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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 21.06.2006
Aktenzeichen: A 2 S 571/05
Rechtsgebiete: AsylVfG, EGRL 04/83, AufenthG


Vorschriften:

AsylVfG § 73
EGRL 04/83 Art. 11
AufenthG § 60
1. Zu den Voraussetzungen des Widerrufs der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (wie Senat, Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 -).

2. § 60 Abs. 1 AufenthG ist hinsichtlich des Schutzes der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie auszulegen.

3. Chaldäische Christen sind im Irak derzeit nicht von einer Gruppenverfolgung betroffen. Ein chaldäischer Christ aus Bagdad ist dort aber in seiner Person aus religiösen Gründen einer asylrechtlich erheblichen nichtstaatlichen Verfolgung ausgesetzt.

4. Chaldäischen Christen steht in den kurdisch verwalteten Gebieten des Iraks eine sog. innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

A 2 S 571/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Widerrufs der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG

hat der 2. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22. September 2004 - A 7 K 10570/04 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der Feststellung, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Er ist irakischer Staatsangehöriger, der im November 1996 in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und hier Asyl beantragte. Zur Begründung trug der Kläger vor, er fürchte um sein Leben, weil er zusammen mit seinem Bruder für die Kommunistische Partei des Iraks gearbeitet und im Ausland einen Asylantrag gestellt habe. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - im Folgenden: Bundesamt) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12.6.1997 ab, stellte indes fest, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG wegen der Asylantragstellung vorlägen. Der Kläger ist seinen Angaben nach am 6.10.2001 die Ehe vor dem Chaldäischen Patriarchat in Damaskus eingegangen und hat mittlerweile seine Einbürgerung beantragt. Er ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Mit Bescheid vom 23.3.2004 widerrief das Bundesamt die im Bescheid vom 12.6.1997 getroffene Feststellung nach § 51 AuslG.

Hiergegen hat der Kläger am 2.4.2004 beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen darauf abgehoben, dass er Angehöriger der christlich-chaldäischen Minderheit im Irak sei und als praktizierender Christ bei einer Rückkehr dorthin den Übergriffen der muslimischen Bevölkerungsmehrheit ausgesetzt wäre. Damit drohe ihm auch politische Verfolgung, da sich die gegenwärtige Staatsmacht im Irak als schutzunfähig erweise. Ein Widerruf könne bei einer solchen Fallgestaltung nur dann in Betracht gezogen werden, wenn künftige Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei.

Dem Antrag des Klägers, den Bescheid des Bundesamts vom 23.3.2004 aufzuheben, ist die Beklagte entgegengetreten. Der beteiligte Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.

Mit Urteil vom 22.9.2004 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung, dass die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen, zu erfolgen habe, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr gegeben seien. Dies sei dann der Fall, wenn sich die im Zeitpunkt der Anerkennung bzw. Feststellung maßgeblichen Verhältnisse im Heimatland des Betroffenen nachträglich entscheidungserheblich geändert hätten. Davon sei im Irak auszugehen. Namentlich seit der Machtübernahme am 28.6.2004 durch die irakische Übergangsregierung fehle es an Anhaltspunkten für eine politische Verfolgung durch den irakischen Staat. Entgegen der Ansicht des Klägers seien Christen derzeit im Irak keiner politischen Verfolgung ausgesetzt. Übergriffe Dritter seien dem irakischen Staat nicht zuzurechnen. Auch sei eine Verfolgung der Christen als Gruppe nicht gegeben. Dass Christen derzeit mit beachtlicher Häufigkeit Rechtsbeeinträchtigungen ausgesetzt seien, die Verfolgung im Sinne von Art. 16a Abs. 1 GG darstellten, lasse sich nicht feststellen. Zu fragen wäre auch, ob Christen landesweit einer Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Auch aus dem Vorbringen des Klägers, er stehe der Kommunistischen Partei nahe, ergäben sich keine Anhaltspunkte für asylerhebliche Nachteile. Ob im Falle des Klägers Abschiebungsverbote bestünden, sei nicht Gegenstand des Verfahrens.

Auf den Antrag des Klägers vom 29.10.2004 hat der Senat mit Beschluss vom 3.6.2005 die Berufung zugelassen, zu deren Begründung der Kläger darauf hinweist, dass sich die Lage der Christen im Irak deutlich verschlechtert habe und neuere Erkenntnisse nur den Schluss zuließen, es handele sich wegen der Vielzahl von Rechtsgutbeeinträchtigungen um politische Verfolgung. Die Frage, ob eine den Widerruf rechtfertigende Veränderung der politischen Verhältnisse im Herkunftsland vorliege, müsse in Übereinstimmung mit der Beendigungsklausel in Art. 1 C Abs. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - (sog. Wegfall-der-Umstände-Klausel) beurteilt werden. Die dort geforderte Voraussetzung einer grundlegenden, stabilen und dauerhaften Veränderung dieser Verhältnisse könne hinsichtlich des Iraks nicht festgestellt werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22.9.2004 zu ändern und den Bescheid des Bundesamts vom 23.3.2004 aufzuheben;

hilfsweise festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass zwar im Einzelfall Übergriffe Dritter gegen Christen nicht auszuschließen seien. Führende Vertreter des irakischen Staats und der Muslime verurteilten jedoch die Anschläge, die auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegenwärtig oder in naher Zukunft eine Gruppenverfolgung der Christen nahe legten. Die gewalttätigen Übergriffe, auch gegen Kirchen, seien im Übrigen dem irakischen Staat nicht zuzurechnen, der erhebliche Anstrengungen unternehme, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat schriftsätzlich beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Sie waren ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung wie die mit der Ladung übersandten Erkenntnismittel des Senats. Auf diese Unterlagen wird wegen der Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet trotz des Ausbleibens des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten, da dessen Ladung einen entsprechenden Hinweis enthält (vgl. §§ 125 Abs. 1, 102 Abs. 2 VwGO).

Die zugelassene und auch ansonsten zulässige Berufung des Klägers kann keinen Erfolg haben. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Widerrufsbescheid der Beklagten stellt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ( § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ) als rechtmäßig dar (I.). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die - hilfsweise begehrte - Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG (dazu unten II.) (zum Ganzen s. § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).

I. Die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes ist - formell und materiell -rechtmäßig.

Über das Aufhebungsbegehren des Klägers ist mangels einschlägiger Übergangsregelung nach der neuen, durch das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 geänderten Rechtslage zu entscheiden. Ermächtigungsgrundlage für die Widerrufsentscheidung des Bundesamtes ist § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift ist - vorbehaltlich des Satzes 3 - u.a. die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher: § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Diese Bestimmung ist verfassungsgemäß (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - ZAR 2006, 107; Urteil vom 24.11 1992 - 9 C 3.92 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 1).

Der Widerrufsbescheid, der in formeller Hinsicht keinen Bedenken unterliegt und vom Kläger insoweit nicht angegriffen wird, ist materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Da eine nachhaltige Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsland des Klägers eingetreten ist, sind die Voraussetzungen, die seinerzeit zur Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG geführt haben, weggefallen (dazu 1.). Dem Kläger droht zwar eine erneute, asylrechtlich erhebliche Verfolgung aus sonstigen Gründen; ihm ist aber eine inländische Fluchtalternative eröffnet (dazu unten 2.).

1. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Das setzt voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgung auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Ändert sich demgegenüber nachträglich lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage, ist ein Widerruf nicht gerechtfertigt. Das gilt selbst dann, wenn die andere Beurteilung auf erst im Nachhinein bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnissen beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - a.a.O.; Urteil vom 19.9 2000 - 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 78).

Wie der Senat in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 - im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.11.2005 (a.a.O.) dargelegt hat, entspricht § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG inhaltlich der Beendigungsklausel (auch "Wegfall-der-Umstände-Klausel") in Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, die sich ebenfalls ausschließlich auf den Schutz vor erneuter Verfolgung bezieht. Hiernach fällt eine Person nicht mehr unter die Genfer Flüchtlingskonvention, wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. "Wegfall der Umstände" im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK meint demgemäß, ebenso wie im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse. Unter "Schutz" ist nach Wortlaut und Zusammenhang der "Beendigungsklausel" ausschließlich der Schutz vor erneuter Verfolgung zu verstehen. Der Begriff "Schutz des Landes" in dieser Bestimmung hat keine andere Bedeutung als "Schutz dieses Landes" in Art. 1 A Nr. 2 GFK, der die Flüchtlingseigenschaft bestimmt. Schutz ist dabei bezogen auf die Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung. Die "Beendigungsklausel" beruht auf der Überlegung, dass mit Blick auf Veränderungen im Verfolgerland ein internationaler Flüchtlingsschutz nicht mehr gerechtfertigt ist, weil die Gründe nicht mehr bestehen, die dazu führten, dass jemand zum Flüchtling wurde, und damit die Gründe für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nachträglich weggefallen sind. Vor diesem Hintergrund kann ein Ausländer nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es im Sinne von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK nicht mehr ablehnen, den Schutz des Staates seiner Staatsangehörigkeit (wieder) in Anspruch zu nehmen. Demgegenüber werden allgemeine Gefahren (z.B. auf Grund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) von dem Schutz des Art. 1 A Nr. 2 GFK nach Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung ebenso wenig umfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK. Der Senat hat in seinem Urteil vom 4.5.2006 auch dargelegt, dass sich ein weitergehender Schutz auch nicht aus der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - sog. Qualifikationsrichtlinie - (ABl. Nr. L 304 vom 30.9.2004) ergibt. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Anerkennungsentscheidung nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts gewährt werden (vgl. namentlich § 60 Abs. 7 Satz 2 und § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG).

Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) liegen beim Kläger die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht mehr vor. Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Bestimmung darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Mit Ausnahme der durch § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG erfolgten "Erweiterung" ist die Bestimmung vergleichbar mit Art. 16 a Abs. 1 GG , so dass hinsichtlich der Verfolgungshandlung, des geschützten Rechtsguts und des politischen Charakters der Verfolgung auf die für das Asylgrundrecht maßgeblichen Voraussetzungen zurückgegriffen werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502, 1000, 961/86 - BVerfGE 80, 315; BVerwG, Urteil vom 18.2 1992 - 9 C 59.91 - DVBI. 1992, 843; ferner Hailbronner, Ausländerrecht, § 60 AufenthG RdNrn. 20 f.).

Die für eine Widerrufsentscheidung zu fordernde nachträgliche entscheidungserhebliche Veränderung der maßgeblichen Verhältnisse im Vergleich zu denjenigen zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung ist im vorliegenden Fall festzustellen. Wie der Senat in dem o.a. Urteil vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 - dargelegt hat, muss ein irakischer Staatsangehöriger nicht mehr politisch erhebliche Verfolgung durch das Baath-Regime befürchten. Es kann davon ausgegangen werden, dass mit einer erneuten Machtergreifung dieses Regimes im Irak nicht zu rechnen und ein Betroffener daher vor einer Verfolgung durch dieses Regime hinreichend sicher ist (zur gleichartigen Verfolgung s. BVerwG, Urteil vom 18.2.1997 - 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97). Der Senat kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angeführten Urteils Bezug nehmen. An dieser Einschätzung ist auch mit Blick auf die neuere Berichterstattung festzuhalten. Danach nähern sich zwar die gewalttätigen Auseinandersetzungen in Teilgebieten des Iraks, namentlich in Bagdad und den sog. Hochburgen von Schiiten und Sunniten, denen eines Bürgerkriegs. Indes ist das dabei erkennbare Zutagetreten "alter", von Sunniten getragener Strukturen kein Hinweis auf ein Wiederentstehen oder Erstarken gerade der des alten (Verfolger-)Regimes Saddam Husseins.

2. Der Zulässigkeit des Widerrufs kann auch die Gefahr erneuter Verfolgung nicht entgegen gehalten werden (vgl. zur erneuten Verfolgung BVerwG, Urteil vom 1.11. 2005, a.a.O). Denn dem Kläger als Angehörigen der chaldäischen Glaubensgemeinschaft droht bei einer Rückkehr nach Bagdad zwar mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Verfolgung (1). Ihm steht aber eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung (dazu unten 2).

(1) Ist, wie im Falle des Klägers, der Betroffene nicht "vorverfolgt" aus seinem Heimatstaat ausgereist, ist für die Prüfung einer jetzt drohenden Verfolgung der sog. abgeschwächte Prognosemaßstab heranzuziehen (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 18.2.1997 - 9 C 9.96 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 191). Daher ist bei der Frage, ob eine Verfolgungsgefahr vorliegt, weil dem Ausländer bei verständiger, objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falls politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in den Heimatstaat zurückzukehren, eine so genannte qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung geboten. Es kommt darauf an, ob angesichts dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des betreffenden Ausländers Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn bei der zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände größeres Gewicht besitzen und daher gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgeblich ist dabei letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162). Ausgehend hiervon ist festzustellen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak derzeit und auf absehbare Zeit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine staatliche oder "quasi-staatliche" Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG droht (a), er aber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nichtstaatlichen Verfolgung ausgesetzt wäre (dazu b).

(a) Eine Verfolgung durch den irakischen Staat, die mit Blick auf § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist, droht dem Kläger weder im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch in der für die anzustellende Gefährdungsprognose in den Blick zu nehmenden absehbaren Zukunft. Dies hat der Senat in dem o.a. Urteil vom 4.5.2006 eingehend dargelegt. Auf die Gründe kann daher verwiesen werden. Namentlich unter dem weiteren Gesichtspunkt der Verfolgung religiöser Minderheiten, zu denen auch die Christen gehören, fehlt es an Anhaltspunkten für eine vom irakischen Staat ausgehende Verfolgung. Zwar wird von zahlreichen Übergriffen auch gegen Christen berichtet. Gewaltsame Übergriffe durch staatliche Akteure finden sich in diesen Berichten indes nicht (etwa Amnesty International - ai vom 29.6.2005; Deutsches Orient Institut - DOI vom 6.6.2005 an VG Sigmaringen). Erwähnt werden zwar Diskriminierung durch Behörden und Polizei (Europäisches Zentrum für kurdische Studien - EZKS vom 7.3.2005 an VG Köln). Dies steht aber weitgehend im Zusammenhang mit der Machtlosigkeit der staatlichen Institutionen, namentlich der Polizei, die weder über Mittel noch Wege verfügt, sich dem islamistischen Einfluss zu entziehen oder Verbrechensbekämpfung vorzunehmen, geschweige denn sich selbst zu schützen (EZKS vom 7.3.2005 an VG Köln; Lagebericht AA vom 24.11.2005; DOI vom 6.6.2005 an VG Sigmaringen). Politische Verfolgung durch den Staat stellen diese Diskriminierungen demnach nicht dar.

Auch lässt sich nicht mit der zu fordernden beachtlichen Wahrscheinlichkeit feststellen, dass dem Kläger quasi-staatlichen Verfolgung droht (zu ihr vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.8.2000 - 2 BvR 260, 1353/98 - NVwZ 2000, 1165). Gruppierungen, die - wie etwa die Koalitionsstreitkräfte - als "staatsähnliche" Verfolger in Betracht kommen könnten, üben zwar mannigfaltig Repressionen aus; es fehlt aber jeglicher Anhalt dafür, dass die Gewalttätigkeiten auf Christen und deren Religionsausübung ausgerichtet sein könnten. Dies gilt im Übrigen auch für die beiden sich im Nordirak die Herrschaftsgewalt teilenden kurdischen Parteien (UNHCR, Hintergrundinformation Religiöse Minderheiten vom Oktober 2005).

(b) Allerdings droht dem Kläger mit der geforderten beachtlichen Wahrscheinlichkeit nichtstaatliche Verfolgung - dies zwar nicht, weil er der Gruppe der Christen angehört und deshalb auch einer auf sie gerichteten Verfolgung ausgesetzt wäre (aa), sondern weil er als Einzelner in seiner Religionsausübung betroffen ist (bb).

(aa) Nach § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 (auch) von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen (Buchst. b) oder von nichtstaatlichen Akteuren (Buchst. c) ausgehen, sofern die unter den Buchstaben a) und b) genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

Gegenwärtig lässt sich nicht feststellen, dass Christen - wie der Kläger - im Irak als Gruppe wegen ihrer Religion von insoweit allein in Betracht kommenden nichtstaatlichen Akteuren verfolgt werden. Legt man den Wortlaut des Abs. 1 Satz 4 Buchst. c des § 60 AufenthG und seine systematische Stellung im Normgefüge des Abs. 1 zu Grunde, ist der Begriff des nichtstaatlichen Akteurs gegenüber denen der Buchst. a und b ein "Auffangbegriff", dessen Regelungsbereich über den der Vorgängerregelung in § 51 Abs. 1 AuslG hinausgeht, und der - ohne dass dies aus Anlass des vorliegenden Falles abschließend zu klären ist - ein weites Verständnis fordert. Auch bei einem derartigen Verständnis der nichtstaatlich Handelnden lässt sich eine von diesen ausgehende Verfolgung der Christen als Gruppe nicht feststellen. Eine solche Verfolgung ist dann gegeben, wenn die Verfolgung der durch asylerhebliche Merkmale gekennzeichneten Gruppe als solcher und damit grundsätzlich allen Gruppenmitgliedern gilt. In diesem Fall kann die Gruppengerichtetheit der Verfolgung dazu führen, dass jedes Mitglied der Gruppe im Verfolgerstaat jederzeit eigene Verfolgung erwarten muss (dazu BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991 - 2 BvR 902/83 u.a. - BVerfGE 83, 216, 231 f.). Diese Annahme setzt allerdings voraus, dass Gruppenmitglieder Rechtsgutbeeinträchtigungen erfahren, aus deren Intensität und Häufigkeit jedes einzelne Gruppenmitglied die begründete Furcht herleiten kann, selbst Opfer solcher Maßnahmen zu werden (BVerfG, Beschluss vom 23.1.1991, a.a.O., 232). Diese Verfolgungsdichte, die mit Blick auf eine Anzahl von Eingriffen, den Zeitraum, in dem die Eingriffe erfolgen, und die dabei in Rede stehenden Gebiete des Verfolgerstaates zu bestimmen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1991, a.a.O. 169 = NVwZ 1992, 582), ist bei Christen im Irak nicht in dem für die Annahme einer Gruppenverfolgung geforderten Umfang gegeben.

Christen machen etwa 3 Prozent der Bevölkerung des Landes aus. Sie sind in zahlreichen Institutionen zu finden; mit lediglich 6 von 275 Sitzen (2 %) im irakischen Parlament haben Vertreter der christlichen Religionsgemeinschaften im Irak jedoch politisch kaum Gewicht (UNHCR vom Oktober 2005; Lagebericht AA vom 10.6.2005). Sie sehen sich in zunehmendem Maße Diskriminierungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Diensten der sozialen Grundversorgung ausgesetzt. Viele irakische Christen fürchten jedoch vor allem Verfolgung durch aufständische Gruppierungen wie Ansar A/-Sunna und islamistische Milizen, beispielsweise die Badr-Organisation oder die Mahdi-Armee, die in verschiedenen Städten und Orten im Irak die faktische Kontrolle über ganze Straßenzüge übernommen haben. (UNHCR vom Oktober 2005). Vielfach wird mit Flucht aus dem Irak reagiert, 2004 sollen es bereits 30.000 christliche Familien gewesen sein (ai vom 29.6.2005 an das VG Köln). Immer wieder wird von Übergriffen und Anschlägen gegen Christen oder christliche Einrichtungen berichtet. So wurden beispielsweise am 1. August 2004 nahezu zeitgleich Anschläge auf fünf christliche Kirchen in Bagdad und Mossul verübt, die mindestens 15 Todesopfer forderten. Bei einer weiteren verheerenden Anschlagserie gegen sechs christliche Kirchen in Bagdad am 16. Oktober 2004 wurden mindestens eine Person getötet und neun weitere verletzt. Am 8. November 2004 explodierten vor der St.-Georgs- und der St.-Matthias-Kirche in Bagdad Autobomben. Die Anschläge forderten mindestens drei Todesopfer und Dutzende Verletzte. Bei weiteren Anschlägen auf christliche Kirchen in Bagdad wurde erheblicher Sachschaden verursacht. Am 7. Dezember 2004 wurde eine Anschlagserie gegen die armenische und die chaldäische Kirche in Mossul verübt, es entstand erheblicher Sachschaden. Im Januar 2005 wurden der Führer der Christdemokratischen Partei im Irak, Minas al-Yousifi, sowie der syrisch-katholische Erzbischof von Mossul entführt. Im Februar 2005 wurde eine christliche Krankenschwester von ihren Entführern enthauptet; am 18. März 2005 vermeldete die im Nordirak operierende Gruppierung Ansar AI Sunna auf ihrer Internet-Seite die Tötung eines christlichen Generals der irakischen Armee (UNHCR vom Oktober 2005; EZKS vom 7.3.2005 an das VG Köln). Auch kommt es zu Drohungen gegenüber Christen, um sie zu "islamischem Verhalten" zu veranlassen, namentlich hinsichtlich Kleidung und Einhaltung der Fastengebote (EZKS vom 7.3.2005 an VG Köln). Christliche Frauen geraten landesweit zunehmend unter Druck extremistischer Gruppen, sich traditionell islamischen Vorstellungen entsprechenden Bekleidungsvorschriften anzupassen und sich zu verschleiern (UNHCR vom Oktober 2005; allg. zur Lage der Frau im Irak UNHCR vom November 2005). Allerdings sind diesem Druck auch muslimische Frauen ausgesetzt (Lagebericht AA vom 10.6.2005). Von Christen betriebene Geschäfte, in denen Alkohol, Musikdisketten oder Videos zum Verkauf angeboten wurden, sind wiederholt Ziel von Sprengstoffanschlägen oder Plünderungen geworden. Auffallend ist die Zahl der betroffenen Friseurläden. Bei Anschlägen auf von Christen betriebene Geschäfte wurden die Inhaber bzw. Geschäftsführer entführt und misshandelt. Christen gelten zudem als reich und sind daher öfters Opfer einer Entführung (ai vom 29.6.2005 an das VG Köln; EZKS vom 7.3.2005 an das VG Köln). Aufgrund der oben bereits erwähnten Ineffizienz der irakischen Sicherheitskräfte werden die meisten Vorfälle dieser Art den Behörden nicht angezeigt. Die Opfer bleiben vielmehr häufig im Verborgenen, um keine weitere Aufmerksamkeit zu erregen, und entscheiden sich schließlich zum Verlassen der Gegend, um weiteren Bedrohungen aus dem Wege zu gehen. Es muss deshalb von einer hohen Dunkelziffer von Übergriffen gegen Christen ausgegangen werden. (UNHCR vom Oktober 2005).

Den Anschlägen, Übergriffen und der Diskriminierung von Christen im Irak liegt häufig eine Anzahl verschiedener Motive zugrunde, die alternativ oder kumulativ den Anlass für Übergriffe auf Christen bilden: Einerseits werden Christen im Irak insbesondere von konservativen islamischen Kreisen und Gegnern des Demokratisierungsprozesses häufig per se als Unterstützer und Kollaborateure der multinationalen Koalitionstruppen und der irakischen Übergangsregierung und damit als "Verräter" des irakischen Volkes angesehen. Vor diesem Hintergrund schweben Christen in der Gefahr, Opfer politisch motivierter Gewaltakte zu werden. (ai vom 29.6.2005 an das VG Köln; UNHCR vom Oktober 2005; EZKS vom 7.3.2005 an das VG Köln). Schwerpunkte der Übergriffe bilden jedoch die Städte Bagdad und Mossul (EZKS vom 7.3.2005 an das VG Köln). Da Christen von der mehrheitlich muslimischen irakischen Bevölkerung als "Ungläubige" betrachtet werden, tragen viele der Übergriffe andererseits aber auch unmittelbar religiöse Komponenten in sich. Dies gilt insbesondere dann, wenn Christen durch Gewaltakte für nichtkonformes Verhalten - beispielsweise die Nichtbeachtung der von der muslimischen Mehrheit akzeptierten und geforderten Kleiderordnung, das Trinken oder Ausschenken von Alkohol, die Inanspruchnahme von Freizügigkeit durch Frauen - abgestraft oder zur Einhaltung traditioneller Verhaltenskodizes ermahnt werden sollen (ai vom 29.6.2005 an das VG Köln; UNHCR vom Oktober 2005). Daneben kann in Einzelfällen auch persönliche Feindschaft oder Missgunst zu gewalttätigen Übergriffen gegen Angehörige der christlichen Religionsgemeinschaften führen. So ist nicht auszuschließen, dass die Erzielung wirtschaftlichen Gewinns aus einem für bekennende Muslime geächteten Geschäft, wie beispielsweise dem Handel mit alkoholischen Getränken, insbesondere bei arbeitslosen Irakern auch wirtschaftlichen Neid hervorruft (ai vom 29.6.2005 an das VG Köln; UNHCR vom Oktober 2005).

Wenngleich das Christentum als so genannte Buchreligion formell unter der Obhut der islamischen Religionsgemeinschaft steht, ist insgesamt zu berücksichtigen, dass Angehörige nicht-muslimischer Glaubensgemeinschaften in der einfachen, mehrheitlich muslimischen Bevölkerung im Irak häufig als nicht besonders schutzwürdig gelten. Unter dem Einfluss radikaler muslimischer Geistlicher führt diese Auffassung teilweise dazu, dass gegen "Ungläubige" gerichtete Straftaten - wenn überhaupt - als geringeres Unrecht angesehen werden. Vor diesem Hintergrund kommt der Religionszugehörigkeit der Opfer erhebliche Bedeutung sowohl als Motiv von Verfolgungshandlungen, als auch für die Art und Weise der Begehung der Verfolgungshandlungen und die relativ niedrige Hemmschwelle für Gewalttaten zu (ai vom 29.6.2005 an das VG Köln; UNHCR vom Oktober 2005). Besonders starke Abneigung wird den Christen infolge der verstärkten Hinwendung zu streng islamischen Glaubensgrundsätzen und Traditionen im Süden des Landes sowie im gesamten sunnitischen Dreieck entgegengebracht (ai vom 29.6.2005 an das VG Köln; UNHCR vom Oktober 2005).

Allerdings sind die oben angeführten Übergriffe nicht auf Christen beschränkt, sondern treffen muslimische Iraker gleichermaßen. So sind allgemein Hochschullehrer und Ärzte betroffen, desgleichen irakische Staatsangehörige, die für die eigene Verwaltung oder für die Koalitionsstreitkräfte arbeiten. Entführungen sind landesweit üblich und Ausdruck von Gewaltkriminalität und Sozialneid, bisweilen sind sie Mittel, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu wecken. Und sie sind ferner Ausdruck einer stärker werdenden Islamisierung des Alltags, der gleichermaßen Muslime betrifft (EZKS vom 3.7.2005 an das VG Köln; Lagebericht AA vom 10.6.2005). Mittlerweile ist sogar von einer Gefährdung auch der Mitglieder der irakischen Regierung auszugehen, die - wie Angehörige von Polizei und Streitkräften - gezielten Tötungen und Anschlägen ausgesetzt sind. Gefährdet sind auch Journalisten und Mitarbeiter von internationalen Organisationen (Lagebericht AA vom 10.6.2005). Festzustellen sind auch vermehrt gewaltsame Auseinandersetzungen der religiösen Gruppen innerhalb des Iraks, die vor der Zerstörung zentraler religiöser Stätten und dem Töten von Pilgern der jeweiligen Gegenseite nicht Halt machen (Lagebericht AA vom 10.6.2005). Nimmt man die Verfolgungsdichte in quantitativer Hinsicht in Blick, ist die Zahl der Übergriffe in den vergangenen Jahren nicht geeignet, eine Verfolgung der Christen als religiöser Gruppe zu belegen (so auch OVG Nds., Beschluss vom 24.11.2004, Asylmagazin 2005, 12.; OVG Rhl.-Pf., Beschluss vom 24.1.2005, AuAS 2005, 12; BayVGH, Urteil vom 3.3.2005 - 23 B 04.30734; vom 10.5.2005 - 23 B 05.30190 u.a.; vom 12.10.2005 - 23 B 05.30596).). Die dahingehende anfängliche Befürchtung (so DOI vom 14.2.2005 an das VG Köln), hat sich nicht bestätigt (klarstellend DOI vom 6.9.2005 an VG Sigmaringen).

(bb) Der geschilderten Entwicklung lässt sich aber entnehmen, dass dem Kläger in seiner Person bei einer Rückkehr an seinen Herkunftsort Bagdad Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure wegen seiner christlichen Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dass es sich bei diesem Umstand, auf den sich der Kläger beruft, um einen Nachfluchttatbestand handelt, steht seiner Berücksichtigung nicht entgegen. § 28 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verdeutlicht, dass objektive Nachfluchtgründe regelmäßig beachtlich sind, wenn sie auf einen asylrelevanten Verfolgungsgrund gestützt sind. Da der Nachfluchttatbestand hier zwar nach der Ausreise des Klägers aus dem Irak, aber dort unabhängig von seiner Person ausgelöst worden ist (dazu BVerfG, Beschluss vom 26.11.1986 - 2 BvR 1058/85 - BVerfGE 74, 51, 64 f.), handelt es sich bei dem Vorbringen des Klägers, er werde jetzt bei einer Rückkehr in sein Heimatland als Christ verfolgt, um einen derartigen objektiven Nachfluchtgrund.

Religiöse oder religiös motivierte Verfolgung ist allgemeiner Ansicht nach politische Verfolgung, wenn sie nach Art und Schwere geeignet ist, die Menschenwürde zu verletzen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 2.7.1980 - 1 BvR 147/80 u.a., BVerfGE 54, 341, 357; Urteil vom 1.7.1987 - 2 BvR 478, 962/86, BVerfGE 76, 143, 158). Art. 16a GG (und mithin § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) schützt daher vor Verfolgung jedenfalls im privaten Bereich und daher das "religiöse Existenzminimum". Dieses ist u.a. berührt, wenn dem Betroffenen seine religiöse Identität geraubt wird, indem ihm etwa unter Androhung von Strafen für Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe tragender Inhalte ihrer Glaubensüberzeugung zugemutet wird oder er daran gehindert wird, seinen eigenen Glauben, so wie er ihn versteht, im privaten Bereich und zusammen mit anderen Gläubigen zu bekennen. Steht wie hier nicht die Gruppe der Gläubigen im Blickfeld der Verfolger, ist zudem zu fordern, dass die Verfolgung am Herkunftsort die "religiöspersonale" Identität des Betroffenen betrifft (vgl. BVerfG, Urteil vom 1.7.1987, a.a.O., 159 f.). Diese Forderung ergibt sich nicht zuletzt auch mit Blick auf die asylrechtliche Rechtfertigung der Erheblichkeit objektiver Nachfluchtgründe, die in der Unzumutbarkeit der Rückkehr des Betroffenen zu sehen ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 9.4.1991 - 9 C 100/90 - BVerwGE 88, 92, 96 = NVwZ 1992, 272).

Zu dieser persönlichen Betroffenheit hat der Senat den Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört. Dieser hat nachvollziehbar dargelegt, dass er vor seiner Ausreise bereits Mitglied der "Maria- und Joseph-Gemeinde" im Ortsteil Shadiya gewesen sei, deren Gottesdienste regelmäßig besucht, dort im Rahmen der "Kirchenschule" mit gesungen und auch Aramäisch gelernt habe. Auch sei er im Rahmen der kirchlichen Armenhilfe tätig geworden. Seine Eltern seien regelmäßig zum Gottesdienst gegangen, sein Großvater habe die Bibel in ihre - die chaldäische - Sprache übersetzt. Diese Angaben lassen Rückschlüsse auf eine personelle religiöse Betroffenheit zu, wie im Übrigen auch die Zugehörigkeit des Klägers zu einer christlichen Gemeinde im Bundesgebiet und seine kirchliche Trauung in Syrien. Ob dies auch die Annahme tragen könnte, dem Kläger drohe bei einer Rückkehr in den Irak mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit Eingriffe in seine "religiöspersonale" Identität und deshalb politische Verfolgung, bedarf aber letztlich keiner abschließenden Entscheidung. Denn chaldäische Christen, die - wie der Kläger - aus Bagdad stammen, werden dort auch wegen ihrer Glaubensbetätigung allgemein verfolgt.

Religiös motivierte Verfolgung ist auch Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1, 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG des Rats vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie, a.a.O.). Nach Art. 10 Abs. 1 b dieser Richtlinie berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Verfolgungsgründe, dass der Begriff der Religion u.a. die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten und öffentlichen Bereich umfasst. Mit diesem Inhalt wird auch der Schutz vor Verfolgung auf solche Maßnahmen ausgedehnt, die an die öffentliche Glaubensbetätigung anknüpfen.

Dieses gegenüber der geschilderten Rechtsprechung zu Art. 16a GG weitere Verständnis eines asylerheblichen Schutzes der Religionsfreiheit ist nach Auffassung des Senats auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich. Nach Art. 38 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie ist der Mitgliedsstaat verpflichtet, sein innerstaatliches Recht und seine Verwaltungspraxis mit der Richtlinie spätestens bis zum 10.10.2006 in Übereinstimmung zu bringen. Diese Frist zur Umsetzung ist noch nicht abgelaufen. Indes ist die Richtlinie auf Grund der ihr zuzuordnenden "Vorwirkung" im Rahmen der Auslegung der nationalen Bestimmung zu beachten.

Nach Art. 249 EG entfaltet zwar eine Richtlinie vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist gegenüber Einzelnen keine Wirkung. Auf sie unmittelbar berufen kann sich ein Betroffener erst nach Ablauf dieser Frist und lediglich unter der Voraussetzung, dass die Richtlinie ihrem Inhalt nach ohne konkreten Umsetzungsakt vollzogen werden kann ("self-executing", s. Schoch, NordÖR 2004, 1, 5 m.w.N. in FN. 78 ff.; Beschl. des erk. Gerichtshofs vom 12.5.2005 - A 3 S 358/05 - m.w.N.). Wie in der Rechtsprechung des EuGH wiederholt entschieden ist (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 22.11.2005 - Rs. C-144/04, BB 2005, 2748 f., RdNr. 66 f. m.w.N.), dürfen die Mitgliedstaaten während der Frist für die Umsetzung einer Richtlinie keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, das Erreichen des von dieser Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich in Frage zu stellen. Ob die in Rede stehende nationale Vorschrift dabei überhaupt die Umsetzung der Richtlinie bezweckt, ist dabei unerheblich (EuGH, Urteil vom 22.11.2005, a.a.O., RdNr. 68 m.w.N.). Diese Pflicht trifft auch die nationalen Gerichte - unstreitig nach Ablauf der in der Richtlinie bestimmten Umsetzungsfrist, aber auch bereits bei der Bestimmung nationaler Vorschriften ab Inkrafttreten der Richtlinie. Diese "Vorwirkung" besteht nicht nur in einem Verbot, die Ziele der Richtlinie vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu unterlaufen (BVerwG, Urteil vom 19.5.1998 - 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1, 22; Urteil vom 27.10.2000 - 4 A 18.99 - BVerwGE 112, 140, 156), sondern auch in einem vor Ablauf der Frist bestehenden Gebot zur einer "richtlinienkonformen Auslegung" nationaler Vorschriften (so BGH, Urteil vom 5.2.1998 - I ZR 211/95 - NJW 1998, 2208, 2210; ferner auch Schlussanträge GA Kokott vom 27.10.2005, Rs. C-212/04 - Adeneler u.a.; vgl. demgegenüber das noch engere Urteil des EuGH, Urteil vom 18.12.1997 - Rs. C-129/96 m. Anm. Weiß, DVBl. 1998, 568; zur Qualifikationsrichtlinie einschränkend auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.5.2005 - A 3 S 358/05 -; offen lassend OVG NW, Beschluss vom 18.5.2005 - 11 A 533/05.A - NWVBl. 2006, 224, 225). Ist die Bestimmung des § 60 AufenthG daher auch unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie auszulegen, hat dies zur Folge, dass von ihrem Geltungsbereich der Schutz vor Verfolgung bei der Religionsausübung nicht lediglich im "privaten" Bereich, sondern auch im Bereich der öffentlichen Religionsausübung umfasst ist.

Allerdings ist nicht jede Diskriminierung in dem so verstandenen religiösen Schutzbereich zugleich auch Verfolgung wegen der Religion. Sie muss vielmehr das Maß überschreiten, das lediglich zu einer durch die Diskriminierung eintretenden Bevorzugung anderer führt, sich mithin also als ernsthafter Eingriff in die Religionsfreiheit darstellt (dazu Marx, AsylVfG, 6. A., § 1 RdNr. 212 m.w.N.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die auf die - häuslich-private, aber auch öffentliche - Religionsausübung gerichtete Maßnahme zugleich auch mit Gefahr für Leib und Leben verbunden ist oder zu einer dem entsprechenden "Ausgrenzung" führt (vgl. dazu auch Marx, a.a.O., RdNr. 208 f. m.w.N.). Von dieser Eingriffsschwere ist im Fall eines irakischen Christen auszugehen, der - wie der Kläger - aus Bagdad kommt.

Nach den dem Senat zugänglichen, oben bereits angeführten Erkenntnismöglichkeiten richten sich die Angriffe von Dritten ersichtlich auch gegen die Christen in ihrer Eigenschaft als tätige Gläubige. Schon die oben erwähnten systematischen Angriffe im Jahre 2004 auf verschiedene christliche Kirchen (dazu FAZ vom 18.10.2004) und deren Würdenträger verdeutlichen, dass die Anschläge nicht lediglich eine allgemeine "Destabilisierung" der Gesamtsituation im Irak, sondern in erster Linie die Störung der Religionsausübung verschiedener christlicher Gemeinden namentlich in Bagdad zum Ziel hatten. Die Gefahrensituation hat sich mittlerweile - aus religiös bedingten Motiven, aber auch vor dem Hintergrund der Machtverteilung im Staat - auf nahezu alle religiösen Gruppierungen ausgedehnt, die sich gezielten Anschlägen der jeweiligen Gegenseite ausgesetzt sehen. Von den zunehmenden Auseinandersetzungen sind aber die religiösen Minderheiten, zu denen die Christen zählen, besonders betroffen. Dies gilt namentlich für den Großraum Bagdad (EZKS vom 7.3.2005, DOI vom 14.2.2005 und ai vom 29.6.2005, alle an das VG Köln).

Ist im Wege der Auslegung des § 60 AufenthG auf die genannte Qualifikationsrichtlinie zurückzugreifen, so führt dies auch zu der in ihr angelegten begrenzenden Prüfung, ob der Betroffene auch bei der von ihm vorgebrachten Verfolgung durch nichtstaatlich Handelnde im Sinne von Art. 6 Buchst. c der Richtlinie Schutz gesucht hat. Dafür, dass er vor der Ausreise um Schutz nachgesucht, dieser aber ihm nicht gewährt wurde, trifft den Betroffenen eine Nachweispflicht (vgl. auch Marx, a.a.O. RdNrn. 133 f.). Hier spricht nach den o.a. Erkenntnisquellen alles dafür, dass eine solche Suche nach Schutz im Verfolgungsgebiet derzeit und auch in naher Zukunft ohne Erfolg bleiben muss. Aus der o.a. geschilderten Lage ergibt sich, dass der irakische Staat - nichts anderes gilt für nichtstaatlich Handelnde - namentlich am Herkunftsort des Klägers nicht in der Lage ist, hinreichenden Schutz auch vor religiöser Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten.

(2) Allerdings ist dem Kläger in den kurdisch regierten Landesteilen im Norden des Iraks eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne von § 60 Abs. 1 Buchst. c AufenthG eröffnet. Eine solche Fluchtalternative besteht dann, wenn der Betroffene in anderen Teilen des Verfolgerstaates nicht in eine ausweglose Lage gerät. Dies setzt voraus, dass er in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm jedenfalls dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen (vgl. dazu etwa BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989- 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315, 343 f.). Die Verfolgungssicherheit als Sicherheit vor asylrelevanten Übergriffen der o.a. nicht staatlich Handelnden ist hier für den Kläger im angesprochenen Nordirak gegeben. Dort drohen ihm auch keine anderen Nachteile, da ihm bei verallgemeinernder Betrachtungsweise dort auf Dauer ein Leben möglich ist, das nicht durch Hunger, Elend und drohende Lebensgefahr gekennzeichnet ist (zu diesen Voraussetzungen BVerwG, Urteil vom 6.10.1987 - 9 C 13.87 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 72). Wie UNHCR (dazu Stellungnahme vom 6.9.2005 an das VG Stuttgart und Hintergrundinformation vom Oktober 2005) betont, wird den Christen im Süden des Iraks und besonders im gesamten sunnitischen Dreieck besondere Abneigung infolge der verstärkten Hinwendung zu streng islamischen Glaubensgrundsätzen und Traditionen entgegengebracht. Hingegen sei das Verhältnis zwischen Kurden und Christen von mehr gegenseitiger Toleranz geprägt, so dass Christen im kurdisch kontrollierten Nordirak im Allgemeinen einem geringeren Anpassungs- und Verfolgungsdruck unterlägen; gleichwohl komme für Christen aus anderen Gebieten des Iraks wegen der eingeschränkten Zugänglichkeit und der gravierenden Wohnungsnot die Annahme einer innerstaatliche Fluchtalternative nur in besonders gelagerten Ausnahmesituationen in Betracht (a.a.O., FN 10). Allgemein wird hervorgehoben, dass sich die Sicherheitslage im Nordirak als "stabil" darstellt (EZKS vom 26.10.2005 an das VG München; vom 4.10.2005 an das VG Ansbach: "relativ stabil"). Da allgemein sich die westliche Berichterstattung aus dem Irak auf die Kriegsschauplätze in den Hochburgen des Widerstands konzentriert, wird teilweise ausgeblendet, dass weite Teile des Landes von den Kämpfen nicht berührt werden (Der Spiegel, 50/2005, 138). Dies hat nach Ansicht des Senats auch für die Beurteilung der Situation im Nordirak zu gelten. Allgemein ist er von den punktuellen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Zentralirak nicht berührt. Dabei ist allerdings nicht zu verkennen, dass Betroffene, die dort Schutz suchen und nicht zu den Kurden gehören, in den kurdisch verwalteten Gebieten einem erheblichen Anpassungsdruck ausgesetzt sind, da sie auf traditionelle Vorstellungen und Lebensweisen der Kurden treffen. Dieser Umstand ist indes nicht als asylrechtlich erheblich zu beurteilen, da er weder zu einer Aufgabe der Religionsausübung zwingt noch einen asylrechtlich bedeutsamen Nachteil im oben genannten Sinne darstellt. Viele Christen leben im Nordirak unbehelligt (so schon früher der Allgemeine Amtsbericht Nord-Irak des niederländischen Außenministeriums vom 23.10.2002). Der nordirakische Teilstaat bemüht sich sogar um eine Integration der assyro-chaldäischen Christen. Dort erhalten christliche Flüchtlingsfamilien Sozialhilfe von der Demokratischen Partei Kurdistans und Grundstücke sowie Mittel für den Hausbau von der Patriotischen Union Kurdistan (GfbV vom 23.12.2004). Assyro-Chaldäer haben ein eigenes Schulsystem und Medien in neuaramäischer Sprache (Focus 6/2004). Christen aus dem Süden, die dort Vertreibungsdruck ausgesetzt sind, finden Aufnahme im Nordirak; die kurdische Administration hat ihre Integration begonnen. Dies im Zusammenhang mit dem Umstand, dass der Golfkrieg den Nordirak nicht so unmittelbar betroffen hat, wie die übrigen Landesteile, dieses Gebiet bereits vor dem 20.3.2003 über eine funktionierende Verwaltung, Polizei und Justiz verfügte und auch weitgehend autonom war (AA-Lagebericht vom 2.11.2004), trägt die Einschätzung, dass Christen im Nordirak allgemein einer politisch motivierten Verfolgung nicht ausgesetzt sind. Die irakischen Kurden haben sich bisher durchaus als Freunde der Christen erwiesen; nur im Nordirak waren christliche Einwohner und Flüchtlinge seit 2003 ihres Lebens wirklich sicher (so Gstrein, APD/ZDF/Livenet vom 9.2.2006; dazu auch EZKS vom 7.3.2005 an das VG Köln). Die Lebensbedingungen heben sich im Nordirak positiv vom übrigen Staatsgebiet ab (AA-Lagebericht Mai 2005); eine soziale, lebensbedrohende "Verelendung" droht nicht. Es kommt hinzu, dass der Kläger erwerbstätig sein kann, mithin von ihm im Regelfall erwartet werden darf, dass er sich entsprechend dem Durchschnitt der Bevölkerung nach Maßgabe der vorhandenen Möglichkeiten ein Auskommen sichern könnte (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30.4.1991 - 9 C 105/90 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 145; Marx, a.a.O. RdNr. 64 f., m.w.N.). Dabei verkennt der Senat nicht, dass allgemein eine erhebliche Arbeitslosigkeit auch im kurdisch verwalteten Nordirak besteht. Zwar wird immer wieder betont, die wirtschaftliche, insbesondere die den Arbeitsmarkt prägende Gesamtsituation sei auch im Nordirak erheblich angespannt (so unter allgemeinem Hinweis auf Angaben des UNHCR etwa ai vom 16.8.2005 an das VG Köln). Dies wird allerdings aus den Zahlen hergeleitet, die für den Gesamtirak gelten, ohne die Besonderheiten des Nordens zu berücksichtigen. Auch wird regelmäßig auf die fehlende Einbindung in die dort vorhanden Stammes- und Familienstrukturen zur Begründung dafür abgehoben, dass eine Zuwanderung von Irakern aus dem Zentralirak erheblich erschwert sei. Nach Ansicht des Senats wird dabei aber verkannt, dass religiöse Minderheiten dort auf ihre bereits tätigen Religionsgemeinschaften treffen, die ihnen die soziale Einbindung erleichtern, ein Angewiesensein auf die genannten Familien- und Stammesstrukturen allein also nicht festzustellen ist. Christen finden vielmehr - wenn ihnen die oben genannten administrativen Hilfestellungen versagt bleiben - jedenfalls bei den Kirchen Unterstützung (vgl. Gutachten DOI vom 18.2.2005). Dass deren Aufnahmebereitschaft erheblich beansprucht wird (so ai. vom 16.8.2005 an das VG Köln für die vergleichbare Situation der Jesiden im Nordirak), rechtfertigt ebenso wenig wie der Hinweis auf die Arbeitslosenzahlen die Annahme, Betroffenen im Nordirak sei das Existenzminimum nicht gewährleistet. Vom ehemaligen "oil-for-food" -Programm bzw. seinem Nachfolgeprogramm abgesehen, gibt es zwar keine offiziellen staatlichen Sozialleistungen im Irak, allerdings gibt es "Sozialhilfe" in Naturalien (BGKF vom 6.3.2006 an das VG Ansbach); aus dem Zentralirak stammende und in den kurdischen Einzugsbereich fliehende Christen werden finanziell von der kurdische Regionalregierung bzw. der KDP unterstützt - so durch eine einmalige Zahlung von 1.000 US-Dollar sowie eine Anschlussfinanzierung von 40 bis 50 US-Dollar pro Familie (EZKS a.a.O.).

Auch sieht der Senat die für die Annahme der inländischen Fluchtalternative geforderte Erreichbarkeit (dazu BVerwG, Urteil vom 30.4.1991 - 9 C 105.90 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 145) des Nordiraks nicht in Frage gestellt. Zwar weist der UNHCR (in seiner Stellungnahme vom 6.9.2005 an das VG Stuttgart) darauf hin, dass die unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebiete im Nordirak derzeit für Iraker aus den anderen Teilen des Landes nur eingeschränkt zugänglich seien; die Einreise erfolge unter strenger Kontrolle der dortigen Behörden. Die Personen, denen eine Einreise in die kurdisch kontrollierten Gebiete gestattet werde, müssten sich förmlich um eine Aufenthaltserlaubnis bewerben, die rechtliche Mindestvoraussetzung für die Inanspruchnahme sozialer Rechte sei. Nichtkurdische Aufenthaltsbewerber müssten in allen drei kurdischen Provinzen einen kurdischen Sponsor benennen, der Unterhalt und Unterbringung der Betroffenen garantiere. Dass dies nicht für Christen gilt, ist der Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker (pogrom 2/2006, S. 29) zu entnehmen, die nach dem Hinweis, dass die - auch im Norden geltende - irakische Verfassung die Religionsausübung auch der nichtmuslimischen Minderheiten garantiere, zur Feststellung kommt, dass bis Ende Januar 2006 etwa 3500 assyro-chaldäische Familien, mehr als 18.000 Menschen, in den kurdischen Norden des Irak geflüchtet waren; dort seien unter anderem 30 neue Dörfer für sie gebaut worden, ebenso Straßen und Bewässerungssysteme. Im Januar 2006 sei deshalb auch die Bundesregierung aufgefordert worden, die Programme für die Ansiedlung christlicher Flüchtlinge im kurdischen Nordirak finanziell zu unterstützen und sich auf der Ebene der Europäischen Union für die Förderung dieser Programme einzusetzen. Diese Feststellung trägt zugleich auch die Annahme, dass persönliche Beziehungen - so sie denn für den Aufenthalt und die Niederlassung im Nordirak zu fordern wären - jedenfalls durch die nicht unerhebliche Anzahl der bereits im Nordirak lebenden Christen geknüpft werden können. In der genannten Zeitschrift pogrom (dort S. 28) wird auch aus der am 15.12.2005 gehaltenen Rede des Präsidenten "Kurdistans", Masud Barzani, zitiert, der die Christen des Iraks eingeladen hat, in Kurdistan zu leben und dabei zu helfen, das Land aufzubauen. Bestätigt wird die Annahme, Christen sei im kurdischen Teil des Iraks eine Fluchtalternative eröffnet, auch durch die Stellungnahme des EZKS vom 6.3.2006 an das VG Ansbach. Dort wird zur Lage der Mandäer dargelegt, dass "ähnlich wie im Fall der yezidischen respektive christlichen Minderheiten" auch im Fall der Mandäer davon ausgegangen werden kann, sie könnten im kurdischen Norden vergleichsweise unbehelligt leben. Ein entscheidender Unterschied zur christlichen bzw. assyrischen Minderheit in den kurdisch verwalteten Gebieten liege tatsächlich darin, dass Mandäer, anders als Assyrer, keinerlei einflussreiche Positionen innerhalb der kurdischen Parteien wie der PUK und insbesondere der KDP innehätten. Die Existenz einflussreicher Christen sei nach der Einschätzung des EZKS in durchaus erheblichem Umfang mit dafür verantwortlich, dass in den letzten Jahren nennenswerte soziale Projekte zur Verbesserung der Situation der christlichen Bevölkerung in Angriff genommen worden seien; so sei beispielsweise der Verantwortliche für das finanziell hervorragend ausgestattete Wiederaufbauprogramm christlicher Dörfer in der Mosulebene, das nach dem Krieg von der kurdischen Regionalregierung, insbesondere der KDP, initiiert worden sei, ein in der KDP einflussreicher Christ. Diese Umstände tragen den Schluss, die Voraussetzungen für eine inländische Fluchtalternative seien für den Kläger im Nordirak erfüllt. Dem steht auch nicht die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerte Ansicht des Klägers entgegen, er dürfe auf den Nordirak als verfolgungsfreies Gebiet nicht verwiesen werden, da er eine vierköpfige Familie habe, die dort keine Lebensgrundlage finde. Dass diese Befürchtung nicht zutrifft, ergibt sich aus den obigen Ausführungen.

(3) Auch die Bestimmung in § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG steht der Widerrufsentscheidung des Bundesamtes nicht entgegen.

Nach dieser Vorschrift ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der Senat hat in dem o.a. Urteil vom 4.5.2006 unter Berufung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.11.2005, a.a.O., dargelegt, dass die Bestimmung eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft enthält, die unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 1 der Vorschrift gilt. Der Rückkehr in den Heimatstaat müssen (gegenwärtige) zwingende Gründe entgegenstehen, d.h. eine Rückkehr muss unzumutbar sein. Die Gründe müssen zudem auf früherer Verfolgung beruhen. Zwischen ihr und der Unzumutbarkeit der Rückkehr muss bereits nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Dagegen schützt die Vorschrift nicht gegen allgemeine Gefahren. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG trägt der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst eine Zeit danach, auch ungeachtet veränderter Verhältnisse, nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 -, a.a.O.). Ein derartiger Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere sind die Gründe, die zur Feststellung eines beim Kläger bestehenden Abschiebungshindernisses geführt haben, nicht in einen kausalen Zusammenhang zu bringen mit den jetzt geltend gemachten Verfolgungsgründen.

Offen kann bleiben, ob der Widerruf unverzüglich im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfolgt ist. Die Pflicht zum unverzüglichen Widerruf dient ausschließlich öffentlichen Interessen: Ein etwaiger Verstoß hiergegen verletzt keine Rechte des betroffenen Ausländers (dazu das o.a. Urteil des Senats vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 - unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - a.a.O.; ferner BVerwG, Beschlüsse vom 4.11.2005 - 1 B 58.05 - und vom 12. Oktober 2005 - 1 B 71.05 -).

Auch aus der am 1.1.2005 in Kraft getretenen Regelung in § 73 Abs. 2a AsylVfG kann der Kläger nichts zu seinen Gunsten herleiten. Nach Satz 1 dieser Vorschrift hat die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Widerruf nach Abs. 1 oder eine Rücknahme nach Abs. 2 vorliegen, spätestens nach Ablauf von drei Jahren nach Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu erfolgen. Das Ergebnis ist der Ausländerbehörde mitzuteilen (Satz 2). Ist nach der Prüfung ein Widerruf oder eine Rücknahme nicht erfolgt, so steht eine spätere Entscheidung nach Abs. 1 oder Abs. 2 im Ermessen (Satz 3). Diese Bestimmung findet auf die hier angefochtene - vor dem 1.1.2005 ergangene - Widerrufsentscheidung des Bundesamts (vom 23.3.2004) keine Anwendung. Das mit der Vorschrift neu eingeführte mehrstufige Prüfungsverfahren, das erkennbar in einem engen Zusammenhang mit dem ebenfalls am 1.1.2005 in Kraft getretenen § 26 AufenthG steht, kann sich schon nach dem Gesetzeswortlaut nur auf den Fall beziehen, dass bei Inkrafttreten der Vorschrift weder ein Widerruf noch eine Rücknahme der Anerkennung erfolgt ist. Es handelt sich daher um einen in die Zukunft gerichteten Auftrag an das Bundesamt, dem die gesetzgeberische Erwägung zugrunde liegt, mit der Einführung einer obligatorischen Prüfungspflicht den Vorschriften über den Widerruf und die Rücknahme mehr praktische Bedeutung zu verleihen (ebenso BVerwG, Urteil vom 1.11.2005, a.a.O.). Für eine rückwirkende Geltung des § 73 Abs. 2 a AsylVfG mangelt es an einer entsprechenden Übergangsvorschrift. Der vorliegende Sachverhalt gibt keinen Anlass zur Erörterung der Frage, ob diese Bestimmung darüber hinaus nur für den Widerruf von Anerkennungsbescheiden gilt, die nach dem 1.1.2005 ergangen sind. Offen bleiben kann ferner die Frage, ob die Jahresfrist nach § 49 Abs. 2 S. 2 in Verb. mit § 48 Abs. 4 VwVfG auch bei asylverfahrensrechtlichen Widerrufsverfügungen nach § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG Anwendung findet, da die Jahresfrist, die frühestens nach Anhörung des Klägers mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme zu laufen beginnt (BVerwG, Urteil vom 1.11.2005- 1 C 21.04 -, a.a.O.), hier jedenfalls eingehalten ist. Ob daneben auch die Jahresfrist nach §§ 49 Abs. 2 Satz 2 , 48 Abs. 4 VwVfG bei Widerrufsentscheidungen gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG beachtet werden muss, ist zweifelhaft, kann aber offen bleiben. Denn diese Frist wäre hier eingehalten, da deren Lauf frühestens nach einer Anhörung des Klägers mit einer angemessenen Frist zur Stellungnahme beginnt (vgl. BVerwG, Urteile vom 1.11.2005 - 1 C 21.04 - a.a.O., und vom 8.5.2003 - 1 C 15.02 - BVerwGE 118, 174). Die Anhörung des Klägers erfolgte durch Schreiben des Bundesamts vom 10.2.2004, der Widerrufsbescheid erging sodann unter dem 23.3.2004, mithin also innerhalb der genannten Frist.

Ist der Kläger daher letztlich vor Verfolgung sicher, und sind ferner die Widerrufsvoraussetzungen auch im Übrigen gegeben, ist die angefochten Widerrufsentscheid des Bundesamts nicht zu beanstanden.

II. Der Beklagte ist auch nicht verpflichtet, zu Gunsten des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

(1) Im Widerrufsbescheid vom 23.3.2004 ist eine Entscheidung zu Abschiebungsverboten nach der genannten Bestimmung nicht getroffen worden, er beschränkt sich vielmehr auf den Widerruf der Feststellung nach § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt § 60 Abs. 1 AufenthG). Geht man davon aus, dass mit dem Stellen eines Asylantrags nach §§ 24 Abs. 2, 31 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die Zuständigkeit (und möglicherweise auch die Pflicht) des Bundesamts begründet ist, auch das Bestehen von Abschiebungsverboten, bzw. -hindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (früher § 53 AuslG) festzustellen, darf die dahingehende Entscheidung nur dann unterbleiben, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (früher § 51 Abs. 1 AuslG) festgestellt werden. Nachzuholen ist diese Entscheidung allerdings, wenn die Asylanerkennung oder der Flüchtlingsstatus endet (dazu §§ 32 und 39 Abs. 2 AsylVfG). Daraus ist die Berechtigung des Bundesamts herzuleiten, Statusentscheidungen über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (früher § 53 AuslG) erstmals zusammen mit dem Widerruf einer Asylanerkennung oder Flüchtlingseigenschaft zu treffen. Denn es darf nicht offen bleiben, ob und in welcher Form dem Ausländer Abschiebungsschutz gewährt wird (dazu BVerwG, Urteil vom 20.4.1999 - 9 C 29.98 - InfAuslR 1999, 373). Hat das Bundesamt die Statusfeststellung unterlassen, so ändert sich die ausländerbehördliche Bindungswirkung gemäß § 42 Satz 1 AsylVfG; sie wandelt sich in eine "Sperrwirkung", d.h. die Ausländerbehörde darf in die Prüfung zielstaatbezogener Abschiebungshindernisse nicht eintreten (zum Ganzen VGH BW, Urteil vom 22.2.2006 - 11 S 1066/05).

(2) Indes ist ungeachtet der Frage, ob das Bundesamt mit dem Unterlassen der Prüfung der genannten Abschiebungsverbote eine Rechtspflicht verletzt hat, die auch dem Schutz des Betroffenen dienen könnte, diese Prüfung im Klageverfahren geboten. Auch im Widerrufsverfahren gleicht die Prozesslage der des Asylerstprozesses, bei dem ein im Wesentlichen einheitlicher Streitgegenstand in Rede steht und daher das Gericht gehalten ist, hinsichtlich der im Eventualverhältnis zum Anfechtungsantrag stehenden Verpflichtungsklage "durchzuentscheiden" (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.6.2002 - 1 C 17.01 - BVerwGE 116, 326; ferner Rennert, DVBl. 2001, 161 ff., 167, m.w.N.). Ob dies auch ohne einen ausdrücklichen Antrag des Betroffenen zu erfolgen hat, mithin ein Anspruch als hilfsweise geltend gemacht zu unterstellen wäre, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlungen den (hilfsweisen) Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach den Abs. 2 bis 7 des § 60 AufenthG gestellt.

(a) Ob der Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG eine konkret-individuell drohende Gefahr durch einen Staat oder eine staatsähnliche Organisation voraussetzt (so BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 331) oder ob wegen der Erweiterung des Tatbestands der politischen Verfolgung durch sog. nichtstaatliche Akteure gem. § 60 Abs. 1 S. 4 AufenthG die in § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG genannten Menschenrechtsverletzungen nunmehr auch von nichtstaatlicher Seite ausgehen können (so UNHCR vom 23.12.2004; amnesty international in Asyl-Info 11/2004, S. 4, 5; vgl. auch Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 8. Aufl., § 60 AufenthG RdNr. 36 mit Hinweis darauf, dass sich die Divergenz zwischen der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts bei Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG erledigen wird), bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Zwar könnte die dem Kläger drohende Verfolgung aus religiösen Gründen auch menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG sein. Indes ist dem Kläger eine auch insoweit beachtliche inländische Fluchtalternative eröffnet. Dazu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

(b) Dem Kläger drohen bei einer Rückkehr in den Irak auch keine landesweiten Gefahren, die ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG begründen. Nach dieser Vorschrift, die - abgesehen von der Änderung der "Kann"- in eine "Soll"-Rechtsfolge - hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen inhaltlich dem bisherigen § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG entspricht (s. auch Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 15/420 zu § 60 AufenthG), soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Für die Annahme einer solchen Gefahr genügt indes nicht die lediglich denkbare Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die genannten Rechtsgüter zu werden. Gefordert ist vielmehr die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines derartigen Eingriffs. Die Annahme einer "konkreten" Gefahr setzt - wie durch Satz 2 des § 60 Abs. 7 AufenthG deutlich wird - eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation voraus, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zugerechnet werden muss (BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324, 330; Urteil vom 12.7.2001 - 1 C 5.01 - BVerwGE 115, 1, 7 ff. zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG). Anhaltspunkte dafür, dass im Fall des Klägers ein Abschiebungshindernis in unmittelbarer Anwendung des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegen könnte, sind nach den obigen Ausführungen nicht ersichtlich.

Auch bei der allgemein unsicheren Lage, den terroristischen Anschlägen und den wirtschaftlich schlechten Lebensumständen handelt es sich um Gefahren allgemeiner Art, die nicht zum Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG führen, weil ihnen die gesamte Bevölkerung des betroffenen Landes - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - ausgesetzt ist. Individuelle Gefährdungen des Ausländers, die sich aus allgemeinen Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG ergeben, können auch dann nicht als Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG berücksichtigt werden, wenn sie durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur typische Auswirkungen der allgemeinen Gefahrenlage sind (dazu das oben bereits angeführte Senatsurteil vom 16.9.2004 - A 2 S 471/02 - mit Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 8.12.1998 - 9 C 4.98 - BVerwGE 108, 77 zu § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG).

(c) Ferner scheidet ein Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses auf der Grundlage einer verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 AufenthG aus.

Ein Durchbrechen der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG käme schon deshalb nicht in Betracht, da dem Kläger auf Grund der baden-württembergischen Erlasslage ein der gesetzlichen Duldung nach §§ 60 Abs. 7 S. 2, 60 a AufenthG entsprechender, gleichwertiger Abschiebungsschutz zuteil wüde. Auf das Urteil des Senats vom 16.9.2004 zu der inhaltsgleichen Regelung im früheren § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG sowie auf die jüngst ergangenen Senatsurteile vom 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 und A 2 S 1122/05 - (mitgeteilt in den Dokumentationen Juris und Vensa) kann insoweit verwiesen werden. Eine die genannte Sperrwirkung überwindende verfassungskonforme Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG scheidet hier auch deshalb aus, weil der Kläger ohnehin in einer Weise vor einer Abschiebung geschützt ist, die sogar weiterreichend ist als der Schutz durch einen Erlass nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG in Form einer Aussetzung der Abschiebung. Denn der Kläger ist im Besitz einer Niederlassungserlaubnis (vgl. § 9 AufenthG).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO (in entsprechender Anwendung), § 83b AsylVfG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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