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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 25.11.2004
Aktenzeichen: A 12 S 1189/04
Rechtsgebiete: GG, AuslG


Vorschriften:

GG Art. 16a Abs. 1
GG Art. 16a Abs. 2
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 53
1. Kurden steht derzeit und auf absehbare Zukunft eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung (Bestätigung der ständigen Senatsrechtsprechung).

2. In die Türkei zurückkehrende Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit sind hinreichend sicher davor, asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt zu sein (Bestätigung und Fortschreibung der Senatsrechtsprechung). Dies gilt insbesondere auch im Anwendungsbereich des Amnestiegesetzes Nr. 4616.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

A 12 S 1189/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Anerkennung als Asylberechtigter, Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG und Abschiebungsandrohung

hat der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kuntze, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Utz und den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Weis auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17. Februar 2004 - A 5 K 10894/02 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 01.02.1963 in Besiri/Batman (Türkei) geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger moslemischen Glaubens und laut seinen Angaben kurdischer Volkszugehörigkeit. Am 26.02.2001 meldete er sich in der Landesaufnahmestelle Karlsruhe als Asylsuchender. Als Einreisedatum in die Bundesrepublik Deutschland nannte der Kläger den 26.02.2001.

Der Kläger wurde am 01.03.2001 und 15.03.2001 vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu seinem Asylbegehren angehört. Er gab an: Bis zur Ausreise aus seinem Heimatland habe er sich in seinem Geburtsort aufgehalten. Per Flugzeug sei er am 20.02.2001 von seinem Wohnort aus nach Istanbul geflogen, wo er zwei Tage geblieben sei. Von Beruf sei er Marmorbearbeiter. Er habe auch Fliesen verlegt. Mit der Arbeit als Fliesenleger habe er 1990 angefangen und sich 1996 selbständig gemacht. Diese Tätigkeit habe er bis zu seiner Ausreise verrichtet. Das Geschäft habe er dann seinen Brüdern überlassen. Nach einem zweitägigen Aufenthalt in Istanbul sei er mit der ATT nach Stuttgart geflogen. Auf die Sitzplatznummer im Flugzeug habe er nicht geachtet. Der Schlepper habe gesagt, er solle ihm folgen. Sie seien hinten in das Flugzeug eingestiegen und dort sitzen geblieben. In Istanbul sei er durch zwei Kontrollen und hier in Deutschland durch eine Kontrolle gegangen. Der Schlepper habe alles mit den Pässen erledigt. Im Reisepass habe sich das Ticket und noch eine weitere Karte befunden. Was das im einzelnen gewesen sei, wisse er nicht. Er habe nicht hineinschauen dürfen. Unter welchem Namen er gereist ist, wisse er nicht. Der Schlepper habe ihm nicht erlaubt, in den Pass zu schauen. Dem Schlepper habe er 6.500 DM bezahlt.

In der Türkei sei er viermal verhaftet und verurteilt worden. Das Ganze habe sich 1997 bis 1998 verstärkt. Er sei nicht früher ausgereist, weil er immer gehofft habe, dass sich die Situation ändern werde. Eine positive Situation sei aber nicht eingetreten. Er habe deshalb befürchten müssen, dass er zu zwölf Jahren verurteilt werde. 1991 sei er in Batman in Haft gewesen. Er sei zusammen mit seinem Vater mitgenommen, sechs Tage festgehalten und dann freigelassen worden. Nach dem Ereignis 1991 in Batman sei er nach Mersin gegangen. Am 16.03.1993 sei bei ihm eine Wohnungsdurchsuchung durchgeführt und er sei von der Staatsanwaltschaft in das Gefängnis nach Malatya für fünf Monate eingewiesen worden. Im August 1993 sei er entlassen worden und anschließend in seinen Heimatort zurückgekehrt. 1997 sei er das dritte Mal, wiederum in Batman, festgenommen worden. Er sei einem Staatsanwalt überstellt und zwei Tage festgehalten worden. Der Grund sei gewesen, dass man eine Telefonüberwachung durchgeführt habe. Weil es aber nicht sein Telefonanschluss gewesen sei, sei er wieder freigelassen worden. Die Sache habe ihn nicht betroffen. 1998 hätten wegen der Verhältnisse in den Haftanstalten Hungerstreiks stattgefunden. Er sei festgenommen und dem Staatsanwalt übergeben worden. Er habe sich sieben Tage in Haft befunden. Er sei dem Staatssicherheitsgericht überstellt, dann aber freigelassen worden. Er sei Mitglied der HADEP gewesen. 1998 hätten die Hungerstreiks wegen der Zustände in den Gefängnissen stattgefunden. Daran habe er nicht teilgenommen. Er habe sich zu Hause aufgehalten. Er sei dennoch festgenommen worden und man habe behauptet, er hätte zur Unterstützung Öcalans an den Hungerstreiks teilgenommen. Vor Gericht habe er angegeben, dass er Öcalan nicht unterstützt habe, dass er an den Hungerstreiks gar nicht teilgenommen habe. Dennoch sei ein Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht gelaufen. Diesem Urteil nach sei er freigesprochen worden. Er habe aber dennoch einen Eintrag erhalten, so dass er als Vorbestrafter gelte. 1997 sei er wegen der Telefonabhöraktion dem Staatsanwalt überstellt worden. Es gebe ein Urteil, das sich gegen ihn und gegen seine zwei Brüder richte. Sie hätten jeweils 250 Millionen türkische Lira Strafe zahlen müssen. Ferner sei darin vermerkt, dass ihre Telefone weiterhin überwacht würden. Seine Einlassung in diesem Verfahren, dass das Telefon nicht ihm gehört habe, sei erfolglos gewesen. Die fünfmonatige Inhaftierung in Malatya sei deshalb erfolgt, weil behauptet worden sei, dass er die PKK unterstützt habe. Das sei aber nicht der Fall gewesen. Er sei lediglich von seinem Bruder besucht worden. Deshalb sei er fünf Monate inhaftiert worden. Hierüber werde er Unterlagen noch besorgen. 1999 habe er einen Mitarbeiter gehabt, dessen Bruder als Militanter in den Bergen gewesen sei. Der Mitarbeiter habe xxxx xxxxx geheißen. Bei einer Routineüberprüfung dieses Mitarbeiters sei seine - Kläger -Telefonnummer gefunden worden. Sie seien zu ihm gekommen und hätten ihn gefragt, was seine Telefonnummer bei einer Person mache, deren Bruder Militanter sei. Sie hätten dann behauptet, dass er ebenfalls PKK-Mitglied sei und zwei Aliasnamen habe. Diese Aliasnamen seien aber frei erfunden gewesen. Er sei mitgenommen und zum Staatssicherheitsgericht nach Diyarbakir gebracht worden. Darüber gebe es ein Protokoll, das er dabei habe. Ihm sei Art. 168 zur Last gelegt worden. Am 27.09.1999 sei er in Batman in das Gefängnis gebracht worden. Es hätten dann zwei Gerichtsverhandlungen stattgefunden. Bei der ersten Gerichtsverhandlung sei ein Aufschub erfolgt. Er habe sich dann einen Rechtsanwalt genommen, der im zweiten Verfahren für ihn tätig gewesen sei. Dieses Gerichtsverfahren laufe noch. Der Rechtsanwalt heiße xxxxxx xxxxx. In die Türkei könne und wolle er nicht zurückkehren. Wenn er zurückkehren würde, würde ihm wahrscheinlich Schlimmes widerfahren. Er sei am 16.03.1993 festgenommen worden und habe sich sechzehn Tage in Untersuchungshaft befunden. Dann sei er dem Staatsanwalt bzw. dem Staatssicherheitsgericht überstellt worden.

Der Kläger legte vor dem Bundesamt diverse Dokumente vor. Ausweislich einer Stellungnahme der Deutschen Botschaft in Ankara vom 21.02.2002 sind die vorgelegten Gerichtsunterlagen echt. Ein beim 2. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir unter der Nummer 1998/02 anhängiges Verfahren habe mit einem Freispruch für den Kläger geendet. Das zweite Verfahren vor dem 4. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir unter der Nummer "Esas 1999/282" sei am 01.05.2001 aufgrund des Gesetzes Nr. 4616 ausgesetzt worden. Der eingereichte Mitgliedsausweis der HADEP sei gefälscht.

Mit Bescheid vom 26.03.2002 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Ziffer 1), stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Ziffer 2) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Ziffer 3); der Kläger wurde zur Ausreise aufgefordert und es wurde ihm die Abschiebung angedroht (Ziffer 4). Zur Begründung wurde ausgeführt: Der Kläger könne sich gemäß § 26 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen, denn er sei auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ein Abschiebungsverbot i.S.d. § 51 Abs. 1 AuslG bestehe nicht. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er die Türkei wegen einer gegen ihn gerichteten politischen Verfolgung verlassen habe. Von den beiden seiner Ausreise aus der Türkei am nächsten liegenden Gerichtsverfahren habe eines mit Freispruch geendet, das andere sei gemäß Gesetz Nr. 4616 (Gesetz über die bedingte Aussetzung der Strafen zur Bewährung und Aussetzung der Strafverfolgung) ausgesetzt worden. Der Kläger habe somit, wenn er nicht innerhalb von fünf Jahren straffällig werde, mit keiner Bestrafung zu rechnen. Der vorgelegte "HADEP-Ausweis" sei gefälscht. Die vorgetragene zweitägige Inhaftierung 1997 erreiche nicht das für eine Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG notwendige Maß an Eingriffsintensität. Die davor liegenden Festnahmen stünden mit der 2001 erfolgten Ausreise in keinem kausalen Zusammenhang. Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG lägen nicht vor. Weil der Kläger weder als Asylberechtigter anerkannt werde, noch eine Aufenthaltgenehmigung besitze, sei nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 AuslG die Abschiebungsandrohung zu erlassen. Die Ausreisefrist von einem Monat ergebe sich aus § 38 Abs. 1 AsylVfG.

Am 17.04.2002 hat der Kläger vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben. Zur Begründung der Klage ließ er mit Anwaltsschriftsatz vom 10.02.2004 vortragen: Er sei bereits seit 1980 und in den Folgejahren immer wieder aufgrund seiner politischen Einstellung Unterdrückungsmaßnahmen und Repressalien seitens der türkischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt gewesen. Ursache für die Flucht nach Deutschland im Februar 2001 sei die letzte Festnahme im September 1999 gewesen. Gegen ihn sei ein Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in der und Unterstützungshandlungen für die PKK eingeleitet worden. Er sei am 27.09.1999 festgenommen und für die Dauer von sieben Tagen in Polizeigewahrsam in Batman gewesen. Während der Festnahme sei er verhört und gefoltert worden. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft von Batman vom 01.10.1999 habe das Amtsgericht in Batman die Untersuchungshaft angeordnet. Hierzu habe er Unterlagen vorgelegt. Bis zu seiner Entlassung am 23.12.1999 sei er ca. drei Monate in Untersuchungshaft in Batman gewesen. Am 14.10.1999 sei gegen ihn Anklage beim 4. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir erhoben worden. Die Anklageschrift vom 14.10.1999, auf der vermerkt sei, dass es sich um eine Haftsache handele, habe er vorgelegt. Am 23.12.1999 sei er aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Die mündliche Verhandlung vor dem Staatssicherheitsgericht sei auf den 22.02.2000 vertagt worden. In diesem Verfahren sei er von Herrn Rechtsanwalt xxxxxx xxxxx vertreten worden. Dieser habe ihm geraten, er solle nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft umgehend ins Ausland flüchten, da er mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen habe. In der Folgezeit hätten weitere Gerichtsverhandlungen stattgefunden, an denen er selbst nicht teilgenommen habe. Die meisten Hauptverhandlungstermine seien vertagt worden. Er habe auf eine Besserung der politischen Situation gehofft. Etwa einen Monat nach seiner Entlassung sei er zu seiner Schwester nach Van gegangen, wo er sich ca. sechs Monate aufgehalten habe. Einen Monat vor seiner Flucht in die Bundesrepublik Deutschland habe er sich in Mersin aufgehalten. Von dem Zeitpunkt seiner Entlassung am 23.12.1999 bis zu seiner Flucht am 22.02.2001 habe er sich insgesamt ca. fünf Monate in Batman aufgehalten. Er habe die ganze Zeit befürchtet, dass das Staatssicherheitsgericht Diyarbakir seine erneute Festnahme verfüge. Rechtsanwalt xxxxx habe ihm mitgeteilt, dass er zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden sei, das Urteil aber noch nicht rechtskräftig sei, da er Berufung eingelegt habe. Nach den Erlebnissen während der siebentätigen Ingewahrsamnahme bei der Polizei in Batman, bei der er übelst misshandelt und gefoltert worden sei, sei ihm erstmals der Gedanke gekommen, seine Heimat zu verlassen. Er sei auch in den Jahren vor 1999 ständigen Schikanen und Repressalien seitens der türkischen Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen. Diesbezüglich habe er Unterlagen beim Bundesamt eingereicht. Es habe sich um ein Urteil des 2. Staatssicherheitsgerichts vom 22.05.1997 gehandelt, welches mit Freispruch geendet habe. In diesem Verfahren sei er beschuldigt gewesen, die PKK unterstützt zu haben, indem er im Rahmen der HADEP-Aktivitäten am Hungerstreik und anderen Protestaktionen teilgenommen habe, um gegen die Festnahme von Abdullah Öcalan und seine Auslieferung an die Türkei zu protestieren. Mit dem weiter vorgelegten Beschluss der Staatsanwaltschaft Batman vom 22.05.1997 sei von seiner Verfolgung mangels Beweisen abgesehen worden. In diesem Verfahren sei ihm angelastet worden, mit weiteren Verdächtigen im Namen der PKK Drohungen am Telefon ausgesprochen und andere telefonische Belästigungen vorgenommen zu haben. Über seine Festnahme am 27.09.1999 sei ein Protokoll gefertigt worden, das er vorgelegt habe. Den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls vom 14.10.1999 sowie die Entscheidung des Amtsgerichts Batman habe er ebenfalls vorgelegt. Aus der in Kopie vorgelegten Anklageschrift vom 14.10.1999 und den Ausführungen des Staatsanwalts sei zu entnehmen, dass er bereits 1993 wegen Unterstützung und Unterschlupfgewährung für die PKK aufgefallen und deshalb festgenommen und angeklagt worden sei. Nachdem er aus dem Gefängnis entlassen worden sei, sei er nach Batman gegangen, sei Mitglied der HADEP geworden und habe unter Einfluss von xxxxx xxxxx und xxx xxxxx verschiedene Aktivitäten entfaltet. In der Anklageschrift seien weitere politische Involvierungen aufgeführt. Er habe ferner zwei Verhandlungsprotokolle vom xx.xx.xxxx und xx.xx.xxxx vorgelegt, aus denen sich die Vertagung der mündlichen Verhandlung auf den xx.xx.xxxx bzw. xx.xx.xxxx ergebe. Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Ankara, er sei nicht Mitglied der HADEP, sei unzutreffend. Er sei seit 1996 Mitglied der HADEP. Dies werde durch die vorgelegte Bescheinigung bestätigt.

In der mündlichen Verhandlungen des Verwaltungsgerichts Karlsruhe am 17.02.2004 hat der Kläger angegeben: Er sei Mitglied bei einem Menschenrechtsverein und in der HADEP gewesen. Insgesamt habe es vier Strafverfahren gegeben. In zwei Verfahren sei er freigesprochen worden. Die Verfahren seien 1993, 1997, 1998 und 1999 gewesen. 1993 sei er in Mersin festgenommen sowie gefoltert worden und sechs Monate im Gefängnis gewesen, bevor er vom Gericht freigesprochen worden sei. Der Vorwurf habe gelautet, dass er Hilfe und Unterstützung für die PKK geleistet habe. Das zweite Strafverfahren sei 1997 in Batman gewesen. Es sei ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft gewesen und er habe eine Strafe in Höhe von 750.000 türkische Lira bekommen. Dann sei das Verfahren eingestellt worden. Es sei ein Verfahren bei Gericht gewesen. Man habe ihm vorgeworfen, Unterschlupf und Hilfe für die PKK gewährt zu haben. Er solle auch Geld gesammelt haben. Richtig an dem Vorwurf sei nur gewesen, dass er von Mitgliedern der HADEP Geld gesammelt habe. Das Verfahren 1998 in Batman sei wegen eines Hungerstreiks geführt worden. Er sei von einem Staatsanwalt vernommen worden, der ihm einen Vorwurf gemäß Art. 169 gemacht habe. Die Staatsanwaltschaft habe die Akten an das Staatssicherheitsgericht geschickt. Er sei sieben Tage lang auf der Sicherheitsdirektion festgehalten worden. Das Verfahren habe dann mit einem Freispruch geendet. Diese Entscheidung habe er zu den Akten gegeben. Im Verfahren von 1999 sei ihm der Vorwurf gemäß Art. 168 gemacht worden. Er sei am 27.09.1999 für vier Tage festgenommen und vernommen worden. Anlass sei gewesen, dass der Bruder seines Meisters seiner Fabrik seine - Kläger - Telefonnummer in der Tasche gehabt habe. Er sei deshalb gerufen worden. Die früheren Festnahmen seien berücksichtigt worden. Man habe ihm auch die Mitgliedschaft vorgeworfen und die Tatsache, dass er Geld gesammelt habe. Nach vier Tagen sei er dem Staatsanwalt in Batman vorgeführt und ins Gefängnis zum Staatssicherheitsgericht gebracht worden. Nach 54 Tagen sei die Verhandlung gewesen. Insgesamt habe er zwei Verhandlungen mitgemacht. Am 23.12.1999 sei er entlassen worden. Mitangeklagt gewesen seien auch weitere Mitarbeiter.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 01.03.2004 ließ der Kläger das Urteil des 4. Staatssicherheitsgerichts Diyarbakir vom xx.xx.xxxx (Esas No: 1999/282) vorlegen und weiter vortragen: Rechtsanwalt xxxxx habe sich mit seinem Bruder vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir getroffen und ihm das Urteil des 4. Staatssicherheitsgerichts Diyarbakir vom 01.05.2001 ausgehändigt. Die Auskunft, er sei zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt worden, sei ein Missverständnis. Rechtsanwalt xxxxx habe dies damit erklärt, dass er seinem Bruder gesagt habe, er müsse sicher mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren rechnen. Für diesen Fall werde er in die Berufung gehen. Er habe auch, obwohl das Verfahren vor dem 4. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir ausgesetzt worden sei, bei einer Rückkehr in die Türkei politische Verfolgung zu befürchten. Bereits in der Vergangenheit sei er mehrfach Unterdrückung und Repressalien von Seiten der türkischen Sicherheitskräfte ausgesetzt gewesen. Im September 1999 sei er während einer siebentägigen Festnahme im Polizeigewahrsam in Batman verhört, übelst misshandelt und gefoltert worden. Er sei somit vorverfolgt ausgereist, so dass ihm eine Rückkehr in die Türkei nur zumutbar sei, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung ausgeschlossen werden könne. Er sei in der Vergangenheit mehrfach als politischer Gegner aufgefallen. Auch die Flucht ins Ausland während des laufenden Strafverfahrens vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir werde mit Sicherheit asylerhebliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Mit Urteil vom 17.02.2004 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Nach Überzeugung des Gerichts habe der Kläger seine Heimat vorverfolgt verlassen, sei aber hinreichend sicher vor erneuter politischer Verfolgung. Nach den Freisprüchen und der Aussetzung des letzten Strafverfahrens vor dem Staatssicherheitsgericht bestehe für den Kläger keine Gefahr einer politischen Verfolgung im Falle einer Rückkehr. Er werde keinen asyl- oder abschiebungsrelevanten Repressalien seitens der türkischen Sicherheitsbehörden ausgesetzt sein. Nach Auskunft des Auswärtigen Amts vom 26.09.2002 an das Bundesamt hätten Personen, in deren Fällen Strafverfahren nach dem Gesetz Nr. 4616 ausgesetzt wurden, mit keinerlei Schwierigkeiten im Falle ihrer Rückkehr zu rechnen. Diese Auskunft beruhe auf Angaben des Vertrauensanwalts der Deutschen Botschaft in Ankara, der selbst eine dahingehende Erfahrung gemacht habe. Darüber hinaus sei hinsichtlich des Kurdenproblems der deutlich entspannten Lage in der Türkei Rechnung zu tragen. Als objektiver Nachfluchtgrund könne auch keine unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung des Klägers allein wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit festgestellt werden. Darüber hinaus stehe ihm insoweit im Westen seiner Heimat eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Dem Kläger drohe auch anlässlich einer Rückkehr in die Türkei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit individuelle politische Verfolgung. Zurückkehrende kurdische Asylbewerber seien grundsätzlich bei ihrer Einreise in die Türkei hinreichend sicher davor, an der Grenze oder auf dem Flughafen asylrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein. Der Kläger sei seit seiner Flucht politisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Insbesondere sei er in der Bundesrepublik Deutschland nicht politisch tätig. Wegen des eingestellten Strafverfahrens vor dem Staatssicherheitsgericht drohten dem Kläger bei der Einreise keinerlei Schwierigkeiten. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und des § 53 AuslG lägen nicht vor.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 16.09.2004 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 17.02.2004 - A 5 K 10894/02 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26.03.2002 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, hilfsweise die Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte und der Beteiligte haben sich nicht geäußert.

In der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2004 hat der Senat den Kläger zu seinen Asylgründen ergänzend angehört. Der Kläger hat dabei angegeben: An der Lage habe sich nichts geändert. Er habe in der Verhandlung von 1999 zwölf Jahre Strafe bekommen. Das Verfahren sei auf Mai 2006 vertagt worden. Wenn er vorher zurückkehre, werde er festgenommen und müsse die Strafe absitzen. Seit der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht habe er telefonischen Kontakt mit seiner Familie gehabt und gesagt, dass er seine Asylverhandlung habe. Die Familie habe ihn aufgefordert, er solle bis Mai 2006 nicht zurückkehren. Grund dafür sei, dass seine Festnahme befürchtet werde. Die Familie habe gesagt, dass die Probleme weiterhin bestünden und sich die Sicherheitslage nicht geändert habe. Gegen ihn seien vier verschiedene Verhandlungen gewesen, die bei der Rückkehr wieder aufgegriffen würden. Die Familie habe gesagt, er solle nicht zurückkehren, weil er nach der Rückkehr in Arrest genommen werde. Laut dem Verfahren von 1999 werde er festgenommen, wenn er etwas tue. Er werde nach § 168 türkStGB angeklagt werden. Das Urteil von 1999 mit der Nr. 1999/282 habe er gelesen. Er habe mit vielen Freunden gesprochen, die gesagt hätten, wenn er zurückkehre, werde er verhaftet und vernommen. Es stelle eine Straftat dar, wenn man Asyl beantragt habe.

Dem Senat liegen die den Kläger betreffenden Behörden- und Gerichtsakten vor. Diese waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie die in der mit der Ladung übersandten Liste aufgeführten Erkenntnisquellen einschließlich der dort mitgeteilten Senatsurteile sowie die in der mündlichen Verhandlung genannten weiteren Erkenntnisquellen. Auf diese Unterlagen wird ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter noch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Er hat auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG; die vom Bundesamt erlassene Abschiebungsandrohung ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

I.

Ein Asylanspruch des Klägers scheidet auf Grund der Drittstaatenreglung aus. Der Kläger kann sich auf Grund der Nichterweislichkeit der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ohne Berührung eines sicheren Drittstaats nicht auf Art. 16 a Abs. 1 GG berufen (Art. 16 a GG Abs. 2 i.V.m. § 26 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).

Die Drittstaatenregelung begrenzt den Kreis der Asylberechtigten von vornherein auf diejenigen politisch Verfolgten, die bei der Einreise des Schutzes gerade in der Bundesrepublik Deutschland bedürfen, weil sie noch an keinem anderen Ort vor Verfolgung sicher waren. Entscheidend für die Asylgewährung ist der Nachweis der Einreise aus einem sicheren Drittstaat. Den Asylbewerber treffen hinsichtlich der Einreise allgemeine und im Asylverfahrensgesetz geregelte besondere verfahrensrechtliche Mitwirkungspflichten in Form von Darlegungs- und Handlungspflichten. So ist der Asylbewerber gehalten, die erforderlichen Angaben über seinen Reiseweg zu machen (§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und § 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG) und seinen Pass vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG). Bei einer Einreise auf dem Luftweg hat er seinen Flugschein und etwaige sonstige Unterlagen über seinen Reiseweg vom Herkunftsland nach Deutschland vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 5 und Abs. 3 Nr. 3 und 4 AsylVfG). Ist der Asylbewerber nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere, hat er an der Grenze bzw. bei der Grenzbehörde auf dem Flughafen um Asyl nachzusuchen (§ 13 Abs. 3 Satz 1, §§ 18 f. AsylVfG). Bleibt der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaats nach Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland gereist zu sein (BVerwG, Urteil vom 29.06.1999 - 9 C 36/98 -, BVerwGE 109, 174). Der Nachweis aus welchem sicheren Drittstaat der Ausländer eingereist ist, ist nicht erforderlich (BVerwG, Urteil vom 07.11.1995 - 9 C 73.95 -, BVerwGE 100, 23).

Diesen Mitwirkungspflichten hat der Kläger nicht Genüge getan, indem er sich in seinem Asylverfahren darauf berufen hat, auf dem Luftweg in das Bundesgebiet eingereist zu sein, ohne dies in verifizierbarer Weise belegen zu können. Die Angabe, er sei mit der ATT nach Stuttgart geflogen, ist vage und unbestimmt. Ihm war auch nicht die Sitzplatznummer im Flugzeug bekannt. Dass der Kläger nicht den Namen nennen kann, unter dem er eingereist ist, ist lebensfremd. Reiseunterlagen, die eine Überprüfung seines Vortrags zur Einreise zugelassen hätten, hat er nicht vorgelegt. Widersprüchlich sind die Angaben zum Tag der Einreise, denn bei der Meldung als Asylbewerber am 26.02.2001 nannte der Kläger als Einreisetag den 26.02.2001, wohingegen er vor dem Bundesamt am 15.03.2001 vortrug, er sei am 20.02.2001 von seinem Wohnort aus nach Istanbul geflogen, wo er sich zwei Tage lang aufgehalten habe, und dann nach Stuttgart geflogen. Über seine Prozessbevollmächtigen ließ er mit Schriftsatz vom 10.02.2004 dann vortragen, er sei am 22.02.2001 geflüchtet.

II.

Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sind nicht erfüllt. Nach dieser Bestimmung darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Der Kläger war zwar zum Zeitpunkt seiner Ausreise Angeklagter in einem Verfahren vor dem 4. Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir, in welchem ihm ein Verstoß gegen Art. 169 türkStGB vorgeworfen wurde, weil er PKK-Angehörigen Hilfe geleistet habe. Der Ausgang dieses Prozesses war bei der Ausreise im Februar 2001 noch nicht absehbar. Der Senat hat davon abgesehen, die Frage weiterer Klärung zuzuführen, ob zu dieser Zeit mit einer sich als politische Verfolgung darstellenden Verurteilung zu rechnen oder ob bereits absehbar war, das 4. Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir werde das Gesetz Nr. 4616 anwenden. Zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 AsylVfG) ist der Kläger nämlich auch als Vorverfolgter im Falle der Rückkehr in sein Heimatland vor politischer Verfolgung hinreichend sicher.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 26.10.1993 - 9 C 50.92 - und vom 18.01.1995 - 9 C 48.92 -, BVerwGE 95, 42) sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl (Art. 16 a Abs. 1 GG) einerseits und des Abschiebungsverbotes nach § 51 Abs. 1 Satz 1 AuslG andererseits deckungsgleich, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung betrifft.

Eine Verfolgung ist dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale (politische Überzeugung, religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen) gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 -, BVerfGE 80, 315 zu den Voraussetzungen im Einzelnen siehe die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Senatsurteile).

2. Der Kläger war bis zu seiner Ausreise aus der Türkei im Februar 2001 keiner staatlichen gruppengerichteten Verfolgung ausgesetzt. Kurden hatten und haben allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit keine politische Verfolgung zu befürchten. Der Senat hat in seinen den Prozessbevollmächtigten des Klägers mitgeteilten Urteilen vom 02.04.1998 - A 12 S 1092/96 -, vom 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 -, vom 07.05.2002 - A 12 S 196/00 - und vom 07.11.2002 - A 12 S 907/00 - festgestellt, dass Kurden in der Türkei in keinem Landesteil im hier maßgebenden Zeitpunkt der Ausreise allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit einer unmittelbaren staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren. Weder der Tatsachenvortrag des Klägers in diesem Verfahren noch die zwischenzeitlich eingegangenen, in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel rechtfertigen eine andere Beurteilung für den Zeitpunkt der Ausreise des Klägers.

3. Das vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschehen im Jahr 1999 ist nicht in vollem Umfang glaubhaft. Sein Vortrag weist hinsichtlich der Ereignisse in diesem Jahr Steigerungen und Widersprüche auf, die gegen die Glaubhaftigkeit sprechen. So gab der Kläger zu seiner Inhaftierung zunächst an, sie seien zu ihm gekommen, als bei einer Routineüberprüfung seines Mitarbeiters, dessen Bruder Militanter in den Bergen sei, seine - Kläger - Telefonnummer gefunden worden sei, wohingegen er in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausführte, die Telefonnummer sei beim Bruder seines Meisters gefunden worden und er sei deswegen gerufen worden. Zur Dauer des Aufenthalts im Polizeigewahrsam trug der Kläger zunächst vor, es seien sieben Tage gewesen, was er später auf vier Tage reduzierte. Eine Steigerung ist darin zu sehen, dass er erstmals im Jahr 2004 vortragen lässt, er sei im Polizeigewahrsam 1999 übelst misshandelt und gefoltert worden.

Widersprüchlich sind ferner die Angaben zu seinem Aufenthaltsort in der Türkei vor der Ausreise. Vor dem Bundesamt gab er hierzu an, er habe seine berufliche Tätigkeit in seinem Geschäft ausgeübt, bis er seinen Wohnort am 20.02.2001 verlassen habe, wohingegen er im Gerichtsverfahren vortragen lässt, dass er sich an verschiedenen Orten (Van, Batman, Mersin) aufgehalten habe. Hat der Kläger sein Geschäft bis zum 20.02.2001 betrieben, spräche bereits dies gegen seine politische Verfolgung und das Bestehen einer ausweglosen Lage.

Anfang 2001 hatte sich allerdings seine Situation insofern zugespitzt, als die Verhandlung vor dem 4. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir anstand. Ausweislich dessen Urteil vom 01.05.2001, dessen Echtheit die Deutsche Botschaft in Ankara bestätigt hat, wird dem Kläger eine Straftat nach Art. 169 türkStGB vorgeworfen, indem er für die PKK Hilfeleistung erbracht und Mitgliedern der PKK Unterkunft gewährt habe, so dass die Annahme gerechtfertigt sein könnte, eine entsprechende langjährige Verurteilung sei zu erwarten. Diese Verurteilung ist jedoch nicht erfolgt, sondern statt dessen ist von der Möglichkeit einer Anwendung des Gesetzes Nr. 4616 Gebrauch gemacht und das Verfahren für fünf Jahre ausgesetzt worden. Begeht der Kläger in dieser Zeit keine vergleichbaren Straftaten wird das Verfahren gem. Art. 1 des Gesetzes eingestellt. Damit droht ab diesem Zeitpunkt die Verurteilung nicht mehr.

Die Frage, ob dies bereits bei der Ausreise des Klägers zu erwarten war, bedarf aber keiner Klärung, weil der Kläger jedenfalls bei seiner Rückkehr vor politischer Verfolgung hinreichend sicher wäre (zum Prognosemaßstab: BVerfG, 1. Senat, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147/80-, 1BvR 182/80 -, BVerfGE 54, 341; BVerwG, Urteile vom 25.07.2000 - 9 C 28.99 -, BVerwGE 111, 334, vom 15.07.1997 -, 9 C 2.97 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 194, vom 18.02.1997 - 9 C 9.96 -, BVerwGE 104, 97, Beschluss vom 27.02.1997 - 9 B 121.97 - juris web), siehe hierzu unter 5.

4. Der Kläger war in seiner Heimat vor der Ausreise auch nicht wegen der von ihm vorgetragenen früheren Ereignisse (vor 1999) von landesweiter individueller politischer Verfolgung betroffen oder bedroht.

Das von ihm insoweit vorgetragene Verfolgungsgeschehen rechtfertigt nicht die Annahme, dass er deswegen vor seiner Ausreise landesweit in eine ausweglose Lage geraten war. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Asylsuchende sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darlegen muss. Ihm obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen, und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 212; Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 64). An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90 -, InfAuslR 1991, 94; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990 - 9 C 72.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; Beschlüsse vom 29.01.1989 - 9 B 239/89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113, vom 19.03.1991 - 9 B 56.91 -, Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 und vom 29.06.2001 - 1 B 131.00 -, InfAuslR 2001, 466).

Gemessen an diesen Maßstäben enthält der Vortrag des Klägers Ungereimtheiten und Widersprüche und ist deshalb nicht glaubhaft.

Zur Dauer der vorgetragenen Inhaftierung im Jahr 1993 gab er zunächst an, er sei fünf Monate im Gefängnis gewesen, ließ dann aber über seine Prozessbevollmächtigten vortragen, es seien sechs Monate gewesen und er sei nach der Festnahme gefoltert worden.

Widersprüchlich ist ferner der Vortrag zu einem Vorfall im Jahr 1997. Hierzu führte der Kläger zunächst aus, er sei nach einer Telefonüberwachung zwei Tage festgehalten, dann freigelassen worden und habe 250 Millionen türkische Lira (laut Wechselkurs zum 31.12.1997 etwa 2.175,86 DM) Strafe zahlen müssen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gab er dagegen an, dass die Strafe 750.000 türkische Lira (laut Wechselkurs zum 31.12.1997 etwa 6,53 DM) betragen habe und ihm vorgeworfen worden sei, er habe die PKK unterstützt, Hilfe gewährt und Geld gesammelt. Eine Strafe von umgerechnet 6,53 DM ist außerdem unrealistisch.

Wegen der vorgetragenen Mitgliedschaft in der HADEP war der Kläger einer politischen Verfolgung in der Türkei nicht ausgesetzt (vgl. u.a. die Auskünfte des Auswärtigen Amts vom 03.02.2004 an das VG Sigmaringen und vom 06.02.2004 an das VG Göttingen; hierzu auch OVG Lüneburg, Urteil vom 30.08.2000 - 11 L 1255/00 -). Anhaltspunkte dafür, dass eine Mitgliedschaft des Klägers bei der legalen Partei HADEP nach deren Verbot im März 2003 rückwirkend zum Anlass genommen wird, gegen ihn asylrechtsrelevante Maßnahmen zu ergreifen, sind nicht ersichtlich.

Die Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers zu der Zeit vor 1999 kann ebenfalls offen bleiben. Denn selbst wenn der Senat insoweit eine individuelle Vorverfolgung zu seinen Gunsten unterstellt, drohten dem Kläger im Zeitpunkt seiner Ausreise deswegen nicht landesweit asylrelevante Maßnahmen (zur Gleichstellung von erlittener und unmittelbar drohender Vorverfolgung: z.B. BVerwG, Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45.92 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 166), denn ihm war - jedenfalls vor Beginn des Verfahrens vor dem Staatssicherheitsgericht - eine inländische Fluchtalternative eröffnet, an der er vor politischer Verfolgung nicht nur mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, sondern im Sinne des sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs sogar hinreichend sicher war und ihm drohten auch keine sonstigen Nachteile und Gefahren, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung gleichkamen und am Herkunftsort so nicht bestanden.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass kurdischen Volkszugehörigen in der westlichen Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten, eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht (siehe die vorab mitgeteilten Senatsurteile, insbesondere die Urteile vom 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 -, vom 13.09.2000 - A 12 S 2112/99 -, vom 07.05.2002 - A 12 S 196/00 -, vom 07.11.2002 - A 12 S 907/00 -, vom 22.11.2002 - A 12 S 174/01 -, vom 22.11.2002 - A 12 S 175/01 - und vom 02.01.2003 - A 12 S 1174/00 -). Der Senat befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Beurteilung durch die Oberverwaltungsgerichte und trägt nicht zuletzt dem gebotenen Interesse einer einheitlichen Würdigung desselben Lebenssachverhalts Rechnung (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 12.08.1997 - 11 BA 96.33496 -; OVG Bremen, Urteil vom 17.03.1999 - OVG 2 BA 118/94 -, S. 58 ff.; Hamburgisches OVG, Urteil vom 03.06.1998 - Bf V 26/92 -, S. 39 ff., offen gelassen nach der Verhaftung von Öcalan im Urteil vom 01.09.1999 - 5 Bf 2/92.A -, S. 43; Hessischer VGH, Urteil vom 04.12.2000 - 12 UE 968/99.A -, ESVGH 51, 121, und Beschluss vom 14.12.2001 - 6 UE 3681/98.A -, juris web; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.04.1999 - 3 L 3/95 -, S. 12 ff.; Niedersächsisches OVG, Urteile vom 18.01.2000 - 11 L 3404/99 -, S. 13 ff., und vom 30.08.2000 - 11 L 1255/00 -, S. 18 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 04.12.2000 - 12 UE 2931/99 -, juris web, und vom 27.06.2002 - 8 A 4782/99.A -, S. 93 ff.; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.01.2001 - 10 A 11907/00 -, S. 24 f.; OVG Saarland, Urteil vom 29.03.2000 - 9 R 10/98 -, S. 9 f. und Beschluss vom 20.11.2000 - 9 Q 175/99 -, juris web; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.04.1999 - A 1 S 155/97 -, S. 7; Sächsisches OVG, Urteile vom 27.02.1997 - A 4 S 293/96 - sowie - A 4 S 434/96 -; Schleswig-Holsteinisches OVG, Urteil vom 24.11.1998 - 4 L 18/95 -, S. 27 ff.; OVG Thüringen, Urteil vom 25.11.1999 - 3 KO 165/96 -, juris web). An diesen Feststellungen hält der Senat in Würdigung des Tatsachenvortrags sowie der ihm bekannten und in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel fest und verweist zur Begründung auf die o.g. Senatsurteile.

Konkrete Anhaltspunkte, dass dem Kläger in der Westtürkei Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte drohten, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Der Kläger hat von Fahndungsmaßnahmen nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft am 23.12.1999 auch nichts berichtet.

Auch im Hinblick auf das Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative bestehen für den Senat keine Zweifel. Vor allem hätte der Kläger die für die Schlepperhilfe aufgewendeten 6.500 DM auch dafür verwenden können, sich - jedenfalls vorübergehend - im Westen der Türkei eine Existenz aufzubauen.

Es sind auch - bei einer Gesamtschau - keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vom Kläger in substantiierter Weise vorgetragen worden, dass ihm zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Türkei wegen der geschilderten Vorfälle in den Jahren vor 1999 Verfolgungsmaßnahmen im Sinne einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit unmittelbar bevorstanden.

Auch im Übergangsbereich zwischen anlassgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung können asylerhebliche Gefährdungslagen gegeben sein, die nicht in einer den Gewährleistungsinhalt des Grundrechts des Art. 16 a Abs. 1 GG verkürzenden Weise unberücksichtigt bleiben dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.01.1991 - 2 BvR 902.85, 515.89, 1827.89 -, BVerfGE 83, 216; BVerwG, Urteil vom 30.04.1996 - 9 C 171.95 -, BVerwGE 101, 134). Tatsächlichen Gefährdungslagen im Übergangsbereich zwischen anlassgeprägter Einzelverfolgung und gruppengerichteter Kollektivverfolgung ist danach im Rahmen der Prüfung der Frage Rechnung zu tragen, ob ein Asylsuchender begründete Furcht vor politischer Verfolgung hegt, weil es ihm bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (BVerwG, Urteil vom 23.07.1991 - 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367). Bei der gebotenen objektiven Beurteilung dieser Frage können grundsätzlich auch Referenzfälle stattgefundener und stattfindender politischer Verfolgung sowie ein Klima allgemeiner moralischer, religiöser oder gesellschaftlicher Verachtung in einem Asylbewerber begründete Verfolgungsfurcht entstehen lassen, sodass es ihm nicht zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Die für eine Verfolgung sprechenden Umstände müssen jedoch nach ihrer Intensität und Häufigkeit von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Asylbewerber die begründete Furcht ableiten lässt, selbst Opfer solcher Verfolgungsmaßnahmen zu werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.07.1991- 9 C 154.90 -, BVerwGE 88, 367). Diese im Wege einer Gesamtbetrachtung vorzunehmende Beurteilung setzt daher die Feststellung eines konkreten und individuellen Lebenssachverhaltes voraus (vgl. Urteil des Senats vom 18.05.1992 - A 12 S 1478/90 - und Beschluss vom 05.11.1992 - A 12 S 904/92 -), also eine Konkretisierung der Gefährdung in Bezug auf den einzelnen Asylbewerber (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.11.1991 - 18 A 10259/85 -); einen solchen Lebenssachverhalt konnte der Senat indes gerade nicht feststellen.

5. Politische Verfolgung droht dem Kläger auch nicht wegen beachtlicher Nachfluchtgründe.

a) Als objektiver Nachfluchtgrund kann eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung des Klägers allein wegen kurdischer Volkszugehörigkeit gegenwärtig noch weniger als für den Zeitpunkt der Ausreise festgestellt werden. Unter Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen, insbesondere des Lageberichts des Auswärtigen Amts vom 19.05.2004 und des Regelmäßigen Berichts der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 06.10.2004 über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zum Beitritt, ergibt sich das Folgende:

Die Türkei hat in den Jahren 2001 bis 2004 umfangreiche Reformen durchgeführt, die in engem Zusammenhang mit dem Ziel des Beginns von EU-Beitrittsverhandlungen stehen, aber erklärtermaßen auch einer weiteren, u.a. auch von amnesty international (Auskunft vom 02.04.2004 an das OVG Nordrhein-Westfalen) begrüßten Demokratisierung zum Wohle ihrer Bürger dienen. Zur Verbesserung der Effizienz des Justizwesens wurden neue Fachgerichte geschaffen und durch Änderung von Rechtsvorschriften die Rechte der Verteidigung verbessert. Mit Gesetz Nr. 5190 vom 16.06.2004 (in Kraft getreten am 30.06.2004) wurden die Staatssicherheitsgerichte abgeschafft und einige ihrer Zuständigkeiten den neu geschaffenen regionalen "Gerichten für Schwere Strafsachen" übertragen. Diese wenden die gleichen Verfahrensregeln an wie die anderen "Gerichte für Schwere Strafsachen", abgesehen davon, dass erstere ihre Rechtsprechung über ein umfassenderes geographisches Gebiet ausüben und dass bei ihnen der zulässige Zeitraum zwischen Verhaftung und Anklage höchstens 48 statt 24 Stunden beträgt. Ferner wurde das Amt des Generalstaatsanwalts für Staatssicherheitsgerichte abgeschafft. Strafverdächtige genießen vor den "Gerichten für Schwere Strafsachen" auf beiden Ebenen identische Rechte, darunter das Recht auf einen Anwalt unmittelbar nach der Verhaftung. Durch die Reform wurde die volle Anwendbarkeit der türkischen Strafprozessordnung auch in diesen Verfahren sichergestellt. Die Todesstrafe wurde gemäß dem Protokoll Nr. 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention vollständig abgeschafft. Am 11.10.2004 hat Staatspräsident Sezer das am 26.09.2004 durch das türkische Parlament beschlossene neue Strafgesetz (Gesetz Nr. 5237) unterzeichnet, das am 01.04.2005 in Kraft tritt (hierzu auch Auskunft des Auswärtigen Amts vom 27.10.2004 an das VG Sigmaringen). Im Zuge des neuen Strafgesetzbuches wurden bereits Inhaftierte aus der Haft entlassen. Schätzungen zufolge kamen etwa ein Siebtel der derzeit Inhaftierten aufgrund von Strafmilderungen im neuen Strafgesetzbuch frei. Zu den vorzeitig Freigelassenen zählen auch mehrere wegen herausragender oder einfacher Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung (Art. 168 türkStGB a.F.) Verurteilte (Bundesamt, Briefing Notes vom 25.10.2004). Art. 8 Antiterrorgesetz (Propaganda gegen die unteilbare Einheit des Staates) wurde abgeschafft. Nach dieser Norm wurden häufig kritische Meinungsäußerungen zur Kurdenfrage strafrechtlich sanktioniert. Die Verfahren für die Untersuchungshaft wurden an europäische Standards angeglichen. Die Lage in Bezug auf die freie Meinungsäußerung hat sich erheblich verbessert. Die Regierung hat auch eine Reform des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Parteischließungen und Politikverbote erschwert. Es wurden weitere Anstrengungen unternommen, um stärker gegen Folter und Misshandlung vorzugehen (vgl. auch § 94 türkStGB n.F., hierzu Özgür Politika vom 16.09.2004 und Milliyet vom 14.09.2004, zitiert nach Bundesamt, Pressespiegel September 2004, S. 21). Die Behörden verfolgen gegenüber der Folter eine "Null-Toleranz-Politik" und in einer Reihe von Folterfällen wurden die Beschuldigten bestraft (vgl. auch Kamil Taylan, Gutachten vom 26.06.2004 an das VG Frankfurt (Oder), hierzu ferner Serafettin Kaya, Gutachten vom Oktober 2004 an das VG Gelsenkirchen; Barbara Lochbihler, Generalsekretärin ai Sektion Deutschland, Die Welt vom 26.10.2004; Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Grünen, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 07.11.2004). Die Türkei ist den wichtigsten internationalen und europäischen Übereinkommen beigetreten und hat das Prinzip des Vorrangs dieser internationalen Menschenrechtsübereinkommen vor dem nationalen Recht in der Verfassung verankert. Der Parlamentsausschuss für Menschenrechte spricht Missstände im Land deutlich an und schlägt Lösungsansätze vor. Menschenrechtsorganisationen berichten übereinstimmend, dass ihre Arbeit seit der Regierung unter Ministerpräsident Erdogan wesentlich einfacher, frei von ständiger Observierung und häufig sogar von konstruktiver Zusammenarbeit geprägt sei.

Was den Minderheitenschutz und die Ausübung der kulturellen Rechte betrifft, wurde die Verfassung geändert, um das Verbot des Gebrauchs der kurdischen und anderer Sprachen aufzuheben. Im Südosten der Türkei haben bereits mehrere kurdische Sprachschulen eröffnet. Laut Milliyet vom 28.09.2004 (zitiert nach Bundesamt, Pressespiegel September 2004, S. 33) hat in Istanbul ein privater Träger ein Unterrichtszentrum für Kurdisch eröffnet. Rundfunk in Kurdisch und anderen Sprachen und Dialekten ist gestattet und es wurden bereits Sendungen ausgestrahlt. Die Lokalsender in Diyarbakir und Batman haben mit Sendungen auf Kurmanci-Kurdisch begonnen (Özgür Politika vom 20.08.2004, zitiert nach Bundesamt, Pressespiegel August 2004, S. 26; auch Reinhard Bütikofer, a.a.O.).

Der in einigen Provinzen im Südosten seit fünfzehn Jahren geltende Ausnahmezustand wurde zum 30.11.2002 vollständig aufgehoben. Bestimmungen, die während des Ausnahmezustands zur Einschränkung der Rechte während der Untersuchungshaft herangezogen wurden, wurden geändert. Die Türkei hat einen Dialog über die Frage der Binnenvertriebenen aufgenommen. Insgesamt hat sich die Sicherheitslage in den früheren Notstands-Provinzen im Südosten 2003 deutlich entspannt. Obwohl die PKK-Nachfolgeorganisation KHK/KONGRA-GEL am 01.06.2004 den erklärten Waffenstillstand beendet und neue Kampfhandlungen angekündigt hat, bestehen keine Anzeichen für die erneute Verhängung des Ausnahmezustands, zumal da von der KHK/KONGRA-GEL für den 01.09.2004 ein neuer Waffenstillstand, wenn auch unter Bedingungen, angekündigt wurde (Özgür Politika vom 30.08.2004, zitiert nach Bundesamt, Pressespiegel August 2004, S. 36).

Das Newrozfest 2003 verlief in einer Atmosphäre der Toleranz, ganz im Gegensatz zu einigen Vorjahren, in denen es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und zu Festnahmen kam. Ministerpräsident Erdogan bezeichnete Newroz in einer Erklärung als wichtigen Faktor, der "den Zusammenhalt der Nation stärke". Auch Newroz 2004 verlief in freundschaftlich-festlicher, teilweise sogar ausgelassener Stimmung und interventionsfrei. Die Regierung beteiligte sich an Feiern. Ministerpräsident Erdogan sandte Glückwünsche nach Diyarbakir zur zentralen Newroz-Feier. Alle Newroz-Feiern wurden zugelassen.

Mit Blick vor allem auf die PKK und auf die Chance eines Neuanfangs bezüglich des Kurden-Problems wurde am 29.07.2003 vom Parlament ein "Gesetz zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft" Gesetz Nr. 4959 (Resozialisierungsgesetz) verabschiedet (in Kraft getreten am 06.08.2003). Das Gesetz gewährte Mitgliedern terroristischer Organisationen, die nicht an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt waren und sich freiwillig stellten, Straffreiheit. Gleiches galt für Personen, die nicht Mitglied waren, Anhänger jedoch verpflegt, untergebracht oder auf sonstige Weise unterstützt hatten. Mitglieder, die an Straftaten beteiligt waren, sich freiwillig stellten und hinreichende Informationen zur Organisation lieferten, erhielten eine großzügige Strafmilderung (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 12.08.2003; ai Auskunft vom 30.01.2004 an das VG Köln; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg, Gutachten vom 16./15.04.2004 an das OVG Nordrhein-Westfalen; Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 07.09.2004).

Zahlreiche Kurden sind in die türkische Gesellschaft vollständig integriert oder haben sich sogar assimiliert. In Parlament, Regierung und allgemeiner Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Innenminister Abdülkadir Aksu ist kurdischer Abstammung und hat öffentlich Reden auf Kurdisch gehalten. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.

Kurdischstämmige Wehrdienstleistende sind keinen Nachteilen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt.

Im Übrigen besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats für kurdische Volkszugehörige jedenfalls in der westlichen Türkei, insbesondere in den dortigen Großstädten, gegenwärtig und auf absehbare Zeit eine inländische Fluchtalternative. Hierzu wird auf die oben genannte Rechtsprechung des Senats sowie die Urteile vom 22.11.2002 - A 12 S 174/01 -, vom 22.11.2002 - A 12 S 175/01 - und vom 02.01.2003 - A 12 S 1174/00 - und die weiteren Nachweise Bezug genommen (vgl. ferner: OVG Berlin, Urteile vom 14.10.2003 - 6 B 7.03 -, juris web, und vom 20.11.2003 - 6 B 11.03 -, juris web; Hessischer VGH Urteile vom 05.08.2002 - 12 UE 2982/00.A -, ESVGH 53,60, und vom 29.11.2002 - 6 UE 2235/98.A -, ESVGH 53, 185).

Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Westen der Türkei Maßnahmen der Sicherheitskräfte ausgesetzt wäre, sind nicht ersichtlich. Auch wäre er dort vor anderen Nachteilen und Gefahren hinreichend sicher, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutsbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen und am Herkunftsort so nicht bestünden (siehe die vorab mitgeteilten Senatsurteile, insbesondere die Urteile vom 22.07.1999 - A 12 S 1891/97 - und vom 10.11.1999 - A 12 S 2013/97 - m.w.N.; umso weniger drohen derartige Nachteile und Gefahren mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, vgl. zu diesem Prognosemaßstab hinsichtlich der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer inländischen Fluchtalternative OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.06.2002 - 8 A 4782/99.A - S. 94 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts). Insbesondere droht ihm bei der gebotenen generalisierenden Betrachtung (BVerwG, Urteil vom 08.02.1989 - 9 C 30.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 104) nicht auf Dauer ein Leben unter dem Existenzminimum, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tod führt. Vielmehr geht der Senat nach wie vor davon aus, dass Kurden in der Westtürkei im Allgemeinen eine, wenn auch bescheidene, wirtschaftliche Existenz finden können, und zwar selbst dann, wenn sie über keine Schul- oder Berufsausbildung verfügen und die türkische Sprache nicht oder nur schlecht beherrschen.

Der Senat ist insoweit im Urteil vom 22.07.1999, a.a.O., vor dem Hintergrund eines auf der Wirtschaftslage im Südosten beruhenden anhaltenden Migrationsdrucks in Ost-West-Richtung davon ausgegangen, dass es für die zuwandernden Kurden - ebenso wie für alle anderen Zuwanderer - in der Westtürkei besonders schwierig ist, eine Wohnung zu bekommen, und auch der Aufbau einer Existenz unabhängig von Volkszugehörigkeit, Alter und Geschlecht nicht einfach ist. Gleichwohl hat der Senat nicht feststellen können, dass zugewanderte kurdische Volkszugehörige sich in der Westtürkei nicht mehr mit dem für das Leben Notwendigsten versorgen können. Er hat dabei berücksichtigt, dass aufgrund des Zusammenhalts im Familienverband in der Regel eine große Bereitschaft bei bereits früher abgewanderten Verwandten besteht, die Nachkommenden, soweit möglich, in ihren kleinen Betrieben oder Handelsgeschäften zu beschäftigen. Der Senat ist in Anbetracht der erheblichen Nischenwirtschaft und des zum Teil von Kurden kontrollierten Arbeitsmarktes sowie der Möglichkeiten, als Tagelöhner auf Baustellen, beim Straßenbau, auf Groß- und Gemüsemärkten, als Packer und Lastenträger und im Einzelhandel, im Tourismussektor, als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft etc. zu arbeiten, zu dem Ergebnis gekommen, dass für kurdische Zuwanderer grundsätzlich keine schlechteren Arbeits- und Existenzbedingungen als für Zuwanderer anderer ethnischer Herkunft bestehen und dass die aus der Südosttürkei Zugewanderten in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt in der Westtürkei durch Arbeitseinkommen zu bestreiten, wobei der Beherrschung der türkischen Sprache keine entscheidende Bedeutung zukommt (auch Senatsurteile vom 07.11.2002 - A 12 S 907/00 und vom 02.01.2003 - A 12 S 1174/00 -).

Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. z.B. Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 1000/86 und 961/86 -, BVerfGE 80, 315), wonach eine inländische Fluchtalternative wegen existenzieller Gefährdung nur dann ausscheidet, wenn diese am Herkunftsort so nicht bestünde (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 05.07.1994 - 9 C 158.94 -, BVerwGE 96, 200), hat der Senat weiter bemerkt, dass die Zuwanderer in der Westtürkei eine Situation vorfinden, die nicht schlechter ist als in ihren Heimatprovinzen, die in sozialer, wirtschaftlicher und medizinischer Hinsicht aus den unterschiedlichsten Gründen weit hinter dem in der Westtürkei erreichten Standard zurückgeblieben sind. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass Kurden aus der Südosttürkei nach einer Übersiedelung in die Westtürkei wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt seien, die in ihrer Heimatregion so nicht bestünden (vgl. im Einzelnen Senatsurteil vom 22.07.1999, a.a.O., m.w.N., hierzu BVerfG, [Kammer] Beschluss vom 29.07.2003 - 2 BvR 32/03 -, DVBl 2004, 111).

An der Einschätzung, dass Kurden in der Westtürkei nicht generell auf Dauer ein Leben unterhalb des Existenzminimums fristen müssen, hält der Senat unter Berücksichtigung der in der Zwischenzeit eingegangenen Erkenntnismittel auch mit Blick auf die aktuelle Wirtschaftslage in der Türkei fest. Auch der neueste Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.05.2004 bestätigt die bisherige Rechtsprechung. Dort heißt es, zur wirtschaftlichen Situation von Kurden in west- und südtürkischen Städten könnten keine generalisierenden Aussagen gemacht werden. Manche hätten es zu beträchtlichem Wohlstand gebracht; andere lebten in den Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte. Unterschiedlicher Bildungsstand, persönliche Flexibilität sowie Einbindung in soziale Strukturen (Familie, ehemalige Dorfgemeinschaft etc.) spielten dabei eine wichtige Rolle. Grundsätzlich teilten kurdischstämmige wie andere türkische Staatsangehörige die gleichen Lebensverhältnisse in der jeweiligen Region (a.a.O., S. 31). Die Lebensverhältnisse in der Türkei seien durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt, die Wirtschaftskrise 2001/2002 habe die Disparitäten noch verstärkt, und der Abwanderungsdruck aus dem Südosten in den Süden und Westen der Türkei und in das Ausland halte unvermindert an. Angesichts der Beruhigung der Lage im Südosten und wegen der schwierigen Lebensbedingungen und der hohen Arbeitslosigkeit in den Armutsgebieten der großen Städte nehme jedoch in der letzten Zeit die Zahl der Rückkehrer in die Provinzstädte und Dörfer im Osten und Südosten der Türkei wieder zu.

Nach alledem kann nicht festgestellt werden, dass die Zuwanderer am Ort der Fluchtalternative ein Leben erwartet, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt. Der Senat hat schon im Urteil vom 22.07.1999, a.a.O., bemerkt, es sei nicht anzunehmen, dass es in der internationalen Presse keine Resonanz fände, wenn Angehörige der Millionen zählenden kurdischstämmigen Bevölkerung in der Westtürkei (vgl. dazu auch Lagebericht vom 19.05.2004, S. 17) in größerer Zahl dort nicht ihr Existenzminimum sichern könnten. Unabhängig davon ist auch die Annahme weiterhin nicht gerechtfertigt, dass Kurden aus der Südosttürkei nach einer Übersiedelung in die Westtürkei wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt sind, die in ihrer Heimatregion so nicht bestünden.

Umstände, die Anlass geben könnten, den Kläger aus der generalisierenden Betrachtung auszunehmen, liegen nicht vor (vgl. hierzu das Urteil des BVerwG vom 30.04.1991 - 9 C 105.90 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 145).

b) Bei der Rückkehr in die Türkei droht dem Kläger auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit individuelle politische Verfolgung. Zurückkehrende kurdische Asylbewerber sind bei ihrer Einreise in die Türkei hinreichend sicher davor, an der Grenze oder auf dem Flughafen asylrelevanten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein. Besonderheiten lassen sich im Falle des Klägers nicht feststellen.

Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass zurückkehrende Asylbewerber kurdischer Volkszugehörigkeit nicht routinemäßig, d.h. ohne Vorliegen von Besonderheiten, allein aufgrund eines längeren Auslandsaufenthalts und einer Asylantragstellung (s. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 12.10.1994 - 2 BvR 18/94 -, NVwZ-Beilage 3/1995, 18, mit Hinweis auf Rechtsprechung des Senats) bei der Wiedereinreise inhaftiert und asylerheblichen Misshandlungen oder Folter ausgesetzt werden (vgl. insbesondere Urteile vom 02.04.1998 - A 12 S 1092/96 -, vom 02.07.1998 - A 12 S 3033/96 -, vom 21.07.1998 - A 12 S 2806/96 - sowie vom 02.01.2003 - A 12 S 1174/00 -). Die inzwischen bekannt gewordenen und zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel geben dem Senat keine Veranlassung zu einer anderen Einschätzung. Im jüngsten Lagebericht vom 19.05.2004 teilt das Auswärtige Amt mit (S. 44 f), dass es in den vergangenen Jahren stets Fällen, in denen Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) konkret vorgetragen worden seien, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch eigene Nachforschungen durch die Auslandsvertretungen in der Türkei nachgegangen sei. Ihm sei seit über drei Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Das Auswärtige Amt geht deshalb davon aus, dass bei abgeschobenen Personen die Gefahr einer Misshandlung bei Rückkehr in die Türkei nur auf Grund von vor der Ausreise nach Deutschland liegender wirklicher oder vermeintlicher Straftaten auch angesichts der durchgeführten Reformen und der Erfahrungen der letzten Jahre in diesem Bereich äußerst unwahrscheinlich ist. Misshandlung und Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt es aus. Infolge der gesetzlichen Reformen könne davon ausgegangen werden, dass zurückkehrende Asylbewerber in der Türkei nicht gefoltert würden (hierzu auch Auskunft des Auswärtigen Amts vom 27.10.2004 an das VG Sigmaringen). Dies gelte selbst dann, wenn sie dort zuvor bereits gefoltert oder misshandelt wurden (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.05.2004 (S. 36 f)).

"Besonderheiten" des Klägers, die trotz der gesetzlichen Reformen und deutlichen Verbesserung der Menschenrechtslage (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 19.05.2004 und die obigen Ausführungen) eine Rückkehrgefährdung begründen, ergeben sich weder aus der vom Kläger vorgetragenen Mitgliedschaft in der HADEP (hierzu u.a. Serafettin Kaya, Gutachten vom 04.07.2003 an das VG Aachen) noch im Zusammenhang mit dem Urteil des 4. Staatssicherheitsgerichts Diyarbakir vom 01.05.2001. Laut diesem Urteil hat der Kläger zwar eine Straftat nach Art. 169 türkStGB begangen, in dem er für die PKK eine Hilfeleistung erbracht und Mitgliedern der PKK Unterkunft gewährt hat. Der Prozess wurde aber nach Gesetz Nr. 4616 § 1 Nr. 4 vertagt und die Verhandlung wird erst wiedereröffnet, falls der Kläger innerhalb von fünf Jahren eine ähnliche oder eine freiheitsberaubende Straftat begehen sollte. Ansonsten wird das Verfahren eingestellt.

Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes Nr. 4616 (Gesetz über bedingte vorzeitige Haftentlassung, Aufschiebung von Strafprozessen und Strafvollzug für bis zum 23.04.1999 begangene Straftaten) vom 21.12.2000 (Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 12.08.2003) wird bei wegen bis zum 23.04.1999 begangener Straftaten, bei denen die zu erwartende Freiheitsstrafe zehn Jahre nicht übersteigt, wegen derer unter anderem noch kein Urteil ergangen ist, der Abschluss durch ein rechtskräftiges Urteil ausgesetzt und im Falle von Untersuchungshaft diese per Beschluss aufgehoben. Akten und Beweismittel zu diesem Verfahren sind bis zum Ende der vorgeschriebenen Fristen aufzubewahren. Wird binnen eines Jahres erneut eine Übertretung bzw. binnen fünf Jahren ein Verbrechen begangen, das mit gleichartiger oder schwererer Freiheitsstrafe bedroht ist als die Straftat, deren Bestrafung ausgesetzt worden war, so wird auch wegen dieser Anklage erhoben bzw. das Verfahren nach einer bereits erhobenen Anklage bis zum Urteil weitergeführt. Wird binnen der genannten Fristen keine Straftat begangen, für die eine gleichartige oder schwerere Freiheitsstrafe wie für die Übertretung oder das Verbrechen vorgesehen ist, deren Aburteilung ausgesetzt worden ist, so wird gegen den von der Aussetzung Begünstigten keine Anklage mehr erhoben bzw. ein Verfahren wird per Beschluss eingestellt.

Nach der Auskunft der Deutschen Botschaft in Ankara vom 26.09.2002 an das Bundesamt hat der Vertrauensanwalt mitgeteilt, dass Personen, in deren Fällen das Gesetz Nr. 4616 zur Anwendung gekommen sei, mit keinerlei Schwierigkeiten zu rechnen hätten. Er selbst habe zahlreiche Mandanten vertreten, gegen die Verfahren wegen Unterstützung der PKK oder Mitgliedschaft in dieser Organisation anhängig gewesen und die deshalb nach Westeuropa geflüchtet seien. Mandanten, die vom Gesetz Nr. 4616 profitiert hätten, hätten unbehelligt in die Türkei einreisen können und lebten dort ohne Schwierigkeiten. Nach Mitteilung eines Vertrauensanwalts des Auswärtigen Amts werden Namen von Personen, die während eines schwebenden Gerichtsverfahrens von Amts wegen vom Gesetz Nr. 4616 profitiert hätten, von den Fahndungslisten gestrichen, was auf Veranlassung der zuständigen Staatsanwaltschaft erfolge. Erkenntnisse darüber, dass "amnestierte Personen" ohne Anlass in Polizeigewahrsam genommen würden, lägen dem Auswärtigen Amt laut einer Auskunft vom 15.01.2003 nicht vor. Presseberichte hierüber sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. In einer weiteren Stellungnahme vom 07.05.2004 an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat das Auswärtige Amt ausgeführt, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass Personen, deren Taten, die dem Gesetz Nr. 4616 unterfallen, nur wegen dieser Taten polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt seien. Auch Serafettin Kaya hat laut Stellungnahme vom 17.04.2004 an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) in der Presse keinen Bericht darüber gefunden, demzufolge zwar die Ermittlungen gegen eine Person wegen einer Straftat, die unter das Gesetz Nr. 4616 fällt, ausgesetzt worden sei, gleichzeitig aber weiterhin von den Sicherheitskräften nach ihr gesucht, sie beobachtet, unter Druck gesetzt, verhört und misshandelt worden wäre. Den gesetzlichen Bestimmungen zufolge könne eine Person nicht wegen einer Straftat gesucht werden, die unter das Gesetz Nr. 4616 fällt und in deren Fall das Ermittlungsverfahren ausgesetzt wurde. Dies sei auch nicht vorgekommen. Auch nach dem Gutachten von Serafettin Kaya vom Oktober 2004 an das VG Gelsenkirchen hat der Kläger bei einer Rückkehr oder Abschiebung in die Türkei, in Anbetracht der Straftat, die Gegenstand des ausgesetzten Verfahrens gegen ihn war, keine Probleme zu befürchten, denn diese Straftat wird, weil er wegen ihr nicht verurteilt worden ist, auch nicht in das Justizregister eingetragen und wird deshalb bei den an den Grenzübergängen und bei anderen Kontrollen routinemäßig angestellten Nachforschungen nicht bekannt. Die in der Stellungnahme vom 17.04 2004 ausgesprochene Befürchtung Kayas, es sei zu erwarten, dass jemand, der wegen des Vorwurfs der Unterstützung der PKK verfolgt wird und gegen den erst ein Strafverfahren eingeleitet und das Verfahren dann gemäß Gesetz Nr. 4616 ausgesetzt wurde, im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen einer sich in dem Gebiet ereignenden Straftat verhört, sein Haus und Arbeitsstätte durchsucht und belästigt werde, wird in der zeitlich danach ergangenen Auskunft des Auswärtigen Amts vom 07.05.2004 nicht bestätigt. Dass das Gesetz Nr. 4616 auch tatsächlich angewendet wird, zeigt sich zum einen gerade im Fall des Klägers und ist ferner auch aus den Auskünften des Auswärtigen Amts vom 08.04.2003 an das OVG Nordrhein-Westfalen, vom 08.08.2003 und vom 27.08.2003 an das VG Magdeburg, vom 04.06.2004 an das VG Karlsruhe und vom 23.06.2004 an das VG Kassel ersichtlich. Dass sich an dieser Sachlage etwas geändert hat, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vorgetragen können.

Dass der Kläger laut seinem Vortrag während des laufenden Verfahrens vor dem 4. Staatssicherheitsgericht Diyarbakir aus der Türkei ausgereist ist, ist asylrechtlich unerheblich. Asylrechtlich relevante Folgen drohen dem Kläger deswegen nicht, denn das Staatssicherheitsgericht hat trotz der Abwesenheit des Klägers das Gesetz Nr. 4616 angewandt und es liegen Gründe, die den Widerruf der Strafaussetzung nach dem Gesetz Nr. 4616 rechtfertigen (hierzu auch Ziffer 4 des Urteils des 4. Staatssicherheitsgerichts Diyarbakir), nicht vor. Nach Art. 224 türkische Strafprozessordnung kann ein Verfahren auch in Abwesenheit des Angeklagten abgeschlossen werden (Auskunft des Auswärtigen Amts vom 10.09.2004 an das VG Cottbus).

c) Auch bei der gebotenen wertenden Gesamtschau (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.07.1983 - 9 B 10542.83 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 10, und Urteil vom 27.06.1989 - 9 C 1.89 -, BVerwGE 82, 171) ist der Senat nicht davon überzeugt, dass in der Person des Klägers Gründe vorliegen, wegen derer ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse der türkischen Behörden angenommen werden müsste, so dass eine Rückkehrgefährdung nicht besteht.

III.

Bei dem Kläger liegen auch die Voraussetzungen des § 53 AuslG nicht vor. Es besteht nach den obigen Darlegungen keine konkrete Gefahr der Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG), der unmenschlichen Behandlung (§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK; vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 19.96 -, BVerwGE 104, 260) oder sonst eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben und Freiheit (§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG).

IV.

Schließlich begegnet die vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gemäß §§ 34 AsylVfG, 50 AuslG erlassene Abschiebungsandrohung im angegriffenen Bescheid keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 9 C 19.96 -, BVerwGE 104, 260).

V. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO entsprechend; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG).

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Ende der Entscheidung

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