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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.02.2005
Aktenzeichen: 9 S 216/04
Rechtsgebiete: GG, HPG, PolG


Vorschriften:

GG Art 12 Abs. 1
HPG § 1 Abs. 2
PolG § 1
Ein Optiker übt eine erlaubnispflichtige Tätigkeit nach dem Heilpraktikergesetz aus, wenn er einem Kunden bei "Winkelfehlsichtigkeit" eine Prismenbrille anpasst, um auf diese Weise die damit in Zusammenhang stehenden Anstrengungsbeschwerden zu beseitigen oder zu lindern. Diese Tätigkeit ist bei verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs. 2 HPG jedoch ausnahmsweise dann erlaubt, wenn durch schriftliche und mündliche Erklärungen darauf hingewiesen wird, dass eine heilkundliche Behandlung vom Optiker weder durchgeführt wird noch beabsichtigt ist, und deshalb die Zuziehung eines Arztes oder eines Erlaubnisinhabers nach dem Heilpraktikergesetz anheim gestellt wird.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil 9 S 216/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Polizeiverfügung

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Gaber und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Neu ohne mündliche Verhandlung am 17. Februar 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. November 2003 - 9 K 1856/01 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, ein staatlich geprüfter Augenoptiker und Augenoptikermeister, wendet sich gegen eine von der Ortspolizeibehörde der Beklagten erlassene Verfügung, mit der ihm untersagt wurde, Prismenbrillen ohne eine entsprechende Verordnung eines Arztes oder eines Erlaubnisinhabers nach dem Heilpraktikergesetz abzugeben, sofern er seine Kunden nicht schriftlich und mündlich darauf hinweist, dass er keine heilkundliche Behandlung durchführen will und kann.

Der Kläger war bis Ende August 2002 Inhaber eines in xxxxxxxxxx ansässigen Optikerfachgeschäfts. Zum 01.09.2002 ging dieser Betrieb auf seinen Sohn über, seit diesem Zeitpunkt arbeitet der Kläger im Angestelltenverhältnis weiter. Der Betrieb wirbt insbesondere im Internet und unter Bezugnahme auf eine "Selbsthilfegruppe Winkelfehlsichtigkeit" für die Messung lateraler (seitlicher) Bildlagefehler im Augenpaar, die bei etwa 80 % aller Menschen vorliegen und von einigen Optikern, insbesondere auch vom Kläger, als so genannte "Winkelfehlsichtigkeit" bezeichnet wird. Die Messung wird vom Kläger insbesondere bei Kindern empfohlen, wenn bei diesen Auffälligkeiten, wie Schulprobleme und motorische Störungen, sowie Beschwerden, wie z.B. Kopfschmerz, Schwindel, Bauchschmerz und Schweißausbrüche, vorliegen. Stellt der Kläger nach einer Messung eine so genannte "Winkelfehlsichtigkeit" fest, empfiehlt er nach vorheriger Anamnese und Erläuterung des Messergebnisses das Tragen von Brillengläsern mit prismatischer Wirkung, die er auf Wunsch auch veräußert.

Am 16.11.2000 erließ die Ortspolizeibehörde der Beklagten gegenüber dem Kläger folgende, auf die polizeiliche Generalklausel in Verbindung mit §§ 1, 5 Heilpraktikergesetz - HPG - gestützte Verfügung:

"1. Ihnen wird untersagt, Prismenbrillen an Personen abzugeben, die keine dies indizierende Verordnung eines Arztes oder aber eines Erlaubnisinhabers nach dem Heilpraktikergesetz vorweisen können, sofern Sie nicht

a) die betreffende Person schriftlich durch Übergabe eines Merkblattes darauf hingewiesen haben, dass Sie keine heilkundliche Behandlung durchführen wollen und können und deshalb vorsorglich die Zuziehung eines Arztes oder eines Heilpraktikers mit entsprechender Erlaubnis anheim stellen,

b) hierauf vor jeder Abgabe auch nochmals mündlich hinweisen und

c) diesen Hinweis schriftlich unter Angabe der Person und der Adresse des Abnehmers in einer geordneten Aufstellung festhalten.

2. Ihnen wird aufgegeben, die danach zu führenden Aufzeichnungen mindestens drei Jahre aufzubewahren und zur Einsicht durch die zuständigen Behörden jederzeit bereit zu halten."

Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Ausübung der Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, bedürfe nach § 1 Abs. 1 HPG der Erlaubnis. Die Therapie der "Winkelfehlsichtigkeit" durch Abgabe von Prismenbrillen stelle unter zwei Aspekten eine grundsätzlich erlaubnispflichtige Heilbehandlung dar. Zum einen solle durch die Abgabe von Prismenbrillen eine ganze Reihe von Leiden behoben werden können, namentlich sehbedingte Übelkeit, Haltungsfehler und Verhaltensauffälligkeiten, speziell im Bereich der Motorik. Die Behebung derartiger sehfehlerbedingter Leiden falle in den Bereich der Augenheilkunde. Zum anderen könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Abgabe von Prismenbrillen in jeder Hinsicht problemlos sei. Zumindest könne nicht ausgeschlossen werden, dass durch die Abgabe von Prismenbrillen die Behandlung von "eigentlich" hinter den aufgetretenen Beschwerden stehenden ernsthafteren Erkrankungen aufgeschoben, oder mit der Folge einer Verschlimmerung oder Verstetigung dieser Krankheitsbilder verzögert werde. Nach der Rechtsprechung sei eine berufs- oder gewerbsmäßige Heilbehandlung aber dann nicht erlaubnispflichtig, wenn eindeutig, unmissverständlich und erklärtermaßen eine heilkundliche Verordnung oder Überprüfung des erkannten Krankheitsbildes nicht ver- oder behindert werde und werden solle, d.h. wenn die konkrete Tätigkeit lediglich "heilkundebegleitenden" Charakter habe. Daher könne die Abgabe von Prismenbrillen nur noch unter den aus dem Entscheidungssatz der Verfügung ersichtlichen Einschränkungen gestattet werden. Denn im Falle der Nichtbeachtung dieser Hinweise liege ein nach § 5 HPG strafbewehrter Rechtsverstoß und mithin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor. Die getroffene Anordnung erlaube weiterhin die Abgabe von Prismenbrillen, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Auf der anderen Seite sei sie zur Herstellung eines mit der Gesetzeslage übereinstimmenden Zustandes das mildeste Mittel.

Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid rechtzeitig Widerspruch und trug zur Begründung vor: Die Ortspolizeibehörde gehe zu Unrecht davon aus, dass es sich bei der "Winkelfehlsichtigkeit" um eine Erkrankung handle. Der Körper sei bei der "Winkelfehlsichtigkeit" durchaus in der Lage, die falsche Bildlage durch eigenen Energieaufwand auszugleichen. Da dieser unwillkürliche Zwang jedoch mitunter zu vielfältigen Folgebeschwerden führe, sei zur Beseitigung dieser Beschwerden die Anfertigung von Gläsern mit prismatischer Wirkung angezeigt. Diese hätten die Aufgabe, die Lichtstrahlen so abzulenken, dass die falsche Netzhautbildlage korrigiert werde. Das Messen dieser Bildlagefehler und die Bestimmung der Prismengläser sei ein physikalischer, optisch-technischer Messvorgang. Mit Hilfe der Prismengläser würden die bei Winkelfehlsichtigkeit auftretenden Folgebeschwerden vermindert. Die Bildlagefehler selbst seien aber nicht therapierbar. Andererseits könne die Verlagerung der Bilder durch Gläser auf die Netzhautmitte auch keine schädlichen Folgen haben und deshalb auch keinerlei "Folgeschäden" anrichten. Eine ärztliche Behandlung sei deshalb nicht angezeigt.

Selbst wenn man die Winkelfehlsichtigkeit als Vorstufe des Strabismus, d.h. einer therapierbaren Schielerkrankung, ansehen würde, seien die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HPG nicht erfüllt. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Korrektion von Bildlagefehlern mittels prismatischer Gläser zur Minderung von körperlichen Begleiterscheinungen bei "Winkelfehlsichtigkeit" eine "heilende Handlung" im Sinne von § 1 Abs. 2 HPG sei. Denn eine solche Handlung sei nach der Rechtsprechung nur dann erlaubnispflichtig, wenn infolge der Behandlung unmittelbare oder mittelbare gesundheitliche Schäden verursacht werden könnten. Dies sei entgegen der Auffassung der Beklagten jedoch nicht der Fall.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2001 hob das Landratsamt Enzkreis die Nummern 1 c und 2 der angefochtenen Verfügung auf und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Soweit der Widerspruch zurückgewiesen wurde, führte es zur Begründung aus: Die Ortspolizeibehörde habe zu Recht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bejaht. Es sei nicht auszuschließen, dass durch die Tätigkeit des Klägers Kunden einen eigentlich vorgesehenen Arztbesuch nicht mehr wahrnehmen würden, weil sie glauben, nunmehr wegen ihrer Augen- oder Sehprobleme umfassend untersucht worden zu sein. Damit bestehe die konkrete Gefahr, dass eine mögliche Erkrankung - unabhängig davon ob diese im Zusammenhang mit der Winkelfehlsichtigkeit stehe oder nicht - unentdeckt bliebe. Wegen dieser mittelbaren Gefährdung stelle die Tätigkeit eine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde dar. Die Einbindung der Hinweispflichten in die Untersagungsverfügung im Wege einer aufschiebenden Bedingung sei auch verhältnismäßig, insbesondere verstoße sie nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

Der Kläger hat hiergegen rechtzeitig beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen auf sein Vorbringen im Vorverfahren verwiesen.

Mit Urteil vom 27.11.2003 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Beklagte habe die angefochtene Verfügung zu Recht auf die polizeiliche Generalklausel (§§ 1 und 3 Polizeigesetz) gestützt und sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Abgabe von Prismenbrillen durch den Kläger ohne den geforderten aufklärenden Hinweis als erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde im Sinne von § 1 Abs. 2 HPG anzusehen sei, sofern die betreffenden Kunden keine dies indizierende Verordnung eines Arztes oder eines Erlaubnisinhabers nach dem Heilpraktikergesetz vorweisen könnten. Mangels einer dem Kläger erteilten Erlaubnis nach § 1 HPG liege somit ein Rechtsverstoß und damit eine Störung der öffentlichen Sicherheit vor, die ein polizeiliches Einschreiten auf der Grundlage von §§ 1, 3 Polizeigesetz rechtfertige. Ausübung der Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes sei nach dessen § 1 Abs. 2 jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von Anderen ausgeübt werde. Die Begriffsbestimmung des § 1 Abs. 2 HPG sei nach ihrem Wortlaut sehr weit gefasst. Bei einer wörtlichen Auslegung würden auch zahlreiche heilkundliche Verrichtungen mehr handwerklicher oder technischer Art unter das Ausübungsverbot fallen, was ersichtlich nicht der Zweck des Gesetzes sein solle. Die mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG gebotene verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift erfordere daher, dass nur Tätigkeiten erfasst werden, die ärztliche Fachkenntnisse voraussetzen und gesundheitliche Schädigungen zur Folge haben können, wobei auch eine nur mittelbare Gesundheitsgefährdung genüge. Hieran gemessen erfülle die (unstreitig) berufsmäßig vorgenommene Abgabe von Prismenbrillen durch den Kläger den Tatbestand des § 1 Abs. 2 HPG. Zwar setze das Erkennen und Messen von "Winkelfehlsichtigkeit" ebenso wenig wie die sich daran anschließende Korrektion dieses Phänomens ärztliche Fachkenntnisse voraus. Im Falle des Klägers stelle sie sich jedoch gleichwohl als "Ausübung der Heilkunde" dar, weil dieser bei seinen Kunden den Eindruck und die Erwartung erwecke, sie mit einer solchen Brille nicht nur von einer Fehlsichtigkeit, sondern von verschiedenen Leiden und körperlichen Defekten befreien zu können, die zugleich Gegenstand der ärztlichen Berufsausübung seien. Die Gefahr, dass die Erwerber einer Prismenbrille aufgrund der vom Kläger erweckten Erwartungshaltung von einem eigentlich gebotenen und vorgesehenen Arztbesuch Abstand nähmen, und sich dadurch das frühzeitige Erkennen ernster Leiden, das ärztliches Fachwissen voraussetze, möglicherweise verzögere, sei nicht von der Hand zu weisen. Dieser Gefahr solle durch den in der Verfügung geforderten Hinweis begegnet werden. Die dem Kläger auferlegte Hinweispflicht verstoße auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Denn dem Kläger sei es nicht verwehrt, seine - in vielen Fällen für die Kunden sicherlich gesundheitsfördernde - Tätigkeit zu entfalten.

Gegen das ihm am 11.12.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.01.2004 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, die er fristgerecht wie folgt begründet: Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht von einer mittelbaren Gesundheitsgefahr für die Kunden des Klägers aus. Aus Sicht des Klägers gehe es bei den im Zusammenhang mit der "Winkelfehlsichtigkeit" stehenden Befindlichkeitsstörungen - von völlig unerheblichen Ausnahmen abgesehen - nur um so genannte asthenopische Beschwerden, d.h. um Anstrengungsbeschwerden infolge der mit Energieaufwand verbundenen Eigenkorrektion der falschen Bildlage im Auge. Soweit die Ursache dieser Beschwerden eindeutig in der konkreten Fehlsichtigkeit liege, komme eine unmittelbare Gefährdung nicht in Betracht, da mit der Korrektion der Fehlsichtigkeit die Beschwerden in der Regel verschwinden oder sich deutlich bessern würden. Ein Gefährdungspotential liege jedoch auch dann nicht vor, wenn die prismatische Korrektion nicht erfolgreich sei. Zum einen sei die Beseitigung von Befindlichkeitsstörungen keineswegs Ziel, sondern nur Nebenfolge der eigentlichen Tätigkeit des Augenoptikers. Zum anderen gehöre es nach den Arbeitsrichtlinien der Augenoptiker zum "augenoptischen Standart", in besonderen Fällen Patienten an Augenärzte zu verweisen. Zudem kämen zum Kläger "in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle" Kunden, die wegen der Befindlichkeitsstörungen "alle Ärzte durch haben (auch Augenärzte)", weshalb es auf der Hand liege, dass bei diesen Personen eine mittelbare Gefahr nicht ernsthaft diskutiert werden könne. So genannte andere Ursachen für die Befindlichkeitsstörungen kämen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts entweder nicht vor oder seien in ihrer Bedeutung und Gewichtung irrelevant. So gehe die vom Verwaltungsgericht zitierte Arbeit von Wulff von einer etwa 65 prozentigen Erfolgsquote der mit Prismenbrillen korrigierten fehlsichtigen Kinder aus. Bestehende Kopfschmerzen "als Zeichen augenbedingter Anstrengungsprobleme" würden jedoch in etwa 90 % der Fälle behoben. Die "Erfolgsquote" sage daher offenbar nichts über das Beheben der Befindlichkeiten (hier: Kopfschmerz) aus. Noch deutlicher werde dies bei den Untersuchungen von Pestalozzi, der bei 163 Personen, die zuvor bei Augenärzten behandelt worden seien, in 68 % der Fälle Beschwerdefreiheit und bei 23 % eine deutliche Besserung festgestellt habe. Diese 91-prozentige Erfolgsquote sei für die Augenoptiker zudem nicht repräsentativ, da der untersuchten Vergleichsgruppe bereits eine gewisse "Negativauswahl" vorausgegangen sei. Nach den jahrzehntelangen Erfahrungen des Klägers und vieler seiner Kollegen sei es - im Rückblick - nicht vorgekommen, dass ein Optiker "ernsthafte Leiden" in einer gefährdenden Weise übersehen habe. Unabhängig davon, sei die dem Kläger auferlegte Verpflichtung zur schriftlichen Information seiner Kunden auch weder geeignet noch verhältnismäßig.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. 11. 2003 - 9 K 1856/01 - zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 16.11.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes Enzkreis vom 12.06.2001 aufzuheben.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Auf die Berufungsbegründung hat sie trotz mehrfacher Aufforderungen und eigener Ankündigungen weder erwidert noch hat sie einen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Dem Senat liegen die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, die Widerspruchsakten des Landratsamtes Enzkreis, die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe und die beigezogenen Akten des Landgerichts Mainz - 7 O 84/01 - vor. Wegen der Einzelheiten wird auf sie und auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten im Berufungsverfahren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einvernehmen mit den Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

1. Die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ist statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere genügt die Berufungsbegründung des Klägers den gesetzlichen Anforderungen. Sie muss gemäß § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO neben den im Einzelnen anzuführenden Gründen der Anfechtung auch einen bestimmenden Antrag enthalten. Zwar hat der Kläger innerhalb der Berufungsbegründungsfrist (§ 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO) keinen ausdrücklichen Antrag gestellt, sondern nur sinngemäß die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts begehrt. Dies ist vorliegend jedoch ausreichend, da sich aus den Berufungsgründen eindeutig und ohne Zweifel entnehmen lässt, was der Berufungsführer mit dem Rechtsmittel erstrebt (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.03.2004 - 4 C 6/03 -, NVwZ-RR 2004, 541 bis 542 und Beschluss vom 07.03.2003 - 2 P 32/02 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.07.2001 - 8 S 268/01 -, VBlBW 2002, 126 bis 127). Denn wird das angefochtene Urteil aufgehoben, so ist in der Regel davon auszugehen, dass der vom Verwaltungsgericht abgewiesene Sachantrag in vollem Umfang weiter verfolgt wird (vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl., § 124a RdNr. 58; Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 124a RdNr. 32 und VGH München, Urteil vom 11.03.2004 - 8 BV 03.1703 -, DVBl. 2004, 1440). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nur eine teilweise Aufhebung der von der Beklagten erlassenen Polizeiverfügung begehrt, lassen sich der Berufungsbegründung nicht entnehmen. Vielmehr wird das Gegenteil auch durch den klarstellenden Antrag des Klägers im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 10.02.2005 bestätigt.

2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren allein im Streit stehende Nr. 1 a und b des Bescheides der Beklagten vom 16.11.2000 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Senat weist die Berufung daher aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts zurück (§ 130b Satz 2 VwGO).

Zutreffend ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass die Beklagte die angefochtene Verfügung zu Recht auf die polizeiliche Generalklausel (§§ 1 und 3 PolG) gestützt hat. Die unerlaubte Ausübung der Heilkunde verstößt gegen ein Strafgesetz (vgl. § 5 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung [Heilpraktikergesetz] vom 17.02.1939 [RGBl. I S. 251] - HPG -) und stellt daher eine Störung der öffentlichen Sicherheit dar, weshalb die zuständige Ortspolizeibehörde zur Abwehr weiterer drohender Verstöße eine Unterlassungsverfügung erlassen kann (vgl. Senat, Urteil vom 09.07.1991 - 9 S 961/90 -, MedR 1992, S. 54 bis 58 und OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.12.1985 - 13 A 959/84 -, NJW 1986, S. 2900 bis 2901). Dies wird vom Kläger im Berufungsverfahren im Ansatz auch nicht mehr bestritten. Der Kläger meint jedoch, die Abgabe von Prismengläsern ohne den von der Beklagten geforderten Hinweis sei keine erlaubnispflichtige Ausübung der Heilkunde im Sinne von § 1 Abs. 2 HPG, weshalb bereits eine Störung bzw. die Gefahr einer Störung der öffentlichen Sicherheit nicht vorliege. Dem kann nicht gefolgt werden.

Ausübung der Heilkunde im Sinne von § 1 Abs. 2 HPG ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von Anderen ausgeübt wird. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass diese nach ihrem Wortlaut sehr weite Begriffsbestimmung mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG einer verfassungskonformen Auslegung und Einschränkung bedarf. Nach der Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 07.08.2000 - 1 BvR 254/99 -, GewArch 2000, S. 418 bis 420 und DVBl. 2000, S. 1765 bis 1767; BGH, Urteil vom 21.06.2001 - I ZR 197/00 -, NJW 2001, S. 3408 bis 3411, BVerwG, Urteil vom 20.01.1966 - I C 73.64 -, BVerwGE 23, 140, NJW 1966, S. 1187 und Urteil vom 11.11.1993 - 3 C 45/91 -, BVerwGE 94, 269 ff, NJW 1994, S. 3024 bis 3027) werden vom Ausübungsverbot des § 1 HPG nur solche Tätigkeiten erfasst, die einerseits ärztliche Fachkenntnisse voraussetzen und andererseits gesundheitliche Schädigungen zur Folge haben können. Hierbei genügt auch eine nur mittelbare Gesundheitsgefährdung, die darin bestehen kann, dass das frühzeitige Erkennen ernster Leiden, das ärztliches Fachwissen voraussetzt, verzögert werden kann und dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig ist.

Beide Voraussetzungen hat das Verwaltungsgericht mit zutreffenden Gründen bejaht. Es hat insbesondere überzeugend dargelegt, dass das Erkennen und Messen von "Winkelfehlsichtigkeit" zwar ebenso wenig wie die sich daran anschließende Korrektion dieses Phänomens ärztliche Fachkenntnisse voraussetzt. Denn die Anwendung der Mess- und Korrektionsmethode nach H.J. Haase (MKH) dürfte wohl in der Tat ein rein physikalischer, optisch-technischer Messvorgang sein, der insoweit vergleichbar ist mit der Sehschärfenbestimmung, d.h. dem so genannten Refraktionieren durch Augenoptiker (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 20.01.1966 a.a.O.). Gleichwohl erweckt die Tätigkeit des Klägers im Zusammenhang mit der Abgabe von Prismenbrillen beim Kunden den Eindruck, sie ziele darauf ab, ihn von Krankheit, Leiden oder Körperschäden befreien zu können. Denn die Anpassung einer Prismenbrille ist - auch nach Auffassung des Klägers - zumindest dann nicht indiziert, wenn die "Winkelfehlsichtigkeit" beschwerdefrei vom Gehirn des Patienten ausgeglichen wird, d.h. wenn keine Anstrengungsbeschwerden infolge des Energieaufwands bei der Eigenkorrektur auftreten. Aus diesem Grund erhebt der Kläger nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bei seinen Kunden auch eine Anamnese, indem er nach einer ganzen Reihe von Leistungsschwächen und Beschwerden fragt, die nicht unmittelbar das Sehvermögen betreffen (z.B. Kopfschmerzen, Druck über den Augen, Schulter-/Nackenbeschwerden, Bauchschmerzen und Müdigkeit). Die Behandlung dieser, vom Kläger als "asthenopische Beschwerden" bezeichneten Befindlichkeitsstörungen, die ohne Zweifel zugleich Gegenstand der ärztlichen Berufsausübung sind, treten durch den physikalisch-technischen Messvorgang auch nicht völlig in den Hintergrund. Vielmehr erweckt der Kläger mit seinen eigenen bzw. den ihm zurechenbaren Erklärungen der Firma xxxx xxxxx, bei seinen Kunden die Erwartung, dieser werde über die Korrektur seiner "Winkelfehlsichtigkeit" hinaus gerade auch von seinen in der Anamnese erhobenen Beschwerden befreit. Denn hätte der Kunde nicht diese Erwartung, wäre die Anpassung einer Prismenbrille für ihn weitgehend nutzlos und es gäbe für ihn keinen vernünftigen Grund, eine solche Brille zu erwerben.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht angenommen, dass die im Zusammenhang mit der Abgabe von Prismenbrillen ausgeübte Tätigkeit gesundheitliche Schädigungen zur Folge haben kann. Ob mit der Abgabe von Prismenbrillen unmittelbare Gesundheitsgefahren verbunden sein können, weil sich - wie der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands e.V. im Verwaltungsverfahren behauptet hat - bei nahezu 30 % der von Optikern mit Prismenbrillen versorgten Kindern die "Winkelfehlsichtigkeit" derart manifestiert, dass diese durch eine Augenoperation korrigiert werden muss, kann dahingestellt bleiben. Denn mit dem Verwaltungsgericht ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Abgabe von Prismenbrillen durch den Kläger zu mittelbaren Gesundheitsgefährdungen führen kann. Es besteht nämlich eine nicht nur geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Erwerber einer Prismenbrille aufgrund der vom Kläger erweckten Erwartungshaltung von einem eigentlich gebotenen und vorgesehenen Arztbesuch Abstand nehmen, wodurch das frühzeitige Erkennen ernster Leiden verzögert werden kann. Dass die vom Kläger mit der "Winkelfehlsichtigkeit" in Zusammenhang gebrachten Befindlichkeitsstörungen, wie Kopfschmerzen, Druck über den Augen, Schulter-/Nackenbeschwerden, Bauchschmerzen und Müdigkeit, verschiedene medizinischen Ursachen haben können, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Erörterung. Ob hierfür auch andere nennenswerte Anomalien am Sehorgan ursächlich sein können, mag insoweit dahingestellt bleiben. Denn diese Feststellung würde andere allgemeinmedizinische Ursachen nicht ausschließen. Der Einwand des Klägers, aus verschiedenen Lehrbüchern und Aufsätzen der Augenheilkunde ergebe sich kein Hinweis auf andere Ursachen dieser Befindlichkeitsstörungen, vermag daher die Annahme einer mittelbaren Gesundheitsgefährdung nicht zu entkräften. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die möglichen anderen Ursachen für die Beschwerden auch nicht in ihrer Bedeutung und Gewichtung völlig irrelevant. Der Kläger hat gegenüber dem Verwaltungsgericht selbst eingeräumt, dass die Behandlung in ca. 20 bis 30 % der Fälle keinen Erfolg hat, d.h. die für den Kaufentschluss der Brille ursächlichen körperlichen Beschwerden nicht behoben werden konnten. Auch die Verweise des Klägers auf die Untersuchungen von Wulff und Pestalozzi vermögen die Annahme einer mittelbaren Gesundheitsgefährdung für dessen Kunden nicht zu begründen. Denn die in diesen Untersuchungen beobachteten Patienten sind, wie auch vom Kläger erkannt wird, vorliegend nicht repräsentativ. An beiden Erhebungen nahmen nämlich nur Personen teil, die zuvor von Ärzten bzw. Augenärzten medizinisch untersucht worden waren, weshalb in allen beobachteten Fällen andere medizinische Ursachen für die Beschwerden ausgeschlossen werden konnten. Die Untersuchung von Wulff, auf die der Kläger ausdrücklich Bezug nimmt, führt daher auch nur aus, dass bestehende Kopfschmerzen "als Zeichen augenbedingter Anstrengungsprobleme" in etwa 90 % der Fälle behoben werden konnten. Dem gegenüber will die Verfügung der Beklagten verhindern, dass der Erwerber einer Prismenbrille aufgrund der vom Kläger erweckten Erwartungshaltung von einem gebotenen und vorgesehenen Arztbesuch Abstand nimmt, um auf diese Weise gerade auch andere Ursachen für die Beschwerden auszuschließen, die nicht auf "augenbedingte Anstrengungsprobleme" zurückzuführen sind. Ob dem Kläger aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung rückblickend kein Fall bekannt geworden ist, in dem ein von ihm bezeichnetes "ernsthaftes Leiden in gefährdender Weise übersehen wurde", ist insoweit unerheblich. Soweit er meint, dies liege möglicherweise daran, dass "der typische Klient für die MKH eben alle Ärzte (auch Augenärzte) durch" habe, vermag der Senat nicht zu erkennen, weshalb der Kläger gerade in diesen Fällen durch den abzugebenden Hinweis rechtserheblich beschwert sein soll. Denn gerade diese Kunden haben die im Hinweis angeregten ärztlichen bzw. augenärztlichen Untersuchungen bereits durchführen lassen und können hierdurch ersichtlich nicht in ihrer Kaufentscheidung beeinflusst werden.

Die dem Kläger auferlegte Hinweispflicht verstößt auch nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Vielmehr ist die Verfügung, die sowohl eine schriftliche als auch eine mündliche Information des Kunden vorsieht, geeignet und verhältnismäßig. Soweit der Kläger meint, eine schriftliche Aufklärung könne bereits deshalb nicht verlangt werden, weil diese auch im Arzthaftungsrecht nicht vorgesehen sei, verkennt er, dass eine analoge Anwendung dieser Rechtsgrundsätze mangels einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte bereits deshalb ausscheidet, weil der Kläger weder Arzt noch Erlaubnisinhaber im Sinne des Heilpraktikergesetzes ist. Vielmehr sollen die Hinweise gerade sicherstellen, dass der Kläger einer sonst verbotenen Tätigkeit nach dem Heilpraktikergesetz ausnahmsweise nachgehen kann (vgl auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 02.03.2004 - 1 BvR 784/03 -, MedR 2005, S.35-37).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Grund nach § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, besteht nicht.

Beschluss vom 17. Februar 2005

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.000,-- EUR festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F., § 72 Nr. 1 GKG n.F.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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