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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 22.10.2003
Aktenzeichen: 9 S 2277/03
Rechtsgebiete: SchulG


Vorschriften:

SchulG § 90 Abs. 2 Nr. 2 g
SchulG § 90 Abs. 6
1. Bereits der erste tätliche Angriff eines Schülers gegen eine Lehrkraft (Faustschlag gegen den Oberarm) in Anwesenheit der Mitschüler kann einen Schulausschluss rechtfertigen. Eine vorherige Androhung des Ausschlusses ist nicht erforderlich, denn diese -mildere- Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme ist keine notwendige Vorstufe des Ausschlusses.

2. Der sofortige Schulausschluss ist insbesondere dann nicht unverhältnismäßig, wenn das sonstige schulische oder außerschulische Verhalten des Schülers eine Neigung zu Gewalttätigkeiten erkennen läßt, die auch künftig die Gefahr weiterer Tätlichkeiten gegen Schüler oder Lehrer begründet.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

9 S 2277/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Schulausschluss

hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Gaber und die Richterin am Verwaltungsgericht Wilke

am 22. Oktober 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. September 2003 - 2 K 1642/03 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 2.000,-- festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Mit Recht hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Schulleiters der xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx in xxxxxxxxx vom 17.07.2003, mit dem er von dem weiteren Besuch der Schule ausgeschlossen wurde, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen. Denn diese kraft Gesetzes sofort vollziehbare Verfügung (vgl. § 90 Abs. 3 Satz 3 SchulG) erweist sich bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach als rechtmäßig. Ein dem besonderen Vollzugsinteresse entgegenstehendes Interesse des Antragstellers, gleichwohl von der Vollziehung dieser Verfügung verschont zu bleiben, vermag der Senat - ebenso wie das Verwaltungsgericht - nicht zu erkennen.

Die vom Schulleiter ausgesprochene Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme hat ihre Rechtsgrundlage in § 90 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe g des Schulgesetzes für Baden-Württemberg vom 01.08.1983 (GBl. S. 397), in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 11.12.2002 (GBl. S. 476). Danach kann der Schulleiter nach Anhörung der Klassenkonferenz einen Schüler aus der Schule ausschließen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten seine Pflichten verletzt und dadurch die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet (§ 90 Abs. 6 Satz 1 SchulG) und das Verbleiben des Schülers in der Schule eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung, die sittliche Entwicklung, Gesundheit und Sicherheit der Mitschüler befürchten lässt (§ 90 Abs. 6 Satz 2 SchulG).

Zutreffend geht das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss davon aus, dass diese Voraussetzungen bei summarischer Prüfung gegeben sind. Auch der Senat ist der Auffassung, dass dem Antragsteller aufgrund des vom Verwaltungsgericht ermittelten Sachverhalts eine durch schweres Fehlverhalten verursachte Pflichtverletzung vorzuwerfen ist, durch die die Erfüllung der Aufgabe der Schule sowie die Rechte anderer gefährdet werden und das Verbleiben des Antragstellers in der Schule zudem eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung sowie die Sicherheit der Mitschüler befürchten lässt. Das Verwaltungsgericht ging nach Anhörung des Antragstellers und der am Vorfall beteiligten Lehrerin davon aus, dass der Antragsteller am 15.07.2003 in der Pause das Mäppchen eines Mitschülers durch das Klassenzimmer geworfen hat, worauf sich dieser veranlasst sah, eine beleidigende Bemerkung über den Antragsteller und dessen Mutter auf ein Heft zu schreiben. Hierauf hat der Antragsteller mit Tätlichkeiten gegenüber dem Mitschüler reagiert. Als die Lehrerin nicht nur für den Mitschüler, sondern auch für den Antragsteller einen Eintrag in das Klassenbuch vornahm, verlor der Antragsteller die Beherrschung und drohte seinen Mitschülern, sie zusammenzuschlagen, falls er von der Schule fliege. Auf die Aufforderung der Klassenlehrerin, mit ihr zum Schulleiter zu gehen, stürzte er sofort in Richtung Türe und fegte dabei Hefte und Bücher von den Tischen, an denen er vorbeikam und schlug die offenstehenden Fenster zu. Die Lehrerin eilte ihm durch den Mittelgang nach und holte ihn im hinteren Bereich des Klassenzimmers ein. Hierbei berührte sie ihn mit der rechten Hand an der Schulter, wobei vom Verwaltungsgericht nicht aufgeklärt werden konnte, wie genau diese Berührung ausgesehen hat. Nach dieser Berührung hat der Antragsteller der Lehrerin in Anwesenheit der Klasse einen gezielten und heftigen Schlag gegen den Oberarm versetzt.

Die Angriffe des Antragstellers gegen diese Sachverhaltsfeststellungen sind nicht gerechtfertigt. Der Antragsteller meint, das Verwaltungsgericht habe sich bei der Feststellung des Sachverhalts weitgehend auf das Protokoll über die Anhörung der Mitschülerinnen und Mitschüler vom 11.09.2003 gestützt, dessen Aussagekraft jedoch angezweifelt werden müsse, da dieses den Schülern vor der Unterzeichnung nur vorgelesen worden sei und sie aus Respekt vor dem Schulleiter keine Möglichkeit gehabt hätten, eine andere Version des Geschehensablaufs zu schildern. Dieser Einwand ist bereits deshalb unzutreffend, weil das Verwaltungsgericht seine Sachverhaltsfeststellung im Wesentlichen nicht auf das Protokoll vom 11.09.2003, sondern auf die eigenen Ermittlungen des Sachverhalts, insbesondere auf die Anhörungen des Antragstellers und der beteiligten Lehrerin im nichtöffentlichen Erörterungstermin vom 11.09.2003 gestützt hat, wobei sich die Angaben der Lehrerin in wesentlichen Punkten auch mit dem Inhalt des Protokolls der Anhörung der Schüler vom 11.09.2003 decken. Auch ist dem Senat nicht ersichtlich, weshalb die Aussagekraft des Protokolls vom 11.09.2003 zweifelhaft sein soll. Zwar wurde dieses Protokoll am 11.09.2003 vom Rektor in Anwesenheit des Konrektors zweimal verlesen, bevor es von den Schülern der ehemaligen Klasse 6a unterzeichnet wurde. Der Sachverhaltsdarstellung im Protokoll liegt jedoch nicht etwa die Sachverhaltsschilderung der Lehrerin zugrunde, sondern die Schilderung von sechs Schülern aus der Klasse (drei Jungen und drei Mädchen), die am 08.09.2003 Gelegenheit hatten, den Vorgang ausführlich dem Schulleiter und dem Konrektor zu schildern (vgl. Abs. 1 des Protokolls vom 11.09.2003, Bl. 117 der Akten des Verwaltungsgerichts). Der Senat hat daher bei summarischer Prüfung keinen Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei dem Schlag des Antragstellers gegen den Oberarm der Lehrerin um einen gezielten tätlichen Angriff und nicht etwa - wie der Antragsteller meint - um eine unglückliche Abwehrreaktion gehandelt hat. Dieser gezielte tätliche Angriff auf eine Lehrerin erfüllt auch die Voraussetzungen des § 90 Abs. 6 Satz 1 und 2 SchulG. Dies hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend und ausführlich dargelegt, weshalb der Senat auf diese Ausführungen Bezug nimmt (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Zutreffend ging das Verwaltungsgericht bei summarischer Prüfung auch davon aus, dass der Schulausschluss frei von Ermessenfehlern verfügt und insbesondere das Gebot der Verhältnismäßigkeit nicht missachtet wurde. Zwar weist der Antragsteller im Ansatz zu Recht darauf hin, dass der Schulausschluss unter allen Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen ultima ratio zu sein hat und erst dann verhängt werden darf, wenn mit milderen Mitteln der angestrebte Erziehungs- und Ordnungszweck nicht oder nicht verlässlich erreicht werden kann. Auch darf der dem Schüler zugefügte Nachteil nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des angestrebten Erziehungs- und Ordnungszwecks stehen. Das hat auch das Verwaltungsgericht nicht verkannt, sondern vielmehr mildere Mittel wegen der Schwere des Fehlverhaltens als untauglich angesehen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass Tätlichkeiten eines Schülers gegenüber einer Lehrerin wesentlich andere Gefahren für das Schulleben verursachen, als die üblichen Auseinandersetzungen zwischen gleichaltrigen Schülern. Diese Tätlichkeiten führen regelmäßig zu einer erheblichen Störung des Schulfriedens, indem sie ein Klima der Einschüchterung und Angst erzeugen und damit eine Gefahr für die Erziehung und Unterrichtung der Mitschüler sowie einen massiven Autoritätsverlust des Lehrers begründen. Auch darf vorliegend nicht übersehen werden, dass der Schulausschluss des Antragstellers in Übereinstimmung mit § 90 Abs. 6 Satz 2 SchulG auch der Sicherheit der Mitschüler dient, was der Schulleiter durch die im Erörterungstermin nachgeschobenen Ermessenserwägungen klargestellt hat (vgl. S. 113 der Akten des Verwaltungsgerichts). Denn sowohl das Verhalten des Antragstellers gegenüber seiner Lehrerin am 15.07.2003, als auch aktenkundige Vorfälle im schulischen und außerschulischen Bereich lassen auf eine erhöhte Gewaltbereitschaft des Antragstellers schließen, die auch in der Zukunft eine nicht unerhebliche Gefahr für die Mitschüler darstellt. So ist insbesondere im Tagebuch der Klasse 5a des Schuljahres 2001/2002 vermerkt, dass der Antragsteller am 21.11.2001 die Mitschülerin V. bei einem Streit geschlagen und die Mitschülerin S. mit Schlägen bedroht hat. Am 18.07.2002 soll sich der Antragsteller mit dem Mitschüler A. geschlagen haben. Auch ist dieser verdächtig, am 15.07.2003, anlässlich der Auseinandersetzung mit seiner Lehrerin, seinen Klassenkameraden gedroht zu haben, diese zusammenzuschlagen, wenn er von der Schule fliege. Diese unbeherrschte Neigung zu Gewalttätigkeiten zeigt sich auch im außerschulischen Verhalten des Antragstellers. So ist dieser verdächtig, am 21.03.2003, gegen 13.00 Uhr, eine Körperverletzung und eine räuberische Erpressung begangen zu haben, indem er im Bereich der neuen Stadthalle in xxxxxxxxxx den geschädigten R. A. durch Festhalten an der Lenkstange seines Fahrrades an der Weiterfahrt gehindert und durch Androhung von Schlägen zur Herausgabe von Geld aufgefordert und sodann dessen Freund N. D. eine Faustschlag ins Gesicht versetzt haben soll (vgl. hierzu die Feststellungen im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft xxxxxxxx - 11 Js 4133/03 -). Wenn auch der Antragsteller die Forderung einer Geldzahlung bestreitet, so lässt sich doch der Einsatz körperlicher Gewalt durch ihn nicht in Abrede stellen. Angesichts der hierdurch zu Tage getretenen erheblichen Gefahr für die körperliche Unversehrtheit und damit für die Gesundheit und Sicherheit der Mitschüler, kommt eine mildere Maßnahme als die Entfernung des Antragstellers von der Schule auch nach Ansicht des Senats nicht in Betracht. Diese Maßnahme fügt dem Antragsteller auch keinen Nachteil zu, der außer Verhältnis zur Bedeutung des angestrebten Erziehungs- und Ordnungszwecks stünde. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Ausschluss nicht auf alle Schulen des Schulorts oder einen noch größeren Bezirk ausgedehnt wurde (vgl. § 90 Abs. 5 SchulG), weshalb es dem Antragsteller freisteht, sich um Aufnahme in einer anderen Realschule zu bewerben. Eine solche Bewerbung erscheint unter bestimmten Voraussetzungen (insbesondere nach schulpsychologischer Beratung und Betreuung des Antragstellers) auch nicht von vorneherein aussichtslos. So wurde ihm bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Möglichkeit des probeweisen Besuchs der Realschule in xxxxxxxxxxx aufgezeigt (vgl. § 90 Abs. 4 S. 2 SchulG).

Die Maßnahme ist auch nicht deshalb rechtswidrig gewesen, weil sie nicht zuvor angedroht wurde. Denn die Androhung des Ausschlusses aus der Schule (§ 90 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe f SchulG) ist eine andere - mildere - Erziehungs- und Ordnungsmaßnahme, aber nicht notwendige Vorstufe des Ausschlusses selbst (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.01.1998 - 9 S 122/98 -). Als mildere Maßnahme ist die Androhung des Schulausschlusses jedoch vorliegend - wie bereits dargelegt- aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens untauglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 25 Abs. 2, 20 Abs. 3, 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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