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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 23.01.2001
Aktenzeichen: 9 S 331/00
Rechtsgebiete: LVerf, SchG


Vorschriften:

LVerf Art. 11
LVerf Art. 14 Abs. 2
SchG § 48
SchG § 94
1. Lernmittel im Sinne des Schulgesetzes für Baden-Württemberg sind Gegenstände, die für den Unterricht nach Anordnung der Unterrichtsverwaltung notwendig und zur Nutzung durch den einzelnen Schüler bestimmt sind.

2. Das Kultusministerium ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung den Begriff des Lernmittels näher abzugrenzen sowie abstrakt festzulegen, welche Lernmittel je nach Schulart und -form, nach Typ und Zug (Profil) sowie in jeder Klassen- oder Jahrgangsstufe vorgesehen sind. Die für jeden Schüler konkret notwendigen Lernmittel zu bestimmen, obliegt - im Rahmen der Beschlüsse der Fachkonferenz sowie unter mitwirkender Beratung der Klassenpflegschaft - dem Fachlehrer.

3. Der Schulträger ist verpflichtet, die notwendigen Lernmittel zu beschaffen, ohne dass ihm das Recht zustünde, über die Notwendigkeit einzelner Lernmittel zu bestimmen oder mitzubestimmen. Durch die Regelungen der Lernmittelverordnung wird die Pflicht des Schulträgers hinsichtlich der "kleinen" Lernmittel nicht auf bestimmte Pauschbeträge begrenzt.

4. Das Gebot der Landesverfassung, dass Lernmittel unentgeltlich sind, umfasst nicht nur Schulbücher, sondern grundsätzlich alle Lernmittel.

5. Die Lernmittelfreiheit gilt nicht unmittelbar kraft Verfassung sofort; vielmehr ist der Gesetzgeber aufgerufen, sie stufenweise zu verwirklichen. Jedoch darf der Gesetzgeber eine einmal erreichte Stufe der Unentgeltlichkeit nicht wieder zurücknehmen. Das ließe sich auch nicht mit dem Hinweis auf immanente Grundrechtsschranken rechtfertigen.

6. Die Lernmittelfreiheit unterliegt nur einer Bagatellgrenze. Hiernach können Gegenstände auch ausgenommen werden, um einem Missbrauch vorzubeugen oder wenn ihre Beschaffung einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verursachen würde.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

9 S 331/00

Verkündet am 23.01.2001

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Erstattung aufgewendeter Kosten für Lernmittel

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Huwar, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Gerstner-Heck und den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Rennert

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11. August 1999 - 2 K 2378/98 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Einschluss des Berufungszulassungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger besuchte im Schuljahr 1997/98 die 8. Klasse eines Gymnasiums, dessen Schulträger die Beklagte ist. Im Deutschunterricht wurde im Mai 1998 die Erzählung "Die Outsider" von Susan Hinton behandelt, die als Ganzschrift angeschafft wurde. Der Kläger bezahlte hierfür 9,90 DM. Unter Berufung auf den Grundsatz der Lernmittelfreiheit verlangt er die Rückerstattung dieses Betrages.

Die Beklagte lehnte das Erstattungsbegehren des Vaters des Klägers mit Bescheid vom 28.07.1998 ab. Zur Begründung hieß es, von der grundsätzlich geltenden Lernmittelfreiheit seien Gegenstände geringen Werts ausgenommen. Welche Gegenstände als geringwertig anzusehen seien, bestimme der jeweilige Schulträger, dem für im Lernmittelverzeichnis nicht einzeln genannte Lernmittel wie etwa Ganzschriften vom Land ein Pauschbetrag zur Verfügung gestellt werde. Sie - die Beklagte - habe in Übereinstimmung mit den Schulleitern der Schulen in ihrer Trägerschaft die Grenze auf 10 DM festgelegt. Damit müsse auch die in Rede stehende Ganzschrift noch als Lernmittel von geringem Wert angesehen werden und sei von den Schülern oder ihren Eltern selbst anzuschaffen. - Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Landratsamts Ortenaukreis vom 12.10.1998 zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 10.11.1998 Klage erhoben. Er beruft sich auf Art. 14 Abs. 2 der Landesverfassung, wonach Lernmittel an den öffentlichen Schulen unentgeltlich seien. Das gelte ausnahmslos und damit auch für Gegenstände geringen Wertes. Allenfalls könnten Abstriche hingenommen werden, wenn die Anschaffung eines Lernmittels durch den Schulträger mit einem unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand verbunden wäre. Davon könne aber keine Rede sein; es verursache der Beklagten keinerlei Aufwand, die Ganzschriften zu bezahlen, die der Fachlehrer in der benötigten Anzahl in einem gekauft habe.

Mit Urteil vom 11.08.1999 hat das Verwaltungsgericht Freiburg die Bescheide der Beklagten und des Landratsamts Ortenaukreis aufgehoben und die Beklagte zur Erstattung von 9,90 DM an den Kläger verurteilt. Die Klage sei zulässig; insbesondere habe der Vater des Klägers offensichtlich schon im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren als dessen gesetzlicher Vertreter gehandelt. Die Klage sei auch begründet. Die Beklagte hätte dem Kläger die Lektüre als notwendiges Lernmittel, das "zum Verbrauch" bestimmt sei, unentgeltlich zur Verfügung stellen müssen. Das ergebe sich aus § 94 SchulG. Demgegenüber könne sich die Beklagte nicht darauf berufen, die Lektüre unterliege nach dieser Vorschrift als "Gegenstand von geringem Wert" nicht der Lernmittelfreiheit. Ob der Gesetzgeber das Verfassungsgebot der Lernmittelfreiheit überhaupt einschränken dürfe, müsse bezweifelt werden. Allenfalls dürfe er eine Bagatellgrenze vorsehen. Der Verfassungsgeber habe 1953 einen Betrag von 1 DM je Lernmittel als Bagatelle angesehen. Schreibe man dies bis 1998 fort, so ergebe sich eine Obergrenze von 3,65 DM. Ein höherer Selbstbehalt sei keinesfalls zulässig, zumal wenn in Rechnung gestellt werde, dass für jeden Schüler in jedem Schuljahr mehrere derartige Lernmittel anfielen und sich die Ausgaben für Familien mit mehreren Kindern summierten. Die Landesverfassung gewähre die Lernmittelfreiheit auch nicht lediglich als Teilhaberecht, das unter dem Vorbehalt des finanziell Möglichen stehe, sondern als unbedingtes subjektives Recht. Schließlich sei auch nicht erkennbar, dass der Beklagten bei der Beschaffung von Lektüren ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand entstehe.

Mit Zulassung durch den Senat hat die Beklagte gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Sie macht geltend, ihre Praxis, derzufolge Gegenstände, die 10 DM oder weniger kosten, nicht unentgeltlich zur Verfügung gestellt würden, sei mit dem geltenden Recht vereinbar. Nach § 94 SchulG seien Gegenstände "von geringem Wert" keine Lernmittel, die der Lernmittelfreiheit unterliegen. Den damit eröffneten Wertungsspielraum habe sie, die Beklagte, fehlerfrei ausgefüllt. Das zeigten Geschichte und Zweck der Gesetzesregelung. Die Vorgängervorschriften von § 94 SchulG hätten zunächst eine bezifferte Unentgeltlichkeitsgrenze gezogen, die ab 1955 bei 1 DM gelegen habe und 1981 auf 5 DM angehoben worden sei. Ziel der Anhebung sei eine Entlastung der kommunalen Schulträger gewesen; diese hätten Einsparungen in Höhe von etwa 25 Mio. DM jährlich erzielt. Mitte der 90er Jahre seien weitere Einsparungen nötig geworden, die eigentlich eine Anhebung der Grenze auf 15 DM erfordert hätten. Um jedoch eine dynamische Anpassung des Grenzbetrags an die sich verändernden Gegebenheiten zu ermöglichen und wiederholte Gesetzesänderungen zu vermeiden, habe sich der Gesetzgeber entschlossen, die Grenze nicht mehr selbst zu fixieren, sondern mit dem Begriff des "geringen Wertes" allgemein zu umschreiben. Damit sei eine Anhebung von 5 DM sogleich auf 15 DM vielleicht nicht zulässig gewesen, jedenfalls aber eine solche auf 10 DM. Das sei auch mit Verfassungsrecht vereinbar. Der Grundsatz der Lernmittelfreiheit gelte nicht uneingeschränkt. Als soziales Grundrecht stehe er vielmehr unter dem Vorbehalt des finanziell Möglichen und müsse außerdem mit dem anderen Verfassungsziel, jedem Schüler die seiner Begabung entsprechende Schulbildung zu vermitteln, in Einklang gebracht werden. Unter dem erstgenannten Gesichtspunkt habe der Gesetzgeber einen Ausgleich herstellen müssen zwischen dem Verfassungsgebot, die Chancengleichheit von Schülern aus wirtschaftlich schwächer gestellten Familien zu gewährleisten, und dem anderen Gebot, die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeindehaushalte zu sichern. Die Schulträger in Baden-Württemberg wendeten je Schüler und Schuljahr bereits 80 DM für Lernmittel auf. Damit sei ihre Belastungsgrenze ersichtlich erreicht. Müssten sie auch Ganzschriften unentgeltlich zur Verfügung stellen, die nicht ausgeliehen werden könnten, sondern ins Eigentum des Schülers übergehen müssten, so stünde zu befürchten, dass nur noch wenige "Klassiker" im Unterricht behandelt werden könnten, aber auf besondere Schülerinteressen und Ausbildungsbedürfnisse nicht mehr eingegangen werden könne. Dies widerspreche dem anderen Verfassungsgebot, jedem Schüler die seiner Begabung entsprechende Schulbildung zu vermitteln. Selbst wenn der Grundsatz der Lernmittelfreiheit einschränkungslos gelten sollte, so unterliege er doch jedenfalls einem immanenten Bagatellvorbehalt. Letztlich sei Wertungsfrage, wo die Grenze zu ziehen sei, wobei wiederum die Entwicklung nicht nur der Einkommensverhältnisse, sondern auch die der Gemeindehaushalte in Rechnung zu stellen sei. Hierbei müsse auch bedacht werden, welche erheblichen Kosten die anstehende Technologisierung der Schulen (Ausstattung mit PCs, Internet-Anschlüssen usw.) verursachen werde. Wenn schon bei Erlass der Verfassungsbestimmung 1953 eine Bagatellgrenze von 1 DM bestanden habe und im Verfassungsausschuss sogar eine solche von 3 DM für einwandfrei bezeichnet worden sei, so stehe nichts entgegen, nunmehr einen Betrag von 10 DM noch als Bagatelle anzusehen, zumal sich das Einkommen eines durchschnittlichen Arbeitnehmerhaushalts seit 1953 nicht nur verdreifacht, sondern verzwölffacht habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 11.08.1999 - 2 K 2378/98 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den Verfassungssatz "Lernmittel sind unentgeltlich" für keiner Relativierung zugänglich. Damit habe der Verfassungsgeber die Chancengleichheit im Bildungswesen verwirklichen wollen und besonders weniger begüterten und kinderreichen Familien den ungehinderten Schulzugang eröffnen wollen. Im Verfassungsausschuss sei ausdrücklich als "Grundsatz" hervorgehoben worden, "dass alles bezahlt werde". Die dort erwähnte Bagatellgrenze habe sich auf Hefte, Bleistifte und ähnliche Lernmaterialien bezogen, die heute selbstverständlich von den Eltern bezahlt würden, aber nicht auf Lernmittel im engeren und eigentlichen Sinne wie Bücher, Zirkel oder Taschenrechner. Die seitherigen Gesetzesänderungen hätten sich von diesem Grundsatz schrittweise entfernt und könnten nicht gebilligt werden.

Der Senat hat über die Berufung mündlich verhandelt; auf die Niederschrift vom 23.01.2001 wird Bezug genommen. Ihm liegen die zur Sache gehörigen Akten der Beklagten (2 Hefte), des Landratsamts Ortenaukreis (1 Heft) und des Verwaltungsgerichts Freiburg (1 Heft) vor. Auf diese und auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Mit Recht hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 9,90 DM zu erstatten, und die entgegenstehenden Bescheide aufgehoben. Die Beklagte war verpflichtet, dem Kläger die Ganzschrift "Die Outsider" von Susan Hinton unentgeltlich zu überlassen. Das ergibt sich aus § 94 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg (SchG) in der Fassung des Art. 3 des Ersten Gesetzes zur strukturellen Entlastung der Gemeindehaushalte und zur Stärkung der Kommunalen Selbstverwaltung (Erstes Gemeindehaushaltsstrukturgesetz) vom 16.12.1996 (GBl. S. 781) - im Folgenden: § 94 SchG 1996 -. Indem der Kläger die Ganzschrift vermittels seines Fachlehrers selbst gekauft hat, nachdem die Beklagte die unentgeltliche Verschaffung von Gegenständen unter 10 DM generell verweigert hat, ist er gewissermaßen in Vorlage getreten und kann Aufwendungsersatz verlangen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 24.04.1980 - XI 1133/78 -, SPE 408 Nr. 2 <Ls> = Holfelder/Bosse <Hrsg.>, Schulrecht Baden-Württemberg, Rechtsprechung, § 94 SchG E 3; Holfelder/Bosse, Schulgesetz für Baden-Württemberg, Handkommentar, 12. Aufl. 1998, Anm. 2 zu § 94 SchG).

1. Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SchG 1996 hat der Schulträger in den öffentlichen Gymnasien (sowie anderen öffentlichen Schulen) den Schülern alle notwendigen Lernmittel mit Ausnahme von Gegenständen geringen Wertes leihweise zu überlassen, sofern die Lernmittel nicht von den Erziehungsberechtigten oder den Schülern selbst beschafft werden; ausnahmsweise hat er sie zum Verbrauch zu überlassen, wenn Art oder Zweckbestimmung des Lernmittels eine Leihe ausschließen. Der Kläger war im Schuljahr 1997/98 Schüler der 8. Klasse eines öffentlichen Gymnasiums, dessen Schulträger die Beklagte ist. Die Ganzschrift "Die Outsider" von Susan Hinton war notwendiges Lernmittel in dieser Klasse im Fach Deutsch, das nach seiner Zweckbestimmung im vorliegenden Fall nicht verliehen werden konnte und daher zum Verbrauch zu überlassen war.

a) Ganzschriften können Lernmittel sein. Lernmittel im Sinne des Schulgesetzes sind Gegenstände, die für den Unterricht nach Anordnung der Unterrichtsverwaltung notwendig und zur Nutzung durch den einzelnen Schüler bestimmt sind. Damit grenzen sich die Lernmittel einerseits von den Lehrmitteln, welche zur Nutzung durch den Lehrer bestimmt sind (vgl. § 35a Abs. 1, § 48 Abs. 2 und 3 SchG), und andererseits von solchen Gegenständen ab, deren Verwendung die Schule dem Schüler freistellt, auch wenn sie nützlich oder üblich sind (z.B. Ranzen, Rucksack, Mäppchen), oder die der Schüler typischerweise ohnehin besitzt (z.B. Sport- oder Schwimmkleidung; vgl. § 94 Abs. 1 Satz 2 SchG). Lernmittel sind damit nicht nur Schulbücher (vgl. § 35a Abs. 1 SchG). Vielmehr können auch sonstige Druckwerke (wie Lexika, Ganzschriften und Arbeitshefte) sowie Lern- und Arbeitsmaterialien (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 SchG) Lernmittel sein, seien diese verbrauchbar (wie Werkstoffe und Kochgut) oder nicht (wie Musikinstrumente, Zeichenplatten und Reißzeuge).

Das Gesetz bestimmt den Umkreis der möglichen Lernmittel nicht näher. Vielmehr ermächtigt es in § 94 Abs. 2 SchG das Kultusministerium, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, welche Lernmittel notwendig und welche davon zum Verbrauch zu überlassen sind. Damit ist das Kultusministerium zwar weder berechtigt noch verpflichtet, die für jeden Schüler konkret "notwendigen" Lernmittel selbst zu bestimmen; das steht vielmehr - im Rahmen der Beschlüsse der Fachkonferenz (§ 45 Abs. 2 SchG) und unter mitwirkender Beratung der Klassenpflegschaft (§ 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 SchG) - zunächst dem Fachlehrer zu, der auch dadurch seine pädagogische Verantwortung wahrnimmt (§ 38 Abs. 2 SchG; vgl. unten b). § 94 Abs. 2 SchG ermächtigt das Kultusministerium aber dazu, den Begriff des Lernmittels gegenüber den Lehrmitteln einerseits und gegenüber der gewöhnlichen Eigenausstattung der Schüler andererseits näher abzugrenzen sowie abstrakt - der Art nach - festzulegen, welche Lernmittel je nach Schulart und -form, nach Typ und Zug (Profil) sowie in jeder Klassen- oder Jahrgangsstufe vorgesehen sind.

Das Kultusministerium hat von dieser Ermächtigung durch Erlass der Verordnung über die notwendigen Lernmittel (Lernmittelverordnung - LMVO) Gebrauch gemacht, deren jüngste Fassung vom 08.01.1998 (GBl. S. 85) - im Folgenden: LMVO 1998 - am 14.03.1998 in Kraft getreten ist und damit für den vorliegenden Rechtsstreit Anwendung findet. Diese Verordnung zählt Ganzschriften zu den Lernmitteln (§ 1 Abs. 2 LMVO 1998). Sie bestimmt zwar nicht mehr, dass und wie viele Ganzschriften für den Unterricht im Fach Deutsch in der 8. Klasse des Gymnasiums der Normalform vorgesehen sind; die Vorgängervorschriften hatten insofern durchweg 3 Ganzschriften vorgesehen (vgl. LMVO 1970, GBl. S. 203; LMVO 1979, K.u.U. S. 657; LMVO 1982, GBl. S. 383, K.u.U. S. 635; LMVO 1983, GBl. S. 397). Daraus lässt sich indes nicht schließen, dass Ganzschriften im Deutschunterricht der 8. Klasse des Gymnasiums nicht (mehr) Verwendung finden dürften. Vielmehr stellt die Verordnung die diesbezügliche Bestimmung der Schule nunmehr frei.

b) Die Ganzschrift "Die Outsider" von Susan Hinton war für den Kläger auch notwendiges Lernmittel. Dafür genügt schon, dass der Fachlehrer diese Erzählung zum Gegenstand seines Unterrichts gemacht und angeordnet hat, dass jeder Schüler die Erzählung als Ganzschrift in einer bestimmten Ausgabe zur Verfügung haben muss (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 24.04.1980, a.a.O.).

Dem steht § 1 Abs. 2 LMVO 1998 nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind die in dem der Verordnung angeschlossenen Lernmittelverzeichnis nicht einzeln genannten Lernmittel, zum Beispiel Lern- und Arbeitsmaterialien, aber auch Ganzschriften und Arbeitshefte, vom Schulträger nur im Rahmen von Pauschbeträgen zur Verfügung zu stellen (soweit es sich im Einzelfall nicht um Gegenstände geringen Werts handelt). Hierdurch wird das Außenverhältnis zum Kläger nicht berührt. Insbesondere wird die Pflicht des Schulträgers, den Schülern die notwendigen Lernmittel unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, hinsichtlich der im Lernmittelverzeichnis nicht einzeln genannten Lernmittel nicht auf diesen Pauschbetrag begrenzt. Eine solche Auslegung der Lernmittelverordnung wäre mit § 94 SchG unvereinbar. Die Regelungen der Lernmittelverordnung über Pauschbeträge entfalten damit Rechtswirkungen lediglich - aber immerhin - im internen Verhältnis zwischen der Schule und dem Schulträger. Dieses Rechtsverhältnis ist geprägt durch die Pflicht des Schulträgers, die notwendigen Lernmittel zu beschaffen (§ 48 Abs. 2 Satz 1 SchG), ohne dass ihm das Recht zusteht, über die Notwendigkeit einzelner Lernmittel zu bestimmen oder mitzubestimmen. Diese Bestimmung obliegt vielmehr allein der Schule, und zwar dem Fachlehrer sowie der Fachkonferenz bzw. dem Schulleiter (vgl. § 2 LMVO 1998). Die Bindung des Schulträgers an die Beschlüsse der Schule kann auch die Lernmittelverordnung nicht beseitigen. Sie sucht jedoch dem Schulträger eine vorwirkende Einflussnahme auf die Beschlüsse der Schule zu sichern, indem der Schule ein von ihm bestimmtes, nach Pauschalen berechnetes Budget vorgegeben wird. Es bedarf keiner Entscheidung, welche Auswirkungen es für das interne Rechtsverhältnis zwischen dem kommunalen Schulträger und dem Land hat, wenn die Schule diesen Rahmen überschreitet. Jedenfalls ließe dies die Pflicht des Schulträgers aus § 94 SchG, die von der Schule als notwendig bezeichneten Lernmittel dem Schüler unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, nicht entfallen.

c) Schließlich war die Ganzschrift "Die Outsider" dem Kläger zum Verbrauch zu überlassen; denn ihre Zweckbestimmung schloss im vorliegenden Fall eine Leihe aus (§ 94 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SchG). Der Klassenlehrer hatte als Zweckbestimmung vorgegeben, dass die Schüler Unterstreichungen im Text der Ganzschrift vornehmen und den Rand mit Anmerkungen versehen sollten. Damit konnte dasselbe Exemplar nicht von mehreren Schülern nacheinander verwendet werden.

d) Einen Selbstbehalt des Schülers sieht § 94 SchG 1996 nicht vor. Auch die frühere Bestimmung, dass von der Unentgeltlichkeit Gegenstände ausgenommen seien, die im Einzelfall nicht mehr als 1 DM bzw. 5 DM kosteten, ließ sich nicht dahin verstehen, dass zu jedem - auch teureren - Lernmittel ein Eigenanteil von 1 DM bzw. von 5 DM zu bezahlen gewesen wäre.

2. Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SchG erstreckt sich die Pflicht des Schulträgers, den Schülern Lernmittel unentgeltlich zu überlassen, nicht auf Gegenstände geringen Wertes. Die Beklagte meint, Lernmittel wie die Ganzschrift "Die Outsider", die weniger als 10 DM kosten, seien hierdurch von der Lernmittelfreiheit ausgenommen. Dem kann nicht gefolgt werden.

Der Gesetzesbegriff "Gegenstände geringen Wertes" ist gerichtlich voll überprüfbar; den kommunalen Schulträgern steht insofern ein Beurteilungsspielraum nicht zu. Die Auslegung des Begriffs hat sich daran zu orientieren, dass § 94 SchG der Verwirklichung des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LVerf) vom 11.11.1953 (GBl. S. 173, m.sp.Änd.) dient. Hiernach sind die Lernmittel an den öffentlichen Schulen unentgeltlich. Dies umfasst grundsätzlich alle Lernmittel (a). Die Lernmittelfreiheit gilt nicht unmittelbar kraft Verfassung sofort; vielmehr ist der Gesetzgeber aufgerufen, sie stufenweise zu verwirklichen. Jedoch darf der Gesetzgeber eine einmal erreichte Stufe der Unentgeltlichkeit nicht wieder zurücknehmen (b). Das ließe sich auch nicht mit dem Hinweis auf immanente Grundrechtsschranken rechtfertigen (c). Der Gesetzgeber ist daher darauf verwiesen, das Verfassungsgebot der Unentgeltlichkeit im Rahmen des einmal Erreichten zu konkretisieren. Diese Konkretisierung erlaubt nicht, eine Ganzschrift im Wert von 9,90 DM als geringwertig von der Lernmittelfreiheit auszunehmen. Auch unter dem Gesichtspunkt zwingender Erfordernisse der Verwaltungspraxis ist das nicht angängig (d).

a) Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf sind die Lernmittel an den öffentlichen Schulen unentgeltlich. Das umfasst nicht nur Schulbücher, sondern grundsätzlich alle Lernmittel.

Allerdings hat der baden-württembergische Verfassungsgeber die Garantie der Lernmittelfreiheit im Jahr 1953 auf dem Hintergrund der Rechtslage erörtert und beschlossen, die für die nördlichen Landesteile kurz zuvor durch das württembergisch-badische Gesetz Nr. 400 über Schulgeld- und Lernmittelfreiheit und über Erziehungsbeihilfen vom 02.08.1951 (RegBl. S. 61) geschaffen worden war. Dieses Gesetz verpflichtete die Träger der öffentlichen Volks- und Berufsschulen zur leihweisen Überlassung nur derjenigen notwendigen Lernmittel, deren Kosten im Einzelfall mehr als 1 DM betragen (§ 2 Abs. 1). Das stellte damals keine bloße Bagatellgrenze dar. Gemeint war vielmehr, "dass insbesondere die zum Verbrauch bestimmten sog. kleinen Lernmittel, wie z.B. Schreib- und Zeichenmaterial und Formulare, aber auch billige Lesehefte, der Lernmittelbeitrag für den Unterrichtsfilm und dgl. von den Eltern zu bezahlen sind" (Verhandlungen des württ.-bad. Landtag, 2. Wahlperiode, Beilage 554, S. 343 f.; vgl. schon Verhandlungen des württ.-bad. Landtag, 1. Wahlperiode, Beilage 1157, S. 1110). Damit beschränkte sich die Lernmittelfreiheit praktisch auf die sog. großen Lernmittel, also im wesentlichen auf die Schulbücher und Atlanten. Bezweckt wurde damit vor allem, die Kosten für die kommunalen Schulträger zu begrenzen; daneben sollte die Verwaltung vereinfacht und einem denkbaren Missbrauch vorgebeugt werden (ebenda; vgl. auch Verhandlungen des württ.-bad. Landtags, 1. Wahlperiode, Niederschrift der 186. Sitzung, S. 4720 <Abg. Schneckenburger>).

Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf nimmt jedoch die sog. kleinen Lernmittel von seinem Gewährleistungsumfang nicht aus. Dagegen spricht schon, dass die Vorschrift nach ihrem Wortlaut die Unentgeltlichkeitsgewähr auf Lernmittel schlechthin bezieht, ohne insofern eine Einschränkung vorzunehmen. Dagegen spricht ferner der Zusammenhang mit Art. 11 LVerf einerseits, Art. 14 Abs. 3 LVerf andererseits. Nach Art. 11 Abs. 1 LVerf hat jeder junge Mensch das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung, und zwar ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage. Dieser Grundsatz leitet das gesamte öffentliche Schulwesen (vgl. Art. 11 Abs. 2 LVerf) und bestimmt damit Sinn und Zweck auch der Lernmittelfreiheit: Die wirtschaftliche Lage des einzelnen Schülers soll vor allem dadurch bedeutungslos werden, dass Unterricht und Lernmittel an den öffentlichen Schulen möglichst völlig unentgeltlich sind. Die Regelung der Kosten weist Art. 14 Abs. 3 LVerf einem besonderen Schullastenausgleich zwischen den kommunalen Schulträgern und dem Land zu. Damit zeigt die Verfassung selbst den Ausweg auf, sollten die Kosten für Schulbau, Schulausstattung und Lernmittel die kommunalen Schulträger überfordern: Eine Entlastung der Kommunen hat durch das Land zu erfolgen, nicht durch die Schüler oder deren Eltern.

Schließlich spricht auch die Geschichte der Verfassungsbestimmung gegen eine Einschränkung des Gewährleistungsumfangs nur auf die sog. großen Lernmittel. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf greift Art. 37 Abs. 1 der Verfassung für Württemberg-Baden vom 24.10.1946 auf, wonach der Unterricht und die Lernmittel in den Volksschulen und den Berufsschulen unentgeltlich sind. Diese Bestimmung wiederum knüpft an die Rechtslage in Württemberg während der Weimarer Zeit an (Verfassungsausschuss der Verfassunggebenden Landesversammlung von Württemberg-Baden, 11. Sitzung am 23.08.1946, in: Sauer <Bearb.>, Quellen zur Verfassung von Württemberg-Baden, 2. Teil, S. 506 ff., 510 f.; vgl. Art. 145 Satz 3 der Reichsverfassung vom 11.08.1919, RGBl. S. 1383, sowie Art. 22 des württ. Volksschulgesetzes vom 17.08.1909, RegBl. S. 178, i.d.F. von Art. 3 des Gesetzes vom 17.05.1920, RegBl. S. 293, und von Art. 19 der Dritten Notverordnung vom 04.12.1931, RegBl. S. 431). Eine Einschränkung des Begriffs der Lernmittel nur auf die sog. großen Lernmittel fand für diese Vorgängernormen nicht statt. Eine solche Einschränkung nahm erstmals das erwähnte württembergisch-badische Gesetz Nr. 400 vom 02.08.1951 vor. Es blieb insofern hinter dem Verfassungsgebot aus Art. 37 Abs. 1 der Verfassung für Württemberg-Baden von 1946 zurück. Das war dem württembergisch-badischen Gesetzgeber auch bewusst; nur meinte er, das Verfassungsgebot aus Kostengründen in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht in einem Zuge sofort verwirklichen zu können (Verhandlungen des württ.-bad. Landtags, 1. Wahlperiode, Beilage 1157, S. 1110, sowie Niederschrift der 186. Sitzung, S. 4720 <Abg. Schneckenburger>). Auch der baden-württembergische Verfassungsgeber von 1953 behielt dem einfachen Gesetzgeber vor, das Verfassungsgebot aus Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf stufenweise zu verwirklichen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 LVerf). Das verstand sich nicht nur der Zeit nach - in Rede standen Zeiträume von fünf bis zehn Jahren -, sondern auch dem Umfang nach (vgl. Verfassungs-Ausschuss, 36. Sitzung, Quellen IV, S. 686 <Abg. Lausen>). Dementsprechend wurde es als noch unvollständige Verwirklichung des Gebots der Lernmittelfreiheit aufgefasst, als der baden-württembergische Gesetzgeber von 1954/55 - nur ein Jahr nach Verabschiedung der Landesverfassung - die Bestimmung aus dem württembergisch-badischen Gesetz Nr. 400, dass auszuleihen nur Lernmittel seien, deren Kosten im Einzelfall mehr als 1 DM betragen, fortführte (§ 9 des Gesetzes über Schulgeld- und Lernmittelfreiheit und Erziehungsbeihilfen vom 31.01.1955, GBl. S. 38); auch insoweit wollte der Gesetzgeber schrittweise vorgehen und behielt die Übernahme auch dieser kleinen Beträge späterer Regelung vor (Landtag von Baden-Württemberg, 1. Wahlperiode, 48. Sitzung, Prot. 1/2091 <KM Simpfendörfer>; Beilage 1/955, S. 1111 und 1112).

Richtig ist freilich, dass der Abgeordnete Lausen in der Verfassunggebenden Landesversammlung auf die 1 DM-Begrenzung aus dem württembergisch-badischen Gesetz Nr. 400 angespielt und geäußert hat: "Darüber ließe sich streiten, ob wir auf zwei oder drei Mark hinaufgehen sollten" (Verfassungs-Ausschuss, 36. Sitzung, Quellen IV, S. 665.). Diese Bemerkung ist jedoch spontan - auf einen Zuruf hin - erfolgt und vereinzelt geblieben. Angesichts des Bisherigen lässt sich aus ihr keinesfalls der Wille des Verfassungsgebers schließen, den Umfang der Verfassungsgarantie schon nach dem Begriff des Lernmittels auf die sog. großen Lernmittel zu beschränken. Dies gilt umso mehr, als der Abgeordnete Lausen die 1 DM-Grenze ersichtlich nicht mit dem gesamten Umkreis der sog. kleinen Lernmittel identifizierte, sondern lediglich an eine Bagatellgrenze dachte. Nachdem nämlich die Stuttgarter Abgeordnete Dr. Diemer rief: "Die Lernmittelfreiheit geht bis zu den Bleistiften!" (ebd. S. 664), antwortete er: "Ich bin nicht der Meinung, dass wir wie bei der Stadt Stuttgart jeden Krimskram und jeden Bleistift und jedes Schreibheft unter die Lernmittelfreiheit fallen lassen sollten" (ebd. S. 665.). Hierauf wird zurückzukommen sein (unten d).

b) Art. 14 Abs. 2 Satz 5 LVerf ermächtigt den Gesetzgeber, die Lernmittelfreiheit stufenweise zu verwirklichen. Dies ist jedoch unumkehrbar; der Gesetzgeber darf eine einmal erreichte Stufe der Unentgeltlichkeit nicht wieder zurücknehmen. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf unterliegt keinem dahingehenden Gesetzesvorbehalt. Auch hierauf ließe sich daher eine Auslegung des Begriffs "Gegenstände geringen Wertes", welche Lernmittel bis zum Wert von 10 DM einschließt, nicht stützen.

Art. 14 Abs. 2 Satz 5 LVerf bestimmt, dass ein Gesetz Näheres regelt. Das bezieht sich nicht nur auf die finanziellen Ansprüche der Privatschulen nach Art. 14 Abs. 2 Sätze 3 und 4 LVerf, sondern auch auf die Unterrichts- und Lernmittelfreiheit an den öffentlichen Schulen nach Art. 14 Abs. 2 Sätze 1 und 2 LVerf (vgl. Verfassungs-Ausschuss, 48. Sitzung, Quellen VI S. 191 ff., sowie die Textfassungen von Art. 15 des Entwurfs nach den Beilagen 825 und 850). Die Vorschrift sieht jedoch nur vor, dass das Gesetz "Näheres regelt", also die nötigen Bestimmungen zur Umsetzung und näheren Ausgestaltung der voranstehenden Verfassungssätze trifft. Insofern bestand insbesondere für Art. 14 Abs. 2 Satz 2 LVerf Regelungsbedarf, wonach die Unentgeltlichkeit von Unterricht und Lernmitteln stufenweise zu verwirklichen ist. Dies ermächtigte den Gesetzgeber, die vollständige Durchführung der Lernmittelfreiheit aufzuschieben und insofern den Grundsatz der Lernmittelfreiheit für eine Übergangszeit einzuschränken. Soweit die Lernmittelfreiheit hiernach verwirklicht ist, hat sich die Aufgabe des Gesetzgebers jedoch nicht erledigt. Es besteht auch für Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf selbst Regelungsbedarf, sei es zur Abgrenzung des Lernmittelbegriffs, sei es zur Festlegung des Rechtsträgers, dem die Herstellung der Unentgeltlichkeit obliegt (vgl. Art. 11 Abs. 3, Art. 14 Abs. 3 LVerf), sei es schließlich zu deren Modalitäten (Leihe oder endgültige Überlassung) oder zu anderen Fragen. Insofern darf der Gesetzgeber die Lernmittelfreiheit jedoch nur konkretisieren und für ihre verwaltungsmäßige Durchführung sorgen; eine Befugnis, den Grundsatz der Unentgeltlichkeit einzuschränken, enthält Art. 14 Abs. 2 Satz 5 LVerf hingegen nicht (ebenso Braun, Kommentar zur Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1984, Rdnr. 11 zu Art. 14; Feuchte <Hrsg.>, Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1986, Rdnr. 11 zu Art. 14).

Vor allem die Entstehungsgeschichte des Art. 14 Abs. 2 LVerf zeigt, dass der Gesetzgeber nicht befugt sein sollte, einen einmal erreichten Stand der Lernmittelfreiheit wieder zurückzunehmen, und zwar auch nicht in Zeiten einer wieder schlechter werdenden öffentlichen Haushaltslage. Während die Wünschbarkeit der Lernmittelfreiheit weitgehend unstrittig war, wurde gerade um diese Frage im Verfassungs-Ausschuss der Verfassunggebenden Landesversammlung gestritten. Die CDU wollte dem künftigen Gesetzgeber weitgehende Entscheidungsfreiheit sichern (Quellen IV, 650 f., 661, 671, 683 f., 687 f., 691 f.), die SPD ihn demgegenüber möglichst festlegen und den Prozess der künftigen Verwirklichung der Lernmittelfreiheit unumkehrbar machen (Quellen IV, 652, 675, 686 f., 691; VI, 193 f.). Nachdem die CDU in der ersten Lesung einen Teilerfolg erzielt hatte (Quellen IV, 696), setzte sich die SPD sowohl in der zweiten Lesung im Verfassungs-Ausschuss (Quellen VI, 197) als auch sodann im Plenum der Verfassunggebenden Landesversammlung durch (Protokoll-Band III, S. 1834 ff., 1847). Das schlug sich in der Aufnahme des Wortes "stufenweise" in den Verfassungstext nieder, das in der vom Verfassungs-Ausschuss in erster Lesung zunächst beschlossenen Entwurfsfassung noch fehlt (vgl. die Synopse in Beilage 850). Die CDU stimmte schließlich im Vollzug eines Verfassungskompromisses ebenfalls zu; sie hatte sich ihrerseits bei der Privatschulfreiheit durchgesetzt (vgl. Pieroth/Kromer, VBlBW 1983, 157 <159>).

Ist der Gesetzgeber mithin nicht durch Art. 14 Abs. 2 Satz 5 LVerf befugt, einen einmal erreichten Stand der Lernmittelfreiheit wieder zurückzunehmen, so verbietet sich eine Auslegung des Begriffs "Gegenstände geringen Wertes" in § 94 Abs. 1 SchulG, der auf eine derartige Rücknahme hinausliefe. Das wäre aber der Fall, wollte man heute Gegenstände im Wert von bis zu 10 DM noch als geringwertig ansehen. Zwar hat der Gesetzgeber seit 1955 stets geringwertige Gegenstände von der Lernmittelfreiheit ausgenommen und deren Ausdehnung auch auf solche Gegenstände künftiger Regelung vorbehalten (vgl. oben a). Jedoch war bis Ende 1981 eine Rückführung dieser Ausnahme zu einer reinen Bagatellgrenze erreicht. Bis dahin galt nämlich die Lernmittelfreiheit für alle notwendigen Lernmittel, deren Kosten im Einzelfall mehr als 1 DM betragen (vgl. § 9 Abs. 1 Gesetz über Schulgeld- und Lernmittelfreiheit und Erziehungsbeihilfen vom 31.01.1955, GBl. S. 38; § 62 Abs. 1 Gesetz zur Vereinheitlichung und Ordnung des Schulwesens - SchVOG - vom 05.05.1964, GBl. S. 235; § 94 Abs. 1 Schulgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 23.03.1976, GBl. S. 410); erst mit Wirkung vom 01.01.1982 wurde die Grenze angehoben (Gesetz vom 24.11.1981, GBl. S. 565). Was Ende 1981 lediglich 1 DM und weniger kostete, kostet heute vielleicht 2 DM, aber keinesfalls 10 DM. Ganzschriften auch in den schulüblichen preiswerten Ausgaben waren schon Ende 1981 längst nicht mehr für 1 DM zu haben.

c) Die Beklagte kann ihre Auslegung des Begriffs der "Gegenstände geringen Wertes" auch nicht auf immanente Schranken des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf stützen.

Ein Einschränkungsvorbehalt ergibt sich zunächst nicht aus dem Wesen des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf als eines Leistungsgrundrechts. Allerdings meint die Beklagte, Leistungs- oder Teilhabeansprüche, die sich unmittelbar aus der Verfassung ergeben, stünden von vornherein und stets unter dem Vorbehalt des dem Staat Möglichen sowie unter dem weiteren Vorbehalt einer anderweitigen staatlichen Prioritätensetzung unter den berührten Gemeinwohlbelangen. Ob dem in dieser Allgemeinheit beizupflichten wäre, bedarf keiner Entscheidung (vgl. BVerfGE 35, 303 <332 ff.>; Murswiek in Isensee/Kirchhof <Hrsg.>, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, 1992, S. 243 ff. <Rdnrn. 57 ff.>). Jedenfalls für Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf lässt sich hieraus nichts gewinnen. Wie bereits erwähnt, steht Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf im Zusammenhang mit Art. 11 LVerf. Diese Bestimmung verpflichtet den Staat, ein öffentliches Schulwesen zu schaffen, in dem jeder junge Mensch ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung finden kann. Hierin liegt das eigentliche Teilhaberecht. Bei der Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens ist der Staat nun allerdings weitgehend frei, auf seine finanziellen Möglichkeiten - einschließlich derjenigen der kommunalen Schulträger - Bedacht zu nehmen; auch darf er das Schulwesen großzügiger oder mit Rücksicht auf andere Gemeinwohlbelange bescheidener ausstatten. Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf gibt ihm jedoch verbindlich vor, dass Unterricht und Lernmittel unentgeltlich zu sein haben, dass die Kosten hierfür also aus allgemeinen Steuermitteln und nicht aus besonderen Beiträgen der Schüler und Eltern aufzubringen sind. Es ist gerade der Sinn dieser Vorschrift, dem Schulgesetzgeber diese verbindliche Vorgabe zu machen (vgl. auch Murswiek, a.a.O., Rdnr. 60; Braun, a.a.O., Rdnr. 11 zu Art. 14 LVerf; Spreng/Birn/Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg, 1954, Anm. 3 zu Art. 14). Eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit und des Gleichgewichts des Ganzen von Staat und Rechtsordnung (vgl. BVerfGE 35, 303 <334>) lässt sich deswegen nicht erkennen. Der Staat hat nämlich selbst in der Hand, den Umkreis der notwendigen Lernmittel festzulegen. Lassen die nicht unbegrenzt verfügbaren Haushaltsmittel oder dringende andere Gemeinwohlbelange eine vielleicht wünschenswerte großzügige Ausstattung der öffentlichen Schulen mit Lernmitteln nicht zu, so müssen die Schulen mit weniger auskommen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der gebotenen Vielfalt des Bildungsangebots in den öffentlichen Schulen. Allerdings begründet sich aus Art. 6 Abs. 2 GG sowie Art. 15 Abs. 3 LVerf die Pflicht des Staates, ein differenziertes Schulangebot zur Verfügung zu stellen (BVerfGE 34, 165 <184>; 96, 288 <303>; vgl. auch BVerfGE 98, 218 <245>). Es ist aber nicht erkennbar, dass der Staat dieser Pflicht nur um den Preis einer teilweisen Einschränkung der Lernmittelfreiheit genügen könnte. Die Beklagte meint, die für einen hinreichend breit angelegten Unterricht in deutscher und fremdsprachlicher Literatur benötigten Texte mit Rücksicht auf ihre angespannte Haushaltslage nicht länger unentgeltlich zur Verfügung stellen zu können; sei sie zur ausnahmslosen Herstellung der Lernmittelfreiheit verpflichtet, so müsse sich der Literaturunterricht auf wenige Klassiker beschränken, wodurch das Vielfaltgebot leiden müsse. Damit dringt sie nicht durch. Zum einen ist nicht dargetan, dass eine gewisse Reduzierung der Zahl der behandelten Ganzschriften zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der gebotenen Vielfalt des Bildungsangebots führen müsste. Ebenso wenig ist erkennbar, dass sich die Kosten für Lernmittel insgesamt nicht durch andere Maßnahmen, etwa durch eine weniger aufwendige Gestaltung der Schulbücher oder eine geringere Frequenz von Neuauflagen begrenzen ließen. Auch Ganzschriften könnten durchaus verliehen werden.

Es ist auch nicht erkennbar, dass die Sorge um die Aufrechterhaltung eines hinreichend vielfältigen Bildungsangebots für die Neuordnung der Lernmittelfreiheit im Zuge des Gesetzes vom 16.12.1996 (GBl. S. 781) bestimmend gewesen wäre. Dieses Gesetz diente der strukturellen Entlastung der Gemeindehaushalte. Die Gemeinden sollten finanziell entlastet werden, indem ihre Leistungsverpflichtungen gegenüber Dritten um solche Positionen bereinigt wurden, die angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte als nicht länger gerechtfertigt erachtet wurden. Betroffen waren so unterschiedliche Materien wie die Pflegedienste, der soziale Wohnungsbau, die Landesblindenhilfe sowie eben die Lernmittelfreiheit im öffentlichen Schulwesen (vgl. die Entwurfsbegründung, LT-Drucks. 12/705). Der Gesetzgeber glaubte, auch hinsichtlich der Lernmittelfreiheit einen Regelungsspielraum zu haben, der es erlaubte, gewisse Kosten für Lernmittel auf die Schüler und deren Eltern zu verlagern. Um die notdürftige Aufrechterhaltung eines hinreichend vielfältigen Bildungsangebots ging es nicht.

Angesichts dessen bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf jedenfalls dann eine Rücknahme der einmal erreichten Lernmittelfreiheit zuließe, wenn die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte derart eingeschränkt sein sollte, dass ein noch eben hinreichendes öffentliches Bildungsangebot unter Aufrechterhaltung des Grundsatzes der Unentgeltlichkeit der Lernmittel selbst bei sparsamstem Lernmitteleinsatz nicht mehr gewährleistet werden könnte. Für eine derartige Fallgestaltung ist nichts ersichtlich. Zudem bestünde dann eine Lage, in welcher der verfassungsändernde Gesetzgeber sich die Frage zu stellen hätte, ob die Unentgeltlichkeitsgarantie ungeschmälert aufrecht erhalten werden kann. Das ist ihm nicht verwehrt; Art. 14 Abs. 2 Satz 1 LVerf ist nicht unabänderlich (darauf wurde bereits in der Verfassunggebenden Landesversammlung hingewiesen: Quellen VI, S. 194).

d) Schließlich vermag auch eine Begrenzung der Lernmittelfreiheit unter anderen Gesichtspunkten nicht zum Erfolg der Berufung zu führen.

Nach dem Vorstehenden lässt Art. 14 Abs. 2 LVerf keine Auslegung von § 94 Abs. 1 Satz 1 SchG zu, welche die Lernmittelfreiheit Begrenzungen zu dem Zweck einer finanziellen Entlastung der Kommunen auf Kosten der Schüler und Eltern unterwirft; in der Ausnahme der "Gegenstände geringen Wertes" kann insofern nur eine reine Bagatellgrenze gesehen werden, die den bis Ende 1981 erreichten Stand von damals 1 DM je einzelnes Lernmittel anhand der Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten fortschreiben mag. Damit ist allerdings die mögliche Auslegung des Begriffs des geringwertigen Gegenstandes nicht erschöpft. Zu beachten ist nämlich, dass den kommunalen Schulträgern nicht verwehrt sein kann, die Lernmittelfreiheit zwar nicht zum Zwecke ihrer eigenen finanziellen Entlastung, wohl aber hiervon unabhängig aus zwingenden Gründen eines zweckentsprechenden Gesetzesvollzugs zu begrenzen, und es erscheint nicht als ausgeschlossen, den Begriff des geringwertigen Gegenstandes auch unter Einbezug solcher Gesichtspunkte auszulegen. Als hinreichende Rechtfertigung für eine Begrenzung erschiene insofern zum einen die Absicht der Verwaltung, einem Missbrauch der Lernmittelfreiheit - auch einer Verschwendung von Lernmitteln - vorzubeugen; das wäre etwa bei Schreib- und Malgeräten, Papier, Heften und Ordnern zu besorgen. Zum anderen dürfte der Schulträger solche Gegenstände von der Lernmittelfreiheit ausnehmen, deren Beschaffung oder deren Kostenerstattung einen Verwaltungsaufwand verursacht, der in keinem Verhältnis mehr zu dem Zweck der Lernmittelfreiheit steht, den Zugang zum öffentlichen Schulwesen jedem Schüler ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und damit grundsätzlich völlig unentgeltlich zu eröffnen. Hierbei müsste freilich mit erwogen werden, ob auf ein derartiges Lernmittel nicht überhaupt verzichtet werden könnte.

Dies bedarf indes keiner weiteren Vertiefung. Jedenfalls wird eine Ganzschrift im Wert von 9,90 DM von diesen Gesichtspunkten nicht erfasst. Weder droht bei ihrer Unentgeltlichkeit ein Missbrauch der Lernmittelfreiheit, noch verursacht ihre Beschaffung einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Ein Grund, die Revision zuzulassen (§ 132 Abs. 2 VwGO), besteht nicht.

Rechtsmittelbelehrung

Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.

Die Beschwerde ist beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Schubertstraße 11, 68165 Mannheim oder Postfach 10 32 64, 68032 Mannheim, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen.

Die Beschwerde muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

In der Begründung der Beschwerde muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

Für das Beschwerdeverfahren besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

Beschluss

vom 23. Januar 2001

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf 9,90 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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