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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.12.2002
Aktenzeichen: 9 S 913/02
Rechtsgebiete: GG, VwGO, PSchG, NGVO


Vorschriften:

GG Art. 7 Abs. 4 Satz 1
GG Art. 12 Abs. 1
VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1
PSchG § 13
NGVO § 34 Abs. 1
NGVO § 34 Abs. 3
NGVO § 36 Abs. 1
Vorschriften über die Abiturprüfung für Schulfremde betreffen die Rechtssphäre der Prüfungsbewerber. Rechte des Trägers einer Privatschule, die solche Schüler auf die Schulfremdenprüfung vorbereitet, werden durch sie nicht berührt.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

9 S 913/02

In der Normenkontrollsache

wegen

Gültigkeit der Abiturverordnung Gymnasien der Normalform (NGVO) vom 24.07.2001

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, die Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Rennert, Noé und Brandt und den Richter am Verwaltungsgericht Reimann auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Antrag wird abgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Antragstellerin betreibt eine private Ergänzungsschule, in welcher sie Schüler, die allgemeinbildende öffentliche oder private Ersatzschulen nicht besuchen können oder wollen, in kleinen Klassen mit besonderer Förderung auf die Rückkehr in eine öffentliche Schule oder auf eine Schulabschlussprüfung (Haupt- oder Realschulabschluss oder Abitur) vorbereitet. Da die Schule der Antragstellerin staatlich nicht anerkannt ist, müssen ihre Schüler eine Schulabschlussprüfung auf öffentlichen Schulen im Wege der Schulfremdenprüfung ablegen.

Die maßgeblichen Vorschriften über die Abiturprüfung für Schulfremde finden sich in der Verordnung des Kultusministeriums über die Jahrgangsstufen sowie über die Abiturprüfung an Gymnasien der Normalform und Gymnasien in Aufbauform mit Heim (Abiturverordnung Gymnasien der Normalform, NGVO), die durch Verordnung vom 24.07.2001, bekannt gemacht am 25.09.2001 (GBl. S. 518), neu gefasst worden ist. Die Vorschriften, soweit hier von Interesse, lauten:

§ 32 Teilnehmer

Wer das Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife erwerben will, ohne Schüler eines öffentlichen oder staatlichen anerkannten privaten Gymnasiums zu sein, kann die Abiturprüfung als außerordentliche Teilnehmerin oder außerordentlicher Teilnehmer (Schulfremder) ablegen.

§ 33 Termin der Prüfung

Die Abiturprüfung für Schulfremde findet einmal jährlich zusammen mit der Abiturprüfung an den öffentlichen Gymnasien statt.

§ 34 Form der Prüfung, Prüfungsfächer

(1) Die Prüfung gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil umfasst vier Fächer, die schriftlich und mündlich geprüft werden. Der zweite Teil umfasst vier weitere Fächer, die nur mündlich geprüft werden. ...

(2) ...

(3) Aus den möglichen Prüfungsfächern wählt der Bewerber die jeweils vier Fächer der beiden Teile der Prüfung. Für die Wahl gelten folgende Bestimmungen:

1. Fächer des ersten Prüfungsteils sind Deutsch, eine Fremdsprache des Pflichtbereichs (§ 8 Abs. 2 Nr. 1), Mathematik und Geschichte.

2. Im ersten Prüfungsteil bestimmt der Bewerber zwei Fächer, in denen die erreichten Punktzahlen mit sechs zu multiplizieren sind (§ 39 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. a).

3. Unter den Fächern des zweiten Prüfungsteils muss eine weitere Fremdsprache sowie eines der Fächer Physik oder Chemie oder Biologie sein.

§ 35 Meldung zur Prüfung

(1) Die Meldung ist bis zum 1. Oktober für die Prüfung im darauf folgenden Jahr an das für den Wohnsitz des Bewerbers zuständige Oberschulamt zu richten. ...

(2) ... (3) ...

§ 36 Voraussetzungen für die Zulassung

(1) Zur Prüfung wird nur zugelassen,

1. wer bis zum 31. Juli des auf den Meldetermin folgenden Jahres das 19. Lebensjahr vollendet hat,

2. ... 3. ... 4. ...

(2) Zur Prüfung werden in der Regel nur solche Bewerber zugelassen, die in Baden-Württemberg ihren ständigen Wohnsitz haben oder an einem staatlich genehmigten privaten Gymnasium oder an einer sonstigen Unterrichtseinrichtung in Baden-Württemberg auf die Abiturprüfung für Schulfremde vorbereitet wurden.

Mit ihrem am 15.04.2002 gestellten Normenkontrollantrag wendet sich die Antragstellerin gegen § 34 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und § 36 Abs. 1 Nr. 1 NGVO 2001. Sie macht geltend: Die baden-württembergischen Vorschriften über die Schulfremdenprüfung seien derart rigide, dass es ihren Schülern nur unter größten Schwierigkeiten möglich sei, die Prüfung überhaupt mit Erfolg zu absolvieren. So werde durch den Zwang, in kurzer Frist - regelmäßig innerhalb von nur zwei oder drei Tagen - mündliche Prüfungen in acht Fächern zu absolvieren, das Recht der Schüler auf Erwerb der allgemeinen Hochschulreife und Zugang zum Studium unverhältnismäßig verkürzt. Durch diese Anforderung würden schulfremde Bewerber auch ohne sachlichen Grund schlechter gestellt als Schüler öffentlicher Gymnasien und als Schüler der privaten Waldorfschulen, für die in den vier bereits schriftlich geprüften Fächern eine zusätzliche mündliche Prüfung für den Regelfall nicht mehr vorgeschrieben werde. Auch in allen anderen Ländern müssten sich schulfremde Bewerber in den vier schriftlich geprüften Fächern regelmäßig keiner zusätzlichen mündlichen Prüfung mehr unterziehen. Schulfremde Bewerber würden aber auch durch die Festlegung der vier schriftlichen Fächer auf Deutsch, Fremdsprache, Mathematik und Geschichte ohne sachlichen Grund benachteiligt und - gerade mit Blick auf die zunehmenden universitären Auswahlverfahren - in ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl unverhältnismäßig beeinträchtigt; denn ihnen werde verwehrt, eine Naturwissenschaft als Kernfach zu wählen und sich dementsprechend zu spezialisieren und zu üben. Schließlich sei kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb schulfremde Bewerber das Abitur ausnahmslos erst in ihrem 19. bzw. 20. Lebensjahr ablegen dürften, während Schüler an öffentlichen Schulen das Abitur zunehmend schon im 18. oder gar 17. Lebensjahr erlangen könnten. Durch all diese Hemmnisse werde auch sie, die Antragstellerin, selbst in ihrem Grundrecht aus Art. 7 Abs. 4 GG verletzt. Zum einen blieben ihr mögliche Schüler fern, die sich wegen der angegriffenen Bestimmungen keine Chance im Abitur ausrechneten, was sie wirtschaftlich treffe. Zum anderen werde ihr faktisch verwehrt, ein naturwissenschaftliches Profil auszubilden; denn eine Naturwissenschaft könne nicht schriftliches Prüfungsfach sein. Schließlich müsse sie die angegriffenen Bestimmungen vollziehen und stehe daher einer Behörde im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gleich.

Die Antragstellerin beantragt,

§ 34 Abs. 1 Satz 2, soweit die dort genannten Fächer obligatorisch auch mündlich geprüft werden, § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 sowie § 36 Abs. 1 Nr. 1 der Abiturverordnung für Gymnasien der Normalform vom 24.07.2001 (GBl. S. 518) für nichtig zu erklären.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hält ihn für unzulässig, weil die Antragstellerin nicht eigene Rechte, sondern lediglich Rechte ihrer Schüler geltend mache. Der Antrag sei aber auch unbegründet. Die angefochtenen Bestimmungen seien rechtmäßig. Ein Vergleich mit anderen Ländern könne die Rechtswidrigkeit nicht begründen; denn Baden-Württemberg sei nicht gehindert, eigene Anforderungen zu stellen, solange nur die Mindestanforderungen gewahrt seien, die von der Kultusministerkonferenz der Länder bindend vereinbart seien. Im Vergleich mit den Schülern öffentlicher Schulen seien die Anforderungen zu berücksichtigen, die diesen in den letzten zwei Schuljahren des Gymnasiums insgesamt auferlegt würden und die durch die Neufassung der Abiturverordnung noch einmal erhöht worden seien; eine grundlose Schlechterstellung der schulfremden Bewerber, deren Prüfungsbedingungen unverändert geblieben seien, lasse sich dabei nicht feststellen. Das Mindestalter von 19 Jahren stelle zum einen die hauptsächliche Funktion der Schulfremdenprüfung in Rechnung, auch Schülern mit einer unregelmäßigen Schulbiographie, denen andernfalls nur der "zweite Bildungsweg" verbliebe, einen weiteren Zugang zum Abitur zu eröffnen, und suche zugleich zu verhindern, dass vermögende Eltern ihre Kinder aus der öffentlichen Schule abmeldeten und durch Nachhilfe oder Ergänzungsschulen beschleunigt auf die Schulfremdenprüfung vorbereiteten; das widerspräche der sozialen Integrationsfunktion der öffentlichen Schule und bedeutete zudem eine grobe Ungerechtigkeit gegenüber denjenigen, die sich diesen Weg nicht leisten könnten.

Der Senat hat über den Normenkontrollantrag mündlich verhandelt. Auf die Niederschrift vom 17.12.2002 wird verwiesen. Es haben die die Neufassung der Abiturverordnung sowie die die Antragstellerin betreffenden Akten des Kultusministeriums vorgelegen. Außerdem hat der Senat die Akten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe - 1 K 703/02 und 1 K 1091/02 - und hierbei die die Antragstellerin betreffenden Akten des Oberschulamts Karlsruhe beigezogen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Der Normenkontrollantrag ist unzulässig. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann eine Behörde einen solchen Antrag stellen, wenn ihr der Vollzug der angegriffenen Vorschrift obliegt. Darauf kann sich die Antragstellerin ersichtlich nicht berufen; weder ist sie eine Behörde, noch obliegt ihr der Vollzug der hier angegriffenen Bestimmungen. Im übrigen kann einen solchen Antrag nur stellen, wer geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Auch daran fehlt es. Die Antragstellerin behauptet, dass die angegriffenen Vorschriften Rechte ihrer Schüler verletze; eine Verletzung in ihren eigenen Rechten macht sie hingegen nicht geltend.

Die Antragstellerin betreibt eine Privatschule, die von beiden Beteiligten als Ergänzungsschule im Sinne von § 13 des Gesetzes für die Schulen in freier Trägerschaft (Privatschulgesetz - PSchG) i.d.F. vom 01.01.1990 (GBl. S. 105), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.07.2000 (GBl. S. 534), angesehen wird. Damit nimmt sie ihr Grundrecht aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG wahr. Hierdurch wird jedermann das Recht zur Errichtung von privaten Schulen gewährleistet; das umfasst auch Ergänzungsschulen. Art. 14 Abs. 2 LV enthält demgegenüber keine Rechte für bloße Ergänzungsschulen. Kennzeichnend für eine Privatschule im Sinne des Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG ist, dass in ihr ein eigenverantwortlich geprägter und gestalteter Unterricht erteilt wird, insbesondere im Hinblick auf die Erziehungsziele, die weltanschauliche Basis, die Lehrmethode und die Lehrinhalte (BVerfG, Urt. vom 08.04.1987 - 1 BvL 8/84 u.a. -, BVerfGE 74, 40 <61 f.>; Beschluss vom 16.12.1992 - 1 BvR 167/87 -, BVerfGE 88, 40 <46>; Beschluss vom 09.03.1994 - 1 BvR 682/88 u.a. -, BVerfGE 90, 107 <114>). Es ist nicht erkennbar, dass dieses Recht der Antragstellerin durch oder infolge der angegriffenen Bestimmungen irgendwie beeinträchtigt würde. Es steht der Antragstellerin unverändert frei, ihren Unterricht so zu gestalten, wie sie es für richtig hält. Namentlich ist ihr unbenommen, besonderes Gewicht auf den Unterricht in den Naturwissenschaften zu legen. Natürlich entfalten Prüfungsanforderungen Rückwirkungen auf die Prüfungsvorbereitung. Wenn die Antragstellerin es sich zum Ziel setzt, Schüler auf die staatliche Schulfremdenprüfung vorzubereiten, so wird sie in der Gestaltung ihres Unterrichts daher auf die Regelung dieser Schulfremdenprüfung Rücksicht nehmen müssen. Allein hierdurch wird ihr Recht zur Errichtung und zum Betrieb einer privaten Schule jedoch nicht berührt. Der Antragstellerin steht frei, sich dieses oder ein anderes Ziel ihres Unterrichts zu setzen.

Ebensowenig ist ersichtlich, dass die Antragstellerin in einem Recht auf den wirtschaftlichen Bestand ihrer Privatschule betroffen wäre. Aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG ließe sich ein solches Recht nicht herleiten; diese Vorschrift gewährleistet nur die wirtschaftliche Existenzfähigkeit des Privatschulwesens als solches, die hier nicht in Rede steht, nicht aber die Existenzfähigkeit einer jeden einzelnen Privatschule (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.06.1974 - 1 BvR 82/71 -, BVerfGE 37, 314 <319 f.>; BVerwG, Urt. vom 30.11.1984 - 7 C 66.82 -, BVerwGE 70, 290 <292>; Senat, Urt. vom 12.01.2000 - 9 S 317/98 -). Aber auch das Grundrecht der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG ist nicht berührt. Hiernach steht ihr lediglich das Recht auf Teilnahme am Markt zu, wie dieser denn besteht, nicht hingegen ein Recht auf Verbesserung der Marktbedingungen. Insbesondere umfasst das Grundrecht keinen Anspruch auf wirtschaftlichen Erfolg und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten (st. Rspr.; vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 26.06.2002 - 1 BvR 558/91 u.a. -, NJW 2002, 2621 <2622>). Soweit die Antragstellerin befürchtet, wegen der vorliegend angegriffenen Bestimmungen über die Schulfremdenprüfung bestimmte Schüler nicht mehr gewinnen zu können, kann sie sich daher auf Art. 12 Abs. 1 GG nicht berufen. Das gilt sowohl für die behauptete Benachteiligung von Schülern mit besonderen Neigungen und Begabungen auf den Gebieten der Naturwissenschaften als auch für den Ausschluss von Schülern, die bis zum dem 1. August des Jahres der Prüfung ihr 19. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Soweit die Antragstellerin schließlich eine Missachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) rügt, macht sie ebenfalls nicht eine eigene Schlechterstellung geltend. Eine solche ist auch nicht erkennbar. Die Bestimmungen der Schulfremdenprüfung gelten für jedermann und damit nicht gerade nur für die Schüler der Antragstellerin; sie bestimmen damit die Bedingungen der wirtschaftlichen und pädagogischen Betätigung einer jeden derartigen Privatschule in Baden-Württemberg und nicht allein die Bedingungen für die Antragstellerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Ein Grund nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, besteht nicht.

Beschluss

vom 17. Dezember 2002

Der Streitwert wird auf 4.000 EUR festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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