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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 16.05.2002
Aktenzeichen: A 13 S 1068/01
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 26 Abs. 1 Nr. 2
AsylVfG § 26 Abs. 2
Die Gewährung von Familienasyl an minderjährige ledige Kinder nach § 26 Abs. 2 AsylVfG setzt weder voraus, dass die Kinder die Staatsangehörigkeit des als asylberechtigt anerkannten Elternteils besitzen, noch - wenn dies nicht der Fall ist -, dass sie im Verfolgerstaat des stammberechtigten Elternteils bereits mit diesem zusammengelebt haben.
A 13 S 1068/01

Verkündet am 16.5.2002

VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Anerkennung als Asylberechtigte und Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG

hat der 13. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Stumpe und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Blüm und Jaeckel-Leight aufgrund der mündlichen Verhandlung am 15. Mai 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 18. Dezember 2000 - A 3 K 11349/99 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am 11.8.1998 im Bundesgebiet (Singen) geborene Klägerin ist libanesische Staatsangehörige. Ihr Vater besitzt ebenfalls die libanesische Staatsangehörigkeit. Ein von ihm gestellter Asylantrag, der beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge unter dem Az. 0453840-451 geführt wurde, ist bestandskräftig abgelehnt worden. Die Mutter der Klägerin besitzt die türkische Staatsangehörigkeit; sie ist mit unanfechtbarem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 20.3.1995 als Asylberechtigte anerkannt worden. Die Ehe der Eltern der Klägerin wurde in der Bundesrepublik Deutschland geschlossen.

Mit am 31.8.1998 beim Bundesamt eingegangenem Schreiben vom 24.8.1998 stellten die Eltern für die Klägerin unter Berufung auf die Vorschriften über die Gewährung von Familienasyl (§ 26 Abs. 2 AsylVfG) einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 10.6.1999 - der Klägerin zugestellt am 28.7.1999 - lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG lägen offensichtlich nicht vor; zugleich stellte es fest, Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen nicht vor und forderte die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und drohte ihr für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in den Libanon an. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne, in den sie einreisen dürfe und der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Im Falle der Klägerin scheide eine Asylanerkennung im Rahmen des sogenannten Familienasyls aus, da sie ebenso wie ihr Vater die libanesische Staatsangehörigkeit besitze und dessen Asylverfahren erfolglos abgeschlossen sei. Zwar sei ihre Mutter als Asylberechtigte anerkannt; diese Feststellung beziehe sich jedoch ausschließlich auf deren Herkunftsland, die Türkei, und könne daher der Klägerin, einer libanesischen Staatsangehörigen, kein Familienasyl vermitteln.

Am 7.8.1999 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Freiburg erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 10.6.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie - hilfsweise - des § 53 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Sie habe Anspruch auf Familienasyl, da ihre Mutter bestandskräftig als Asylberechtigte anerkannt sei. Die Gewährung von Familienasyl nach § 26 Abs. 2 AsylVfG sei nur von der Tatsache der unanfechtbaren Asylberechtigung eines Elternteils abhängig.

Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, die Klägerin könne sich nicht auf die Vorschriften über das Familienasyl berufen, da sie nicht die (türkische) Staatsangehörigkeit der stammberechtigten Mutter, sondern die Staatsangehörigkeit des libanesischen Vaters besitze, der gerade nicht als Asylberechtigter anerkannt worden sei. Die Staatsangehörigkeit des Kindes sei im Rahmen des § 26 Abs. 2 AsylVfG nur dann nicht relevant, wenn es vor der Ausreise des Stammberechtigten aus dem Verfolgerstaat dort mit ihm im Familienverbund zusammengelebt habe. Dies sei bei der Klägerin nicht der Fall.

Mit Gerichtsbescheid vom 18.12.2000 - der Beklagten zugestellt am 5.1.2001 - hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin habe nach § 26 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 3 und 4 AsylVfG einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei ihr Familienasyl zu gewähren, obwohl sie nicht - wie ihre als asylberechtigt anerkannte Mutter - die türkische Staatsangehörigkeit besitze. Die von der Beklagten für geboten gehaltene Auslegung des § 26 Abs. 2 AsylVfG finde im Wortlaut der Vorschrift, die gerade auf § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG nicht Bezug nehme, keine Stütze. Auch widerspreche sie dem Sinn und Zweck der Regelung des Familienasyls in § 26 AsylVfG, mit welcher der Gesetzgeber allen von ihr erfassten Familienmitgliedern einen einheitlichen asylrechtlichen Schutz habe einräumen wollen. Diesem gesetzlichen Zweck widerspreche es, Kinder von Asylberechtigten aus dem Kreis der Begünstigten auszuschließen, wenn sie eine andere Staatsangehörigkeit als der stammberechtigte Elternteil besäßen. Die Tatsache, dass beim Familienasyl für Ehegatten erforderlich sei, dass die Ehe bereits im Verfolgerstaat (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG) bestanden habe und somit ein gewisser Bezug zum Verfolgungsschicksal des Stammberechtigten gegeben sein müsse, gebiete es nicht, über den Wortlaut des § 26 Abs. 2 AsylVfG hinaus zusätzliche Anforderungen an das Familienasyl für Kinder zu stellen. Die von der Beklagten auch insoweit geforderte Nähe zum Verfolgungsgeschehen bezüglich des Stammberechtigten könne gerade bei im Bundesgebiet nach Asylanerkennung des stammberechtigten Elternteils geborenen Kindern nie vorliegen. Gerade dass der Gesetzgeber bei der Regelung des Familienasyls für minderjährige ledige Kinder von einer vergleichbaren Regelung wie der des § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG abgesehen habe, spreche gegen die Interpretation des § 26 Abs. 2 AsylVfG im Sinne der Beklagten.

Auf am 18.1.2001 eingegangenen Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 4.12.2001 die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts zugelassen; dieser Beschluss ist der Beklagten am 17.12.2001 zugestellt worden.

Mit am 16.1.2002 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage beantragt die Beklagte, den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 18.12.2000 - A 3 K 11349/99 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus: Der Gesetzgeber habe bei Ehegatten - ungeachtet deren Staatsangehörigkeit - mit dem in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG normierten Erfordernis, dass die Ehe schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird, eine Nähe zu dem Verfolgungsgeschehen bezüglich des Stammberechtigten vorausgesetzt und somit die Gewährung von Familienasyl davon abhängig gemacht, dass die Ehegatten bereits im Verfolgerstaat zusammengelebt haben. Eine Nähe zum Verfolgungsgeschehen des stammberechtigten Ehegatten sei daher beim Ehegatten-Asyl zwingend erforderlich. Diese Sachlage sei aber mit der Situation eines in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kindes eines Asylberechtigten vergleichbar. Entfalle das Merkmal der Nähe zum Verfolgungsgeschehen (und einer damit vom Gesetzgeber unterstellten eigenen Gefährdung), komme auch bei Kindern ein Anspruch auf Gewährung von Familienasyl jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn sie nicht die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils besäßen. § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG verweise auf eine entsprechende Geltung der für Ehegatten in Abs. 1 Nr. 3 der Vorschrift getroffenen Regelung. Dies bedeute, dass es nur dann nicht auf die Staatsangehörigkeit des Kindes ankomme, wenn in bezug auf das Kind von einer "Nähe zum Verfolgungsgeschehen und einer eigenen Gefährdung" gesprochen werden könne, wenn also das Kind bereits im Verfolgerland des Stammberechtigten mit diesem zusammengelebt habe. Nur dann sei die Staatsangehörigkeit des Kindes nicht relevant. In allen anderen Fällen setze die Gewährung von Familienasyl für minderjährige ledige Kinder dagegen voraus, dass diese dieselbe Staatsangehörigkeit besäßen wie der als asylberechtigt anerkannte Elternteil.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, das sie für zutreffend hält.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert. Dem Senat liegen die Akten des Bundesamtes bezüglich der Klägerin und ihrer Mutter vor. Die Asylakten des Vaters der Klägerin sind nach Mitteilung des Bundesamtes vom 6.5.2002 bereits vernichtet worden. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligen und den Inhalt der vorliegenden Akten verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten in der Berufungsverhandlung nicht vertreten waren, denn die - ordnungsgemäße - Ladung enthielt einen entsprechenden Hinweis (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).

Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht und formell ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 3 VwGO a.F.) Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Aufhebung des insoweit entgegenstehenden Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 10.6.1999 zu Recht verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen. Die Ablehnung der Anerkennung als Asylberechtigte ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn sie ist nach § 26 Abs. 2 AsylVfG asylberechtigt.

Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass im Falle der Klägerin die Voraussetzungen für die Gewährung des sogenannten Familienasyls nach § 26 Abs. 2 AsylVfG erfüllt sind. Nach den Feststellungen des Bundesamtes, von deren Richtigkeit die Beteiligten übereinstimmend ausgehen und die zu Zweifeln keinen Anlass geben, besitzt die Klägerin nicht die türkische, sondern die libanesische Staatsangehörigkeit nach Art. 1 Nr. 1 der einschlägigen libanesischen Verordnung Nr. 15/S vom 19.1.1925 i.d.F. vom 11.1.1960 (vgl. Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Bd. 10, Libanon, S. 3). Dass sie danach nicht die (türkische) Staatsangehörigkeit ihrer unanfechtbar als Asylberechtigte anerkannten Mutter, sondern diejenige (libanesische) ihres im Asylverfahren erfolglos gebliebenen Vaters hat, steht der Zuerkennung des Familienasyls nicht entgegen. Dies ergibt sich aus einer am Wortlaut des § 26 Abs. 2 AsylVfG orientierten, den systematischen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck und die Entstehungsgeschichte der Regelungen des Familienasyls in § 26 AsylVfG insgesamt berücksichtigenden Auslegung.

Dem Wortlaut des § 26 Abs. 2 AsylVfG nach sind die Vorschriften für die Gewährung des Familienasyls für Kinder erfüllt. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig und ledig (§ 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG). Da sie nach der Anerkennung ihrer Mutter als Asylberechtigte im Bundesgebiet geboren ist (am 11.8.1998), war der Asylantrag nach § 26 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG innerhalb eines Jahres nach der Geburt zu stellen. Mit dem am 31.8.1998 beim Bundesamt eingegangenen Asylantrag ist diese Antragsfrist gewahrt worden. Die Anerkennung der Mutter der Klägerin als Asylberechtigte ist auch nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Nr. 4 der Vorschrift). Schließlich ist die bereits im Jahre 1995 ausgesprochene Asylanerkennung der Mutter der Klägerin auch unanfechtbar (zur analogen Anwendung des § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG auf die Zuerkennung von Familienasyl für Kinder wegen Bestehens einer entsprechenden Regelungslücke vgl. BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, BVerwGE 107, 231).

Weitere Voraussetzungen für die Zuerkennung des Familienasyls an Kinder sind § 26 Abs. 2 AsylVfG nicht zu entnehmen. Dass nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift, deren Satz 1 die entsprechende Geltung von § 26 Abs. 1 Nrn. 3 und 4 AsylVfG anordnet, nichts dafür spricht, dass das Kind dieselbe Staatsangehörigkeit wie der stammberechtigte Elternteil besitzen muss, stellt auch die Beklagte nicht in Frage. Im übrigen folgt auch beim Ehegatten-Asyl aus der Formulierung in § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG, in welcher allein auf den Verfolgerstaat des Asylberechtigten (also des stammberechtigten Ehegatten) abgestellt wird, dass der Familienasyl begehrende Ehegatte nicht dieselbe Staatsangehörigkeit besitzen muss wie der originär Asylberechtigte (vgl. Hailbronner, AuslR, § 26 AsylVfG RdNr. 21; Renner, AuslR, 7. Aufl., § 26 AsylVfG RdNr. 12; Marx, AsylVfG, 4. Aufl., § 26 RdNr. 15 und Koisser/Nicolaus, ZAR 1991, 33 f.). Die Beklagte meint nun aber, dass nach Sinn und Zweck der Regelungen des Familienasyls in § 26 AsylVfG dann eine einschränkende Auslegung des § 26 Abs. 2 AsylVfG geboten sei, wenn das Kind - wie die Klägerin - nicht die Staatsangehörigkeit des als asylberechtigt anerkannten Elternteils und damit nicht die Staatsangehörigkeit des Verfolgerstaates des Stammberechtigten besitzt. In solchen Fällen sei für die Zuerkennung von Familienasyl an ein minderjähriges lediges Kind erforderlich, dass eine Nähe zum Verfolgungsgeschehen bezüglich des Stammberechtigten bestanden habe, die nur bejaht werden könne, wenn das Kind im Verfolgerstaat bereits mit dem als asylberechtigt anerkannten Elternteil zusammengelebt habe.

Dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu folgen. Denn nach der ausdrücklichen Regelung in § 26 AsylVfG wird lediglich beim Ehegatten-Asyl eine Nähe zum Verfolgungsschicksal des Stammberechtigten gefordert, indem § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG verlangt, dass die Ehe (gemeint ist eine eheliche Lebensgemeinschaft; vgl. BVerwG, Urteil vom 15.2.1992, EZAR 215 Nr. 5) bereits im Verfolgerstaat bestanden hat. Soweit es um die Zuerkennung von Familienasyl an minderjährige Kinder geht, hat der Gesetzgeber aber gerade § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG nicht für anwendbar erklärt. Dies entspricht der Regelungslogik des § 26 Abs. 2 AsylVfG, der einen Anspruch auf Familienasyl sowohl für im Ausland als auch für im Inland geborene Kinder (vgl. insbesondere § 26 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG) begründet. Deshalb verweist § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG nicht auf § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG. Das Kindschaftsverhältnis muss daher nicht wie die eheliche Lebensgemeinschaft bereits im Herkunftsland bestanden haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997, NVwZ 1997, 1137, 1138; zur selben Rechtslage unter der Geltung des § 7a Abs. 3 Satz 2 AsylVfG a.F. trotz des unklaren Wortlauts dieser Vorschrift vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 19.12.1995, InfAuslR 1996, 230 m.w.N. sowie Bayer. VGH, Urteil vom 6.4.1995 - 11 BA 95.30551 -). Dies bedeutet zugleich, dass die Kinder eines Asylberechtigten - anders als der Ehegatte - nicht dessen Fluchtschicksal geteilt haben müssen, weshalb auch die beim Ehegatten geforderte Nähe zum Verfolgungsschicksal des Stammberechtigten nicht verlangt werden kann. Der Sache nach macht die Beklagte geltend, dass in Fällen der vorliegenden Art, in denen das Kind nicht die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils besitzt, § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG analog anzuwenden sei. Für eine solche Analogie ist jedoch kein Raum, da es an einer entsprechenden Regelungslücke fehlt. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 26 Abs. 2 AsylVfG für die Gewährung von Familienasyl an minderjährige Kinder bewusst auf das Merkmal der Nähe zum Verfolgungsschicksal des asylberechtigten Elternteils verzichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997 a.a.O.). Auch kann entgegen der Auffassung der Beklagten der Verweisung in § 26 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG auf eine entsprechende Geltung der in § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG für Ehegatten getroffenen Regelung nicht entnommen werden, dass ein Kind, das die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils nicht besitzt, bereits im Verfolgerstaat mit diesem Elternteil zusammengelebt haben muss. Denn § 26 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG stellt lediglich Anforderungen an den Zeitpunkt der Antragstellung, die für die Zuerkennung von Familienasyl an Kinder entsprechend gelten sollen. Soweit - wie hier - das Kind nach der Anerkennung des stammberechtigten Elternteils im Bundesgebiet geboren ist, gilt ohnehin die speziellere Regelung des § 26 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.5.1997 a.a.O.).

Unschädlich ist schließlich auch, dass Personen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, nach Art. 16a Abs. 1 GG ein Asylanspruch nur dann zusteht, wenn sie von dem Staat, dessen Angehörige sie sind, politisch verfolgt werden oder in ihm keinen Schutz gegen eine solche Verfolgung finden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.10.1995, DVBl. 1996, 205 und Urteil vom 18.10.1983, BVerwGE 68, 106). Denn der Gesetzgeber hat in § 26 AsylVfG die Zuerkennung von Familienasyl gerade nicht an eine eigene, originäre Asylberechtigung des Ehegatten oder minderjährigen ledigen Kindes nach Art. 16a Abs. 1 GG, sondern lediglich an eine solche des stammberechtigten Ehegatten beziehungsweise Elternteils geknüpft. Es ist daher für die Anwendung des § 26 Abs. 2 AsylVfG rechtlich unerheblich, ob der Klägerin im Land ihrer Staatsangehörigkeit (dem Libanon) politische Verfolgung droht oder nicht.

Die hier vertretene Auffassung, wonach die Zuerkennung von Familienasyl an minderjährige Kinder nach § 26 Abs. 2 AsylVfG weder voraussetzt, dass das Kind die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils besitzt, noch - wenn dies nicht der Fall ist -, dass es bereits im Verfolgerstaat mit dem Stammberechtigten zusammengelebt hat, steht auch mit dem vom Gesetzgeber mit den Regelungen des Familienasyls in § 26 AsylVfG verfolgten Entlastungs- und Vereinfachungszweck in Einklang. Die Regelungen des Familienasyls sollen dem Bundesamt und den Verwaltungsgerichten die Möglichkeit eröffnen, von einer unter Umständen schwierigen und zeitraubenden Prüfung eigener Verfolgungsgründe der einzelnen Familienangehörigen abzusehen, wenn einem Angehörigen der Klein-(Kern-)Familie die Asylberechtigung zuerkannt worden ist (vgl. bereits zur Regelung in § 7a AsylVfG a.F. Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestags, BT-Drs. 11/6960, S. 29/30 sowie BVerwG, Urteil vom 21.1.1992, BVerwGE 89, 315, 318/319). Dass die Zuerkennung von Familienasyl nach der am 1.11.1997 in Kraft getretenen Änderung des Asylverfahrensgesetzes (vgl. Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung ausländerrechtlicher und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29.10.1997, BGBl. I S. 2584) durch Einfügung des § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG n.F. die Unanfechtbarkeit der Asylanerkennung des Stammberechtigten voraussetzt, hat an dieser Entlastungs- und Vereinfachungsfunktion der Regelungen des Familienasyls nichts geändert (vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteil vom 29.9.1998, BVerwGE 107, 231). Die Auffassung der Beklagten würde aber dazu führen, dass in Fällen der vorliegenden Art der gerade auch mit § 26 Abs. 2 AsylVfG vom Gesetzgeber verfolgte Entlastungs- und Vereinfachungseffekt (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 13.5.1997 a.a.O., 1138) nicht zum Tragen käme. Denn sowohl das Bundesamt als auch die Verwaltungsgerichte müssten unter Heranziehung entsprechender Erkenntnisquellen prüfen, ob im Hinblick auf ein im Bundesgebiet geborenes minderjähriges lediges Kind eigene Verfolgungsgründe vorliegen, welche die Annahme einer drohenden politischen Verfolgung rechtfertigen, obwohl ein Elternteil bereits unanfechtbar als asylberechtigt anerkannt ist und damit feststeht, dass es zu einer Aufenthaltsbeendigung des Kindes auch nach Verneinung eigener Verfolgungsgründe nicht kommen wird.

Ob auch der weitere Zweck des Familienasyls, allen Angehörigen der Flüchtlingsfamilie zu einer raschen Integration und einem einheitlichen Rechtsstatus, insbesondere auch einem einheitlichen Personalstatut zu verhelfen (vgl. BT-Drs. 11/6960, S. 29/30; 12/2718, S. 60 und BVerwG, Urteil vom 6.5.1997, BVerwGE 104, 347, 350), gegen die Auffassung der Beklagten spricht, kann nach alledem dahingestellt bleiben. Immerhin ist der vorliegende Fall dadurch gekennzeichnet, dass Statusdifferenzen in der Familie der Klägerin ohnehin unvermeidbar sind, da ihr Vater unzweifelhaft keinen Anspruch auf Zuerkennung des Familienasyls hat und der entsprechende Regelungszweck des § 26 AsylVfG bei dieser Sachlage nicht vollständig erreicht werden kann.

Entgegen der Auffassung der Beklagten vermag auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, - vorbehaltlich der gesetzlichen Ausnahmen - auch nicht als Familienasylberechtigter anerkannt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6.5.1997, BVerwGE 104, 347), keine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Denn dieser Entscheidung lässt sich nicht entnehmen, dass die Gewährung von Familienasyl für ein minderjähriges lediges Kind ausscheidet, wenn dieses Kind die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils nicht besitzt und mit diesem Elternteil auch nicht bereits im Verfolgerstaat im Familienverbund zusammengelebt hat. Vielmehr hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die grundsätzliche Anwendung der sogenannten Drittstaatenregelung auch auf das Familienasyl nach § 26 AsylVfG dem Grundgedanken der in § 26a AsylVfG getroffenen Regelung entspricht und ihrem Ordnungszweck angemessen Rechnung trägt. Dieser Zweck besteht hauptsächlich darin, die unkontrollierte Einreise einzudämmen und den Ausländer von den Ausschlusswirkungen der Drittstaatenregelung nur auszunehmen, wenn dies völkervertraglich vorgesehen oder im Einzelfall ausdrücklich vorab geprüft und gebilligt worden ist (vgl. hierzu § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG). Eine Einreise nach Deutschland in einem geordneten, die Einreisebestimmungen wahrenden Verfahren ist danach auch Voraussetzung "für das Funktionieren des hinter der Drittstaatenregelung stehenden Konzepts, die Lasten, die mit der Aufnahme von Flüchtlingen und der Behandlung ihres Schutzersuchens verbunden sind, unter den europäischen Staaten zu verteilen" (BVerwG, Urteil vom 6.5.1997 a.a.O., 350/351). Danach hat die Drittstaatenregelung für die Interpretation des § 26 AsylVfG nur insoweit Bedeutung, als die Reichweite des Familienasyls durch den mit § 26a AsylVfG verfolgten spezifischen Ordnungszweck (der im Falle der Klägerin nicht berührt wird) begrenzt wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO (in entsprechender Anwendung); Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b Abs. 1 AsylVfG).

Die Revision war nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da der Frage, ob bei minderjährigen ledigen Kindern die Gewährung von Familienasyl nach § 26 Abs. 2 AsylVfG nicht in Betracht kommt, wenn sie nicht die Staatsangehörigkeit des stammberechtigten Elternteils besitzen und auch nicht im Verfolgerland des stammberechtigten Elternteils mit diesem zusammengelebt haben, grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Ende der Entscheidung

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