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Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 30.12.2003
Aktenzeichen: 9 S 2805/03
Rechtsgebiete: VO (EWG) Nr. 1408/71, GK
Vorschriften:
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 2 | |
VO (EWG) Nr. 1408/71 Art. 3 | |
GK Art. 23 | |
GK Art. 24 |
2. Beim baden-württembergischen Landeserziehungsgeld handelt es sich um keine Leistung der öffentlichen Fürsorge im Sinne von Art. 24 der Genfer Konvention; ein Anspruch hierauf ergibt sich auch nicht aus Art. 25 der Genfer Konvention.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
wegen Landeserziehungsgeld
hier: Prozesskostenhilfe
hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Wiegand und Gaber
am 30. Dezember 2003
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 01. Dezember 2003 - 3 K 4009/03 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Gewährung von Landeserziehungsgeld für das am 12.01.2001 geborene Kind xxxxx xxx der Klägerin im Ergebnis mit Recht als aussichtslos angesehen und deshalb den Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
1. Landeserziehungsgeld wird als freiwillige Leistung des Landes nicht auf der Grundlage eines rechtssatzmäßig verbürgten Rechtsanspruchs, sondern lediglich im Rahmen der zu diesem Zweck zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel auf der Grundlage einer Verwaltungsvorschrift gewährt. Die hier maßgebliche Verwaltungsvorschrift (Richtlinien des Ministeriums für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst vom 07.05.2001 (GABl. 2001, S. 904 ff.), im Folgenden: RL-LErzG) erlangt anspruchsbegründende Außenwirkung, in dem die mit der Vergabe der haushaltsrechtlich zur Verfügung gestellten Mittel betraute Stelle allen deutschen (und EU-/EWR-) Staatsangehörigen, die sich in Baden-Württemberg aufhalten, zur Erfüllung eines (Teilhabe-) Anspruchs ausnahmslos - ohne einzelfallbezogene Ermessensentscheidung - Landes-erziehungsgeld gewährt. Die Zulässigkeit dieser Form der Leistungsgewährung ist allgemein anerkannt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 21.8.1990 - 10 S 823/90 -, VBlBW 1991, S. 304 ff, FamRZ 1991, S. 241 ff.; Urt. v. 31.03.1992 - 10 S 1666/90 -, ESVGH 42, S. 259 ff., InfAuslR 1992, S. 200 ff., NVwZ-RR 1993, 83 ff.; Beschl. v. 16.12.1993 - 10 S 1508/93 -, DÖV 1994, S. 484, NVwZ 1995, S. 278 ff.; Urt. vom 15.03.2001 - 1 S 286/00 -, InfAuslR 2001, S. 369 ff. und BVerwG, Urt. vom 06.12.2001 - 3 C 25/01 -).
Nach der - wie ausgeführt maßgeblichen - Verwaltungspraxis der Beklagten steht der Klägerin ein Anspruch auf Erziehungsgeld schon deshalb nicht zu, weil sie nicht antragsberechtigt ist. Nach Nr. 3.1.1 RL-LErzG erhält Landeserziehungsgeld, wer im Bezugszeitraum die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum besitzt. Nach Nr. 3.2 RL-LErzG gilt diese Voraussetzung auch dann als erfüllt, wenn sie beim Ehegatten oder Elternteil oder beim leistungsberechtigten Kind der Antragstellerin vorliegt. Da die Klägerin, ihr Ehemann und das leistungsberechtigte Kind xxxxx xxx die irakische Staatsangehörigkeit besitzen, sind die Voraussetzungen von Nr. 3.1.1 bzw. Nr. 3.2 RL-LErzG nicht erfüllt.
2. Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Europäischen Rates vom 14.06.1971 (ABl. L 149 vom 05.07.1971, S. 2) i. d. Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.06.2001 (ABl. L 187 vom 10.07.2001, S. 1) - VO Nr. 1408/71 -. Denn die Klägerin unterfällt nicht dem persönlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift. Nach Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 gilt die Verordnung für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind oder als Staatenlose oder Flüchtling im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und deren Hinterbliebene. Die Klägerin hat bereits nicht dargelegt, dass sie Arbeitnehmerin, Selbstständige oder Studierende, oder Familienangehörige eines solchen ist. Denn weder sie noch ihr Ehemann gehen in der Bundesrepublik Deutschland einer sozialversicherungspflichtigen (vgl. Art. 1 lit. a VO Nr. 1408/71) oder einer selbständigen Tätigkeit nach. Vielmehr beziehen sämtliche Familienangehörigen Sozialhilfe, was sich aus der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt.
Die Klägerin wohnt zwar als Flüchtling (vgl. Art. 1 lit. d VO Nr. 1408/71) im Bundesgebiet. Es fehlt jedoch - wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführt hat - an einem nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, Urt. vom 11.10.2001 - D 95/99 - C-98/99 und C-180/99 - Khalil und andere -, DVBl. 2002, S. 41 ff.) erforderlichen zwischenstaatlichen Bezug. Nach dieser Rechtsprechung hat die Verordnung Nr. 1408/71 im Wesentlichen zum Ziel, die Anwendung der in den einzelnen Mitgliedstaaten für Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geltenden Systeme der sozialen Sicherheit nach einheitlichen und gemeinschaftsrechtlichen Kriterien sicherzustellen. Zu diesem Zweck stellt sie eine Gesamtheit von Vorschriften auf, die sich insbesondere auf das Verbot der Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit oder des Aufenthaltsortes sowie auf die Aufrechterhaltung der Ansprüche gründen, die der Arbeitnehmer nach dem System oder den Systemen der sozialen Sicherheit, die für ihn gelten oder gegolten haben, erworben hat. Daher ist die Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere ihr Art. 3, und Art. 51 EWG-Vertrag (jetzt Art. 42 EGV), der eine ihrer Rechtsgrundlagen darstellt, nicht auf Sachverhalte anwendbar, die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen. Das ist auch dann der Fall, wenn die Situation eines Flüchtlings, der im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnt, lediglich Bezüge zu einem Drittland und diesem Mitgliedsstaat aufweist (vgl. EuGH, Urt. vom 11.10.2001, a.a.O.). Denn die genannten Vorschriften sollen die Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union und nicht die Freiheit der Einreise in die Union gewährleisten (vgl. VG Stuttgart, Urt. vom 28.11.2002 - 1 K 1246/02 - und VG Karlsruhe, Urt. vom 18.07.2002 - 6 K 2487/99 -).
Einen solchen Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union weist die Situation der Klägerin nach Aktenlage nicht auf. Denn sie ist, ebenso wie ihr Ehemann, aus dem Irak in die Bundesrepublik Deutschland eingereist; ihr Kind, für das sie Erziehungsgeld beansprucht, ist im Bundesgebiet geboren.
3. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ergibt sich ein Anspruch auf Landeserziehungsgeld auch nicht aus Art. 23, 24 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention - GK -) vom 18.07.1951, das in der Bundesrepublik Deutschland am 22.04.1954 in Kraft getreten ist (BGBl. 1954 II S. 619). Nach Art. 23 GK gewähren die vertragsschließenden Staaten den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen. Mit seiner Zielsetzung, die Erziehungskraft der Familie zu stärken und ihre Erziehungsleistung anzuerkennen (vgl. Nr. 1 RL-LErzG), stellt das Landeserziehungsgeld jedoch keine Leistung der öffentlichen Fürsorge dar. Denn das Landeserziehungsgeld führt - ebenso wie das Bundeserziehungsgeld - nicht zu einer Minderung der Sozialhilfe, sondern wird zusätzlich gewährt. Das Gesamteinkommen liegt damit stets über dem Sozialhilfeniveau, weshalb es als familienpolitische Maßnahme nicht der Gewährleistung der sozialen Mindestgarantien dient (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 14.03.1989 - 10 S 3265/88 - und Bundessozialgericht, Urt. vom 05.08.1999 - B 14 EG 3/99 R -). Es handelt es sich daher beim Landeserziehungsgeld allenfalls um eine Leistung der sozialen Sicherheit nach Art. 24 Nr. 1 b GK. Da das Landeserziehungsgeld ausschließlich aus Steuern finanziert wird und nicht zum Bereich der von Art. 23 GK erfassten Sozialhilfe gehört, steht es nach Art. 24 Nr.1 b ii GK unter dem Vorbehalt "besonderer Bestimmungen", weshalb es - wie beim Bundeserziehungsgeld - von einem besonderen Aufenthaltstitel (vgl. Bundessozialgericht, Urt. vom 05.08.1999 - B 14 EG 3/99 R -), oder - wie beim Landeserziehungsgeld - aus finanzwirtschaftlichen Gründen von der Staatsangehörigkeit des Antragsberechtigten abhängig gemacht werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 14.03.1989 - 10 S 3265/88 - und Beschl. vom 19.09.2001 - 9 S 1464/01 -, DÖV 2002, 35 ff., NVwZ-RR 2002, 236 ff.). Da das Landeserziehungsgeld nicht als Arbeitslohn gewährt wird, scheidet ein Anspruch aus Art. 24 Nr. 1 a GK auch dann aus, wenn die Klägerin oder ihr Ehemann Arbeitnehmer wäre.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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