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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 05.11.2007
Aktenzeichen: A 6 S 1097/05
Rechtsgebiete: AsylVfG, GFK, AufenthG


Vorschriften:

AsylVfG § 73 Abs. 1 Satz 3
GFK Art. 1c Nr. 5 Satz 2
AufenthG § 60 Abs. 1 Satz 3
1. Von einem Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG abzusehen, wenn qualifizierte verfolgungsbedingte Gründe des Einzelfalles eine Rückkehr unzumutbar machen. Vorzunehmen ist insoweit eine spezifisch asylrechtliche Bewertung der objektiven und subjektiven Besonderheiten des Einzelfalles, nicht eine allgemeine Abwägung aller (möglichen) Rückkehrfolgen.

2. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG unterscheidet sich in Tatbestand und Rechtsfolgen wesentlich von der Frage des Vorliegens von krankheitsbedingten Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Im Namen des Volkes Urteil

A 6 S 1097/05

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Widerrufs der Flüchtlingsanerkennung

hat der 6. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg

am 05. November 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. August 2005 - A 2 K 13369/04 - geändert.

Der Bescheid des (damaligen) Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.10.2004 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich mit der Berufung gegen den Widerruf der Feststellung, dass bei ihr die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.

Die 1962 geborene Klägerin ist serbische Staatsangehörige albanischer Volkszugehörigkeit und stammt aus dem Kosovo. Sie reiste im Januar 1996 auf dem Landweg nach Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung gab sie an, dass ihr Verlobter, mit dem sie nach moslemischem Recht verheiratet sei, bereits 1993 den Kosovo verlassen habe, nachdem er nach einer Demonstration zunächst festgenommen und später zu einer Vernehmung vorgeladen worden sei. Der Vernehmung habe er sich durch Flucht entzogen. Sie sei daraufhin zu ihrer Familie zurückgekehrt. Am 27.12.1993 sei sie von örtlichen Polizeibeamten von ihrer Arbeitsstelle weggeholt und ins Polizeikommissariat gebracht worden. Dort sei sie festgehalten und nach ihrem Ehemann befragt worden. Zum Zeitpunkt der Vernehmung sei sie im siebten Monat schwanger gewesen. Nach Beendigung der Vernehmung habe man sie zum Haus ihrer Schwiegereltern gefahren und dort eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Nachdem die Suche nach Dokumenten und Waffen ergebnislos gewesen sei, habe man sie wieder aufs Polizeikommissariat mitgenommen. Einer der Polizisten habe ihr dann gesagt, dass ihr Kind nicht gesund zur Welt kommen werde und dass er die Genehmigung erhalten habe, sie zu vergewaltigen, da er seit längerer Zeit mit seiner eigenen Frau keine Möglichkeit des Verkehrs mehr gehabt habe. Daraufhin sei sie von diesem Polizisten vergewaltigt worden. Danach habe man sie vor dem Haus ihrer Schwiegereltern einfach aus dem Auto geworfen. Bei ihr seien dann schon die Blutungen losgegangen. Ihre Schwiegereltern hätten daraufhin zwei albanische Ärzte hinzugezogen, die sie in ein Krankenhaus gebracht hätten, weil die Blutungen nicht aufgehört hätten. Dort sei sie von serbischen Ärzten behandelt worden. Nachdem diese erfahren hätten, was ihr geschehen sei, hätten sie ihr keine entsprechende Bescheinigung ausgestellt, um selbst nicht in größere Schwierigkeiten zu geraten. Das Kind, das sie erwartet habe, sei per Kaiserschnitt tot zur Welt gekommen. Die Klägerin legte hierzu ein Attest vor, wonach ihr bei der Operation, in der sie ihr Kind verloren habe, auch die Gebärmutter entfernt worden sei. Bei einer späteren Nachuntersuchung hätten ihr albanische Ärzte mitgeteilt, dass es keinen Grund gegeben habe, ihr die Gebärmutter zu entfernen. Unmittelbar nach diesem Vorfall sei sie psychisch total kaputt gewesen und habe eine Stütze bei ihrer Familie gesucht. Am 10.01.1996 sei die Polizei wieder bei ihrem Schwiegervater gewesen und habe sich nach ihrem Mann erkundigt. Sie habe nicht noch einmal ein Erlebnis wie im Jahre 1993 durchstehen wollen und sei daher ausgereist.

Mit Bescheid vom 26.02.1996 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik Jugoslawien vorliegen. Im übrigen lägen keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vor. Der Klägerin drohe aufgrund des von ihr geschilderten Sachverhalts und der vorliegenden Erkenntnisse politische Verfolgung. Auch liege ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vor, denn es sei aufgrund der glaubhaften Angaben der Klägerin davon auszugehen, dass ihr bei einer Rückkehr die konkrete Gefahr einer durch kein staatliches Interesse zu rechtfertigenden menschenrechtswidrigen Behandlung drohe.

Mit Schreiben des Bundesamts vom 02.02.2004 wurde die Klägerin dazu angehört, dass ein Widerruf beabsichtigt sei. Sie teilte daraufhin mit, dass einem Widerruf § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegenstehe, da sie eine äußerst demütigende frauenspezifische Verfolgung durchlitten habe. Die Zeit nach der Vergewaltigung habe sie im Kosovo wie in einem Gefängnis verbracht. Da sich der Vorfall herumgesprochen habe, hätte sie aus Scham und wegen der Reaktionen ihrer Mitmenschen das Haus nicht verlassen können. Ihr sei es nicht zumutbar, an den Ort des Geschehens zurückzukehren. Der Widerruf müsse aber auch in Anbetracht der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unterbleiben, denn die Zukunftsprognose, dass Verfolgungsmaßnahmen sich in ihrer Heimat nicht wiederholen könnten, sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfrüht. Stabile politische Verhältnisse lägen nicht vor. Vorgelegt wurde eine psychologische Stellungnahme vom 22.07.2004, wonach die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, verursacht durch eine glaubhaft geschilderte Vergewaltigung im 7. Schwangerschaftsmonat durch einen Polizisten während eines Verhörs über den politisch aktiven Ehemann mit anschließender Totgeburt und Gebärmutterentfernung.

Mit Bescheid vom 11.10.2004 widerrief das Bundesamt die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen (Ziffer 1) und stellte unter Ziffer 2 des Bescheids fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Feststellung des Abschiebungsverbots nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht mehr vorlägen, weil sich die erforderliche Prognose drohender politischer Verfolgung nicht mehr treffen lasse. Nach derzeitigem Erkenntnisstand habe sich die Situation im Kosovo grundlegend geändert. Eine unmittelbare oder mittelbare staatliche Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Albaner oder aus sonstigen individuellen Gründen im Falle einer heutigen Rückkehr der Klägerin in den Kosovo könne mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Es lägen auch keine Anhaltspunkte vor, dass im übrigen Serbien und Montenegro politische Verfolgung drohe. Zwingende Gründe gem. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG, aus denen die Klägerin die Rückkehr in ihren Herkunftsstaat ablehnen könnte, seien nicht ersichtlich. Auch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG lägen nicht vor. Dies gelte auch im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Diese sei im Kosovo behandelbar.

Am 22.10.2004 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, dass § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht verfassungskonform sowie gemeinschaftsrechtswidrig sei und außerdem der GFK widerspreche. Eine hinreichend stabile Veränderung der Verhältnisse im Herkunftsland sei bislang nicht gegeben. Von einem Widerruf sei zudem gem. § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG abzusehen. Müsse sie in das Gebiet, in dem ihr unsagbares Leid zugefügt worden sei, zurückkehren, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer drastischen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen.

Dem Antrag der Klägerin, den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.10.2004 aufzuheben, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen, ist die Beklagte unter Bezugnahme auf den angegriffenen Bescheid entgegengetreten.

Mit Urteil vom 22.08.2005 hat das Verwaltungsgericht Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.10.2004 aufgehoben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Gericht gehe auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse davon aus, dass die Klägerin heute im Kosovo nicht mehr politisch verfolgt werde. Demgegenüber sei Ziffer 2 des angegriffenen Bescheids rechtswidrig. Der Änderung einer Sachlage könne nach bestandskräftigem Feststellungsbescheid nur durch Widerruf nach § 73 Abs. 3 AsylVfG Rechnung getragen werden. Eine "freie Abänderung" bestandskräftiger Feststellungsbescheide sei nicht möglich. Angesichts des bestehenden Schutzes nach § 53 Abs. 4 AuslG (§ 60 Abs. 5 AufenthG) habe die Klägerin keinen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen. Die Ausführungen im angefochtenen Bescheid zur Behandelbarkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung im Kosovo seien zudem nicht substantiiert in Frage gestellt worden.

Auf Antrag der Klägerin vom 23.11.2005 hat der Senat mit Beschluss vom 30.11.2005 die Berufung zugelassen, soweit die Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung zurückgewiesen wurde. Zur Begründung ihrer Berufung weist die Klägerin darauf hin, dass die Gesichtspunkte des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG bzw. des Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 GFK keine Berücksichtigung gefunden hätten. Aufgrund des dokumentierten Krankheitsbildes und der erlittenen besonders demütigenden frauenspezifischen Verfolgung sei bei einer Rückkehr eine Retraumatisierung zu erwarten. Eine Behandlung im Kosovo sei nicht möglich. Vorgelegt wurde ein fachpsychiatrisches Attest vom 05.01.2006, wonach die Klägerin neben ihrer Traumatisierung seit 2001 infolge einer Meningoenzephalitis zusätzlich an einer hirnorganischen Schädigung leide.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. August 2005 - A 2 K 13369/04 - zu ändern und den Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.10.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die einschlägigen Akten der Beklagten und des Verwaltungsgerichts vor. Hierauf wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Klage zu Unrecht teilweise abgewiesen. Der Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11.10.2004 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) auch im Hinblick auf Ziffer 1 - Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen - rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Widerruf, der in formeller Hinsicht keinen Bedenken unterliegt, ist materiell-rechtlich rechtswidrig. Ihm steht die Bestimmung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG entgegen.

Mangels einschlägiger Übergangsregelungen kommt die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) seit dem 28.08.2007 geltende Rechtslage zur Anwendung. Nach § 73 Abs 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (die frühere Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen) unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung zu § 73 Abs. 1 AsylVfG a. F. für den Fall der Vorverfolgung insbesondere dann der Fall, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen (Vor-)Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsland, z. B. aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage, eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG hingegen nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nur nach den allgemeinen ausländerrechtlichen Bestimmungen gewährt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.11.2005 - 1 C 21.04 -, BVerwGE 124, 276; Urteil vom 18.07.2006 - 1 C 15.05 -, BVerwGE 126, 243; Urteil des Senats vom 21.03.2006 - A 6 S 1027/05 -, juris). Die Neufassung des § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nimmt die vorgenannten Anforderungen nunmehr ausdrücklich auf (vgl. zur Vereinbarkeit mit der GFK und den Vorgaben der sog. Qualifikationsrichtlinie den Beschluss des Senats vom 22.10.2007 - A 6 S 740/05 - m.w.N.). § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG hat durch das Änderungsgesetz vom 19.08.2007 insoweit keine sachliche Veränderung erfahren und ist - nach wie vor - verfassungsgemäß (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 01.11.2005 a.a.O.; Urteil vom 24.11.1992 - 9 C 3.92 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 1; s. a. BVerfG, Beschluss vom 19.09.2006 - 2 BvR 2368/04 -, juris).

Nach ständiger Rechtsprechung sind albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo im Falle einer Rückkehr - sei es in den Kosovo, sei es in das restliche serbische Staatsgebiet - aufgrund der nachhaltigen Veränderung der Verhältnisse jetzt und auf absehbare Zeit vor Verfolgung hinreichend sicher, so dass die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erfüllt sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2001 - A 14 S 2078/99 -, juris; Beschluss vom 16.03.2004 - A 6 S 219/04 -, AuAS 2004, 142; vgl. zur Verfolgungssicherheit und zur Stabilisierung der Sicherheitslage - auch - für die Minderheiten der Ashkali und der "Ägypter" (auch) im Hinblick auf nichtstaatliche Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG: Urteile des Senats vom 21.03.2006 a.a.O. und vom 30.11.2006 - A 6 S 674/05 -, juris). Im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt liegen die für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (in der Fassung vom 19.08.2007) nicht (mehr) vor. Die im Zeitpunkt der Anerkennung der Klägerin als Flüchtling angenommene Verfolgungsgefahr durch serbische Sicherheitskräfte besteht nicht mehr, eine Verfolgungswiederholung ist mit hinreichender Sicherheit auszuschließen und es droht auch keine anderweitige beachtlich wahrscheinliche Verfolgung, sei es durch staatliche, sei es durch nichtstaatliche Akteure.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG gilt jedoch die aus Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 und Nr. 6 Satz 1 der GFK abgeleitete und nunmehr in § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG ausdrücklich aufgenommene "Wegfall-der-Umstände-Klausel" nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Diese Einschränkung betrifft nur Nachwirkungen einer früheren Verfolgung im besonders gelagerten Einzelfall. Von einem Widerruf ist trotz objektiv bestehender Verfolgungssicherheit abzusehen, wenn sich aus dem konkreten Flüchtlingsschicksal besondere Gründe ergeben, die eine Rückkehr unzumutbar erscheinen lassen. Auch diese Vorschrift schützt nicht gegen allgemeine Gefahren (vgl. BVerwG, Urteile vom 01.11.2005 und vom 18.07.2006 a.a.O.). § 73 Abs. 1 Satz 3 AsyVfG trägt der psychischen Sondersituation solcher Personen Rechnung, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Zeit danach - auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.11.2005 a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteile vom 12.02.1986 - A 13 S 77/85 -, NVwZ 1986, 957; vom 04.05.2006 - A 2 S 1046/05 - und vom 21.06.2007 - A 2 S 571/05 -, juris; s. a. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft 1979/Neuauflage 2003 Rn. 136).

Die Bestimmung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist Art. 1 C Nr. 5 Satz 2 und Nr. 6 Satz 2 der GFK nachgebildet (vgl. BT-Drs. 9/875, S. 18 zum Entwurf des § 11 Abs. 1 Satz 2 und späteren § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG 1982), wonach die "Wegfall-der-Umstände-Klausel" nicht für den Flüchtling gilt, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt bzw. um die Rückkehr in das Land abzulehnen, in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Es werden qualifizierte verfolgungsbedingte Gründe vorausgesetzt, die eine Rückkehr objektiv unzumutbar erscheinen lassen. Die Rückkehr muss nicht tatsächlich unmöglich sein, sie muss nur mit Recht aus den genannten - verfolgungsbedingten - Gründen abgelehnt werden, wobei auch die subjektive Befindlichkeit des Flüchtlings in Rechnung zu stellen ist (vgl. Renner, AuslR 8. Aufl. 2005, § 73 AsylVfG Rn. 10; Hailbronner, Komm. zum AuslR, § 73 AsylVfG Rn. 32; Marx, AsylVfG 6. Aufl. 2005, § 73 Rn. 130 ff.). Nach den zu Art. 1 C Nr. 5 und Nr. 6 GFK ergangenen UNHCR-Richtlinien berücksichtigen die humanitären Klauseln Fälle, in denen Flüchtlinge oder ihre Familienangehörigen einer außergewöhnlich menschenverachtenden Verfolgung ausgesetzt waren und deshalb von ihnen eine Rückkehr nicht erwartet werden kann. Beispielhaft genannt werden insoweit Personen, die interniert oder inhaftiert waren, Opfer von Gewalt einschließlich sexuellen Missbrauchs waren oder Gewaltanwendung gegen Familienmitglieder ansehen mussten und schwer traumatisierte Personen (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge <"Wegfall der Umstände"-Klauseln> vom 10.02.2003 - HCR/GIP/03/03 - Rn. 20; vgl. zu Entstehungsgeschichte und - möglichen - Anwendungsbeispielen: Salomons/Hruschka, ZAR 2005, 1 ff. m.w.N.).

Der unbestimmte Rechtsbegriff der "zwingenden Gründe" im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist gerichtlich voll überprüfbar (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.02.1986 a.a.O.; Schäfer, in: GK-AsylVfG § 73 Rn. 67). Vorzunehmen ist keine allgemeine Zumutbarkeitsprüfung im Sinne einer Abwägung aller eventuellen Rückkehrfolgen; vielmehr handelt es sich um eine asylrechtliche Ausnahmebestimmung für besonders gelagerte Einzelfälle (vgl. hierzu auch Salomons/Hruschka, ZAR 2005, 1 <6>).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Klägerin hat zur Überzeugung des Senats ein besonders schweres Verfolgungsschicksal erlitten und eine Rückkehr in ihr Heimatland würde zu einer schwerwiegenden Belastung führen, die ihr angesichts des konkreten Fluchtgeschehens und der hierdurch ausgelösten und nach wie vor andauernden Folgewirkungen nicht zuzumuten ist, denn die Klägerin hat aufgrund der erlittenen Verfolgung bleibende physische und psychische Schädigungen erlitten, die sich im Falle einer Rückkehr erheblich verschlechtern würden (vgl. zur Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG in derartigen Fällen auch Schäfer, in: GK-AsylVfG § 73 Rn. 62; Hessischer VGH, Beschluss vom 28.05.2003, InfAuslR 2003, 400; VG Stuttgart, Urteil vom 22.05.2006 - A 10 K 12711/04 -, juris m.w.N.).

Das Verfolgungsschicksal der Klägerin ist von einer außergewöhnlich menschenverachtenden Behandlung gekennzeichnet. Die von Anfang an konsistenten und glaubwürdigen Schilderungen der Klägerin und die dem Senat vorliegenden psychologischen und psychiatrischen Stellungnahmen zeigen eine besondere psychische Belastungssituation im konkreten Einzelfall, die unmittelbar verfolgungsbedingt ist. Die Glaubwürdigkeit der Klägerin wurde in der psychologischen Stellungnahme vom 22.07.2004 aufgrund einer eingehenden Begutachtung unter Heranziehung der Akten noch einmal eindrücklich bestätigt. Nach dem ausführlichen fachpsychiatrischen Attest vom 05.01.2006 leidet die Klägerin aufgrund der erlittenen Vergewaltigung und den damit verbundenen Folgen an einer ausgeprägten posttraumatischen Belastungsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung. Das Attest belegt auch, wie gravierend die verfolgungsbedingte Belastung für die Klägerin nach wie vor ist. Danach zeigte sich die Klägerin völlig verändert, nachdem sie ein gerichtliches Schreiben erhalten hatte. Allein die durch das Schreiben ausgelöste Furcht, dass sie beim serbischen Konsulat vorsprechen müsse, führte im Jahre 2005 zu einem depressiven Einbruch und einer erheblichen Destabilisierung der psychischen Verfassung der Klägerin, deren geistige und psychische Flexibilität und Steuerungsfähigkeit durch die infolge einer Meningoenzephalitis erlittene Hirnschädigung vermindert ist.

Im Zusammenhang mit den Folgen der erlittenen Vergewaltigung ist auch zu berücksichtigen, wie solche Vorgänge innerhalb des traditionell denkenden Umfelds im Herkunftsstaat der Klägerin wahrgenommen werden. Vergewaltigungen sind nach wie vor ein großes Tabu in der kosovo-albanischen Gesellschaft. Die betroffenen Frauen empfinden häufig Gefühle von Scham und Schuld; ihnen wird mit Misstrauen und Abneigung begegnet (vgl. hierzu etwa den Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bedeutung der Tradition im heutigen Kosovo vom 24.11.2004, S. 11 f.). In Übereinstimmung hiermit hat die Klägerin wiederholt geschildert, dass sie sich für ihr Schicksal schämt und dass sie als vergewaltigte und kinderlose Frau in ihrer Heimat isoliert wurde und wird (vgl. hierzu auch die vorliegende psychologische Stellungnahme vom 22.07.2004).

Vor diesem Hintergrund sieht der Senat in Anbetracht der besonderen Umstände des Einzelfalles die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG als gegeben an. Es ist der Klägerin bei einer Gesamtschau des Verfolgungsgeschehens und ihrer individuellen psychischen und physischen Verfassung unzumutbar, in den Kosovo als dem Ort der erlittenen Verfolgung oder aber in das restliche Serbien als dem "Ort der serbischen Täter" zurückzukehren, denn es liegen besonders erniedrigende und unmittelbar nachwirkende Fluchtgründe vor. Die zum 01.01.2005 in Kraft getretene Neufassung des § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG unterstreicht insoweit die Bedeutung geschlechtsspezifischer Verfolgung. Die Klägerin wurde vergewaltigt und hat dabei ihr ungeborenes Kind verloren. Durch die von serbischen Ärzten ohne medizinische Notwendigkeit durchgeführte Entfernung der Gebärmutter kann sie auch keine Kinder mehr bekommen. Die Klägerin hat infolge der Zufügung psychischer und physischer Gewalt ihr Selbstwertgefühl verloren; darüber hinaus drohen ihr im Falle einer Rückkehr weiterhin die durch die Verfolgung ausgelöste gesellschaftliche Ausgrenzung und eine schwerwiegende psychische Beeinträchtigung.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung weder notwendige noch hinreichende Voraussetzung für die Unzumutbarkeit der Rückkehr im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ist. Traumatisierende Erlebnisse können ausnahmsweise im Einzelfall ein Rückkehrhindernis im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG begründen, wenn sie Ausdruck eines schwerwiegenden Verfolgungsschicksals sind, zur Flucht geführt haben und nachwirken. Der anzulegende Prüfungsmaßstab unterscheidet sich jedoch wesentlich von dem Maßstab einer krankheitsbedingten beachtlich wahrscheinlichen Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Dort kommt es auf den individuellen Gesundheitszustand und die Frage der Behandelbarkeit im Falle einer Rückkehr an, hier ausschließlich auf das besondere Flüchtlingsschicksal in Verbindung mit der fortbestehenden individuellen Belastungssituation.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Ende der Entscheidung

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