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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.08.2003
Aktenzeichen: NC 9 28/03
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs.1
VwGO § 123 Abs. 1
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf Zuteilung eines Studienplatzes außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl kann ein Anordnungsgrund nicht mit der Begründung verneint werden, der Studienbewerber habe den Erlass der einstweiligen Anordnung erst nach Vorlesungsbeginn beantragt. Ein Anordnungsgrund kann vielmehr auch noch während der Vorlesungszeit des Bewerbungssemesters bestehen.
VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

NC 9 S 28/03

In der Verwaltungsrechtssache

wegen

Zulassung zum Studium der Medizin (WS 02/03)

hier: Antrag nach § 123 VwGO

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Schwan und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Rennert und Gaber

am 11. August 2003

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 05. März 2003 - NC 7 K 3878/02 - wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für den zweiten Rechtszug wird auf EUR 4.000,-- festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt ohne Erfolg.

Mit Recht hat das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig einen Studienplatz im Studiengang Medizin im ersten Fachsemester nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2002/2003 außerhalb der festgesetzten Zulassungszahl zuzuweisen.

Das Verwaltungsgericht ging hierbei davon aus, dass die in der Zulassungszahlenverordnung 2002/2003 - ZZVO 2002/2003 - vom 13.06.2002 (GBl. S. 226) für den Studiengang Medizin in Heidelberg/Mannheim festgesetzte Zahl von 420 (260 plus 160) Studienanfängern (vgl. Anl. 1 zu § 1 ZZVO 2002/2003) um weitere 38 Studienplätze zu erhöhen sei, da die kapazitätserschöpfende Zulassungszahl 458 betrage. Die Kapazitätsberechnung der Antragsgegnerin für das Studienjahr 2002/2003 entspreche zwar auf der Lehrangebotsseite im Wesentlichen den Anforderungen, nachdem diese das Fach Biochemie (Physiologische Chemie) wieder in die Lehreinheit Vorklinische Medizin eingegliedert und damit der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 15.02.2000 - NC 9 S 39/99 -) Rechnung getragen habe. Das von der Antragsgegnerin zugrunde gelegte Lehrangebot sei lediglich in Bezug auf den Dienstleistungsexport an den Studiengang Zahnmedizin geringfügig zu korrigieren, weshalb sich nach Abzug der Dienstleistungen ein bereinigtes Lehrangebot von 343,197 SWS ergebe, das zur Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität auf 686,394 SWS zu verdoppeln sei. Auf der Lehrnachfrageseite habe die ZZVO jedoch zu Unrecht den mit Erlass des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg vom 30.07.2001 (AZ: 21-635.31/395 SV) festgesetzten Eigenanteil der Lehreinheit Vorklinische Medizin am Curricularnormwert zugrundegelegt, der seinerseits auf der Studienordnung der Universität Heidelberg für den vorklinischen Teil des Studiengangs Medizin vom 04.03.1998 (W.F.u.K. 1998, 314) in der Fassung der Änderungssatzung vom 03.05.2000 (W.F.u.K. 2000, 632) - Studienordnung 1998/2000 - und dem quantifizierten Studienplan der Antragsgegnerin beruht. Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber entschieden, dass der Eigenanteil der Lehreinheit Vorklinische Medizin am Curricularnormwert nicht auf Grundlage der Studienordnung 1998/2000 ermittelt werden könne. Dies folge zwar nach summarischer Prüfung nicht bereits aus dem Umstand, dass das Fach "Biologie für Mediziner" in die Lehreinheit Vorklinische Medizin integriert worden sei und nicht mehr als Dienstleistungsimport vom Studiengang Biologie erbracht werde. Der ZVS-Beispielstudienplan lege jedoch den Eigenanteil der Lehreinheit vorklinische Medizin in Bezug auf die Kernfächer Anatomie, Physiologie und Biochemie auf CAp = 1,4331 und den Dienstleistungsimport des Faches "Biologie für Mediziner" auf CAp = 0,1333, d.h. einschließlich dieses Faches auf CAp = 1,5664, fest. Hiervon weiche der von der Antragsgegnerin zugrundegelegte Eigenanteil von CAp = 1,6334 kapazitätsungünstig ab, ohne dass diese Abweichung durch besondere Gründe, die in den konkreten Verhältnissen der Hochschule liegen, gerechtfertigt sei. Die Abweichung beruhe im Wesentlichen auf der Tatsache, dass die Studienordnung 1998/2000 für das Praktikum in Physiologie eine Gruppengröße von (g) = 10 normiert habe, was sich nicht (mehr) aus den konkreten Verhältnissen der Hochschule heraus rechtfertigen lasse. Da die Antragsgegnerin zu Unrecht von einer erhöhten Lehrnachfrage ausgegangen sei, müsse als Ersatzmaßstab der ZVS-Beispielstudienplan für die Kapazitätsberechnung herangezogen werden. Der hierin für die Kernfächer Anatomie, Physiologie und Biochemie der Lehreinheit Vorklinische Medizin festgesetzte Eigenanteil von CAp = 1,4331 sei zwar um die von der Lehreinheit Vorklinische Medizin erbrachte Unterrichtsmenge des integrierten Faches "Biologie für Mediziner" zu erhöhen. Insoweit könne aber nicht der dem ZVS-Beispielstudienplan zugrundegelegte Dienstleistungsimport von CAp = 0,1333 hinzugerechnet werden, da dieser Wert auch den im Studienjahr 2002/2003 erbrachten Dienstleistungsimport der Lehreinheit Theoretische Medizin umfasse, die sich den Lehraufwand für das Fach "Biologie für Mediziner" mit der Lehreinheit Vorklinische Medizin teile. Der Eigenanteil der Lehreinheit Vorklinische Medizin könne daher nur um CAp = 0,0671 auf CAp = 1,5002 erhöht werden. Daher ergebe sich für den Berechnungszeitraum 2002/2003 eine Jahresaufnahmekapazität von (686,394 : 1,5002 =) 457,5349, gerundet 458 Studienplätze.

Die Antragsgegnerin nimmt die geringfügigen Korrekturen auf der Angebotsseite hin, wendet sich jedoch gegen die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur Lehrnachfrage. Die von ihr erhobenen Einwendungen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO und VGH Mannheim, Beschluss vom 01.07.2002 - 11 S 1293/02 -, NVwZ 2002, 1388, zum Umfang der Darlegungspflicht und zur Beschränkung der Überprüfungs- und Amtsermittlungspflicht auf die jeweils dargelegten Beschwerdegründe) führen nicht zum Erfolg.

1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend einen Anordnungsgrund bejaht. Nicht gefolgt werden kann der Antragsgegnerin, soweit sie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für unzulässig hält, weil dieser erst nach Vorlesungsbeginn gestellt wurde. Dieser vom OVG Hamburg (vgl. Beschluss vom 24.06.1991 - Bs III 193/91 -, NVwZ-RR 1992, 22 und Beschluss vom 06.01.1997 - Bs III 157/96 -, DÖV 1997, 692 = NVwZ-RR 1998, 314) vertretenen Rechtsauffassung, der sich insbesondere das OVG Greifswald (vgl. Beschluss vom 18.12.1998 - 2 N 1/98 -, NVwZ-RR 1999, 542) und - eingeschränkt - auch das OVG Koblenz (vgl. Beschluss vom 13.01.2003 - 6 D 11940/02 -) angeschlossen haben, ist das Verwaltungsgericht mit zutreffenden Gründen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, nicht gefolgt. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats. Dieser hat bereits mit Beschluss vom 16.02.1978 (- 9 S 2083/77 -, DÖV 1978, 365) - bezogen auf die zum damaligen Zeitpunkt fehlende Ausschlussfrist für Bewerbungen auf ausserkapazitäre Studienplätze - entschieden, dass der rechtsstaatliche Grundsatz der Rechtssicherheit es verbietet, eine Ausschlussfrist im Wege analoger Rechtsanwendung anderen Verfahrenvorschriften zu entnehmen, wenn es der Gesetz- oder Verordnungsgeber versäumt hat, eine solche ausdrücklich zu regeln. Die Antragstellung ist in diesen Fällen innerhalb der sich aus der Natur der Sache ergebenden äußersten Grenzen unbefristet zulässig, d.h. sie kann bis zum Ende der Vorlesungszeit (und nicht wie die Antragsgegnerin unter Verweis auf diesen Beschluss fälschlicherweise annimmt, bis zum Beginn der Vorlesungszeit) erfolgen. Aus der Natur der Sache ergeben sich auch keine Gründe, die es rechtfertigen würden, die Verwirklichung des Teilhaberechts der Studienplatzbewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit einer gesetzlich nicht vorgesehenen Ausschlussfrist zu beschränken, sofern sich diese rechtzeitig, d.h. innerhalb der inzwischen normierten Frist für die Bewerbung um einen Studienplatz außerhalb festgesetzter Kapazitäten (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 HSchulVergabeVO Baden-Württemberg), beworben haben (vgl. hierzu auch Bahro/Berlin, Das Hochschulzulassungsrecht in der Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 4. Aufl., V Rdnr. 33, 34; BVerfG, Beschluss vom 04.02.2003 - 1 BvR 89/03 -, NVwZ 2003, 857 und Sächs. OVG, Beschluss vom 16.11.2001 - NC 2 C 4/01 -, NVwZ-RR 2002, 752, das unter Aufgabe der bisherigen, von der Antragsgegnerin zitierten Rechtsprechung das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dann bejaht, wenn der nach dem ersten Vorlesungstag beim Verwaltungsgericht gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung den Erörterungstermin oder die nachfolgende Entscheidung des Gerichts nicht verzögert).

2. Zu Unrecht geht die Antragsgegnerin auch davon aus, das Verwaltungsgericht habe auf der Lehrnachfrageseite den auf Grundlage der Studienordnung 1998/2000 vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg festgesetzten Eigenanteil (CAp) der Lehreinheit Vorklinische Medizin zugrundelegen müssen. Denn dieser Wert weicht kapazitätsungünstig vom ZVS-Beispielstudienplan ab, ohne dass dies durch besondere, in den konkreten Verhältnissen der Hochschule liegende Gründe gerechtfertigt ist.

Der ZVS-Beispielstudienplan legt den Eigenanteil der Lehreinheit Vorklinische Medizin, sofern dieser nur die Kernfächer Anatomie, Physiologie und Biochemie umfasst, auf CAp = 1,4331 (Anatomie: 0,5777, Physiologie: 0,4277, Biochemie: 0,4277) fest. Insgesamt ordnet er dem vorklinischen Studienabschnitt einen Curricularanteil von CAp = 2,1717 zu. Schlägt man den darin enthaltenen Dienstleistungsimport im Fach Biologie von 0,1333 der Lehreinheit Vorklinische Medizin hinzu, so erhöht sich deren Eigenanteil auf CAp = 1,5664.

Von diesem Eigenanteil möchte die Antragsgegnerin - kapazitätsungünstig - nach oben abweichen. Sie integrierte das Fach "Biologie für Mediziner" in die vorklinischen Kernfächer und bestimmt den Eigenanteil dieser Kernfächer auf CAp = 1,6334 (Anatomie: 0,5807, Physiologie: 0,6022, Biochemie: 0,4505). Insgesamt ordnet sie dem vorklinischen Studienabschnitt einen Curricularanteil von CAp = 2,2500 zu.

Das Verwaltungsgericht ist bei summarischer Prüfung im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die kapazitätsungünstige Abweichung von dem als Orientierungsmaßstab zur Bestimmung des Ausbildungsaufwandes der vorklinischen Lehreinheit zugrundezulegenden ZVS-Beispielstudienplan nicht durch besondere Gründe, die in den konkreten Verhältnissen der Antragsgegnerin liegen und zu einer real verbesserten Ausbildung führen, gerechtfertigt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.05.1982 - 7 C 15.80 -, BVerwGE 65, 303 = Buchholz 421.21 Nr. 5; Urteil vom 23.07.1987 - 7 C 10.86 -, NVwZ 1989, 360 = Buchholz 421.21 Nr. 34; Urteil vom 20.04.1990 - 7 C 51.87 -, DVBl. 1990, 940 = Buchholz 421.21 Nr. 46 und Senat, Urteil vom 15.02.2000 - NC 9 S 39/99 -, DVBl. 2000, 722). Die Abweichung muss im Hinblick auf Forschungsschwerpunkte, Eigenheiten der Fächer- und Organisationsstruktur oder ähnliche besondere Gegebenheiten geboten oder didaktisch sinnvoll erscheinen (BVerwG, Urteil vom 23.07.1987 a.a.O. [S. 38]).

Solche besonderen Gründe, die eine kapazitätsungünstige Abweichung vom ZVS-Beispielstudienplan rechtfertigen würden, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Sie ergeben sich weder aus der von ihr behaupteten Notwendigkeit, die Gruppengröße (g) im physiologischen Praktikum auf 10 festzulegen (vgl. unten a), noch aus den von ihr bereits vor Errichtung des Biochemie-Zentrums geltend gemachten besonderen Verhältnissen (vgl. unten b).

a) Die zulassungsmindernde Abweichung vom Teilcurricularrichtwert des ZVS-Beispielstudienplans für den vorklinischen Studienabschnitt lässt sich nicht mit den von der Antragsgegnerin behaupteten Besonderheiten rechtfertigen, die zur Festlegung der Gruppengröße (g) 10 im Praktikum Zellphysiologie und Physiologie (vgl. § 1 Abs. 2 der Studienordnung 1998/2000) geführt haben.

Diese Gruppengröße lässt sich nicht mit örtlichen Besonderheiten der räumlichen und personellen Kapazitäten oder mit zeitlichen Engpässen rechtfertigen. Dies hat das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen dargelegt und insbesondere darauf hingewiesen, dass die von der Antragsgegnerin behaupteten Kapazitätsengpässe nicht den Darlegungsanforderungen der §§ 14, 15 KapVO VII genügen. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Die Antragsgegnerin meint, die von ihr praktizierte enge Verflechtung von Seminaren und Praktika bedinge zwingend eine Obergrenze von (g) = 10 bei den Praktika, da die Obergrenze bei den Seminaren durch die ÄAppO auf höchstens 20 begrenzt sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb es nicht möglich sein soll, etwa drei Seminaren mit jeweils 20 Studierenden vier Praktika mit jeweils 15 Teilnehmern zuzuordnen.

Auch das weitere Beschwerdevorbringen zur Frage der Gruppengröße führt nicht zum Erfolg. Die Antragsgegnerin meint, die besonderen Gruppengrößen in ihrem örtlichen Kurrikulum führten gar nicht zu einer kapazitätsungünstigen Abweichung vom Beispielstudienplan; denn die Gruppengröße des Beispielstudienplanes mit durchgängig (g) = 15 stelle nur einen Durchschnittswert dar, von dem ihr örtliches Kurrikulum lediglich im physiologischen Praktikum (mit g = 10) und im Praktikum Biochemie (g = 14) nach unten, in den anderen Praktika (Makroskopie: g = 20; Zellbiologie und Mikroskopie: g = 27) hingegen nach oben abweiche, was das Lehrangebot insgesamt nicht verringere. Das trifft zu. Würde man dem quantifizierten Studienplan der Antragsgegnerin für die Kernfächer Anatomie, Physiologie und Biochemie jeweils die Gruppengröße (g) = 15 des ZVS-Beispielstudienplanes zugrundelegen, so ergäbe sich eine weitere Erhöhung des Curriculareigenanteils von 1,6334 auf 1,7198 und damit eine weitere Verminderung der Jahresaufnahmekapazität von (686,394 : 1.6334 =) 420 auf (686,394 : 1,7198 =) 399 Studienplätze. Die Abweichung vom ZVS-Beispielstudienplan allein bei den Gruppengrößen würde sich bei dieser isolierten Betrachtung nicht kapazitätsungünstig auswirken und wäre daher ohne Weiteres zulässig. Sie könnte jedoch nicht zur Begründung einer kapazitätsungünstigen Abweichung vom Teilcurricularwert des ZVS-Beispielstudienplanes herangezogen werden, denn sie rechtfertigt noch nicht die erheblichen Abweichungen beim Ausbildungsaufwand (Lehrveranstaltungsstunden je Praktikum), auf denen der örtliche Curricularanteil vornehmlich beruht. Zu dessen Rechtfertigung bedarf es vielmehr einer Gesamtschau aller Faktoren, die Einfluss auf das Berechnungsergebnis haben (vgl. unten b)).

b) Die von der Antragsgegnerin beabsichtigte kapazitätsungünstige Abweichung vom ZVS-Beispielstudienplan ist auch nicht aus örtlichen Besonderheiten gerechtfertigt, die der Studienordnung vom 30.08.1990 (W.u.K. S. 269, geändert durch Satzung vom 25.03.1996, W.F.u.K. 1997, S. 138) zugrunde lagen und - nach dem Vortrag der Antragsgegnerin im Beschwerdefahren - unverändert fortbestehen sollen. Seinerzeit hatte die Antragsgegnerin im Bereich der naturwissenschaftlichen Medizin einen Forschungsschwerpunkt eingerichtet, was nicht zuletzt durch die besondere Fakultät für Naturwissenschaftliche Medizin seinen organisatorischen Ausdruck gefunden hatte. Mit der Studienordnung 1990 wollte die Antragsgegnerin gegenüber dem ZVS-Beispielstudienplan die naturwissenschaftliche Komponente in der Physiologie und der Biochemie stärker betonen, was in der kleineren Betreuungsrelation der Praktika (Physiologie: g=10 und Biochemie: g=14) sowie in einer erhöhten Stundenzahl der Seminare (jeweils 48 statt 42 Gesamtstunden) seinen Niederschlag fand. Für die Anatomie hielt die Antragsgegnerin dagegen eine höhere Stundenzahl der Kurse (254 statt 168 Gesamtstunden) für erforderlich, um die moderne Zellbiologie angemessen vermitteln zu können. Dies wurde jedoch durch größere Lerngruppen (g=23 statt g=15) kompensiert. Der Senat hatte dies und den damit verbundenen Curricularanteil von CAp = 1,5099 aufgrund summarischer Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebilligt (vgl. Senat, Beschluss vom 09.03.1993 - NC 9 S 136/92 -).

Nach Erlass der Studienordnung vom 04.03.1998 und der damit verbundenen Ausgliederung der Biochemie in das Biochemie-Zentrum Heidelberg sowie der Integration des Faches "Biologie für Mediziner" in die Fächer Anatomie und Physiologie hat der Senat in einem Verfahren auf Zulassung zum Studium der Medizin im 1. Fachsemester nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 1998/1999 Zweifel geäußert, ob die der Studienordnung 1990 zugrundeliegenden örtlichen Besonderheiten weiterhin vorliegen und ob - bejahendenfalls - ihre Abweichung vom ZVS-Beispielstudienplan in vollem Umfang von diesen örtlichen Besonderheiten gedeckt sind (vgl. Urteil vom 15.02.2000 - NC 9 S 39/99 - a.a.O.). Im Einzelnen hat der Senat ausgeführt:

"Voraussetzung für eine solche Abweichung ist nämlich stets, dass das besondere örtliche Lehrkonzept mit den personellen Ressourcen der Lehreinheit auch durchführbar ist (BVerwG, Urt. vom 23.07.1987 a.a.O. <S. 39>; Urt. vom 20.04.1990 - 7 C 51.87 -, DVBl. 1990, 940 = KMK-HSchR n.F. 41 C Nr. 1 = Buchholz 421.21 Nr. 46). Dem ist nicht schon dann genügt, wenn für die besonders konzipierten Lehrveranstaltungen nur überhaupt wissenschaftliches Lehrpersonal zur Verfügung steht. Ein Schwerpunkt in der Lehre, der einen erhöhten Ausbildungsaufwand bedingt, muss vielmehr Ausfluss einer Schwerpunktsetzung auch in der Forschung und in den anderen Aufgaben der Hochschule sein, die sich in einem besonderen personellen und/oder sächlichen Aufwand sowie gegebenenfalls in einer besonderen Organisationsstruktur dokumentiert. Die Hochschule kann nicht in einem Fach, das ohnehin allenfalls durchschnittlich ausgestattet ist, in der Lehre einen besonderen Aufwand betreiben und so einen Kapazitätsengpass künstlich erzeugen; sie kann auch nicht in einem Fach, dessen bislang bevorzugte Ausstattung infolge von Einsparungen auf ein durchschnittliches Maß reduziert wird, einen bislang betriebenen besonderen Lehraufwand unverändert fortsetzen. In beiden Fällen würde eine örtliche Abweichung vom ZVS-Beispielstudienplan nicht oder nicht mehr durch Besonderheiten der Hochschule gerechtfertigt.

Mit ihrer Studienordnung 1990 wollte die Beklagte vor allem die naturwissenschaftliche Komponente in der Biochemie und der Physiologie stärker betonen, weil sie im Bereich der naturwissenschaftlichen Medizin einen Forschungsschwerpunkt bildete. Dies schlug sich gegenüber dem ZVS-Beispielstudienplan vor allem in der kleineren Betreuungsrelation der physiologischen Praktika (g=10 statt g=15) sowie in der Vermehrung der biochemischen Praktika (103 statt 98 Gesamtstunden) und Seminare (48 statt 42 Gesamtstunden) nieder. Dem vermehrten Ausbildungsaufwand im Fach Biochemie stand eine besonders großzügige Ausstattung der Biochemischen Institute gegenüber; diese besteht unverändert fort und wurde 1995 durch die Bildung des Biochemie-Zentrums auch organisatorisch verfestigt. Anders aber liegt es im Fach Physiologie. Dass die Beklagte hier über eine besondere Ausstattung verfügte, die eine besondere Akzentuierung im Lehraufwand legitimieren könnte, ist nicht erkennbar. Im Gegenteil hat die beabsichtigte Bildung einer "kleinen" Lehreinheit Vorklinische Medizin infolge der Ausgliederung des Fachs Biochemie nach dem eigenen Vortrag der Beklagten gerade die vergleichsweise geringere Ausstattung der Fächer Anatomie und Physiologie aufgedeckt. Schon dies ließ es fragwürdig erscheinen, für die Praktika der Physiologie eine Gruppengröße von nur 10 Studenten vorzusehen und damit den Einsatzwert des ZVS-Beispielstudienplanes und in der Folge die diesbezügliche Ausbildungskapazität um ein Drittel zu reduzieren. Indem die Beklagte nunmehr aber noch das Fach "Biologie für Mediziner" in die vorklinische Lehreinheit integrierte, was gerade zu Lasten der Physiologie (und der Anatomie) ging, hat sie die Legitimation für einen unverändert erhöhten Ausbildungsaufwand im Fach Physiologie zusätzlich in Zweifel gezogen. Die physiologischen Praktika sollen nunmehr mit den medizinrelevanten Teilen der Zellphysiologie noch zusätzlich einen Teil der Belastung aus der Übernahme des Fachs "Biologie für Mediziner" schultern, was zu einer Erhöhung der Zahl der Praktikastunden führt. Dann aber ist die Rechtfertigung für eine Beibehaltung ihrer besonders geringen Gruppengröße vollends fragwürdig geworden."

Die vom Senat für das Zulassungsjahr 1998/1999 geäußerten Zweifel am Fortbestand der örtlichen Besonderheiten wurden von der Antragsgegnerin auch im vorliegenden Verfahren nicht ausgeräumt. Zwar hat sie zum Zwecke der Kapazitätsberechnung das Fach Biochemie wieder in die vorklinische Lehreinheit integriert und damit die Voraussetzungen geschaffen, dass die großzügige Ausstattung der ehemals Biochemischen Institute dem Lehrangebot der "großen" Lehreinheit Vorklinische Medizin zugeführt wird. An der vergleichsweise geringen Ausstattung der Fächer Anatomie und Physiologie hat sich hingegen nichts geändert. Auch ist das Fach "Biologie für Mediziner" weiterhin in die vorklinische Lehreinheit integriert, was ebenfalls zu Lasten der Physiologie und der Anatomie geht, da diese Eingliederung nicht mit einer Erhöhung des Lehrangebots verbunden war. Die Annahme des Fortbestandes der besonderen örtlichen Verhältnisse seit 1990 könnte daher allenfalls zur Annahme des vom Senat gebilligten und von der Antragsgegnerin für die Zeit nach 1990 angewandten Curriculareigenanteils von CAp = 1,5099 führen. Dies kann jedoch offen bleiben, da sich hieraus eine Aufnahmekapazität von (686,394 : 1,5099) = 454,59, gerundet 455 Studienplätze ergäbe, was einer Erhöhung der festgesetzten Studienzahl um 35 Plätze entspricht.

3. Das Verwaltungsgericht hat den Eigenanteil demgegenüber auf Grundlage des ZVS-Beispielstudienplanes mit CAp = 1,5002 errechnetet, der sich aus den Eigenanteilen an den Kernfächern Anatomie, Physiologie und Biochemie auf insgesamt CAp = 1,4331 und dem konkret berechneten Eigenanteil für das integrierte Fach "Biologie für Mediziner" in Höhe von CAp = 0,0671 zusammensetzt. Die hiergegen erhobenen Einwände der Antragsgegnerin greifen ebenfalls nicht.

Die Antragsgegnerin meint, der Einsatzwert für das integrierte Fach "Biologie für Mediziner" halte einer Überprüfung nicht stand. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Das Verwaltungsgericht ist bei der konkret für das Fach "Biologie für Mediziner" erbrachten Unterrichtsmenge davon ausgegangen, dass die Lehreinheit Vorklinische Medizin im Rahmen der Vorlesung Zellbiologie und mikroskopische Anatomie einen zellbiologischen Vorlesungsteil von 48 Stunden und im Rahmen des Praktikums der Zellbiologie und Histologie einen Praktikumsteil von 24 Stunden sowie im Rahmen des Praktikums der Physiologie einen zellphysiologischen Praktikumsteil von 12 Stunden erbringt. Dies entspricht dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Leitfaden für Studierende der Medizin (vgl. Stoffgebiet Biologie für Mediziner und Anatomie: Teilgebiet Biologie für Mediziner, S. 32) und wird von der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren auch nicht angegriffen. Die nach dem Leitfaden im Teilgebiet "Biologie für Mediziner" erbrachte Vorlesung/Übung in Mikrobiologie und in Humangenetik wird - wovon das Verwaltungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeht - als Dienstleistungsimport von der Lehreinheit Klinische Medizin erbracht. Die Antragsgegnerin behauptet nur, das "Praktikum Physiologie" sei mit 19 statt wie im Leitfaden aufgeführt mit 12 Gesamtstunden anzusetzen. Dem kann nicht gefolgt werden. Denn insoweit ist nur der im Rahmen des Praktikums der Physiologie erbrachte zellphysiologische Praktikumsteil zu berücksichtigen, der nach dem Leitfaden der Antragsgegnerin nur 12 Stunden umfasst. Dass dieser Leitfaden fehlerhafte Angaben enthält, legt die Antragsgegnerin selbst nicht dar. Soweit sie meint, der zellbiologische Vorlesungsteil betrage nur 10 Gesamtstunden und der zellphysiologische Praktikumsteil müsse mit der Gruppengröße (g) 10 berechnet werden, kann dies dahingestellt bleiben. Denn hieraus ergäbe sich für den zellbiologischen Vorlesungsteil (10 : 14 = 0,7142 x 1 : 490) ein Anteil von CAp = 0,015, für den im Rahmen der Zellbiologie und Histologie zu erbringenden Praktikumsteil von 24 Stunden (24 : 14 x 0,5 : 27) ein Anteil von CAp = 0,0317 und für den zellphysiologischen Praktikumsteil (12 : 14 x 0,5 : 10 =) ein Anteil von CAp = 0,0429. Insgesamt würde sich der vom vorklinischen Teil des Studiengangs Medizin zu erbringende Anteil auf CAp = 0,0761 erhöhen. Addiert man diesen Anteil zu dem für die Kernfächer festgesetzten Eigenanteil von CAp = 1,4331, so ergäbe sich für die Lehreinheit Vorklinische Medizin ein Eigenanteil von CAp = 1,5092, was zu einer jährlichen Aufnahmekapazität von (686,394 : 1,5092 =) 454,80, gerundet 455 Studienanfänger führen würde. Dies wären wiederum 35 Studienanfänger mehr als die festgesetzte Zulassungszahl von 420.

4. Da die Beschwerde erfolglos bleibt, bedarf die von der Antragstellerin erhobene "unselbständige Anschlussbeschwerde" keiner Entscheidung.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 25, Abs. 2, 20 Abs. 3, 14, 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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