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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 9 S 502/09
Rechtsgebiete: GG, APrO BA Wirtschaft


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
APrO BA Wirtschaft § 9 Abs. 1 Satz 3
Eine zum Rücktritt berechtigende Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne liegt grundsätzlich weder bei Prüfungsangst vor noch bei "Dauerleiden", deren Behebung nicht in absehbarer Zeit erwartet werden kann.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

9 S 502/09

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Wiederholungsprüfung

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 2. April 2009

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 3. Februar 2009 - 7 K 3516/08 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Verfahrens wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf jeweils 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

I. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die behauptete Prüfungsunfähigkeit nicht glaubhaft gemacht worden ist und ein Anordnungsanspruch für die begehrte vorläufige Zulassung zur Wiederholungsprüfung daher nicht angenommen werden kann. Die dem Beschwerdegericht obliegende Prüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe ergibt keine andere Beurteilung (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

1. Die Antragstellerin ist zu den vier im September 2008 angesetzten Wiederholungsprüfungen nicht erschienen. Die begehrte erneute Zulassung zur Wiederholungsprüfung setzt damit voraus, dass die versäumten Prüfungstermine als nicht unternommen bewertet werden können; denn gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung des Wissenschaftsministeriums über die Ausbildung und Prüfung der Berufsakademien im Ausbildungsbereich Wirtschaft i.d.F. vom 27.05.2003 - APrO BA Wirtschaft -, die gemäß §§ 1 Abs. 3, 12 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Errichtung der Dualen Hochschule Baden-Württemberg vom 03.12.2008 (GBl. S. 435) i.V.m. § 25 Abs. 2 der Studien- und Prüfungsordnung vom 11.01.2007 (GBl. S. 21) hier noch Anwendung findet, können diese Prüfungen nur einmal wiederholt werden. Der geltend gemachte Anspruch kann daher nur dann vorliegen, wenn der in § 9 Abs. 1 Satz 3 APrO BA Wirtschaft für einen Rücktritt vorausgesetzte wichtige Grund unverzüglich glaubhaft gemacht worden ist.

Die von der Antragstellerin geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit ist grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Rücktrittsgrund zu begründen; demgemäß nimmt auch § 9 Abs. 1 Satz 4 APrO BA Wirtschaft auf krankheitsbedingte Versäumnisse Bezug. Denn gesundheitliche Beeinträchtigungen, die eine erhebliche Verminderung der Leistungsfähigkeit während der Prüfung bewirken, würden zu einem Prüfungsergebnis führen, das nicht die durch die Prüfung festzustellende wirkliche Befähigung des Kandidaten wiedergäbe. Um die hierin liegende Beeinträchtigung der Chancengleichheit des Prüflings zu verhindern, ist deshalb anerkannt, dass ein durch Erkrankung prüfungsunfähiger Kandidat die Möglichkeit besitzt, von der Prüfung zurückzutreten und diese ohne Anrechnung auf bestehende Wiederholungsmöglichkeiten neu zu beginnen (vgl. etwa Niehues, Schul- und Prüfungsrecht Bd. 2, 4. Aufl. 2004, RdNr. 115).

Anknüpfungspunkt der Anerkennung entsprechender Beeinträchtigungen für den Rücktritt ist daher, dass die im Zustand der Erkrankung erbrachte Prüfung nicht die "normale" Leistung des Prüflings widerspiegelt und seine Erfolgschancen so in unzumutbarer Weise geschmälert wären. Keine Prüfungsunfähigkeit in diesem Sinn kann deshalb angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung auf einer in der Person des Prüflings liegenden generellen Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit beruht. Derartige "Dauerleiden" prägen als persönlichkeitsbedingte Eigenschaften vielmehr das normale Leistungsbild des Prüflings und können auch bei Berücksichtigung des in Art. 3 Abs. 1 GG verankerten prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit nicht berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.12.1985 - 7 B 210/85 -, NVwZ 1986, 377; Senatsurteil vom 27.02.1996 - 9 S 486/95 -). Die Frage, ob eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne führt, macht daher die Unterscheidung erforderlich, ob es sich um eine aktuelle und zeitweise Beeinträchtigung des Leistungsvermögens handelt oder ob die Leistungsminderung auf ein "Dauerleiden" zurückgeht, dessen Behebung nicht in absehbarer Zeit erwartet werden kann und das deshalb auch bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Prüflings berücksichtigt werden muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.07.1995 - 6 B 34/95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 352; Niehues, a.a.O., RdNr. 121).

Nicht als Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne anzuerkennen sind darüber hinaus auch Leistungsminderungen durch Prüfungsstress oder Examensangst, weil derartige Belastungen zum typischen, grundsätzlich jeden Kandidaten treffenden Prüfungsgeschehen gehören. Anderes gilt nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erst, wenn die psychische Beeinträchtigung "über allgemeine Examenspsychosen hinausgeht" und "Krankheitswert" erreicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.07.1995 - 6 B 34/95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 352; vgl. dazu auch Senatsurteil vom 27.02.1996 - 9 S 486/95 -), was grundsätzlich nicht angenommen werden kann, wenn die Angststörung an die spezifische Prüfungssituation gebunden ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.06.2003 - 14 A 624/01 -, NWVBl. 2005, 187 mit Nachweisen zur medizinischen Einordnung).

2. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, eine Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne sei nicht glaubhaft gemacht worden, nicht zu beanstanden.

Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass in den mit dem Rücktrittsgesuch eingereichten ärztlichen Bescheinigungen maßgeblich auf die bestehende Prüfungsangst abgestellt worden ist und diese daher als wesentliche Ursache der Beeinträchtigung erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.11.1994 - 7 C 27/84 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 207). Prüfungsängste berechtigen regelmäßig aber nicht zum Rücktritt, weil es auch zum Wesen einer Prüfung gehört, die Belastbarkeit des Kandidaten unter Prüfungsbedingungen zu messen (vgl. Haas, VBlBW 1985, 161 [166]).

Soweit das Beschwerdevorbringen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Würdigung der ärztlichen Stellungnahmen anzugreifen sucht und unter Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens vorträgt, die depressiven Symptome bestünden bereits seit längerem und seien auch nicht an die anstehenden Wiederholungsprüfungen gebunden, vermag dies der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn auf Grundlage dieses neuen Vortrages wäre zwar von einem Krankheitswert der Beeinträchtigung auszugehen; das attestierte Krankheitsbild wäre aber angesichts der ausgewiesenen "drohenden Chronifizierung" und der allenfalls mittelfristig bestehenden Möglichkeit einer Reintegration ins Berufs- und Studienleben als ein nicht in absehbarer Zeit heilbares Dauerleiden zu qualifizieren (vgl. dazu auch Bay.VGH, Beschluss vom 07.01.2009 - 7 ZB 08.1478 -). Derartige Erkrankungen rechtfertigen zwar möglicherweise eine Beurlaubung, sie können nach den bereits dargestellten Maßstäben aber regelmäßig nicht als zum Rücktritt berechtigende Prüfungsunfähigkeit anerkannt werden.

II. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren muss demnach abgelehnt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 36.4 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004. Der danach anzusetzende Ausgangswert von 5.000,-- EUR ist im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs); eine irreparable Hauptsachevorwegnahme liegt nicht vor, weil die Anerkennung eines etwaigen Prüfungsergebnisses von der Entscheidung im Hauptsacheverfahren abhängig wäre. Der Senat ändert daher auch die Streitwertfestsetzung für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG von Amts wegen, weil keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, die für eine Aufrechterhaltung der unterschiedlichen Streitwertfestsetzungen sprechen könnten.

Hinsichtlich des Prozesskostenhilfeantrags bedarf es weder einer Kostenentscheidung noch einer Streitwertfestsetzung, weil das Prozesskostenhilfeverfahren eine Kostenerstattung nicht kennt (vgl. § 166 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).

Ende der Entscheidung

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