsteht, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 SGB IX vorliegen und damit der Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes nach §§ 2 Abs. 2, 69 SGB IX nur deklaratorischen Charakter hat (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 20.01.2005 - 2 AZR 675/03 - NJW 2005, 2796), kommt es hier nicht an, denn jedenfalls der Minderbehinderte, der erst durch Bescheid des Arbeitsamtes einem Schwerbehinderten gleichgestellt wird, erlangt seine Rechtsposition konstitutiv erst durch den Gleichstellungsbescheid. Der Kläger unterfällt damit (frühestens) zum 08.03.2001, dem Zeitpunkt seines Antrags auf Gleichstellung mit den Schwerbehinderten, den Sonderkündigungsschutzregelungen des SGB IX. Damit bedurfte die vom Beilgeladenen ausgesprochene Kündigung nicht der Zustimmung des Integrationsamtes.

Andere Fälle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfasst das Sonderkündigungsrecht und unterwirft es dem Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes, wenn sie im Falle des Eintritts einer teilweisen Erwerbsminderung, der Erwerbsminderung auf Zeit, der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit erfolgt (§ 92 SGB IX). Über diesen erweiterten Bestandsschutz hinausgehende Schutzvorschriften enthält das SGB IX nicht. Somit bedürfen zahlreiche Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis beendet werden kann, nicht der Zustimmung des Integrationsamtes (vgl. im Einzelnen: Vossen, a.a.O., § 85 SGB IX RdNrn. 23 bis 28). Dagegen sieht das SGB IX selbst Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes bei Kündigungen vor, nämlich all die Fälle, die von § 90 SGB IX erfasst sind. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis zur Kündigung von Schwerbehinderten nur in den ausdrücklich von § 90 SGB IX erfassten Fällen zulässig seien (so Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Palen, SGB IX, 11. Aufl., § 90 RdNr. 1), so ändert dies nichts daran, dass der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG keiner Zustimmung bedarf.

Eine analoge Anwendung sonderkündigungsschutzrechtlicher Regelungen des SGB IX auf die vorliegende Fallkonstellation scheidet aus. Eine Analogie setzt einen geregelten Tatbestand voraus sowie eine Lücke, d.h. eine planwidrige Nichterfassung eines anderen nicht geregelten Sachverhaltes, der aufgrund seiner Ähnlichkeit mit den für die gesetzliche Bewertung maßgebenden Umstände, aus Gründen der Gerechtigkeit gleich zu bewerten ist wie der geregelte Tatbestand (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl. S. 354 ff. und 366 ff.). Kapitel 4 des SGB IX enthält für Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen besondere ihrem Schutz zusätzlich dienende Normen in Bezug auf die Kündigung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Die Regelungen enthalten - wie oben bereits ausgeführt - die allgemeine Kündigungsschutzbestimmung des § 85 SGB IX (mit der Modifizierung in § 91 SGB IX), die Ausnahme hiervon in § 90 SGB IX und die Erweiterung in § 92 SGB IX. Damit ist das Sonderkündigungsrecht, das zusätzlich zum allgemeinen Kündigungsschutz hinzutritt, abschließend geregelt.

Der Tatbestand der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses durch gerichtliche Entscheidung seinerseits findet in § 9 KSchG seine Normierung. Er setzt voraus, dass das Arbeitsgericht im Kündigungsschutzverfahren feststellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst ist (§ 9 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. KSchG) und räumt für diesen Fall dem Arbeitnehmer (§ 9 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. KSchG) und dem Arbeitgeber (§ 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG) das Recht ein, bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu stellen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG). Diesem Antrag hat das Arbeitsgericht zu entsprechen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist oder wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Diese Regelung stellt ein in sich geschlossenes Gefüge dar.

Der Senat vermag keine durch Analogie zu schließende Lücke dergestalt zu erkennen, dass die Kündigungsschutzregelungen des SGB IX in Bezug auf den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG unvollkommen, also planwidrig lückenhaft wären, so dass der Antrag der Zustimmung des Integrationsamtes bedürfte, noch dass die Regelung des § 9 KSchG ihrerseits lückenhaft wäre, so dass etwa das Arbeitsgericht seinerseits, bevor es die Auflösung des Arbeitsverhältnisses feststellt, die Zustimmung des Integrationsamtes hierzu einholen müsste.

Eine andere Betrachtungsweise ist auch nicht durch den Schutzzweck des SGB IX gerechtfertigt. Das Kündigungsschutzrecht des SGB IX schützt nicht den Schwerbehinderten schlechthin, sondern nur denjenigen, dessen Schwerbehinderung durch Feststellungsbescheid bestätigt oder der zumindest einen entsprechenden Antrag gestellt hat, dem später entsprochen wurde (vgl. BAG, Urteil vom 20.01.2005 a.a.O.). Für den Kläger als Gleichgestelltem ist sogar der Gleichstellungsbescheid konstitutiv. Der Zweck des Sonderkündigungsrechts des SGB IX geht dahin, den Arbeitgeber zum Schutz des erkennbar Schwerbehinderten oder durch Bescheid diesem Gleichgestellten zu zwingen, die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung einzuholen, wobei das Integrationsamt die jeweils beteiligten Interessen bei seiner Ermessensentscheidung gegeneinander abzuwägen hat. Der Einschaltung einer Behörde, die nach pflichtgemäßem Ermessen bei der Prüfung der Zustimmung zu einer beabsichtigten Kündigung die beteiligten widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und behindertem Arbeitnehmer abzuwägen und zu würdigen hat, bedarf es im Falle des Antrags auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG nicht. Hier übernimmt das Arbeitsgericht bei der von ihm zu fällenden Entscheidung die Gewichtung und Bewertung der beteiligten Interessen anhand der gesetzlichen Vorgaben.

Es bestehen zwischen der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung und der Entscheidung des Arbeitsgerichts über einen Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch strukturelle Unterschiede, die eine analoge Anwendung des Zustimmungserfordernisses ausschließen. Das Zustimmungserfordernis des § 85 SGB IX begründet einen zusätzlichen Schutz des Schwerbehinderten, in dem es den Arbeitgeber zwingt, vor der beabsichtigten Kündigung die Entscheidung des Integrationsamtes einzuholen. Es bereitet damit die Entscheidung des Arbeitgebers vor. Im Versagensfall kann keine wirksame Kündigung ausgesprochen werden. Wird die Zustimmung erteilt, bedarf es noch der Umsetzung durch den Arbeitgeber. Dieser ist frei, ob er die Kündigung ausspricht oder nicht. Lediglich hinsichtlich der Frist, in der gekündigt werden muss, ist er an § 88 Abs. 3 SGB IX gebunden. Der Umfang der Ermessensentscheidung des Integrationsamtes seinerseits hängt von der Art der Kündigung ab (vgl. §§ 89, 91 SGB IX). Beim Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG handelt es sich um ein eigenständiges prozessuales Institut des Kündigungsschutzrechts, das in Form des Hilfsantrages geltend gemacht wird (vgl. Biebl in Ascheid u.a., a.a.O., § 9 KSchG RdNrn. 46 u. 47). Sein Erfolg setzt damit grundsätzlich die Feststellung der Sozialwidrigkeit der ausgesprochenen Kündigung, also den Erfolg des Klageantrags des Arbeitnehmers voraus und macht diese innerprozessuale Bedingung zur Zulässigkeitsvoraussetzung des Antrages des Arbeitgebers, den er hilfsweise neben dem Antrag auf Abweisung der Kündigungsschutzklage stellt. Diese Reaktionsmöglichkeit ist dem Arbeitgeber bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eingeräumt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG). Hier eine Art Zwischenentscheidung des Integrationsamtes einzuschieben, widerspräche nicht nur dem arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgebot (§ 9 Abs. 1 ArbGG), sondern würde den prozessualen Hilfsantrag des Arbeitgebers von einer außerprozessualen Bedingung - der Zustimmung des Integrationsamtes - abhängig machen. Dies ist nicht angängig.

Der vereinzelt gebliebenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 12.07.1989 (- 4 L 21/89 - Leitsatz in NZA 1990, 66), die ohne nähere Begründung ein Zustimmungserfordernis auch für den Arbeitsverhältnisauflösungsantrag fordert, vermag sich der Senat daher nicht anzuschließen (wie hier Vossen, a.a.O., § 85 SGB IX RdNr. 29 m.z.w.N. auch zur gegenteiligen Ansicht).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3, 167, 188 Satz 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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