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Beginn der Entscheidung

Gericht: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 19.07.2001
Aktenzeichen: NC 9 S 2/01
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124a Abs. 1 Satz 4
VwGO § 146 Abs. 5
1. Führt der Antragsteller das Verfahren des gerichtlichen Eilrechtsschutzes fort, obwohl dieses erledigt ist, so fehlt dem Antragsgegner für die Einlegung eines Rechtsmittels nicht das Rechtsschutzinteresse.

2. § 158 Abs. 1 VwGO steht nicht entgegen, wenn der unterlegene Teil die Sachentscheidung anficht, um im Rechtsmittelverfahren die Erledigung der Hauptsache geltend zu machen und eine dementsprechende Kostenentscheidung zu erlangen. Dies setzt allerdings die Zulassung des Rechtsmittels voraus.

3. Die Beschwerde ist nach § 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch dann zuzulassen, wenn der angefochtene Beschluss zwar nicht aus dem vom Rechtsmittelführer angeführten Grund, wohl aber aus einem anderen Grunde unrichtig ist, sofern diese Unrichtigkeit offensichtlich ist.

4. Entscheidet das Verwaltungsgericht über einen Antrag auf einstweilige Zuweisung eines Studienplatzes erst mehrere Monate nach Antragstellung, so muss es vor der Entscheidung - gegebenenfalls erneut - eine aktuelle eidesstattliche Versicherung des Antragstellers darüber einholen, dass dieser zum Studium in dem begehrten Studiengang noch nicht an einer anderen Hochschule endgültig oder vorläufig zugelassen ist.


VERWALTUNGSGERICHTSHOF BADEN-WÜRTTEMBERG Beschluss

NC 9 S 2/01

In der Verwaltungsrechtssache

wegen Zulassung zum Studium der Humanmedizin (WS 2000/2001= -1.FS-);

Antrag gemäß § 123 VwGO

hier: Antrag auf Zulassung der Beschwerde

hat der 9. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Gerstner-Heck und die Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Rennert und Brandt

am 19. Juli 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf Antrag der Antragsgegnerin wird die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 06. April 2001 - NC 6 K 258/00 - zugelassen.

Der genannte Beschluss des Verwaltungsgerichts Sigmaringen wird geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens aus beiden Rechtszügen.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 8.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller hat am 06.07.2000 bei der Antragsgegnerin die Zuweisung eines Studienplatzes im Studiengang Humanmedizin (1. Fachsemester) für das Wintersemester 2000/2001 außerhalb der festgesetzten Kapazität begehrt und nach Ablehnung dieses Antrags Klage beim VG Sigmaringen erhoben (NC 6 K 290/00). Mit dem Antrag im vorliegenden Verfahren hat er am 10.10.2000 den Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt. Dabei hat er zugleich eine vom 05.10.2000 datierte eidesstattliche Versicherung vorgelegt, derzufolge er im Studiengang Humanmedizin an keiner anderen Hochschule endgültig oder vorläufig zum Studium zugelassen sei. Das VG Sigmaringen hat diesem Antrag mit dem angefochtenen Beschluss teilweise stattgegeben und der Antragsgegnerin die Kosten des (erstinstanzlichen) Verfahrens auferlegt. Der Beschluss ist beiden Beteiligten am 20.04.2001 zugestellt worden.

Am 20.04.2001 hat der Antragsteller der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass er auf die Rechte aus der einstweiligen Anordnung verzichte, weil er bereits anderweitig zum Studium zugelassen sei. Zugleich hat er Kostenfestsetzung beantragt.

Am 04.05.2001 hat die Antragsgegnerin Zulassung der Beschwerde beantragt, weil die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Kapazitätsberechnung ernstlichen Richtigkeitszweifeln begegne, tatsächlich und rechtlich schwierig sei und der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihe. Der Antragsteller hält den Zulassungsantrag für unzulässig, weil er auf die Rechte aus der einstweiligen Anordnung verzichtet habe und der Antragsgegnerin an einer Fortsetzung des Rechtsstreits daher das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Er hat am 06.06.2001 seine Hauptsacheklage beim Verwaltungsgericht für erledigt erklärt; das vorliegende Eilverfahren erklärt er jedoch nicht für erledigt.

Der Senat hat beide Beteiligten aufgefordert, für den Fall der Zulassung der Beschwerde vorsorglich auch zu dieser selbst vorzutragen.

II.

Die Beschwerde ist zuzulassen. Sie führt zur Abweisung des Antrags.

1. Der Antragsgegnerin kann das Rechtsschutzbedürfnis für ihr Rechtsmittel nicht abgesprochen werden. Zwar ist die Hauptsache erledigt, nachdem der Antragsteller anderweitig zum Studium zugelassen wurde und von der einstweiligen Anordnung einen Monat lang keinen Gebrauch gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO), auf die Rechte aus ihr vielmehr verzichtet hat. Der Antragsgegner hat es jedoch nicht in der Hand, den Rechtsstreit deswegen zu beenden. Die Dispositionsbefugnis steht vielmehr zunächst dem Antragsteller zu. Dieser hat sich ausdrücklich geweigert, das Verfahren für erledigt zu erklären. Führt er selbst es aber weiter, so darf auch die Antragsgegnerin das Verfahren fortbetreiben.

2. Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist zulässig. Insbesondere fehlt der Antragsgegnerin nicht die nötige Beschwer. Dabei mag dahin stehen, ob sie im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Stellung des Antrags - am 04.05.2001 - noch durch den verfügenden Ausspruch in dem angefochtenen Beschluss beschwert war, nachdem der Antragsteller auf die Rechte aus der einstweiligen Anordnung zwar verzichtet, den Titel jedoch nicht herausgegeben hatte. Es genügt, dass sie auch durch die Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts beschwert war und dass diese Beschwer fortdauert. Zwar darf der im ersten Rechtszug unterlegene Teil nicht allein die Kostenentscheidung anfechten (§ 158 Abs. 1 VwGO). Es ist jedoch zulässig, dass der unterlegene Kläger oder Antragsteller die Sachentscheidung selbst anficht, um dann im Rechtsmittelverfahren die Hauptsache für erledigt zu erklären und eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zu erreichen (Eyermann/Rennert, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 158 VwGO Rdnr. 4 m.w.N.). Entsprechendes gilt für den unterlegenen Beklagten oder Antragsgegner. An dieser Rechtslage hat sich dadurch, dass die Berufung oder Beschwerde infolge der 6. VwGO-Novelle zulassungsbedürftig ist, im Grundsatz nichts geändert. Zwar kann der im ersten Rechtszug unterlegene Teil die Erledigungserklärung erst abgeben oder anregen, wenn das Rechtsmittel selbst zugelassen wurde (Eyermann/Happ, a.a.O., § 124a VwGO Rdnr. 39); insofern ist der Weg zur Korrektur der erstinstanzlichen Entscheidung erschwert. Ausgeschlossen ist dieser Weg damit aber nicht.

3. Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist auch begründet.

Allerdings liegen die von der Antragsgegnerin in Anspruch genommenen Zulassungsgründe nicht deshalb vor, weil das Verwaltungsgericht die Aufnahmekapazität der Antragsgegnerin falsch berechnet hätte, wie diese meint. Selbst wenn dies schwierig wäre (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder klärungsbedürftige Fragen aufwürfe (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), so wäre die Frage der Aufnahmekapazität doch für das angestrebte Beschwerdeverfahren unerheblich und war dies auch schon für die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts, wie sich aus dem Folgenden ergibt. Die angefochtene Entscheidung begegnet ernstlichen Zweifeln (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auch nicht aus diesem Grunde.

Der angefochtene Beschluss begegnet gleichwohl ernstlichen Richtigkeitszweifeln (§ 146 Abs. 4 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hätte die einstweilige Anordnung nicht erlassen dürfen, sondern hätte den Antrag ablehnen müssen. Dies schon deshalb, weil der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht hatte, dass er noch nicht zum Studium der Medizin an einer anderen deutschen Hochschule zugelassen worden war. Eine einstweilige Anordnung auf Zulassung zum Studium kann nur ergehen, wenn der Studienbewerber glaubhaft macht, dass er noch nicht zum Studium in dem begehrten Studiengang an einer anderen Hochschule endgültig oder vorläufig zugelassen ist (Senat, Beschluss vom 22.12.1992 - NC 9 S 17/92 -; st. Rspr.). Diese Glaubhaftmachung hat in der Regel durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung zu geschehen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 Abs. 1 ZPO). Im vorliegenden Fall hatte der Antragsteller zwar eine dahingehende Erklärung zusammen mit seinem Eilantrag vorgelegt. Diese Erklärung datierte jedoch vom 05.10.2000. Sie war daher im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts am 06.04.2001 nicht mehr aktuell. Entscheidet das Verwaltungsgericht über einen Antrag auf einstweilige Zuweisung eines Studienplatzes erst mehrere Monate nach Antragstellung, so muss es vor der Entscheidung - gegebenenfalls erneut - eine aktuelle eidesstattliche Versicherung des Antragstellers darüber einholen, dass dieser zum Studium in dem begehrten Studiengang noch nicht an einer anderen Hochschule endgültig oder vorläufig zugelassen ist. Die Einhaltung dieses Verfahrensgebots hätte im vorliegenden Falle nach aller Wahrscheinlichkeit dazu geführt, dass der Antragsteller seine anderweitige Zulassung zum Studium offenbart hätte. Denn am 20.04.2001 - am selben Tage, als ihm der Beschluss des Verwaltungsgerichts zugestellt wurde - hat er der Antragsgegnerin seine anderweitige Zulassung zum Studium mitgeteilt. Es spricht alles dafür, dass er auch schon zwei Wochen zuvor diesen anderen Studienplatz inne hatte.

Nun hat die Antragsgegnerin ihren Antrag auf Zulassung der Beschwerde auf diesen Umstand nicht gestützt. Auf ihn hebt sie weder in ihrer Rechtsmittelschrift noch in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 31.05.2001 ab; in diesem geht sie erstmals auf die anderweitige Zulassung des Antragstellers zum Studium ein, verteidigt jedoch lediglich ihr fortbestehendes Rechtsschutzinteresse, ohne Folgerungen mit Blick auf den Zulassungsgrund aus § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu ziehen. Im übrigen wäre dies auch verspätet gewesen. Die Frist auch zur Begründung des Beschwerdezulassungsantrags (§ 146 Abs. 5 Sätze 1 und 3 VwGO) lief am 04.05.2001 ab. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist wäre nur in Betracht gekommen, wenn die Antragsgegnerin von der anderweitigen Zulassung des Antragstellers während der laufenden Rechtsmittelfrist unverschuldet keine Kenntnis gehabt hätte (§ 60 Abs. 1 VwGO). So liegt es nicht: Der Antragsteller hatte ihrem Prozessbevollmächtigten am 20.04.2001 und ihr selbst am 25.04.2001 von seiner anderweitigen Zulassung zum Studium Mitteilung gemacht.

Der Zulassung der Beschwerde steht das Darlegungsgebot des § 146 Abs. 5 Satz 3 VwGO gleichwohl nicht entgegen. Dieses beschränkt das Oberverwaltungsgericht zwar grundsätzlich auf die Prüfung, ob die in Anspruch genommenen Zulassungsgründe aus den dargelegten Umständen vorliegen. Eine Ausnahme gilt jedoch dann, wenn der angefochtene Beschluss zwar nicht aus dem vom Rechtsmittelführer angeführten Grund, wohl aber aus einem anderen Grunde unrichtig ist, sofern diese Unrichtigkeit - wie hier - offensichtlich ist. Zweck des Zulassungsgrundes aus § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist es, die Überprüfung und mögliche Korrektur zweifelhafter Entscheidungen der ersten Instanz im Rechtsmittelwege zu ermöglichen. Das gebietet, den Zugang zur Rechtsmittelinstanz umso eher zu eröffnen, je gewichtiger die Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung wiegen, vollends wenn deren Unrichtigkeit schon im Zulassungsverfahren offensichtlich ist. In solchen Fällen kann auch das Darlegungsgebot nicht entgegen stehen. Dessen Sinn und Zweck besteht darin, das Zulassungsverfahren zu vereinfachen, indem es das Prüfungsprogramm des Oberverwaltungsgerichts darauf beschränkt zu klären, ob die dargelegten Gründe eine Zulassung des Rechtsmittels tragen (Eyermann/Happ, a.a.O., § 124a VwGO Rdnr. 17; Rennert, NVwZ 1998, 665 <668 f.> m.w.N.). Dieser Zweck wird indes nicht berührt, wenn die Zulassung aus Gründen, die offensichtlich sind, auch ohne deren Darlegung erfolgen kann. Denn das Offensichtliche liegt klar zutage und bedarf daher keiner aufwendigen Feststellung. Das Zulassungsverfahren wird daher nicht verzögert und erschwert, sondern umgekehrt gerade vereinfacht (wie hier OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 30.01.1997 - 7 B 10293/97 -; OVG Nordrhein-Westfalen, NVwZ 1997, 1224; NVwZ 1998, 530; OVG Lüneburg, DVBl 1999, 478; Meyer-Ladewig, in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124a Rdnr. 74; Eyermann/Happ, a.a.O., § 124a VwGO Rdnr. 26a; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 124a Rdnr. 7; Schmieszek, NVwZ 1996, 1153; Seibert, DVBl 1997, 932 <939>; ders., DVBl 1999, 115).

4. Die zugelassene Beschwerde hat Erfolg. Hierüber kann der Senat sogleich entscheiden; die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Äußerung. Die Beschwerde führt zur Änderung des angefochtenen Beschlusses und zur Ablehnung des gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Denn der Antrag ist unzulässig. Das ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zu beurteilen. Heute ist aber klar, dass dem Antragsteller das Rechtsschutzbedürfnis fehlt; denn er ist bereits an einer anderen Hochschule eingeschrieben und begehrt eine Einschreibung bei der Antragsgegnerin nicht mehr. Er hätte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für erledigt erklären können und müssen, sobald er anderweitig zum Studium der Humanmedizin zugelassen war. Dass er das Verfahren gleichwohl fortgeführt hat und weiter fortführt, macht seinen Antrag unzulässig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 25 Abs. 2, § 20 Abs. 3, § 14, § 13 Abs. 1 GKG (vgl. Senat, Beschluss vom 05.02.2001 - NC 9 S 1/01 -).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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