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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: A 2 S 1150/04
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60
1. Jeziden sind im Irak derzeit wegen ihrer Religionszugehörigkeit weder von einer staatlichen noch einer quasi-staatlichen Verfolgung bedroht. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung durch nicht-staatliche Gruppierungen gem. § 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c AufenthG fehlt es an der erforderlichen Verfolgungsdichte.

2. Ob ein aus den autonomen Kurdengebieten des Nordirak stammender Jezide (hier: Provinz Dohuk) im Fall einer Rückkehr in den Irak wegen seiner Religionszugehörigkeit Einzelverfolgung durch nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c AufenthG zu befürchten hätte, bleibt offen, da ihm jedenfalls in den kurdisch verwalteten Gebieten des Nordirak (Provinzen Dohuk, Erbil und Suleymania) eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

A 2 S 1150/04

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des beteiligten Bundesbeauftragten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 8. Oktober 2001 - A 12 K 11052/00 - geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der erstinstanzlichen Kosten des Bundesbeauftragten, die dieser selbst trägt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger ist nach seinen Angaben am 1.7.1979 in Khange, Provinz Dohuk (Irak) geboren und irakischer Staatsangehöriger jezidischen Glaubens. Er stellte am 7.9.1999 Antrag auf Gewährung von Asyl.

Am 8.9.1999 wurde der Kläger beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge persönlich angehört. Er erklärte, auf dem Landweg in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Seine Volkszugehörigkeit gab er mit arabisch an, weil das Oberhaupt der irakischen Jeziden, Thassin Beg empfohlen habe, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. 1990 sei er zusammen mit Eltern und Geschwistern nach Baschiqa (etwa 30 km von Mosul entfernt) gezogen. Er habe zunächst etwa drei Jahre im Spirituosenladen eines Onkels mitgearbeitet. Danach sei er im Fischhandel beschäftigt gewesen. Bis zur Ausreise habe er im Basar in Marwan, einem Stadtteil von Mosul, mit Fischen gehandelt. Sein Vater sei 1996 verstorben, seine Mutter 1998. Seine Brüder Salim und Sabah lebten in Bagdad. Zwei verheiratete Schwestern wohnten im Sindjar. Sein Bruder Hassan lebe in Deutschland. Er habe zuletzt mit dessen Ehefrau, seiner Schwägerin xxxxxx - der Klägerin des Verfahrens A 2 S 992/04 -, und ihren fünf Kindern zusammen gelebt. Sie seien mit ihm nach Deutschland gekommen. Er habe seiner Schwägerin, die bereits zwei Jahre vor ihm in die Türkei ausgereist sei, durch einen türkischen Jeziden Geld geschickt. Dies habe der Geheimdienstmann aus Tikrit entdeckt, mit dem schon sein Bruder Schwierigkeiten gehabt habe. Der habe ihn im April 1999 festgenommen. Er, der Kläger, habe dann eine Erklärung unterschreiben müssen, dass er das (das Versenden von Geld an seine Schwägerin) nie wieder tun werde. Dann sei eines Tages auf dem Markt das Gerücht aufgekommen, er sei ein Verräter, bei man nicht mehr kaufen solle. Sein Onkel mütterlicherseits und sein Bruder hätten ihm deshalb geraten, das Land zu verlassen. Dieser Onkel habe früher eine Bar gehabt, aus der er später einen Laden gemacht habe. Ob sein Bruder auch in der Bar gearbeitet habe, könne er nicht sagen, weil dieser beim Geheimdienst gearbeitet habe. Der türkische Jezide, der der Schwägerin das Geld gebracht habe, sei ihm von Jeziden aus Khange benannt worden, von denen viele nach Mosul gekommen seien. Er selbst habe nicht nach Khange zurück gedurft. Seine Familie , d.h. seine Eltern, seine drei Brüder und die Schwägerin xxxxx sowie drei ihrer Kinder, seien 1990 von dort deportiert worden, weil sein Bruder vor dem Kurdenaufstand 1990 Mitglied des irakischen Geheimdienstes gewesen sei. Während des Aufstands seien viele Geheimdienstmitarbeiter, darunter viele Jeziden, getötet worden. Nach dem Aufstand hätten die Jeziden Angst vor den Kurden gehabt und seien nach Mosul geflüchtet. Die Kurden erlaubten ihnen die Rückkehr nicht. Sein Bruder habe auch in Baschiqa weiterhin für den irakischen Geheimdienst gearbeitet. Als dieser Probleme mit einem Kollegen bekommen habe, der Waffen geschmuggelt habe, habe er das Land verlassen müssen.

Mit Bescheid vom 28.3.2000 wurde der Asylantrag des Klägers abgelehnt (Nr.1) und festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr.2) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (Nr.3) nicht vorliegen. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in den Irak oder in einen anderen aufnahmebereiten oder zur Rückübernahme verpflichteten Staat angedroht (Nr.4). Der Bescheid wurde dem Kläger am 4.4.2000 zugestellt.

Am 12.4.2000 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Klage erhoben und zuletzt beantragt, die Beklagte unter Aufhebung der Nrn. 2 und 4 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 28.3.2000 zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG - hilfsweise: Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG - vorliegen. Den angekündigten Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hat er in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.

Mit Urteil vom 8.10.2001 - A 12 K 11052/00 - hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt, soweit die Klage hinsichtlich des Begehrens auf Asylanerkennung zurückgenommen worden war. Weiter hat es die Nrn. 2 und 4 des Bescheids des Bundesamts vom 28.3.2000 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Iraks festzustellen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne offen bleiben, ob der Kläger vorverfolgt ausgereist sei. Denn ihm drohe auf Grund von Nachfluchtgründen, nämlich seiner illegalen Ausreise aus dem Irak und der Asylantragstellung im Bundesgebiet, im Fall der Rückkehr in den Irak mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Auf die Schutzzone im Nordirak könne er nicht verwiesen werden, denn dort würde das wirtschaftliche Existenzminimum für ihn nicht gewährleistet sein. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Nordirak Aufnahme und Unterstützung finden könne. Er habe seinen Lebensmittelpunkt in Al-Risala bei Mosul, nachdem seine Familie im Jahr 1990 dorthin übergesiedelt sei. Nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung habe er sich wegen der Kontakte seines Bruders Hassan zu den Sicherheitsdiensten Saddam Husseins im Nordirak nicht mehr sicher vor Übergriffen seitens der kurdischen Parteien gefühlt. Beziehungen verwandtschaftlicher oder sonstiger Art könnten daher den Aufbau einer wirtschaftlichen Existenz im Nordirak für ihn nicht ermöglichen.

Auf Antrag des Beteiligten hat der Senat mit Beschluss vom 10.4.2002 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen.

Der Beteiligte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 8.10.2001 - A 12 K 11052/00 - zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Für das Berufungsverfahren wurde mit Beschluss vom 7.5.2003 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Mit Schriftsatz vom 2.9.2004 hat die Beklagte das Verfahren wieder angerufen. Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.3.2006 macht der Kläger ferner geltend, ihm drohe bei Rückkehr in den Irak Verfolgung wegen seiner jezidischen Religionszugehörigkeit.

Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung angehört worden. Wegen seiner Angaben wird auf die Anlage zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Dem Senat lagen die im Fall des Klägers, seines Bruders xxxxxx xxxxxx (2 271 100-438) und seiner Schwägerin xxxxxx xxxxxx, der Klägerin des Verfahrens A 2 S 992/04, angefallenen Akten des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und die Akten des Verwaltungsgerichts vor. Auf diese Akten und die den Beteiligten überlassene Liste von Erkenntnismitteln und die gesondert übersandten Erkenntnismittel wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene Berufung des beteiligten Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, über die der Senat in dessen Abwesenheit entscheidet (vgl. § 125 Abs. 1, § 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig (vgl. auch § 87 b AsylVfG i.d.F. des Art. 3 Nr. 48 des Zuwanderungsgesetzes) und auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen; denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen oder hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2, 3 , 5 und 7 AufenthG (früher § 53 AuslG) vorliegen (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 1 VwGO).

1. Über das Verpflichtungsbegehren des Klägers ist mangels einschlägiger Übergangsregelung nach der neuen, durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 geänderten Rechtslage zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 9.5.2006 - 1 C 8.05 -, NVwZ 2006, 1180).

Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) liegen beim Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vor. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Bestimmung darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl II 1953 S.559 - GFK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 (auch) von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (Buchst. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren (Buchst. c) ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Religiöse oder religiös motivierte Verfolgung - wie sie vom Kläger im Berufungsverfahren in erster Linie geltend gemacht wird - ist allgemeiner Ansicht nach politische Verfolgung, wenn sie nach Art und Schwere geeignet ist, die Menschenwürde zu verletzen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a., BVerfGE 54, 341, 357; Urteil vom 1.7.1987 - 2 BvR 478, 962/86, BVerfGE 76, 143, 158). Art. 16a GG (und mithin § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) schützt daher vor Verfolgung jedenfalls im privaten Bereich und daher das "religiöse Existenzminimum". Dieses ist u.a. berührt, wenn dem Betroffenen seine religiöse Identität geraubt wird, indem ihm etwa unter Androhung von Strafen für Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte ihrer Glaubensüberzeugung zugemutet wird oder er daran gehindert wird, seinen eigenen Glauben, so wie er ihn versteht, im privaten Bereich und zusammen mit anderen Gläubigen zu bekennen. Steht nicht die Gruppe der Gläubigen im Blickfeld der Verfolger, ist zudem zu fordern, dass die Verfolgung am Herkunftsort die "religiös personale" Identität des Betroffenen betrifft (vgl. BVerfG, Urteil vom 1.7.1987, aaO, 159 f.). Diese Forderung ergibt sich nicht zuletzt auch mit Blick auf die asylrechtliche Rechtfertigung der Erheblichkeit eines objektiven Nachfluchtgrundes - wie er hier geltend gemacht wird - die in der Unzumutbarkeit der Rückkehr des Betroffenen zu sehen ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 9.4.1991 - 9 C 100/90 -BVerwGE 88, 92, 96 = NVwZ 1992, 272).

Religiös motivierte Verfolgung ist auch Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1, 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG des Rats vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (sog. Qualifikationsrichtlinie). Nach Art. 10 Abs. 1 b dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe, dass der Begriff der Religion u.a. die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich umfasst. Mit diesem Inhalt wird der Schutz vor Verfolgung auf solche Maßnahmen ausgedehnt, die an die öffentliche Glaubensbetätigung anknüpfen. Nach Art. 38 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie ist der Mitgliedsstaat verpflichtet, sein innerstaatliches Recht und seine Verwaltungspraxis mit der Richtlinie spätestens bis zum 10.10.2006 in Übereinstimmung zu bringen. Diese Pflicht trifft auch die nationalen Gerichte vor Ablauf der Umsetzungsfrist (vgl. Senatsurteil vom 21.6.2006 - A 2 S 571/05 -, AuAS 2006, 175). Nach Ablauf der Umsetzungsfrist geht der erkennende Senat von der unmittelbaren Geltung der Richtlinie auch im vorliegenden Berufungsverfahren aus. Allerdings ist nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich zugleich auch Verfolgung wegen der Religion. Sie muss vielmehr das Maß überschreiten, das lediglich zu einer durch die Diskriminierung eintretenden Bevorzugung anderer führt, sich mithin also als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstellen (dazu Marx, AsylVfG, 6. A., § 1 Rdnr. 212 m.w.N.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die auf die - häuslich-private, aber auch öffentliche - Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich auch mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist oder zu einer dem entsprechenden "Ausgrenzung" führt (vgl. dazu auch Marx, aaO Rdnr. 208 f. m.w.N.).

2. Bei der Prüfung, ob dem Asylsuchenden im Fall der Rückkehr in sein Heimatland politische Verfolgung droht, ist sowohl dann, wenn es an einer Vorverfolgung fehlt, als auch dann, wenn diese keinerlei Verknüpfung mit den für die Zukunft befürchteten Maßnahmen aufweist, der allgemeine Prognose-maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht der sog. abgeschwächte Prognosemaßstab der hinreichenden Sicherheit vor erneuter bzw. wiederholter Verfolgung maßgeblich (vgl. u.a. BVerwG, Urteile vom 18.2.1997 - 9 C 9.96 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 191 und vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -). Danach kommt es darauf an, ob dem Ausländer bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falls nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren, d.h. ob durch diese Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des betreffenden Ausländers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Das ist der Fall, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände größeres Gewicht besitzen und daher gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgeblich ist dabei letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162).

Hier erscheint schon die behauptete Vorverfolgung nicht glaubhaft; denn der Kläger hat zum Beweis für die vom Geheimdienst im April 1999 erzwungene Selbstverpflichtung zur Unterlassung weiterer Unterstützung seiner Schwägerin eine am 2.4.1998 abgegebene Selbstverpflichtung zur Unterlassung weiteren Kontakts mit dem aus dem Irak geflohenen Bruder vorgelegt. Auch weichen die Angaben von Bruder und Schwägerin zu den Ausreisegründen des Erstgenannten signifikant voneinander ab. Während der Bruder angab, auf Grund einer im Verlauf von Wochen deutlich gewordenen Bedrohung durch einen Geheimdienstoffizier zur Ausreise veranlasst worden zu sein, sprach die Schwägerin von der mit einem Vorlauf von etwa einem halben Jahr verwirklichten Absicht, ins Ausland zu gehen. Weitere Ungereimtheiten im Sachvortrag des Klägers ergeben sich aus der Schilderung des Geldtransfers in die Türkei. So gab der Kläger zunächst an, dass er das Geld einem ihm bekannten türkischen Jeziden namens K. G. übergeben habe, der ganz offiziell Handel in Mosul betreibe. Erst auf Vorhalt, dass dies zumindest offiziell nicht möglich sei, erklärte er dann, der Handel sei wohl im Kurdengebiet betrieben worden. Der Frage, wie er sich denn mit diesem Mann getroffen habe, wich er mehrmals aus und gab dann an, diesen Mann noch nie gesehen zu haben. Die Geldübergabe sei über zwei Jeziden aus seinem Dorf erfolgt.

Auch müssen durch das Baath-Regime Vorverfolgte bei Rückkehr in den Irak nicht mehr politisch erhebliche Verfolgung durch dieses Regime befürchten. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/ 05 -, DVBl 2006,1059 dargelegt, auf dessen Begründung Bezug genommen wird. An dieser Einschätzung ist auch unter Berücksichtigung der neuen Berichterstattung festzuhalten, wie im Senatsurteil vom 21.6.2006 (aaO) dargelegt wird, auf dessen Begründung auch insoweit verwiesen wird. Jedenfalls stünde die geltend gemachte Vorverfolgung durch das Baath-Regime wegen der Unterstützung der Schwägerin in keinem Zusammenhang mit einer für die Zukunft geltend gemachten Gefahr von Verfolgung wegen der Religionszugehörigkeit des Klägers als Jezide (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05).

3. Dem Kläger droht bei einer Rückkehr in den Irak wegen seiner Religionszugehörigkeit derzeit und auf absehbare Zeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche oder "quasi-staatliche" Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (a) und (b). Auch wäre er nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nichtstaatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt (c). Offen bleiben kann, ob der Kläger wegen seiner Religionszugehörigkeit als Einzelner politischer Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt wäre, da er jedenfalls in den kurdisch verwalteten Gebieten des Nordirak eine innerstaatliche Fluchtalternative hätte (d).

Die jezidische Religion ist eine monotheistische Religion, deren Entstehungsgeschichte etwa 4 000 Jahre zurückreicht. Die Zugehörigkeit zur jezidischen Glaubensgemeinschaft wird nur durch Vererbung erworben, es besteht keine Möglichkeit, zum Jezidentum zu konvertieren. Das Jezidentum gilt nach islamischer Lehre im Gegensatz zum Christen- oder Judentum nicht als schutzwürdige Glaubensgemeinschaft einer Buchreligion, da die jezidische Religion mündlich tradiert wird. Jeziden gelten daher für einige Muslime als Häretiker bzw. Andersgläubige und werden als "ungläubig", "gottlos" und "unrein" bezeichnet. Es wird berichtet, dass radikale Muslime die Auffassung vertreten, die Tötung eines Jeziden sei eine heilige Handlung, die dem Täter den Einlass ins Paradies garantiere, und dass muslimische Geistliche u.a. auch in den kurdischen Städten Dohuk und Semele Hass und Verachtung gegen Ungläubige schüren (amnesty international - a.i. - vom 16.8.2005 an VG Köln). Hinzu kommt, dass die Jeziden Kurden sind und allgemein für Kurden gehalten werden, auch solche, die sich in der Saddam-Zeit als Araber deklariert haben. Kurden stehen als treue Verbündete der Amerikaner im Kampf um die Gestaltung der Zukunft des Iraks und wegen ihrer "gottesstaatsfeindlichen, auf die Errichtung eines im Wesentlichen laizistischen Staatswesens gerichteten politischen Haltung" den amerikanischen Wertevorstellungen besonders nah und haben deshalb bei Terroristen und sonstigen "Widerstandskämpfern" den Ruch der Kollaboration und bieten sich auch deshalb als Angriffsziele für diese dar (Deutsches Orient-Institut - DOI - vom 14.2.2005 an VG Köln). Sowohl muslimische als auch arabisch-nationalistische Kreise begreifen die Kurden als "Verräter". So gut wie alle Jeziden definieren sich als Kurden. Es gab in letzter Zeit wiederholt Aufrufe in Moscheen in Mosul und anderen Städten des Zentralirak dazu, Kurden zu töten, bzw. in denen die Ermordung von Kurden sogar als dringlicher und "besser als die Ermordung von Juden und Amerikanern bezeichnet wurde" (vgl. zum Ganzen: Europäisches Zentrum für kurdische Studien - EKZS - vom 3.11.2004 an VG Köln) .

a) Eine Verfolgung durch den irakischen Staat, die mit Blick auf § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist, droht dem Kläger mit Blick auf die behaupteten, vom Senat allerdings als nicht glaubhaft erachteten Vorverfolgungsgründe (s. oben) weder im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch in der für die anzustellende Gefährdungsprognose in den Blick zu nehmenden absehbaren Zukunft. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 - eingehend dargelegt. Auf die Gründe kann daher verwiesen werden. Unter dem weiteren Gesichtspunkt der Verfolgung religiöser Minderheiten, zu denen auch die Jeziden gehören, fehlt es an Anhaltspunkten für eine vom irakischen Staat ausgehende Verfolgung. Zwar wird - wie oben dargestellt - von Übergriffen auch gegen Jeziden berichtet. Gewaltsame Übergriffe durch staatliche Akteure finden sich in diesen Berichten indes nicht (etwa UNHCR vom 2.8.2006 an VG Ansbach; ai vom 16.8.2005 an VG Köln; DOI vom 14.2.2005 an VG Köln; EZKS vom 3. 11. 2004 an VG Köln). Betont wird ausschließlich die Machtlosigkeit der staatlichen Institutionen, namentlich der Polizei, die weder über Mittel noch Wege verfügt, sich dem islamistischen Einfluss zu entziehen oder Verbrechensbekämpfung vorzunehmen, geschweige denn sich selbst zu schützen (EZKS vom 7.3.2005 an VG Köln; AA, Lagebericht vom 29.6.2006; DOI vom 14.2.2005 an VG Köln).

b) Auch geht der erkennende Senat davon aus, dass dem Kläger im Fall einer Rückkehr in den Irak keine quasi-staatliche Verfolgung droht (zu ihr vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 - 2 BvR 260, 1353/98 - NVwZ 2000, 1165). Gruppierungen, die - wie etwa die Koalitionsstreitkräfte - als "staatsähnliche" Verfolger in Betracht kommen könnten, üben zwar mannigfaltig Repressionen aus; es fehlt aber jeglicher Anhalt dafür, dass die Gewalttätigkeiten auf Jeziden und deren Religionsausübung ausgerichtet sein könnten. Dies gilt im Übrigen auch für die beiden sich im Nordirak die Herrschaftsgewalt teilenden kurdischen Parteien (UNHCR, Hintergrundinformation: Religiöse Minderheiten vom Oktober 2005 und vom 2.8. 2006 an VG Ansbach).

c) Gegenwärtig lässt sich auch nicht feststellen, dass Jeziden - wie der Kläger - im Irak als Gruppe wegen ihrer Religion von insoweit allein in Betracht kommenden nichtstaatlichen Akteuren verfolgt werden.

Legt man den Wortlaut des Abs. 1 Satz 4 Buchst. c des § 60 AufenthG und seine systematische Stellung im Normgefüge des Abs. 1 zu Grunde, ist der Begriff des nichtstaatlichen Akteurs gegenüber denen der Buchst. a und b ein "Auffangbegriff", dessen Regelungsbereich über den der Vorgängerregelung in § 51 Abs. 1 AuslG hinausgeht, und der ein weites Verständnis fordert. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 18.7.2006 - 1 C 15.05 -) erfasst § 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c AufenthG alle nichtstaatlichen Akteure ohne weitere Einschränkung, namentlich auch Einzelpersonen, sofern von ihnen Verfolgungshandlungen im Sinne des Satzes 1 ausgehen. Auch bei einem derartigen Verständnis der nichtstaatlich Handelnden lässt sich eine von diesen ausgehende Verfolgung der Jeziden als Gruppe nicht feststellen. Eine solche Verfolgung ist dann gegeben, wenn die Verfolgung der durch asylerhebliche Merkmale gekennzeichneten Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern gilt. In diesem Fall kann die Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat jederzeit eigene Verfolgung erwarten muss (dazu BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/83 u.a. - BVerfGE 83, 216, 231 f.). Diese Annahme setzt allerdings voraus, dass Gruppenmitglieder Rechtsgutbeeinträchtigungen erfahren, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten kann, selbst Opfer solcher Maßnahmen zu werden (BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991, aaO, 232). Diese Verfolgungsdichte, die mit Blick auf eine Anzahl von Eingriffen, den Zeitraum, in dem die Eingriffe erfolgen, und die dabei in Rede stehenden Gebiete des Verfolgerstaates zu bestimmen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1991, aaO 169 = NVwZ 1992, 582), ist bei Jeziden im Irak nicht in dem für die Annahme einer Gruppenverfolgung geforderten Umfang gegeben.

Die Zahl der Jeziden liegt Schätzungen zu Folge zwischen 200 000 und 600 000 (AA, Lagebericht vom 29.6.2006; nach UNHCR, Hintergrundinformation zur Gefährdung von Angehörigen religiöser Minderheiten im Irak, Oktober 2005: bei 550 000; nach DOI vom 14.2.2005 an VG Köln zwischen 200 000 bis 250 000). Mit lediglich einem von 275 Sitzen im irakischen Parlament hat der Vertreter der jezidischen Religionsgemeinschaft im Irak politisch kaum Gewicht (AA, Lagebericht vom 29.6.2006).

Nach EZKS (vom 3.11.2004 an VG Köln) leben die meisten Jeziden, um die 90 %, in Gebieten, die bis zum 3. Golfkrieg 2003 auf zentralirakischem Gebiet lagen, nur etwa 10 % leben auf derzeit kurdisch verwaltetem Territorium, die meisten von ihnen in der Provinz Dohuk. Hauptsiedlungsgebiet der Jeziden ist nach dieser Quelle das Scheikhan-Gebiet (Scheikhan und Jebel Sindjar). Der Sindjar liegt, ebenso wie der größte Teil des Scheikhan in der ehemals zentralirakischen Provinz Niniveh. Nur ein kleiner Teil Scheikhans, der Norden inklusive des Lalischtals, des wichtigsten Wallfahrtsorts der Jeziden, wo sich der Schrein von Scheich Adi befindet, liegt in der kurdischen Provinz Dohuk. Scheikhan wie Sindjar gehören zu den früheren Arabisierungsgebieten des Landes; der Jebel Sindjar wurde in den Jahren 1965, 1973 bis 1975 sowie 1986 bis 1987 entvölkert, die jezidischen Bewohner aus rd. 400 Dörfern wurden gezwungen, fortan in sogenannten Zentral- oder Sammeldörfern zu leben, wo sie, entfernt von ihren Ländereien und in Abhängigkeit von staatlichen Lebensmittelzuteilungen, leicht kontrollierbar waren. Ihre Dörfer wurden entweder zerstört oder aber Angehörigen arabischer Stämme überlassen. Das Scheikhangebiet erlitt 10 Jahre später, ab 1975, dasselbe Schicksal. Die Mehrheit der Jeziden lebt somit nach EZKS (aaO) in Dörfern bzw. Zentraldörfern im Sindjar und Scheikhan, darüber hinaus gibt es in den großen Städten des kurdisch verwalteten Nordens, insbesondere in Dohuk, sowie in Mosul und Bagdad eine kleine jezidische Bevölkerungsgruppe. In der irakischen Hauptstadt leben 50 bis 70 jezidische Familien, außerdem sind dort junge Männer aus den jezidischen Zentraldörfern zu finden, die auf der Suche nach Arbeit nach Bagdad migriert sind, während ihre Familien weiter in Zentraldörfern leben.

Nach den Erkenntnissen von a.i. (aaO) gewährt die Kurdische Demokratische Partei (KDP) den Jeziden in ihrer Einflusszone einige Rechte wie beispielsweise jezidischen Religionsunterricht an Schulen mit jezidischen Schülern/innen und die Beteiligung von Jeziden an der kurdischen Regionalregierung. Im Anschluss an die Eingliederung des Lalischtals in das kurdische Autonomiegebiet der KDP sei mit Unterstützung der KDP 1992 ein jezidisches Kulturzentrum gegründet worden. Nach Einschätzung einiger Beobachter scheinen die Jeziden für die beiden großen kurdischen Parteien KDP und PUK (Patriotische Union Kurdistan), die traditionell um die Vorherrschaft im kurdischen Gebiet rivalisieren, als Wählergruppe von Interesse zu sein. Berichten zufolge sollen die Jeziden eher als Anhänger der PUK gelten, während die 10 % Jeziden im kurdischen Nordirak fast ausschließlich im Gebiet der KDP siedeln. Auch hinsichtlich der künftigen Grenzziehung des kurdischen Gebiets könnten die Jeziden in der Zukunft möglicherweise eine wichtige Rolle spielen, denn die kurdischen Parteien streben die Eingliederung von Teilen der gemischt ethnischen Provinzen Niniveh und Ta'nim (Kirkuk) in das kurdische Autonomiegebiet an. Sollte über die Grenzziehung in der Zukunft die betroffene Bevölkerung in den beiden Provinzen in einem Referendum abstimmen, dürften die Jeziden als Wähler für die kurdischen Parteien eine wichtige Zielgruppe darstellen.

Nach Ansicht von ai sind im Zentralirak mit dem Sturz der Baath-Regierung unter Saddam Hussein keine staatlichen Zwangsmaßnahmen wie Vertreibung, Enteignung und Arabisierung zu befürchten, doch lebten die Jeziden in einer Region des Irak, die auf Grund der Vertreibungen und der Ansiedlung arabischer Siedler durch besondere ethnisch-religiöse Spannungen gezeichnet sei. Hinzu komme die politische Unsicherheit der Religion durch die von mehreren Seiten erhobenen Ansprüche auf einige Teilgebiete (ai vom 16.8.2005 an VG Köln).

Auch nach den Erkenntnissen von EKZS (aaO) begreifen die beiden großen kurdischen Parteien KDP und PUK - insbesondere die KDP, auf deren Gebiet die Mehrheit der in den kurdischen Provinzen ansässigen Jeziden lebt - die Jeziden bereits seit den 1990er Jahren als wichtige politische Zielgruppe. Dies hängt damit zusammen, dass die überwiegende Mehrheit der Jeziden sich als kurdisch definiert, nur eine verschwindende Minderheit bezeichnet sich als arabisch. Indem Protagonisten der kurdischen Nationalbewegung das Jezidentum als eigentliche und ursprüngliche Religion aller Kurden bezeichnen, schaffen sie den Mythos einer vorislamischen, alle Kurden miteinander verbindenden und von anderen Nationen des nahen Ostens abgrenzenden Religion. Die kulturelle und religiöse Anerkennung des Jeziden im Irak ist somit eng verbunden mit (parteipolitischer) Instrumentalisierung. Die politische Wertschätzung des Jezidentums hat sich auch praktisch niedergeschlagen. 1992 wurde in Dohuk das Lalisch-Kulturzentrum gegründet (mit dem Angebot jezidischen Religionsunterrichts). Dieses Zentrum hat mehrere Zweigstellen in Scheikhan und Sindjar. Die Finanzierung erfolgt in erster Linie über die KDP. Religiöse und kulturelle Rechte der Jeziden sind derzeit im kurdisch verwalteten Norden gewährleistet.

Übergriffe gegen die Jeziden erfahren nach EZKS (aaO) allerdings selbst dann, wenn sie tödlich sind, kaum Beachtung in der (internationalen) Presse. Das Interesse der arabischen Medien ist auf Grund der kurdischen Ethnizität der Jeziden gering. Hinzu kommt, dass die jezidische Bevölkerung, anders als etwa die Christen im Irak, im Ausland über keine institutionalisierte Lobby verfügt, die in der Lage wäre, auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Auch nach ai (aaO) gestaltet sich die Informationslage hinsichtlich Übergriffen auf Jeziden wegen ihrer Religionszugehörigkeit deshalb als äußerst schwierig, weil selten in der Presse über Jeziden berichtet wird. Dies möge auch daran liegen, dass Jeziden aus Angst vor weiteren Schikanen und Repressalien generell nicht zur Anzeige von Gewalttaten unter Offenbarung ihrer Religionszugehörigkeit neigten.

In der Zeit zwischen Mai und Oktober 2004 wurden im Auftrag des EZKS (aaO) folgende Vorfälle ermittelt: Am Morgen des 22.8.2004 wurde Schukur Jankir Jina, geboren 1957, in der Nähe seines Hauses vor einer Bäckerei erschossen. Schukur Jankir Jina war Gelegenheitsarbeiter und stammte ursprünglich aus dem Zentraldorf Khanek in der Provinz Dohuk. Von dort war er mit seiner Familie in den Mosuler Stadtteil Tahrir gezogen. Als Grund der Ermordung wird seine jezidische Religionszugehörigkeit vermutet. Am Morgen des 23.8.2004 wurde Schukri Ali Jolo, geboren 1954, auf der Baustelle seines neuen Hauses erschossen. Schukri Ali Jolo war ebenfalls Gelegenheitsarbeiter. Auch er stammte ursprünglich aus Khanek und lebte mit seiner Familie im Mosuler Stadtteil El-Arabi. Als Grund der Ermordung wird ebenfalls seine jezidische Religionszugehörigkeit vermutet. Der Jezide Kassim Khalaf Raschu, der in Mosul einem Geschäft für Luxusgüter und Accessoires arbeitete, wurde am 27.8.2004 von Unbekannten ermordet. Auf der Leiche des Opfers soll ein Zettel gelegen haben, auf dem stand ".... weil er ein Ungläubiger war". Darüber hinaus wurden zwei bis drei weitere Morde an Jeziden berichtet, die im Mosuler Vergnügungsviertel im Alkoholverkauf tätig waren. Die Morde sollen in der letzten August- bzw. ersten Septemberwoche 2004 stattgefunden haben. Sämtliche Opfer sollen erschossen worden sein. Ob es sich um kriminelle Akte handelte oder ob islamische Gruppierungen hinter den Anschlägen vermutet werden müssen, ist unklar. Die Aufklärungsrate bei derartigen Verbrechen tendiert gegen Null. Der Journalist Khidir Domle berichtet in seinem Zeitungsartikel "Zunahme von Mordanschlägen auf Jeziden in Mosul" vom 18.9.2004, dass allein im August 2004 neun Jeziden Opfer von Mordanschlägen wurden - sechs in Mosul und drei in Bagdad. In Mosul wurde in der zweiten Oktoberhälfte ein Jezide umgebracht, weil er das Rauchverbot während des Ramadan missachtete und in der Öffentlichkeit rauchte. Zwei jezidische Gelegenheitsarbeiter aus Sindjar - Jeziden aus diesem Gebiet sind an ihrer Kleidung leicht zu erkennen - wurden Ende Oktober in Mosul ermordet. Sie wurden zunächst mit Rasierklingen geschändet, dann wurde ihnen die Kehle durchgeschnitten. Ende Juni/Ende Anfang Juli 2004 wurde ein Anschlag auf den jezidischen Kaimakam (Bürgermeister von Sindjar) verübt. Auf das weltliche Oberhaupt der Jeziden, Mir Thassin Beg, wurde am 17.9.2004 in Al-Kosh, ca. 40 km von Mosul an der Provinzgrenze zu Dohuk gelegen, ein Bombenanschlag verübt, den er leicht verletzt überlebte. Auch aus Angst vor Anschlägen konnten im Jahr 2004 das wichtigste jezidische Fest, das Fest der Versammlung (Cejna Cemayya), das alljährlich vom 6. bis 13. Oktober im Lalisch-Tal begangen wird, nur eingeschränkt stattfinden. Mir Thassin Beg hatte dazu aufgerufen, das Fest in diesem Jahr aus Sicherheitsgründen nicht zu feiern, obgleich das Lalisch-Tal im eigentlich "sicheren" Dohuk liegt. Tatsächlich wurden die wichtigsten religiösen Riten in diesem Jahr nicht durchgeführt, weder der Mir noch das religiöse Oberhaupt der Jeziden, der Baba-Scheich, waren anwesend. Insgesamt nahmen nur einige hundert Jeziden an der Zeremonie teil, im Gegensatz zu 1 500 bis 2 000 in früheren Jahren. Insbesondere Jeziden aus dem Sindjar, die ansonsten die Mehrheit der Festteilnehmer ausmachen, waren ferngeblieben.

Hinzu kommen zahlreiche Anschläge auf Alkoholläden und Kneipen, vor allem im Großraum Mosul sowie im Großraum Bagdad. Ebenfalls gefährdet sind Schönheitssalons und Damenfrisöre - auch das Betreiben bzw. der Besuch derselben wird von radikalislamischen Kreisen als "unislamisch" begriffen. Selbst in der Stadt Arbil, im kurdisch verwalteten Norden, wurde ein Schönheitssalon in Luft gesprengt, der Damenfrisör in Dohuk hatte im Herbst 2004 seine Fenster aus Angst vor Angriffen verbarrikadiert. Schönheitssalons und Damenfrisöre werden in der Regel von christlichen, seltener von jezidischen Frauen geführt.

Der jezidische Arzt Abdul Aziz Sulaiman, der in Mosul praktizierte, wurde von Islamisten mit dem Tode bedroht, sollte er seine Praxis nicht schließen und seine Arbeit im Al-Razi-Krankenhaus in Mosul nicht einstellen. Der Arzt hat Mosul aus Angst verlassen. Der jezidische Arzt Abd al-Aziz Sulaiman Siwo, Vorsitzender des Lalisch-Kulturzentrums, erhielt im Januar 2004 einen Drohbrief, unterzeichnet von der Islamischen Ansar Al-Islam, Abteilung Verteidigung. Abd al-Aziz Sulaiman Siwo wurde in dem Schreiben vorgeworfen, mit Amerikanern, Zionisten und der PUK zusammenzuarbeiten. Er wurde aufgefordert, Mosul innerhalb einer Woche zu verlassen, ansonsten werde er getötet. Der Betroffene erhielt darüber hinaus mehrere telefonische Morddrohungen.

Im Mai 2004 wurden in den Mosuler Stadtteilen Al Jahid, Hay Tayraan, Hay Arabii und Hay Al-Kerama Plakate geklebt, auf denen sinngemäß der folgende Text zu lesen war: "Es ist Rechtens (arabisch: Halaal) Jeziden wie Juden zu töten, sowie es Rechtens ist, Christen und Amerikaner zu töten". Verantwortlich für diese Plakataktion soll eine islamische Gruppierung namens Islamische Jugendorganisation in Mosul (Jamaiya As-Shaban Al-Muslimin/Al-Mosul) sein. Im Juni/Juli 2004 erhielten insgesamt 28 in Mosul lebende oder arbeitende Personen einen von der Gruppe Al Mudjaheddin unterzeichneten Drohbrief, in dem sie aufgefordert wurden, ihre Kooperation mit den Besatzern einzustellen, da sie ansonsten die Konsequenzen zu tragen hätten. Einer der Adressaten des Briefes war der an der Universität Mosul, Fachbereich Wirtschaft, tätige Jezide Derman Suleyman. Abgesehen von seiner Universitätstätigkeit ist Dr. Suleyman im Lalisch-Kulturzentrum aktiv. Die Tatsache, dass er als (engagierter) Jezide erfolgreich Karriere an der Universität Mosul gemacht hat, wird als Grund für das "Interesse" seiner Bedrohung angesehen. Weitere Jeziden aus Dohuk, Ain Sifni Scheikhan, dem Sindjar-Gebiete und vor allem aus Mosul und den umliegenden Gebieten mit mehrheitlich jezidischer Bevölkerung (z.B. Baschik und Bahzani), die führende Funktion innehaben und insofern als Prominente zu bezeichnen sind, erhielten telefonische Morddrohungen. Unter ihnen sind der Vorsitzende des Lalisch-Kulturzentrums sowie politische Funktionäre der KDP in Dohuk. Am 18.10.2004 wurde in Mosul ein Taxifahrer angegriffen und die Windschutzscheibe seines Taxis beschädigt, nachdem die Angreifer herausgefunden hatten, dass es sich bei dem Taxifahrer um einen Jeziden handelte. Der Taxifahrer, der aus dem jezidischen Zentraldorf Scharya in der Provinz Dohuk stammt, wurde mit dem Tod bedroht, sollte er noch einmal nach Mosul kommen. Der Fahrer, der bis zu diesem Zeitpunkt seinen Lebensunterhalt mit Fahrten zwischen Dohuk und Mosul verdiente, hat diese Fahrten aus Angst eingestellt. Es wird davon ausgegangen, dass es sich bei diesem Vorfall nicht um einen Einzelfall handelt. In der zweiten und dritten Oktoberwoche 2004 klebte eine islamische Gruppe an der Universität Mosul Plakate, auf denen zu lesen war, dass Frauen sich "anständig", d.h. islamisch zu kleiden hätten. Unabhängig von ihrem ethnischen und religiösen Hintergrund sehen Frauen, die an der Universität Mosul lehren bzw. studieren, sich gezwungen, lange Röcke sowie ein Kopftuch zu tragen, da sie ansonsten Repressionen von Seiten islamischer Gruppierungen und Einzelpersonen befürchten. Einige Personen haben das Studium an der Universität Mosul auf Grund solcher und ähnlicher Repressionen bereits aufgegeben. Darüber hinaus wurde der Beginn des Semesters aus Sicherheitsgründen verschoben. Im Oktober 2004, mit Beginn des Fastenmonats Ramadan (15. Oktober), waren an mehreren Moscheen in verschiedenen Stadtteilen Mosuls Plakate angebracht, auf denen zu lesen war, dass "Personen, die während der Fastenzeit in der Öffentlichkeit rauchen, getötet werden". Die Drohung wurde von den Personen, die über sie berichteten, sehr ernst genommen. Selbst in Dohuk, einer eher liberalen Stadt im kurdisch verwalteten Norden, die einen vergleichsweise hohen christlichen und jezidischen Bevölkerungsanteil hat, war es untersagt, während des Ramadan öffentlich zu rauchen oder zu essen. Personen, die gegen diese Vorgabe verstießen, wurden unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei festgenommen. In den offiziellen Büros in Dohuk (von Parteien bzw. der Regionalregierung) wurde selbst Gästen nicht einmal ein Glas Wasser angeboten - offensichtlich ein Zugeständnis an islamische Kräfte.

Nicht in jedem der genannten Einzelfälle ist nach den Erkenntnissen des EKZS (aaO) eindeutig zu entscheiden, ob die Anschläge sich gegen Jeziden als Jeziden gerichtet haben oder gegen sie als Personen, die etwa bestimmte Berufe ausüben (z. den des Alkoholverkäufers). Indessen sei es kein Zufall, dass gerade Jeziden (und Christen) im Alkoholverkauf, im Gaststättengewerbe und in der Vergnügungsindustrie tätig seien. Denn einerseits erlaube ihnen ihre Religion derartige Tätigkeiten. Andererseits fänden sie hier eine Nische, in der sie ihr ökonomisches Leben zu sichern versuchten. Angriffe gegen Personen, die in diesen Berufszweigen arbeiteten, seien damit auch als Angriffe auf den Wertekanon der jezidischen respektive christlichen Bevölkerung im Irak zu verstehen bzw. als Versuch, ein flächendeckendes, radikal-islamisches Wertesystem zu erzwingen. Besondere Gefährdungen bestünden im Großraum Mosul oder Bagdad für jezidische Intellektuelle, die allein durch ihren öffentlich sichtbaren Einfluss/Erfolg bestimmte islamische Kreise provozieren, jezidische Würdenträger, Jeziden, die regelmäßig jezidische Einrichtungen besuchen, dort arbeiten oder deren Funktionsträger sind, Jeziden, die im Alkoholgeschäft, im Gaststätten- und Hotelgewerbe oder in der Vergnügungsindustrie tätig sind, Jeziden, die in Schönheits- oder Frisörsalons arbeiten, Jeziden, die in Berufen arbeiten, die sie in häufigen Kontakt mit der muslimischen Bevölkerung bringen (Polizisten, Taxifahrer), jezidische Frauen, die - wie es für Jeziden üblich ist - unverschleiert in die Öffentlichkeit gehen und Jeziden, die auf Grund anderer äußerer Merkmale als Jeziden auffallen, z.B. weil sie bestimmte typische Kleidungsstücke tragen (wie die Jeziden aus dem Sindjar). Geringer sei die Gefahr, Opfer eines Anschlags zu werden, für den oben genannten Personenkreis außerhalb des Großraums Mosul und Bagdad. Die Situation in rein jezidischen Dörfern sei eher sicherer als an gemischten Orten. Auch ist sei sie umso besser, je höher die Präsenz bewaffneter kurdischer Sicherheitskräfte (Peschmerga) sei. Problematisch sei, dass viele in Scheikhan und Sindjar lebende Jeziden sich allein aus ökonomischen Gründen regelmäßig in eine der größeren Städte der Umgebung, d.h. nach Mosul oder Dohuk begäben, um dort nach Gelegenheitsarbeiten zu suchen, weil der Arbeitsmarkt in Scheikhan und Sindjar nicht groß genug sei. Deutlich besser sei die Situation in den kurdisch verwalteten Gebieten (Dohuk, Arbil, Sulaimaniya). Die Gefahr, Opfer eines gewalttätigen, jezidenfeindlichen Angriffs zu werden, sei hier eher gering. Das bedeute allerdings nicht, dass es gegenüber der jezidischen Bevölkerung nicht zu alltäglichen Diskriminierungen von Seiten der muslimischen Mehrheit käme. So werde beispielsweise immer wieder berichtet, dass Jeziden ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht verkaufen könnten bzw. die Preise erheblich senken müssten, weil ein Teil der Muslime es ablehne, bei "Ungläubigen" zu kaufen. Allerdings sind die oben angeführten Übergriffe nicht auf Jeziden beschränkt, sondern treffen muslimische und christliche Iraker gleichermaßen. So sind allgemein Hochschullehrer und Ärzte betroffen, desgleichen irakische Staatsangehörige, die für die eigene Verwaltung oder für die Koalitionsstreitkräfte arbeiten. Entführungen sind landesweit üblich und Ausdruck von Gewaltkriminalität und Sozialneid, bisweilen sind sie Mittel, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu wecken. Und sie sind ferner Ausdruck einer stärker werdenden Islamisierung des Alltags, der gleichermaßen Muslime betrifft (EZKS vom 3.7.2005 an das VG Köln; Lagebericht AA vom 10.6.2005).

Nach Mitteilung von UNHCR (Hintergrundinformation) haben internationale Menschenrechtsorganisationen mehr als 25 Morde und über 50 Gewaltverbrechen an Jeziden im letzten Drittel des Jahres 2004 gezählt. Viele Übergriffe auf Jeziden hatten einen mittelbaren oder unmittelbaren religiösen Zusammenhang. So wurde beispielsweise am 17.8.2004 ein junger Mann aus der Ortschaft Bashiqa deshalb von Terroristen enthauptet und sein Leichnam geschändet, weil er in den Augen der Täter als ungläubig und unrein angesehen wurde. Am 21.10.2004 wurden an der Straße zwischen den Städten Telafar und Sindjar die enthaupteten Leichen zweier Männer gefunden, die einige Tage zuvor in Telafar von radikalen Muslimen mit Strafe bedroht worden waren, weil sie sich an das für Muslime während des Fastenmonats Ramadan geltende Rauchverbot nicht gehalten hatten. Bei einem weiteren Übergriff fanatischer Muslime in der Stadt Telafar wurden im Dezember 2004 fünf Jeziden getötet. In Mosul wurden gleichzeitig Flugblätter mit der Aufforderung, alle Jeziden zu töten, verbreitet. Die genannten Verfolgungsmaßnahmen knüpfen nicht in allen Fällen unmittelbar an das religiöse Bekenntnis der Betroffenen oder die Ausübung ihres religiösen Glaubens an. Vielmehr kam als Motiv für Verfolgungsmaßnahmen häufig die Verbindung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft mit tatsächlichen oder unterstellen zusätzlichen Merkmalen der Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft - wie beispielsweise die vermeintliche Sympathie mit den Koalitionsstreitkräften oder die allen nicht muslimischen Religionsgemeinschaften unterstelle Ignoranz gegenüber traditionellen Moralvorstellungen - in Betracht. Jeziden sind dementsprechend von Kampagnen zur Einhaltung islamischer Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften betroffen (UNHCR vom Oktober 2005).

Nimmt man danach die Verfolgungsdichte in quantitativer Hinsicht in Blick, ist die bekannt gewordene Zahl der Übergriffe in den vergangenen Jahren - ungeachtet der anzunehmenden Dunkelziffer - gemessen an der Gesamtzahl der im Irak lebenden Jeziden (s. oben) nicht geeignet, eine Verfolgung der Jeziden als religiöser Gruppe zu belegen.

d) Ob sich der geschilderten Entwicklung die Prognose herleiten lässt, dem Kläger drohe mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als einzelnem bei einer Rückkehr in den Nordirak politische Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen der Ausübung seiner jezidischen Religion, kann der Senat offen lassen. Nach den derzeit zugänglichen, oben angeführten Erkenntnismitteln richten sich die Angriffe von Dritten zwar ersichtlich auch gegen die Jeziden in ihrer Eigenschaft als solche. Schon die oben erwähnten Angriffe auf deren Würdenträger und herausgehobene sonstige Mitgläubige verdeutlichen, dass diese zumindest auch an deren Jezidentum anknüpfen und nicht lediglich einer allgemeinen "Destabilisierung" der Gesamtsituation im Irak dienen. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da dem Kläger jedenfalls bei einer Rückkehr in die kurdisch regierten Landesteile im Norden des Iraks, aus denen er stammt, eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 60 Abs. 1 S. 4 Buchst. c AufenthG eröffnet ist.

Eine solche Fluchtalternative besteht dann, wenn der Betroffene in Teilen des Verfolgerstaates nicht in eine ausweglose Lage gerät. Dies setzt voraus, dass er in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen (vgl. dazu etwa BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315, 343 f.).

Die Verfolgungssicherheit als Sicherheit vor asylrelevanten Übergriffen der o.a. nicht staatlich Handelnden ist hier für den Kläger nach dem Dargelegten jedenfalls im angesprochenen Nordirak gegeben. Allgemein wird hervorgehoben, dass sich die Sicherheitslage im Nordirak als "stabil" darstellt (EZKS vom 26.10.2005 an das VG München; vom 4.10.2005 an das VG Ansbach: "relativ stabil"). Der Nordirak ist sicherheitsmäßig kein Krisengebiet. Zwar hat es auch dort heftige Anschläge gegeben. Der letzte datiert indessen aus dem Jahr 2004. Damals ist von einem jemenitischen Terroristen ein Anschlag auf das KDP-Büro in Arbil verübt worden, bei dem 46 Menschen getötet wurden. Seither hat es im Nordirak jedoch keine großen Anschläge mehr gegeben. Auch die Unzahl von "kleinen Anschlägen" gibt es dort nicht. Das liegt daran, dass die Kurden ihr Gebiet ziemlich gut "im Griff" haben, und zwar deshalb, weil sie die Verwaltung des Gebiets schon seit 1991 de facto ausüben und weil die kurdischen bewaffneten Verbände (Peschmerga) nicht entwaffnet worden sind, sondern nach wie vor dort "aufgestellt" sind. Außerdem haben die Kurden schon seit langem einen eigenen Geheimdienst und eine eigene Polizei, die augenscheinlich zufrieden stellend arbeiten, jedenfalls was die Abwehr terroristischer Aktivitäten betrifft. Kurdistan ist also nicht, ganz anders als weite Teile des Zentraliraks, Schauplatz einer unablässigen Serie von Morden, Anschlägen und Attentaten (DOI vom 13.11.2006 an den Senat; keine gewalttätigen islamistischen Übergriffe mehr gemeldet seit Kriegsende: EZKS vom 12.5.2006 an VG Magdeburg; von vereinzelten Übergriffen auf Alkoholläden bzw. vereinzelten Säureattentaten auf "unislamisch gekleidete Frauen" im KDP-Gebiet [letztere liegen bereits einige Zeit zurück]; keine gewalttätigen Aktivitäten islamistischer Gruppen bekannt: EZKS vom 15.7.2006 an VG Magdeburg). Da allgemein sich die westliche Berichterstattung aus dem Irak auf die Kriegsschauplätze in den Hochburgen des Widerstands konzentriert, wird teilweise ausgeblendet, dass weite Teile des Landes von den Kämpfen nicht berührt werden (Der Spiegel, 50/2005, 138). Dies hat nach Ansicht des Senats auch für die Beurteilung der Situation im Nordirak zu gelten. Allgemein ist er von den bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Zentralirak nicht berührt (vgl. Senatsurteil vom 21.6.2006, aaO).

Im Nordirak drohen dem Kläger auch keine anderen Nachteile, da er aus Khange/Provinz Dohuk im Nordirak stammt. Davon, dass dort nicht zumindest ein Teil seiner Sippe/Großfamilie noch lebt und er bei Rückkehr nicht in deren soziale und wirtschaftliche Verteilungsmechanismen einbezogen würde(vgl. DOI vom 14.2.2005 und vom 13.11.2006, jew. aaO), vermag der Senat sich nicht zu überzeugen. Ziel der Angaben des Klägers und seiner Schwägerin war es zwar ersichtlich, die Feststellung im Asylverfahren zu ermöglichen, dass sie mit Eltern/Schwiegereltern, Geschwistern/ Ehemann und Neffen/Kindern wegen des Kurdenaufstands im Jahr 1990 vom Nordirak in den Raum Mosul übersiedeln mussten. Diese Feststellung lässt sich indes wegen der diese Angaben jeweils kennzeichnenden Widersprüche, Steigerungen und Ungereimtheiten nicht mit der notwendigen Gewissheit treffen. Beide haben die behauptete Flucht aus dem Nordirak mit dem auf 1990 datierten Aufstand der Kurden und der Geheimdiensttätigkeit des Bruders/Ehemannes begründet. Dem Vorhalt des Bundesamtes, dass dies nicht 1990 gewesen sein könne, sind beide ausgewichen. Der Kläger hat lediglich erklärt, dass die Jeziden Angst vor den Kurden nach dem Aufstand gehabt hätten. Auch hat der Kläger zunächst angegeben, seine drei ältesten Neffen seien bei der Flucht dabei gewesen. Der Nachfrage, ob diese Neffen in Khange geboren seien, wich der Kläger aus und erklärte, dass er insoweit nicht sicher sei. Die behauptete Unkenntnis erscheint angesichts der Tatsache, dass die Neffen Karzan und Karwa drei bzw. fünf Jahre nach der behaupteten Flucht geboren wurden, nicht glaubhaft. Auch die Schwägerin verwies weiterhin darauf, dass ihr Ehemann beim Geheimdienst gearbeitet und deshalb Angst vor den Kurden gehabt habe. Auf weiteren Vorhalt, dass das Kurdengebiet 1990 unter der Herrschaft der Zentralregierung gestanden habe, wiederholte sie ihren Vortrag, dass ihr Ehemann Angst gehabt habe, weil er beim Geheimdienst gewesen sei. Der Glaubhaftigkeit einer durch Angst vor " den Kurden" wegen geheimdienstlicher Tätigkeit des Bruders des Klägers erzwungenen Umsiedlung steht im Übrigen schon entgegen, dass Mosul eine nur etwa 30 km vom heutigen Nordirak entfernte, überwiegend von Kurden besiedelte Stadt ist (UNHCR, Hintergrundinformation zur Situation der christlichen Bevölkerung im Irak < Stand: Juni 2006>). Auch wurden die Angehörigen der Abu-Firaz-Hamadani, denen der Bruder des Klägers nach seinen Angaben und dem Vortrag seiner Ehefrau zugehört haben will, nach dem Rückzug des Saddam-Regimes nach der Intifada des Jahres 1991 und der dadurch bewirkten kurdischen Autonomie des Nordirak ohne weiteres in die dortigen Peschmerga- Einheiten integriert (DOI, vom 14.6.2005 an VG Düsseldorf). Dass für den Bruder des Klägers, der keine eigenen "Greueltaten", sondern lediglich Wach- und Dolmetscherdienste geleistet haben will, etwas anderes gegolten haben sollte, ist nicht nachvollziehbar.

Der Kläger hat seinen Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gesteigert. Er gab dort erstmals an, vor seiner Ausreise aus dem Irak in Bagdad - in einem Alkoholladen eines Onkels - gearbeitet zu haben und von dort ausgereist zu sein. Demgegenüber hatte er beim Bundesamt noch erklärt, er sei dem im Basar in Marwan, einem Stadtteil von Mosul, betriebenen Fischhandel bis zur Ausreise nachgegangen. Auch hat er gegenüber dem Senat abweichend von seinen Angaben im Behördenverfahren erklärt, seiner Schwägerin von Bagdad aus sowohl nach Bashiqa als auch später nach Silopi Geld überbracht oder geschickt zu haben. Davon, dass er selbst Geld aus Bagdad überbrachte, war im Behördenverfahren nicht die Rede. Als Grund für die Ausreise gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, sein Onkel und sein Bruder hätten ihm geraten, das Land zu verlassen, nachdem eines Tages auf dem Markt ein Gerücht aufgekommen sei, er sei ein Verräter und man solle bei ihm nicht mehr kaufen. Dies soll geschehen sein, nachdem er vom Geheimdienst wegen der Unterstützung seiner in die Türkei ausgereisten Schwägerin festgenommen worden war. In der mündlichen Verhandlung des erkennenden Senats hat der Kläger dagegen Furcht vor drohender Festnahme als Ausreisegrund angegeben.

Angesichts der aufgezeigten Widersprüche und Ungereimtheiten kann dem Kläger nur geglaubt werden, dass er aus einer Familie aus Khange/Provinz Dohuk stammt. Dann kann er bei Rückkehr dorthin aber auf deren Verteilungsnetz zur Sicherung seiner weiteren Existenz zurückgreifen (DOI vom 13.11.2006 an den Senat). Auch hätte der Kläger bei einer Rückkehr in das kurdisch verwaltete Gebiet im Nordirak keine mit der Einreise verbundenen Probleme durch die kurdische Verwaltung oder die kurdische Sicherheitspolizei zu erwarten (EKZS vom 15.11.2006 an den Senat und DOI vom 13.11.2006 aaO). Da der Kläger nach seinen Angaben gerade nicht - wie das EKZS (aaO) irrtümlich annimmt - aus Mosul, sondern aus Khange/Provinz Dohuk stammt, können Probleme, die es laut EKZS (aaO) beim Versuch der Übersiedlung von aus Mosul stammenden Jeziden in den Nordirak geben mag, in seinem Fall nicht auftreten.

4. Der Beklagte ist auch nicht verpflichtet, zu Gunsten des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

Ob der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG eine konkret-individuell drohende Gefahr durch einen Staat oder eine staatsähnliche Organisation voraussetzt (so BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 331) oder ob wegen der Erweiterung des Tatbestands der politischen Verfolgung durch sog. nichtstaatliche Akteure gem. § 60 Abs. 1 S. 4 AufenthG die in § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG genannten Menschenrechtsverletzungen nunmehr auch von nichtstaatlicher Seite ausgehen können (so UNHCR vom 23.12.2004; amnesty international in Asyl-Info 11/2004, S. 4, 5; vgl. auch Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Aufl., § 60 AufenthG RdNr. 36 mit Hinweis darauf, dass sich die Divergenz zwischen der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts bei Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG erledigen wird), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn dem Kläger droht schon keine Verfolgung aus religiösen Gründen, hinsichtlich derer ihm nicht zumindest eine beachtliche inländische Fluchtalternative eröffnet wäre. Dazu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in den Irak auch keine landesweiten Gefahren, die ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen. Nach dieser Vorschrift, die - abgesehen von der Änderung der "Kann"- in eine "Soll"-Rechtsfolge - hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen inhaltlich dem bisherigen § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG entspricht (s. auch Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 15/420 zu § 60 AufenthG), soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für die Annahme einer solchen Gefahr genügt indes nicht die lediglich denkbare Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden. Gefordert ist vielmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines derartigen Eingriffs. Die Annahme einer "konkreten" Gefahr setzt - wie durch Satz 2 des § 60 Abs. 7 AufenthG deutlich wird - eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation voraus, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zugerechnet werden muss (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 -BVerwGE 99, 324, 330; Urteil vom 12.7.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1, 7 ff. zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers ein Abschiebungshindernis in unmittelbarer Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegen könnte, sind nach den obigen Ausführungen nicht ersichtlich.

Auch bei der allgemein unsicheren Lage, den terroristischen Anschlägen und den wirtschaftlich schlechten Lebensumständen handelt es sich um Gefahren allgemeiner Art, die nicht zum Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG führen, weil ihnen die gesamte Bevölkerung des betroffenen Landes - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - ausgesetzt ist. Individuelle Gefährdungen des Ausländers, die sich aus allgemeinen Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ergeben, können auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (dazu das oben bereits angeführte Senatsurteil vom 16.9.2004 - A 2 S 471/02 - mit Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77 zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG).

Ferner scheidet ein Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses auf der Grundlage einer verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG aus.

Ein Durchbrechen der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG kommt schon deshalb nicht in Betracht, da dem Kläger auf Grund der baden-württembergischen Erlasslage ein der gesetzlichen Duldung nach §§ 60 Abs. 7 S. 2, 60 a AufenthG entsprechender, gleichwertiger Abschiebungsschutz zuteil wird. Auf das Urteil des Senats vom 16.9.2004 zu der inhaltsgleichen Regelung im früheren § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG sowie auf die jüngst ergangenen Senatsurteile vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 und A 2 S 1122/05 - (mitgeteilt in den Dokumentationen Juris und Vensa) kann insoweit verwiesen werden. Eine die genannte Sperrwirkung überwindende verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet somit aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO (in entsprechender Anwendung), § 83b AsylVfG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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