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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 25.07.2005
Aktenzeichen: 9 S 947/05
Rechtsgebiete: GG, TierSchG, ViehVerkV, AGTierSG, Verordnung (EG) Nr. 1760/2000


Vorschriften:

GG Art. 20a
TierSchG § 5 Abs. 3 Nr. 7
ViehVverkV § 24d Abs. 1
ViehVverkV § 24d Abs. 4
AGTierSG § 1 Abs. 3
Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 Art. 4
Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 Art. 6
1. Aufgrund der Viehverkehrsverordnung und der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 müssen grundsätzlich Rinder mit zwei Ohrmarken (je Ohr eine) gekennzeichnet werden. Dies gilt auch für die eher kleinwüchsige Rasse der Hinterwälder-Rinder.

2. Die Kennzeichnung von Rindern durch injizierbare Transponder anstelle der Ohrmarken entspricht nicht der (derzeitigen) Rechtslage.

3. Die Freilandhaltung von Hinterwälder-Rindern ist keine "kulturelle Veranstaltung" im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 und befreit nicht von der Pflicht der Ohrmarkenkennzeichnung.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

9 S 947/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Kennzeichnung von Rindern

hier: Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wiegand und die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Neu

am 25. Juli 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12. April 2005 - 6 K 407/05 - wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe:

Die statthafte und rechtzeitig eingelegte Beschwerde ist auch sonst zulässig. Hinsichtlich der versäumten Beschwerdebegründungsfrist (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) ist der Antragstellerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) zu gewähren, da sie ohne Verschulden gehindert war, die einmonatige Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.

Der mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 12.04.2005 war ausweislich des Empfangsbekenntnisses den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin am 15.04.2005 zugestellt worden, so dass die Beschwerdebegründungsfrist am Dienstag nach Pfingsten, dem 17.05.2005, abgelaufen ist. Der Beschwerdebegründungsschriftsatz vom 12.05.2005 ging aber erst am 18.05.2005 und damit verspätet beim Gerichtshof ein. Diese Verspätung beruht jedoch nicht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin, das dieser zuzurechnen wäre. Er hat nach gerichtlichem Hinweis auf die Verspätung der Beschwerdebegründung innerhalb der einmonatigen Wiedereinsetzungsfrist (§ 60 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. VwGO) einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt und diesen mit der anwaltlichen Versicherung begründet, der Schriftsatz vom 12.05.2005 sei von ihm korrigiert und am 13.05.2005 ausgedruckt, unterschrieben und dann in den Postversand gebracht worden. Der Senat hat keine Veranlassung, an dieser Versicherung zu zweifeln. Bei normalen Postlaufzeiten durfte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin davon ausgehen, dass trotz des Pfingstwochenendes der am Freitag in den Postversand gebrachte Schriftsatz spätestens am Dienstag bei Gericht eingehen wird (vgl. auch BVerwG - Disziplinarsenat -, Beschluss vom 15.01.1997 - 1 DB 24/96 -).

Die Beschwerde ist aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat mit ausführlicher und zutreffender Begründung den Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung des Landratsamts Konstanz vom 23.02.2005 abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

Zu Recht hat das Landratsamt unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Antragstellerin verpflichtet, alle, auch in Zukunft, von ihr gehaltenen nicht gekennzeichneten Rinder mit zwei vom LKV Stuttgart ausgegebenen gleichen Ohrmarken (eine Ohrmarke in jedem Ohr) zu kennzeichnen (Nr. 1 der Verfügung vom 23.02.2005).

Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 1 Abs. 3 des Gesetzes zur Ausführung des Tierseuchengesetzes (AGTierSG) in der hier maßgeblichen Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Tierseuchengesetzes und anderer Gesetze vom 11.03.2004 (GBl. S. 112). Danach erlässt die zuständige Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen die erforderlichen Anordnungen und trifft sonstige Maßnahmen zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen die Vorschriften des Tierseuchenrechts. Die Verordnung zum Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen im Viehverkehr (Viehverkehrsverordnung - ViehVerkV) in der Fassung vom 24.03.2003 (BGBl. I S. 381) ist eine tierseuchenrechtliche Regelung. Nach § 24d Abs. 1 Nr. 1 ViehVerkV sind Rinder, die im Inland geboren sind, durch den Tierhalter innerhalb von sieben Tagen nach der Geburt zu kennzeichnen nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juli 2000 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern und über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates (ABl. EG Nr. L 204 S. 1) in der jeweils geltenden Fassung. Die Kennzeichnung erfolgt gemäß § 24d Abs. 4 ViehVerkV - sofern sich aus der Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 sowie den zu ihrer Durchführung erlassenen Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft nichts anderes ergibt - durch Ohrmarken, und zwar mit zwei, in jedem Ohr eine (VO(EG) 1760/2000 Art. 4 Abs. 1).

Diese Verpflichtung trifft auch die Antragstellerin für die von ihr gehaltenen Hinterwälder-Rinder. Entgegen ihrer Ansicht ist die Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 hinsichtlich der Kennzeichnungspflicht von Rindern mit zwei Ohrmarken nicht außer Kraft getreten. Die Verordnung ist in ihrer Gültigkeit für die Zukunft nicht zeitlich begrenzt. Ihr Art. 4 Abs. 7, der bestimmt, dass spätestens zum 31. Dezember 2001 das Europäische Parlament und der Rat auf der Grundlage eines Berichts und etwaiger Vorschläge der Kommission nach dem Verfahren des Art. 95 des Vertrages beschließen, ob in Anbetracht der in diesem Bereich erzielten Fortschritte elektronische Kennzeichnungsvorrichtungen eingeführt werden können, enthält eine solche Befristung nicht. Solange das Europäische Parlament und der Rat den von der Antragstellerin bevorzugten Einsatz einer elektronischen Kennzeichnung nicht beschlossen haben, verbleibt es bei der Ohrmarkenpflicht. Den von der Verordnung angesprochenen Bericht hat die Kommission im Übrigen am 25.01.2005 erstellt (Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Möglichkeit der Einführung der elektronischen Kennzeichnung von Rindern vom 25.01.2005 KOM (2005) 9 endgültig); auch der Rechnungshof der Gemeinschaft hat einen Sonderbericht Nr. 6/2004 über die Umsetzung des Systems zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern in der Europäischen Union, zusammen mit den Antworten der Kommission, vorgelegt (ABl. C 29/1 ff. vom 04.02.2005). Auch die Kommission geht in ihrer Verordnung (EG) Nr. 911/2004 vom 29. April 2004 (ABl. L 163/65 ff. vom 30.04.2004) von der Weitergeltung der genannten Verordnung aus.

Auch wenn es sich bei den Hinterwälder-Rindern - was die Antragstellerin mehrfach betont - um die kleinste mitteleuropäische Rinderrasse handelt (Gewicht der Kühe etwa 400 bis 450 kg), ändert dies nichts daran, dass sie der Verordnung (EG) 1760/2000 unterfallen. Die Kleinwüchsigkeit einer Rinderrasse entbindet nicht von der Verpflichtung zur Ohrenmarke, lediglich deren Größe kann bis auf ein Mindestmaß beschränkt werden (§ 24d Abs. 4 Satz 3 ViehVerkV).

Die von der Antragstellerin vorgesehene und gewünschte Kennzeichnung mit "subkutan injizierten Transpondern" käme allenfalls dann in Betracht, wenn die Rinder für kulturelle oder sportliche Veranstaltungen bestimmt wären (Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 Art. 4 Abs. 1). Dies ist nicht der Fall. Zwar mag das Abweiden von Wiesen der Kulturlandschaft zugute kommen. Eine kulturelle Veranstaltung im Sinne der Verordnung ist dies - entgegen der Ansicht der Antragstellerin - zweifelsfrei nicht.

Von einem Verstoß "gegen die im Grundgesetz garantierten Tierrechte", wie die Antragstellerin meint, kann keine Rede sein. Die Kennzeichnung von Rindern dient dazu, ein hohes Schutzniveau der öffentlichen Gesundheit zu erhalten (Verordnung (EG) Nr. 1760/2000 Nrn. 6 und 7), indem die Rückverfolgung gefährlicher Erkrankungen von Tieren, die (auch) zu erheblichen Gesundheitsschädigungen beim Menschen führen können, sichergestellt wird. Die Anbringung von Ohrmarken ist eine gebräuchliche Art der Tierkennzeichnung, die nach Ansicht des Gesetzgebers sogar ohne Betäubung zulässig ist (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 7 TierSchG). Dass diese Regelung nach der Erwähnung des Tierschutzes in Art 20a GG verfassungswidrig geworden wäre, behauptet selbst die Antragstellerin nicht. Für ernsthafte Verletzungen des Tieres durch den Versuch, die Ohrmarken abzuschütteln, hat die Antragstellerin nichts Substantielles vorgebracht. Im Übrigen wären etwaige Verletzungen am Ohr des Rindes angesichts des hohen Wertes des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung hinzunehmen.

Die Antragstellerin ist damit verpflichtet, ihre Hinterwälder-Rinder mit Ohrmarken zu versehen und ihr Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dieses anordnende Verfügung des Landratsamtes ist zu Recht vom Verwaltungsgericht abgelehnt worden.

Ausführungen zur Zwangsgeldandrohung in der Verfügung des Landratsamtes vom 23.02.2005 (dort Nr. 3) finden sich in der Beschwerdebegründung nicht. Es erübrigen sich daher Ausführungen des Senats hierzu (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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